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Autokino-Konzerte aus Musikersicht

Autokino-Konzerte liegen in Zeiten von Corona voll im Trend! Während Großveranstaltungen im regulären Rahmen unweigerlich die Gefahr von “Superspreader-Events” mit sich brächten, kann bei Drive-In-Events die Weitergabe des Virus sinnvoll vermieden werden. Vor der Abfahrt wird noch schnell Proviant eingepackt, und nach der Einweisung auf den richtigen Parkplatz genießt man das Konzertgeschehen mit seinen Lieben einfach vom sicheren Auto aus. Aber wie fühlen sich Autokino-Konzerte eigentlich für die beteiligten Musiker an? Heißt es nicht, der Applaus sei das Brot des Künstlers? Wie schmeckt dieses Brot, wenn es in Form von stummen Lichthupen gereicht wird? Ersetzt “Ich will eure Blinker sehen!” nun “Ich will eure Hände sehen!”? Ein Erfahrungsbericht …

TEASER_Autokino_Konzerte_aus_Musikersicht
Inhalte
  1. Frühling 2020 – auf einmal war alles anders!
  2. Neue Wege in der Corona-Krise
  3. Probenbetrieb in Zeiten von Corona
  4. Drive-In-Konzerte: The Audience is listening

Frühling 2020 – auf einmal war alles anders!

Im März 2020 verbreitete die Corona-Pandemie in den meisten Ländern der Welt Besorgnis. Als hierzulande der Shutdown verkündet wurde, erwischte er mich als Freelance-Bassist ebenso eiskalt wie unzählige andere Musiker und Freiberufler. Eben noch war mein Terminkalender 2020 mit den unterschiedlichsten Gigs und Events aller Art gut bis prall gefüllt, und nun wurde die gesamte Republik von jetzt auf gleich zum Nichtstun verdonnert.
Was aus gesundheitspolitischer Sicht zweifellos richtig war, um nicht ähnliche Opferzahlen wie andere Länder beklagen zu müssen, entpuppte sich leider für viele Freunde und Bekannte aus der Szene schnell als ernsthaft existenzbedrohliche Situation. Während ich froh war, aufgrund meiner journalistischen Arbeit, Studiojobs sowie meiner Hochschul-Lehraufträge über mehrere Standbeine zu verfügen, mit denen ich mich über Wasser halten konnte, blieb einigen Kollegen letztlich nur ein Antrag auf Arbeitslosengeld II.
Vom psychologischen Standpunkt her war dieser Schritt schon schwierig genug, denn schließlich hatten sie ja im Idealfall vor dem Shutdown ausreichend Arbeit! Was aber an Problemen organisatorischer Natur “on top” kam, wenn besagte Kollegen über ein wenig zurückgelegtes Geld für ihre Altersversorgung verfügten, ist ein Albtraum, den man niemandem wünscht!
So gingen die Wochen ins Land. Man übte und komponierte mehr als sonst und produzierte Splitscreen-Videos mit Freunden und Kollegen für die sozialen Netzwerke. Vor allem aber war da auf einmal viel Zeit für die Familie und ein Gefühl eines immerwährenden Sonntags – natürlich nicht zuletzt deswegen, weil Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Ländern mit einem blauen Auge davonzukommen schien.

Neue Wege in der Corona-Krise

Irgendwann erinnerten sich Vertreter der ebenfalls hart gebeutelten Eventbranche an das nahezu vergessene Konzept des Autokinos. Der Begriff “Autokultur” machte in meiner Heimatstadt Hannover die Runde, und Bands wie Fury In The Slaughterhouse waren die ersten, die Gigs dieser Art spielten.
Dann erreichte mich eines Tages eine Mail, in der auch mir vorgeschlagen wurde, ein Teil dieser neuen Entwicklung zu werden. Am “Theater für Niedersachsen (TfN)”, in dessen Musicalsparte ich seit Mitte der 2000er-Jahre neben meinen anderen Freelance-Jobs als “fester freier” Musiker im Rahmen von Produktions-Werkverträgen tätig bin, war eine Idee geboren worden: Die im regulären Theaterbetrieb aufgrund von Corona längst abgesagte Rockmusical-Produktion “Rent” sollte an fünf Abenden in einer abgespeckten konzertanten Form auf die Bühne gebracht werden – als Drive-In-Event!
Für mich war dies ein enormer Lichtblick, eine Chance, denn live mit anderen Musikern zu arbeiten, fehlte mir nach den Wochen der Isolation weitaus mehr, als ich es anfangs erwartet hätte. Der entschleunigende Aspekt dieser Zeit war das eine – die Erkenntnis aber, dass der Mensch andere Menschen braucht und zudem Arbeit zum Glücklichsein benötigt, war das andere!

Fotostrecke: 8 Bilder Musical-Darsteller bei der Probenarbeit zu “Rent” am Theater für Niedersachsen.

Probenbetrieb in Zeiten von Corona

Die Organisation des Probenbetriebes war freilich eine Leistung für sich. Die Darsteller der TfN Musical Company probten ihre Parts auf der großen Bühne des Theaters, getrennt durch mannshohe Plexiglasscheiben. Die Band erarbeitete die Arrangements in einem großen Malsaal mit meterweitem Abstand zwischen den einzelnen Musikern und regelmäßigen Lüftungspausen alle 60 Minuten.
Durch das nur mit einer Not-Belegschaft besetzte Theater bewegte man sich mit Mundschutz, in der Kantine wurde ebenfalls nur in weitem Abstand gesessen. Desinfektionsmittel-Spender waren an vielen Stellen verfügbar und wurden häufig genutzt.

Gemeinsam mit den SängerInnen arbeiteten wir erst vor Ort an mehreren Tagen auf dem zum Autokino umfunktionierten Schützenplatz. Hier gab es eine große Bühne für die Darsteller sowie einen “Bandstand” – etwa in Form einer mittelgroßen Stadtfest-Bühne. Aber: Auch on stage wurden die Darsteller angehalten, auf körperliche Interaktion (Ansingen oder Antanzen der Spielpartner etc.) weitgehend zu verzichten und auf Abstand zu achten.
Wer nun aber ob des großen Freigeländes eine dicke P.A., Line-Arrays, eine mannshohe Bassanlage und flatternde Hosenbeine assoziiert, liegt falsch! Die einzige Möglichkeit, etwas vom Geschehen mitzubekommen, war das eigene In-Ear-System. Nun sind wir am Theater seit Jahren den Umgang mit Personal Mixern (in unserem Fall Allen & Heath ME1) gewöhnt und genießen die Tatsache, dass sich hier jeder Musiker seinen eigenen Mix erstellen kann. Aber das für gewöhnlich natürlich im Orchestergraben oder gelegentlich auf der Bühne bei anderen Events – “Open Air”-bzw. Festival-Feeling geht definitiv anders!
Dabei darf man aber nicht vergessen, dass bei Autokino-Konzerten die Zuschauer natürlich nicht von der Bühne, sondern ausschließlich per Autoradio beschallt werden. Würde man zusätzlich mit P.A. arbeiten, käme es unweigerlich zu nervigen Delays mit dem Signal aus dem Autoradio. Daher gilt es, die Bühnengeräusche so gering wie möglich zu halten – besondere Situationen erfordern eben besondere Maßnahmen!

Fotostrecke: 3 Bilder Musical-Darsteller von “Rent”: Lisa Maria Hörl, Johannes Osenberg, Gerald Michel, Sandra Pangl, Nicolo Soller, Elisabeth Köstner, Charlotte Katzer, Jens Krause, Nico Went. (pic: Julia Hoppe)

Zu einer echten Herausforderung werden allerdings schnell die im Musicalbereich üblichen Noten in Form von Papiermappen: Was im Orchestergraben problemlos funktioniert, wird zu einer Geduldsprobe, als die ersten kräftigen Windböen über den offenen großen Platz fegen. Der Einsatz von Wäscheklammern ist leider nicht möglich, da innerhalb der Titel häufig geblättert werden muss und zwischen den Songs keinerlei ausreichende Pausen zum Hantieren mit den Helferlein bestehen.
Einige Kollegen machen es gleich richtig und wechseln zeitnah zum iPad, andere fixieren ihre Mappe mit langen Gummibändern oder bauen sich aus mehreren Notenpulten eine Art Windschutz – hier kristallisiert sich schnell heraus, dass erfahrene Dänemark-Urlauber bei diesen Konstruktionen die Nase vorn haben!
Wenn der Wind nicht für Probleme sorgt, tut es wahlweise entweder der Regen oder die Sonne. Glücklicherweise ist unsere Bandbühne überdacht, sodass wir bei Regen nicht wirklich nass werden. Der vom Wind verteilte Sprühregen lässt dennoch die eine oder andere Augenbraue nach oben gehen, als er nach und nach das Equipment benetzt.
Gerade bei Proben am Nachmittag wird aber auch gerne die Sonne zu einem Problem, wenn sie mit voller Kraft und Helligkeit auf die Beteiligten trifft. Fast jeder Darsteller und viele Techniker, Stage Hands etc. holen sich schon bei der ersten Nachmittagsprobe bei sommerlichen Temperaturen einen Sonnenbrand. Und auch das Entziffern der Noten wird nicht unbedingt einfacher bei massivem Gegenlicht und dringend erforderlicher Sonnenbrille!
Dennoch ist die Stimmung sehr gut – man ist mit Gleichgesinnten an der frischen Luft, und das Wichtigste: Man darf endlich wieder einmal arbeiten! Immer wieder rufe ich mir in Erinnerung, was für ein Privileg diese Arbeit für Musiker in dieser schwierigen Zeit ist und wie viele Freunde, Bekannte und Kollegen jetzt nach wie vor keinen einzigen Ton öffentlich von sich geben können!

Fotostrecke: 6 Bilder Die Musical-Band des “Theater für Niedersachsen”

The Audience is listening

Als am Tag der Premiere die ersten Autos auf das Gelände rollen und quer vor der Bühne erste Reihen entstehen, ist dieser Anblick schon befremdlich. Man könnte im Grunde auch auf dem Parkplatz eines großen Supermarktes stehen – das Bild wäre nahezu dasselbe!
Die Zuschauer bekommen Anweisungen, dass Hupen generell nicht erwünscht ist und Aussteigen nur im Notfall, etwa für den Besuch des Toilettenwagens. Am liebsten aber gar nicht! Autofenster sollen nach Möglichkeit nicht weiter als einen Spalt weit geöffnet werden, und als Code für Applaus wird die Lichthupe festgelegt.
Dieser Eindruck gehört zu den bizarrsten, die ich von dieser Arbeit mitnehme: die geräuschlosen Lichthupen, wenn ich am Ende eines Stückes in Richtung der geparkten Autos blicke! Und das Gefühl, als würde man gerade auf dem Real-Parkplatz stehen und sein Auto suchen, während man rein zufällig dabei sein Instrument in den Händen hält.

Tontechnisch betreut wird die Produktion von David Ludz, Timon Sohl, Indra Bodnar und Helge Michael Ebeling. Gearbeitet und gesendet wird aus einem Container neben der Hauptbühne. Das musikalische Geschehen wird auf der UKW-Frequenz 95,2 übertragen. Übrigens gaben alle von mir befragten Zuschauer an, dass der Sound über das Autoradio wider Erwarten erstklassig war. Mit einer derart guten Klangqualität hatte ganz offensichtlich niemand gerechnet!
Dann, nach dem letzten Akkord des Stückes, wandelt sich das Bild – und zwar jeden Abend! Ungeachtet der Empfehlungen werden Fenster und Schiebedächer einfach trotzdem geöffnet. Zum Vorschein kommen wild winkende Hände und es dringt Jubel und Gejohle an unsere Ohren. Es ist ein sehr bewegendes Bild, das einem eindrucksvoll vermittelt, wie ausgehungert die Leute nach Events oder Kultur jeglicher Art sein müssen – wer könnte es ihnen schon verübeln?
Für uns Musiker waren die Shows unterm Strich ein sehr intensives Erlebnis, bizarr bis absurd, wenn man es mit herkömmlichen Gigs vergleicht. Von diesen Auftritten werde ich zweifellos noch meinen Enkeln berichten! Zwar sind wir hierzulande von schlimmerem Corona-Übel verschont geblieben, aber auf das Gemüt der Menschen schlägt diese Zeit dennoch spürbar! Und sie führt einem vor Augen, wie wichtig unser Job für die Gesellschaft ist. Kultur ist nicht systemrelevant? Ich lache bitter! Und wieder kommen mir unweigerlich die zahlreichen Freunde aus der Szene in den Kopf, die immer noch nicht wissen, wie es für sie und ihre Familien weitergeht!
Was mich selbst angeht: Ich gehe davon aus, dass ich nach diesen Shows wieder für eine ziemlich lange Zeit nicht öffentlich musizieren werde. Vermutlich wird es einige Streaming-Konzerte geben, einige Studiojobs – und ja, wahrscheinlich weitere Splitscreen-Videos. Immerhin! Könnte mich bitte noch einmal die Sonne beim Spielen vor Autos blenden?

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Profilbild von Raul Queijo-Theissing

Raul Queijo-Theissing sagt:

#1 - 17.06.2020 um 17:08 Uhr

0

Hey Lars, witzig. Die Welt ist klein, ich bin mit David Lutz zur Schule gegangen und haben mit 16 in einer Schulband gespielt. Dann kam bei mir allerdings eine 30jährige Basspause

    Profilbild von lars.bonedo

    lars.bonedo sagt:

    #1.1 - 17.06.2020 um 17:49 Uhr

    0

    hi raul! ha, wie lustig ... ja, die welt ist ein dorf, herr nachbar! schöne grüße aus dem sonnenweg, lars

    Antwort auf #1 von Raul Queijo-Theissing

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