Wir leben im Zeitalter der Selbstoptimierung. Als Musiker*in hat man heutzutage zahlreiche Möglichkeiten und Ressourcen, seine Musik zu produzieren und zu verbreiten. Doch manchmal kommt man vor lauter Planung kaum zur Umsetzung. Manchmal kommt man vor lauter Selbstreflexion kaum dazu, man selbst zu sein. Manchmal kriegt man überhaupt nicht mit, wie sehr man sich nach fremden Erwartungen richtet. Und genau damit stehen sich viele Musiker*innen selbst im Weg. Dabei ist die Lösung relativ einfach: Ausdrücken statt beeindrucken!

Ist diese Absatzüberschrift gut genug?
Oft kreisen meine Gedanken um die Perfektion meiner kreativen Projekte: Wird das Musikvideo die gewünschte Wirkung erzielen? Ist der Mix wirklich fertig oder braucht es noch eine Anpassung? Passt das Bild so oder wirkt es zu inszeniert? Sollte die Farbkorrektur professioneller sein? Ist der Vocal Take stark genug, oder wäre eine weitere Aufnahme sinnvoll? Und reicht die Einfachheit des Songs aus oder braucht es noch mehr Raffinesse?
All diese Fragen oder auch Zweifel haben einen gemeinsamen Nenner, nämlich den imaginären Blick durch fremde Augen, die einen auf Basis des Produkts, das man ihnen präsentiert, be- oder sogar verurteilen. Die Fähigkeit, sich in solch eine Perspektive zu versetzen, kann nützlich sein. Doch sollte die Außenwahrnehmung nicht die eigene Kreativarbeit beeinflussen. Warum? Nun, Menschen werden vor allem durch den emotionalen Ausdruck von Künstlerinnen und Künstlern angesprochen und berührt. In der Kunst können komplexe Gefühle in Worte, Klänge und Bilder gefasst werden, die man selbst nicht ausdrücken kann.
Wenn nun dieser Ausdruck in Form eines Textes, einer Akkordfolge, einem Musikvideo oder auch dem Image eines Musikers oder einer Musikerin allzu stark von der Vorstellung beeinflusst wird, was ein*e Zuschauer*in eventuell sehen möchte, werden die besonderen Eigenheiten möglicherweise verfälscht. Wie soll ein Song Hörer*innen dann ins Herz treffen, wie man es sich als Urheber*in so sehr wünscht?!
Es kann also lohnenswert sein, sich als Musiker*in auf eine etwas andere Art und Weise zu überprüfen als auf geläufige Standards oder Optimierungsideale. Nämlich darauf, an welchen Stellen einem solche imaginären Standards den Prozess der Musikkarriere erschweren – von der ersten Songidee über die Produktion bis hin zur Vermarktung.
Killt dein innerer Kritiker deine Inspiration?
Wie oft ersticken die eigenen Selbstzweifel eine kreative Idee im Keim? Man sitzt entspannt mit der Gitarre auf der Couch, spielt ein paar Akkorde – und statt der Freude am Moment meldet sich die innere Stimme: „Diese vier Akkorde? Schon tausendmal gehört, viel zu simpel, daraus kann man nichts machen. Wen sollte das schon überzeugen?“ Und schon bleibt ein potenzieller Song ungeschrieben. Der bessere Gedankengang könnte sein: „Oh, das fühle ich gerade irgendwie. Vielleicht fällt mir ja eine nette Melodie dazu ein. Wo ist mein Textbuch?“ Oft entstehen genau in solchen spontanen Momenten die besten Ideen. Und wenn doch nichts daraus wird, hat man nur eine Viertelstunde Lebenszeit investiert – in kreativen Ausdruck statt Selbstsabotage.
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Es kann auch anders laufen: Ende der 80er Jahre saß Tom Petty mit den Heartbreakers im Tonstudio und nahm jene Songs auf, die später das Hit-Album Into The Great Wide Open ergeben. Damals dominierten polierte, effektbeladene und überproduzierte Sounds die Charts. Wären sie diesem Trend gefolgt und jemand hätte beim Drum-Soundcheck jemand gesagt „Hey, das klingt viel zu natürlich und räumlich, wir müssen mit der Zeit gehen, wo ist der Riesen-Hall auf der Snare und die aggressive Bass-Drum?“ – hätten sie wohl nicht das Album produziert, das bis heute als Meilenstein in der Popmusik gilt.
Stattdessen haben sie ihr Ding gemacht, und das zeichnet sie bis heute aus: Dass sie eben nicht versucht haben, wie Bon Jovi oder gar Madonna zu klingen, die zu dieser Zeit an der Spitze der Charts standen.
Der innere Kritiker kann ein wertvoller Ratgeber sein, er kann aber auch Großartiges verhindern. Manchmal lohnt es sich, ihn einfach auszublenden und weiterzumachen.
„Guten Abend, wir sind die neue Band in Town. Bitte habt uns lieb, wir machen nämlich alles richtig!“
Natürlich will man gemocht werden, wenn man auf der Bühne steht. Man will gutes Feedback, lauten Applaus, Schlangen am Merchtisch und vor lauter Komplimenten kaum zur Ruhe kommen können. Doch was macht einen Auftritt wirklich unvergesslich? Ist es die perfekt geprobte Performance, der makellose Sound, das stylische Outfit? Wohl kaum. Besonders erfahrene Musikfans lassen sich nicht von „gut gemacht, aber schon zigmal gehört“ begeistern. Was wirklich mitreißt, sind Künstler*innen, die anders klingen, unerwartete Sounds liefern, ehrliche Texte schreiben und mit echter Leidenschaft auf der Bühne oder vielleicht sogar am Merchtisch stehen. Authentizität ist das, was hängen bleibt. Man stelle sich mal vor, Kurt Cobain hätte sich Anfang der Neunziger angezogen wie Jon Bon Jovi und statt radikal sägenden Gitarrensounds denselben polierten 80s-Rock Gitarrensound benutzt, wie es alle anderen taten. Nirvana hätte wohl kaum die Welt so geprägt, wie sie es getan haben.
Welche Überschrift muss ich wohl wählen, damit die Leute sich noch einen Absatz über Social Media durchlesen?
Habt ihr auch schon mal eine halbe Stunde an einem Social-Media-Posting gearbeitet, der dann niemanden interessiert hat? Hände hoch, wenn deine erfolgreichste Instagram-Story ein spontaner Schnappschuss war. Wären wir jetzt in einem Social-Media-Workshop, dann würden wahrscheinlich alle Hände hochgehen.
Klar braucht ein durchdachter Beitrag ein wenig Zeit. Oft aber zeigt sich: Der Content, der mir selbst Spaß macht, kommt am besten an. Denn er ist vor allem authentisch. Wer intrinsisch motiviert postet, erzielt oft automatisch ein besseres Ergebnis.
Leistungsdruck: “Naja, aber es muss ja schon gut sein!”
Ja, sicher. Der Markt ist übersättigt, die Konkurrenz schläft nie, die Produktionen werden immer besser und so weiter. Solche „Motivationen“ tun an sich nichts dafür, dass deine Karriere besser läuft – sie erzeugen bloß Stress. Billie Eilishs erstes Hit-Album wurde in einem Kinderzimmer auf billigen Abhörmonitoren, mit einem günstigen Mikrofon und kostenlosen Plugins produziert und klang anders als alles, was zu dieser Zeit in den Charts war. Natürlich gibt es Grundvoraussetzungen für eine Musikkarriere, egal wie nischenorientiert oder breitgefächert der letztendlich „messbare“ Erfolg sein soll. Man muss sein Instrument beherrschen können. Man muss vielleicht einige mittelmäßige Songs schreiben, bis welche entstehen, die einem richtig gut gefallen. Man muss die Dinge üben, die man tut, damit man darin gut wird.
Ed Sheeran war 15 Jahre lang quasi erfolglos. Aber in dieser Zeit hat der Mann den ein oder anderen Song geschrieben und Auftritt absolviert. Natürlich scheitert man und verbessert sich stetig. Aber wenn man vor lauter Perfektionsgedanken nie wirklich anfängt oder weitermacht, kommen die Dinge gar nicht erst ins Rollen. Und auch mit überschaubaren Mitteln und Handwerkszeug kann überzeugende Kunst entstehen. SidosHit „Mein Block“wurde vermutlich im Kleiderschrank aufgenommen, war wohl kaum ein lyrisches Kunstwerk oder eine technische gute Produktion – aber es war glaubhaft, authentisch, humorvoll und hat viele Menschen angesprochen. Und genau das zählt am Ende.
Ausdruck statt Eindruck: Der Spaß zählt
Klingt abgedroschen, trifft aber den Punkt: Wer Kunst für sich selbst macht, kann nur gewinnen. Denn alles, was darüber hinaus an Erfolg entsteht, ist ein Bonus. Selbst wenn es niemanden interessiert, dann hatte man eine gute Zeit. Und davon können wir alle gerade in diesen Zeiten etwas vertragen. Macht das, was euch Spaß macht. Wenn die eigene Leidenschaft im Mittelpunkt steht, fühlt sich harte Arbeit weniger anstrengend an – und authentischer ist man auch. Viel schlimmer wäre es, ein halbgares Produkt zu erschaffen, das nur dann Freude bereitet, wenn Likes und Streams als Bestätigung eintrudeln. Also: Macht, worauf ihr Bock habt – und lasst euch nicht vom Applaus abhängig machen.

Rick Rubin ist einer der erfolg- und einflussreichsten Musikproduzenten der Welt und hat in vielen Subgenres der populären Musik – von Hip-Hop und Rock über Metal und Pop bis hin zu Country und Folk – seine Spuren hinterlassen, die nicht selten wegweisend waren.

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