DETAILS
Der deutsche Vertrieb des japanischen Unternehmens Audio-Technica hat uns freundlicherweise vor dem Verkaufsstart ein Exemplar seines ATH-ANC7b zugeflankt (dieses Verb kann ich im Hinblick auf den Umgang mit Sendungen durch die hiesigen Paketdienste guten Gewissens benutzen).
Nun sind die Japaner zwar generell kreative Menschen, doch zumindest bei AT setzen sich bei den Produktnamen offensichtlich die staubigen, pragmatischen Ingenieure durch. Anstatt blumige Namen zu kreieren, die sich der geneigte Interessent vielleicht sogar beim ersten Hören oder Lesen merken könnte, hagelt es aus Japan Kürzel, die fast jeder eher für Bauteile aus der Gasturbinentechnik, Unterklassen ausgestorbener Milchsäure-Bakterienstämme oder Doppelsterne in entfernten Spiralgalaxien hält. Hinter der sperrigen Bezeichnung ATH-ANC7b verbirgt sich dennoch nur ein Kopfhörer – allerdings ein recht spezieller. Bei genauerer Überlegung wird deutlich, dass der vordere Teil der Produktbezeichnung sehr wahrscheinlich den Firmennamen und das Wort “Headphone” abkürzen soll. “ANC” könnte für die Technik “Active Noise Control” stehen, “b” ist ganz schnöde “Version 2”. Die Bedeutung der „7“ bleibt schleierhaft. Vielleicht ist sie auch das kleine kreative Etwas, das angesprochene Pragmatiker hinter ihren Bildschirmen und Messgeräten jugendlich kichern lässt. Möglicherweise ist es auch ein Insider, der im Ingenieursbüro ein leichtes Rock’n’Roll-Lüftchen wehen lässt, wer weiß? Wie dem auch sei: Ich finde, “Noise-Killer Headphone” oder so hätte dennoch besser gepasst. Aber das ist ja wirklich nicht mein Bier – die Funktionsweise dieses Systems allerdings schon, und zwar mindestens ein Weizen oder sogar eine große Faxe-Dose!
Funktionsweise
Die Problematik ist bekannt: Um als DJ ungestört das Monitoring zu hören und als Trommler Playback, Click und ein unverwaschenes Bassdrumsignal, ist es notwendig, dass geschlossene Kopfhörer Umgebungsschall möglichst nicht an die Ohren heranlassen (bzw. größtmöglich abschwächen). Die einfachste Möglichkeit ist die passive Dämpfung, also die Ohr-Muscheln und die Wülste so stark wie möglich zu machen. Mit der Notwendigkeit für eine starke Dämpfung sind die Musikmachenden allerdings nicht alleine. Jeder hat das Bild von Ferrari-Ex Jean Todt mit den Riesenschalen-Kopfhörern vor Augen – exakt diese gibt es auch als “spezielle Schlagzeuger-Kopfhörer” zu kaufen. Doch sehen diese Monster sehr nach Fluglotse aus. Kein Wunder, denn so ein Düsentriebwerk ist bekannterweise alles andere als ein Leisetreter. Aus der Flugzeugtechnik kommt dementsprechend auch die Technologie, “aktiv” zu bedämpfen. Das ist nicht besonders neu, sondern wird seit den Fünfzigern eingesetzt!
Audio-Technica haben mit ihrem ATH-ANC also keine Technologie erfunden, sondern setzen sie nur ein. Ein bekannter deutscher Traditionshersteller von Kopfhörern und Mikrofonen ist im Bereich der Luftfahrt gut im Geschäft (Stichwort: „NoiseGard“-Technologie), hat aber bislang keine großartigen Versuche unternommen, seine Produkte für den für uns relevanten Markt anzugleichen – dies war eher dem Interkom-Markt mit entsprechenden Headsets vorbehalten.
Wer sich fragt, wie ein Kopfhörer es anstellen will, Umgebungsgeräusche einfach wegzuzaubern, ist in der warmen Umarmung der folgenden Absätze bestens aufgehoben. Die Technologie dahinter ist keine Apollo-Mission und kein Large Hadron Collider, sondern lässt sich mit Mittelstufen-Mathematik erklären.
Für dich ausgesucht
Schall ist ja bekanntlich eine Schwingung, die durch ein Medium (meist Luft) weitergeleitet wird. Bei theoretischer Darstellung wird der Einfachheit halber oft eine einzelne Frequenz, also ein Sinus verwendet. Werden zwei Sinusschwingungen gleicher Frequenz und gleicher Amplitude überlagert (also addiert), hängt das Ergebnis von deren Phasenlage ab. Sind die Startpunkte der beiden Schwingungen identisch, könnt ihr anhand der Grafik schon erkennen, was geschieht: Die Amplitude verdoppelt sich (vereinfacht gesprochen: Die Lautstärke verdoppelt sich ebenfalls). Startet der zweite Sinus genau einen halben Schwingungsdurchlauf (1/2T) nach dem ersten, spricht man auch von einer Phasenverschiebung von 180° (weil 360° eine ganze Kreisumdrehung sind). Diese “180°” kann man häufig an Mikrofonvorverstärkern lesen, auch wenn es fachlich nicht ganz korrekt ist. Diese Veränderung des zweiten Signals wird nicht etwa durch Verzögerung erreicht, denn diese müsste dann für alle Frequenzen unterschiedlich hoch sein (da die Schwingungsdurchläufe unterschiedlich lang dauern). Die Grafik verrät, wie diese Verschiebung viel einfacher und für alle Frequenzen erreicht werden kann: Das zweite Signal muss nur verpolt (also Plus und Minus vertauscht) werden. Diese so genannte Invertierung funktioniert grandios!
Hier seht ihr die Addition zweier Sinus-Schwingungen (also einer bestimmten Frequenz) mit gleicher Amplitude und identlischer Phasenlage. Das Ergebnis: Eine Schwingung ebenfalls identischer Frequenz, aber mit verdoppelter Amplitude!
Hier werden ebenfalls zwei Sinus-Schwingungen addiert, die zwar die gleiche Amplitude und Frequenz besitzen. Allerdings ist die zweite Schwingung im Vergleich zur ersten invertiert. Das Ergebnis (zumindest in der Theorie): ist absolute Stille!
Prinzipiell funktioniert das nicht nur mit einzelnen Frequenzen, sondern auch mit komplexen Schwingungen und nicht-periodischen Signalen (Geräuschen, Rauschen etc.).
Um einfallenden Schall invertiert hinzuzufügen, muss der Kopfhörer ihn natürlich “kennen”. Dieses Kennenlernen funktioniert schlicht und einfach mittels zweier Mikrofone, die sich an beiden Hörermuscheln befinden. Das aufgenommene Signal wird invertiert und mit dem üblichen Kopfhörersignal vermischt – fertig ist die Zauberkiste! Natürlich funktioniert solch ein System nicht zu 100 Prozent. Schließlich sind Mikrofone, Verstärker und Lautsprechersysteme beteiligt, die – wie gut sie auch sein mögen – von einer wirklichkeitsgetreuen Übertragung auch in 100 Jahren noch meilenweit entfernt sein werden. Alles, was diese Übertragungskette auf ihrem Weg verschlampt oder hinzu dichtet (und das ist jeweils viel!), schmälert den Erfolg des Systems. Außerdem machen dem Prinzip vor allem bei höheren Frequenzen unter anderem die Abstände von Mikro zu Lautsprecher und von Lautsprecher zu Ohr zu schaffen. Wer jetzt noch Einfallsrichtungen, Körperschall und einige Problempunkte mehr auf den Tisch wirft, der versteht, dass das Prinzip an sich zwar gut gedacht ist, doch akustisch niemanden ins berühmte weiße “Nichts” aus den Filmen “Matrix” oder “THX 1138” verhelfen wird. Die Tatsache allerdings, dass dieses System bei tieffrequenten Geräuschen besser arbeitet als bei hohen und anders herum herkömmliche Dämmungsmethoden vor allem bei mittleren und hohen Frequenzen wirken, lässt die Kombination von aktiver und passiver Dämpfung als tolles Team dastehen! Ihr werdet es kennen: Im Club und auf der Bühne nerven trotz dämmender Headphones oder In-Ears vor allem die tiefen Wummerfrequenzen, denen das bisschen Material vor unseren Ohren aufgrund ihrer Wellenlänge und Amplitude fast egal sind, so dass sie unbeeindruckt bis zum Trommelfell durchmarschieren. Generell funktioniert dieses aktive Unterdrückungssystem mit periodischen, also “tonalen” Signalen besser als mit Geräuschen, deren hauptsächliche Signalanteile oft vor allem zufälliger Natur sind. Es bleibt also interessant, wie das Testopfer mit dem schlimmen Namen auf ratternde Snaredrums und Zahnschmerz verursachende Hi-Hats reagiert. Doch zuvor möchte ich den Japaner auf der nächsten Seite noch vorstellen.
Der Pappkarton, in den der Kopfhörer verpackt ist, macht einen erfreulich nüchternen Eindruck. Die Tatsache, dass auf der Vorderseite neben dem unscheinbar wirkenden Gerät nur drei Icons (ein Flugzeug, ein Zug und ein Büroarbeitsplatz) abgebildet sind, unterstreichen die Seriosität und auch die primäre Zielgruppe des Kopfhörers.
Der Verzicht auf eine knallige Produktbezeichnung scheint also entgegen meiner vorigen Meinung doch gerechtfertigt. Außerdem tut es gut, einmal eine Produktverpackung in der Hand zu halten, auf welcher keine Models verkrampft den hippen, ausgelassen abfeiernden Clubbesucher mimen. Aus dem Inneren der Pappschachtel kann man ein großes Etui mit umlaufendem Reißverschluss ziehen, welches ein wenig größer als die bekannten CD-Cases ist. Der Kopfhörer liegt dank um 90° drehbarer Muscheln verrutschsicher auf speziellen Mulden und präsentiert die Außenseiten der dicken Ohrteile. Im Deckel ist mit Klett eine kleine Tasche befestigt, in der die Jungs von Audio Technica eine Batterie geparkt haben! Schließlich ist für ein aktives System mit Mikrofonen und Verstärker eine Spannungsquelle nötig. Nett, dass an einen kleinen AAA-Energielieferanten gedacht wurde, denn zu oft wird bei den Herstellern an allen Ecken und Enden gespart. Noch einmal positiv: Es ist eine hochwertige Markenbatterie, also keine von denen, die kurze Zeit nach der Inbetriebnahme schon Sondermüll sind. Akkus sollen laut Betriebsanleitung nicht verwendet werden, sicher ist deren Spannung zum Betrieb der Schaltung nicht ausreichend.
Das in dem Etui enthaltene Miniklinken-Stereokabel lässt jedoch erahnen, dass es zu Einschränkungen bei der Betriebssicherheit kommen kann: Diese Verbindung wird sowohl für den Kopfhörerausgang als auch für den Kopfhörer selbst verwendet. Wie schnell man bei Bewegungen (vor allem als Trommler!) die Verbindung unterbrechen kann, kann man sich leicht vorstellen. Aber für irgendetwas muss es ja Gaffa-Tape geben… Dennoch möchte ich an die “tragbaren Musikspieler” erinnern: Ist es nicht diese kleine Kopfhörerbuchse, die bei Walkman & Co immer zuerst “fritte” geht? Glücklicherweise schützt das Gehäuse den Stecker an der Muschel vor seitlich auftretenden Belastungen, so dass man bei AT also offensichtlich einigermaßen Vertrauen in die Haltbarkeit dieser Verbindung hat. Weniger trauen die Japaner anscheinend jedoch dem Ordnungssinn der Konsumenten zu: Ein Ersatzkabel liegt bei.
Neben dem üblichen Adapter von 3,5mm- auf 6,3mm-Stereoklinke findet man einen weiteren, dem man im Musikerleben nur auf einer vernünftigen Tour oder auf dem Weg in den Urlaub begegnet. Der Adapter auf “PJ 055” ist nichts weiter als eine Kupplung von einer 3,5mm-Stereobuchse auf zwei 3,5mm-Monobuchsen mit genormtem Abstand. In vielen Armlehnen der am Himmel entlang fliegenden Metallröhren kann man damit dem einschläfernden Bordprogramm lauschen. In manchen Kleinflugzeugen und Boeing-Zivilmaschinen wird diese Steckernorm auch im Cockpit verwendet (bei näherer Betrachtung: ganz schön wagemutig, derartig für Wackelkontakte berüchtigte Stecker zu verwenden, wenn ein paar hundert Menschen hinter einem in zehn Kilometern Höhe sicher von Flughafen zu Flughafen gebracht werden sollen…).