Praxis
Equipment
Die Vorstellung, dass ein Musiker, der aus der Trackerszene kommt und zunächst mit Hilfe von C-Lab Notator Musik auf seinem Atari ST machte, vor allem auf rau und harsch klingende Sägezähnen steht, ist nicht so abwegig. Tatsächlich liebt deadmau5 diesen Sound. Trotzdem geht es ihm nicht darum, möglichst roh, hart und laut zu klingen. Der kanadische Superstar legt großen Wert auf den Sound und das Sounddesign, eine seiner Leidenschaften, wie er hier imInterviewverrät.
Transparenz und eine gewisse Klarheit im Mix, wo jede Nuance hörbar ist, darauf kommt es ihm an und deswegen mastert er seine Stücke auch immer selbst. Nicht wie üblich am Ende der Produktion, sondern schon unterwegs – „on the go“ sozusagen. In seinem Studio arbeitet deadmau5 überwiegend mit Hardware (Verhältnis zu Software etwa 70/30), ein Großteil davon nutzt er zum Mastern. Erste intime Studioeinblicke findest du auf seiner Facebook-Seite unter der Rubrik mit dem passenden Namen „Studio Porn!“ Dort hat er jede Menge Photos hochgeladen, die so manches Herz höher schlagen lassen. Das Studio von deadmau5 erinnert an die Kommandozentrale von Captain Kirk auf der Enterprise. In dieser Techhöhle wollen wir nun ein wenig Mäuschen spielen und mal schauen, womit Herr Zimmerman unter anderem seine brillanten Sounds fabriziert: Das erste, was dir vermutlich ins Auge sticht, ist seine „Happy Accident Machine“ mit den vielen Oszillatoren. Gemeint sind die Systemwände, die einen Großteil seines Studios belegen. Hierbei handelt es sich um das modulare Synthesizersystem vonModcan, darunter u.a. ein VCO 01B Oscillator, der S&H / RingMod 07b Oscillator und der beliebte Miniwave 22B, womit deadmau5 viele seiner schön knarzigen Sounds erzeugt. Der Eindruck des Raumschiffs entsteht sicherlich auch durch die optische Erscheinung der beiden analogen Synthesizer hier in der Mitte auf dem Tisch. Dabei handelt es sich um zwei Buchla „200e System5“ – Wiedergeburten des 70er Jahre Klassikers der analogen Serie modularer Systemevon Don Buchla.
Playlist
00:00 deadmau5 – Avaritia
01:21 deadmau5 – Coelacanth II
01:30 deadmau5 feat. Greta Svabo Bech – Raise your weapon (Acapella)
03:43 deadmau5 – Your Ad Here (You There Edit)
08:29 deadmau5 – Cthulhu Sleeps
09:06 ZZT – SyZZTem 700 Bonus Beats
12:06 Tony Rohr & Layton Giordani – Careless Suggestions
15:32 deadmau5 – My Pet Coelacanth
18:06 Morgan Page feat. Lissie -The Longest Road (Acapella)
23:01 deadmau5 -Where My Keys
25:22 deadmau5 – Phantoms Can’t Hang
27:55 Yoko Kanno – Ghost In The Shell
29:31 Martin Garrix – Animals (McMaNGOS Funnymals Edit) 3
2:29 deadmau5 feat. Rob Swire – Ghosts ‘n’ Stuff (Acapella)
33:28 Avicii – Levels
34:21 deadmau5 feat. Rob Swire – Ghosts ‘n’ Stuff (Vocal Mix)
36:17 deadmau5 – Suckfest9001
38:47 deadmau5 – Infra Super Turbo Pig Cart Racer
44:20 deadmau5 – Trollbott 47:03 deadmau5 – Acedia
47:23 deadmau5 feat. Colleen D’Agostino – Drop The Poptart (Acapella)
49:35 deadmau5 – Somewhere Up here
52:26 deadmau5 – Fn Pig
53:39 deadmau5 feat. Chris James – The Veldt ( Acapella)
57:53 deadmau5 feat. Chris James – The Veldt (Tommy Trash remix)
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Dramaturgisch betrachtet
… zeichnet sich dieses Set durch seine besondere Vielfalt und gutes Timing aus. Es beginnt zur Einstimmung mit den leicht rockenden Beats und der eingängigen Hookline von Avaritia und einem smoothen „Yeah“ von deadmau5 persönlich (bei 0.55). Die erste Spannung baut der Artist durch einen langgezogenen eindringlichen Ton auf, der (bei ca. 1.01) langsam eingefadet wird und für mich klingt, als käme er aus einem digitalen Dudelsack. Nachdem dieser seine volle Lautstärke erreicht hat (bei ca 1.12), stoppen die Beats und der Sound bleibt als Fläche stehen. Es folgt der erste emotionale Moment, als die Stimme von Greta Svabo Bech erklingt: „Rippin’ My Heart was so easy, so easy …“. Diesen Augenblick kostet deadmau5 schön aus, indem er fast zwei Minuten lang auf Beats verzichtet. Zunächst werden die Ohren mit sanften Pianoklängen gestreichelt (ab ca. 2.57), worauf die Drums in Kombination mit einem monoton klingenden und treibenden Synthesizer losmarschieren, aber erst nach einem Moment der kompletten Stille (bei ca. 3.24). Man hört auf der Aufnahme gut, wie das Publikum tobt.
Sehr effektiv sind die immer wiederkehrenden Momente der kompletten Stille, die der kanadische Producer in sein Liveset eingestreut hat (u.a. bei 4.56, bei 6.38 und 7.07), um dann erneut mit druckvollen Rhythmen die Massen zum Tanzen zu bewegen. Dabei verzichtet er auf allzu große Effekthascherei, wie wir es sonst von vielen EDM-DJs kennen, die gern auf Knopfdruck Raketenbatterien abfeuern, doch das ist nicht sein Stil. Solche Momente sind eher rar gesäht. Seine Effekte setzt deadmau5 vergleichsweise subtil ein und überrascht immer wieder durch ungewöhnliche Momente. Eine Stelle im Set, die mir persönlich wahnsinnig gut gefällt, beginnt bei 9.50 und reicht bis 11.00. Spätestens hier wird klar, dass sich hinter dem Mann mit dem Maushelm und den bissigen Sprüchen ein feinfühliger, musikalischer Mensch mit einer großen Leidenschaft für Sounds und Rhythmen verbirgt. Dabei schafft er den Spagat zwischen Anspruch und Mainstream, den er immer wieder bedient (z.B. ab 15.18, 17.58 und 29.27).
Einen Sinn für Humor offenbart der Klangkünstler auch (30.05). Einer der emotionalen Höhepunkte dieses Gigs ist der epische Moment ( ab ca. 33.06), in dem Rob Swire mit sich selbst im Chor „ And I just wanna play it right …“ singt. Es entsteht ein großes ergreifendes „Stadiongefühl“, man kann förmlich „hören“, wie die Arme in die Höhe gehen: “Lift me up to the stars we are coming home …“ Aber deadmau5 wäre nicht deadmau5, wenn er das einfach so stehen ließe. Es wird (ab ca. 36.05) wieder rockiger, woraufhin der DJ sein Publikum in eine Soundwelt entführt, die aus einem Computerspiel stammen könnte (ab ca. 37.18). Die Hookline klingt, als hätte er sie noch im Tracker auf seinem alten Atari erzeugt. Auf funkig rockigen Sägezahnsounds lässt deadmau5 seine Fans dahinsurfen und lässt damit Geeks und Raverherzen gleichermaßen höher schlagen. Zudem ensteht noch einmal richtig Spannung und die emotionale Komponente kommt wieder zum Tragen (ab ca. 38.30). Die hier verwendeten Retro-Synthiesounds erinnerten mich an Tim Taler, einen Protagonisten einer Fernsehserie aus den Achtziger Jahren.
Ab ca 44.15 wird es „dark“. Es geht nun eine ganze Weile eher experimentell zu und der Deejay kommt mit spooky Sounds daher, die eine besondere Atmosphäre schaffen und einen schönen Kontrast zu dem davor Gehörten bilden. Umso süßer klingen die Pianoklänge der folgenden „Ballade“ (ab ca 46.52), die den letzten tiefen emotionalen Höhepunkt dieses Gigs darstellt. Nach der düsteren Atmosphäre des vorherigen Tracks ist das regelrechter Balsam für Ohren und Seele, gekrönt von der lieblichen Stimme (ab ca. 47.15) von Colleen D’Agostino und diesem rockigen Riff, das nach MIDI-Gitarre, aber auch nach Dire Straits klingt. (ab ca 48.54).
Dieses Stück wäre auch ein schönes Ende für ein DJ-Set, aber deadmau5 zückt noch einen Trumpf aus dem Ärmel. Er lässt die Stimme verhallen (bei ca. 51.15) und baut mit einem seichten Beat (ab ca. 51.25), der langsam immer schneller wird und das Publikum zum Klatschen animiert, erneute Spannung auf, und auch ein paar seiner geliebten anlogen Synthsounds kommen noch einmal zum Einsatz. Dann ertönen erneute Vocals und der straighte Beat kickt ein letztes Mal richtig rein (ab ca. 55.29). Das Set endet mit einem rockigen Finale, bevor die Drumsounds in Delays und Hall versinken und deadmau5 fragt: „What do you think about that drum?“ und ein kurzes „Damned, hey, guys thanks for coming …“ anfügt.
Download: Die Mixtechniken von Deadmau 5 im Detail bezogen auf das Live-Set vom Ultra Music Festival 2014.