Praxis
Auf den ersten “Blick” klingt das Audified Synergy R1 angenehm weich, klar und sauber. Manche Algorithmen erscheinen etwas eng, aber auch dort klingt das Gerät offen und die Mitten sind zwar mitunter kräftig, aber selten dominant. Als Send-Effekt betrieben ist das Hallgerät ein hübsches Ding, das Räume baut, die zwar nicht immer realistisch, dafür aber immer schön sind. Spannend ist hierbei, wie sich Reverb und Sättigung verzahnen. So wird aus jedem Raum je nach Schaltung eine andere Welt. Die Germanium-Schaltung würde ich grundsätzlich als präsenzbetonend (besonders im oberen Mittenbereich) beschreiben, die diskrete Schaltung wirkt dagegen meist stärker in den unteren tonalen Bereichen, während der JFET-Transistor stark weichzeichnet, was zur Folge hat, dass die meisten Programme subjektiv ein gutes Stück leiser wirken als bei den anderen beiden Schaltungen.
Der “Small Room” ist am glaubwürdigsten: sehr klein und kurz, angenehm frisch, nicht klaustrophobisch. In Verbindung damit sorgt eine Germanium-Sättigung für eine Vertiefung und Öffnung, “Discrete” bringt mehr tonale Definition. “Room” klingt in meinen Ohren nicht ganz so natürlich. Das Reverb-Signal verbindet sich nicht direkt anstandslos mit der Quelle, sondern wirkt etwas artifiziell. Hier kann man über die Sättigung ganz gut den Raumcharakter definieren. So suggeriert “Germanium” einen relativ leeren Raum mit recht harten Wänden, etwa ein Wohnzimmer mit Steinwänden und wenigen Möbeln. “Discrete” klingt offener, eher wie ein Raum mit Leichtbauwänden oder Holz. “JFET” ändert hier nicht so sehr den Grundcharakter, reichert die Höhen aber deutlich an.
Der “Hall”-Algorithmus erinnert wie erwartet an einen Flur oder Mehrzweck-Nutzraum. Eine Germaniumsättigung erweckt hier den Eindruck nackterer Wände. Die diskrete Schaltung klingt dunkler, etwas kellerartiger, aber auch eine Spur größer, der JFET-Transistor sorgt für ein bisschen mehr Glanz in der Hütte. “Long Hall” klingt nicht nur größer, sondern auch etwas leichter als “Hall”. Die Germaniumsättigung vergrößert den Raum nochmal deutlich, klingt frisch, neigt aber dazu, etwas blechern auszuschwingen. “Discrete” klingt weniger nach harten Wänden, aber nicht kleiner, eher wärmer und musikalischer. Am meisten Verdichtung, aber auch ein gutes Stück Indifferenz bringt hier wieder “JFET”.
Beim “Spring”-Algorithmus sollte man nicht erwarten, direkt an einen analogen Federhall erinnert zu werden, eher klingt es wie klassische Spring-Algorithmen digitaler Hallgeräte. Schaltet man die Germanium-Dioden dazu, kommt man dem Federhallcharakter ein kleines Stückchen näher, weil hier die oberen Mitten mehr Betonung erfahren. Der diskrete Op-Amp zeichnet den Raum klarer und eine Spur größer, “JFET” sorgt für eine subjektive Verlängerung des Reverb-Tails.
Die “Plate” wirkt etwas schmaler als eine echte analoge Hallplatte, aber schön klar in den Höhen. Auf den ersten Eindruck klingt das auch ungesättigt schon glaubwürdig. So richtig Plate wird es, wenn man die Verzerrungen dazu schaltet, der Nachklang wird durch “Germanium” tonaler und weiter. “Discrete” lässt den Hall dunkler hervortreten, “JFET” reichert das Obertonspektrum an.
Der siebte Algorithmus nennt sich “Tunnel” und ist eher etwas für Spezialeffekte. Die recht lange und stabile Hallfahne klingt sphärisch und nicht direkt nach einem echten großen Raum, wie zum Beispiel einer Kathedrale, sondern steht eher als Fläche im Hintergrund. Hier beeinflusst die Sättigung sehr effektiv die Klangfarbe. “Germanium” wirkt heller, “Discrete” dunkler. “JFET” erzeugt ein Loch in den Mitten, was flauschig anmutet.
Drehen wir nun den Dry-/Wet-Regler nach links, erkennen wir, was die analogen Schaltkreise so drauf haben: Wir hören im Germanium-Modus eine satte Verdichtung der Präsenzen, die das Signal auch und gerade in den leiseren Passagen sehr effektiv nach vorne holt. So setzen sich auch leise Details ungemein gut durch, was nebenbei eine ziemliche Menge an Kompression ersparen kann.
Der diskrete Kreis ist auf trocknen Signalen nicht so sehr im tonalen Präsenzbereich aktiv, sondern wirkt sich eher im Höhenbereich aus. Das Material klingt feiner. Der Modus ist also etwas weniger zupackend, verdichtet aber auch sehr eindrucksvoll und angenehm.
Der JFET-Transistor, so schön er Hallfahnen entrücken und verlängern kann, ist dagegen auf trockenen Signalen meist bei Weitem zu drastisch. Gerade auf Sounds, die ein breites Frequenzspektrum abdecken, klingt dessen Verzerrung eher garstig.
Die Quadratur des Kreises
Verdichten und Öffnen in einem Rutsch, Tiefe hinzufügen und gleichzeitig ein Signal nach vorne stellen? Kein Problem! Als Insert verwendet ist das R1 ein tolles Teil. Steigerung der Präsenz geht mit einer sanften Veredelung einher, sodass das behandelte Instrument zwar präsenter ist, aber gleichzeitig dezenter. Das Gerät kann also zaubern. Da ist die Frage gleich naheliegend, wie das Gerät wohl in einem Mastering-Setup spielt? Um die Antwort gleich vorwegzunehmen: ganz wunderbar.
Für dich ausgesucht
Im “Germanium”-Modus zum Beispiel, besonders mit einer dezenten Beimischung von Spring oder Plate, bringt das Gerät Details komplexer Mischungen gerade im Seitenband unerhört klar raus, und das mit einer Nonchalance, als sei es immer so gewesen. Mit ein bisschen Herumprobieren an Mix und Gain der Sättigung findet man leicht ein optimales Setup, zum Glück hat hier jeder Parameter sein eigenes Poti. Die Sättigung des diskreten Op-Amps hingegen wirkt weniger tonal und zeichnet stattdessen die Höhen feiner und etwas deutlicher. Das Resultat ist eine Art Fensterputzeffekt, aber bei weitem nicht so ostentativ wie bei einem Exciter, sondern weit weniger ermüdend und durchaus über den ganzen Frequenzbereich wahrnehmbar.
Mal dahingestellt, ob das R1 für diesen Zweck entworfen wurde oder nicht: Sowohl die Germaniumschaltung als auch der diskrete Amp machen in der Summe und gerade in Kombination mit einer homöopathischen Beimischung des Reverbs eine sehr gute Figur.
Physik
Ich möchte hier kurz erwähnen, was die Sättigungsschaltungen konkret tun. Bei den Germanium-Dioden liegt schon bei geringer Eingangslautstärke k2, k3, k4 (also das 2- bis 4-fache der Grundfrequenz) vor, wobei k3 mit Abstand dominiert. Darüber kommen mit steigender Sättigung sukzessiv weitere Obertöne hinzu. Je mehr die Schaltung in die Sättigung geht, desto kleiner werden die Pegelunterschiede zwischen den einzelnen Obertönen.
Der diskrete Operationsverstärker bietet einen ziemlich plötzlichen Übergang zwischen kaum messbaren Obertönen und sehr starker Anreicherung. Sobald der Übersteuerungspunkt erreicht ist, schlägt das Spektrum abrupt um und zeigt ein ziemlich ausgewogenes Spektrum von k2, k3, k4 und deren Vielfachen. Unser JFET-IC zerrt schon bei geringen Eingangspegeln vernehm- und messbar. Hier ist k2 am lautesten, die Intensität der weiteren Obertöne nimmt kontinuierlich mit Höhe der Teiltöne ab. Die Verzerrung nimmt proportional zur Eingangslautstärke zu, wobei sich bei starker Verzerrung das Gewicht auf die höheren Register verschiebt. Der Grundton wird im Verlauf etwas leiser und wird bei hohen Pegeln sogar von k2 übertönt, sodass das Signal mit steigender Verzerrung subjektiv deutlich an Pegel verliert. Füttert man den Schaltkreis statt mit einem Sinus mit Musik, führt das dazu, dass das Signal schon bei geringen Eingangspegeln schwer wieder zu erkennen ist und bei hohen Pegeln regelrecht zerstört klingt. Während “JFET” auf der Hallfahne Wunder wirken kann, richtet er auf trockenen Signalen unter Umständen Verheerungen an, hier ist also Ohrenmaß geboten.
An den Piano-/Hall-Klangbeispielen lässt sich ganz gut ermessen, zu welchen Veränderungen im emotionalen Charakter von Aufnahmen die Kombination aus Reverb und Sättigung in der Lage ist. Klingt die ungesättigte Version noch einfach wie ein Klavier mit Hall, ist bei der Germaniumversion schon ein kleines Universum an schwelgerischer Tiefe hinzugekommen. Die diskrete Schaltung klingt ähnlich wohlig, aber etwas wärmer, wohingegen die JFET-Variante geradezu schwärmerisch verträumt, aber etwas kühler daher kommt. Allerdings reagiert die Kombination durchaus sehr unterschiedlich: Beim Wechsel von Hall auf Large Hall geschieht es unversehens, dass die diskrete Schaltung etwas griffiger daherkommt und die JFET-Färbung größer klingt als seine beiden Kollegen.
Bei den Klangbeispielen mit weiblichem Gesang lässt sich gut hören, wie der JFET-Modus im Vergleich zu den anderen beiden Betriebsarten den Reverbanteil räumlich weiter nach hinten stellt und dadurch den Raum öffnet.