Praxis
Ich besitze seit 1992 einen grauen Roland SH-101, liebe ihn von ganzem Herzen und habe aber trotzdem immer etwas neidisch auf die seltenen roten und blauen Varianten geschaut. Insofern war ich erfreut, als das Testgerät in sattem Rot auf meinem Studiotisch stand. Als erstes stellte ich einfach mal ein paar Lieblings-101-Sounds ein und war überrascht, dass der MS-1 dem Klangcharakter eines 101 schon auf Anhieb sehr, sehr nahekommt. In Anbetracht der zusätzlichen Klangmöglichkeiten und dem umfangreichen Sequenzer wuchs meine Vorfreude und ich machte mich daran, ein paar Patterns einzuspielen.
Sequenzer
Eine der besonderen Eigenheiten des originalen 101 ist der supersimple und schnell bedienbare Step-Sequenzer. Ist man einigermaßen firm mit dem Konzept, sind in der Live-Situation sehr schnell interessante Patterns eingesteppt und sofort im Sync zum Rest des Maschinenorchesters hinzugefügt. Da der SH-101 über exakt EIN Pattern verfügt, sind sämtliche Sequenzen natürlich schon beim Entstehen dem baldigen Untergang geweiht, aber diese Vergänglichkeit macht auch den Charme des SH-101 aus.
Der MS-1 bietet dagegen gleich 64 speicherbare Pattern an, die jeweils maximal 32 Steps lang sein können. Trotzdem konnte ich mich mit dem Sequenzer nicht anfreunden: Zu viele Tastenkombinationen mit Shift und oft bis zu drei Tasten gleichzeitig sind notwendig, um den Sequenzer zu bedienen. Auch können die Patterns nicht direkt angewählt werden, sondern müssen mit den Cursortasten (KYBD+STEP) durchgeschaltet werden. Der MS-1/Odyssey-Sequenzer lässt leider die erfrischende Direktheit des Vorbilds völlig vermissen. Manchmal ist weniger wirklich mehr und so habe mich nach erfüllter Chronistenpflicht sofort vom MS-1-Sequenzer verabschiedet.
Arpeggiator
Auch dem MS-1-Arpeggiator kann ich nicht viel abgewinnen. Beim originalen SH-101 ist er ein schlichter, aber effektiver guter Freund mit drei Richtungen (down, up & down, up), um spontan ein bewegtes melodisches Element zu spielen und in Echtzeit zu transponieren. Beim MS-1 ist der Arpeggiator lediglich ein Anhängsel des Sequenzers, bietet nur den Up-Modus und keine Transponierungsmöglichkeiten. Das ist wirklich schade und macht keinen Spaß. Ich gehe aber mal davon aus, dass der Großteil unserer Leser einen MS-1 sowieso lieber an einem potenten Hardwaresequenzer oder gleich an einer DAW einsetzen werden, sodass die Schwächen des internen Notenknechts nicht weiter ins Gewicht fallen.
Wie klingt’s?
Kommen wir zur Kardinalfrage: Schafft es der MS-1, dem SH-101 klanglich das Wasser zu reichen? Und hier kann ich glücklicherweise Versöhnliches berichten: Der MS-1 klingt erstaunlich authentisch nach SH-101. Er hat genau diese Direktheit, die sich auch in vollen Mixen immer noch durchsetzt, diese Spritzigkeit dank der schnellen Hüllkurven und diesen runden Sound, der sich einfach fast immer im „Sweet Spot“ bewegt. Typische ‚Knarzmaschinensägezahnbässe‘ gelingen im Handumdrehen, ‚Lucky Pulse-Bleeps‘ kommen klar und glockig und bei vielen Basic Sounds hört man auch im A/B-Vergleich absolut keinen Unterschied. Ohne den direkten A/B-Vergleich dürften auch die meisten Roland-Enthusiasten bei vielen Trademark-Sounds keinen Unterschied hören. Die Musikkonsumenten da draußen sowieso nicht. Denen dürften die mit dem MS-1 produzierten sehr direkten, knalligen Sequenzen gefallen, für die das 101-Original nicht ohne Grund berühmt geworden ist.
Die Unterschiede treten am Deutlichsten in extremen Soundeinstellungen und speziell beim Einsatz von Resonanz zu Tage. Hier schwächelt der Klon. Zieht man die Resonanz langsam, wird der MS-1 dünner und zwitschernder, das klingt schön, aber nicht nach 101. Denn der Original-SH zeigt plötzlich Muskeln und bollert tiefe Impulse heraus, die andernorts als Kickdrums durchgehen würden. Genau dieses kraftvolle Resonanzverhalten ist Teil der SH-101-Magie und die konnte ich dem MS-1 nicht komplett abringen.
Behringer wirft dafür gut gewählte Extrasynthesefeatures in die Waagschale, die einen wirklich tollen Mehrwert bieten. Die Ingenieure haben sich angenehm zurückgehalten und den MS-1 mit nur wenigen kleinen, aber dafür feinen Features aufgewertet, die wirklich nützlich sind. Mit der zusätzlichen Frequenzmodulation lässt sich der Charakter typischer 101-Trademark-Sounds noch etwas agressiver machen. Vor allem die Pulsewelle klingt frequenzmoduliert mit dem zwei Oktaven tieferen Suboszillator herrlich kaputt. Die zusätzliche Dreieckwellenform klingt rund und kraftvoll und ist sofort mein Favorit für butterweiche Bässe geworden. Zum Puls und/oder Sägezahn dazugemischt klingen typische 101-Sounds dank dem Dreieck eine kleine Spur sahniger.
Der externe Audio-Eingang würde auch bei einer Boutique-Modifikation des originalen SH-101 im Pflichtenheft stehen, Behringer liefert die mal so eben mit. Der LFO-Rate-Schalter ist ebenso ein absolut nützlicher Zusatz wie die Entkoppelung der Sequenzer-Geschwindigkeit von der LFO-Geschwindigkeit Und schließlich ist auch gegen Filter-Anschlagdynamik bei einem 101-mäßigen Synthesizer absolut nichts einzuwenden. OK, ich hätte mir statt einem Audio-Eingang eher einen Highpassfilter á la Juno-106 gewünscht, aber man kann nicht alles haben.
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101 als Keytar
Der SH-101 in rot oder blau mit dem optionalen Modulation Grip Kit war bis Mitte der Achtziger Jahre ein beliebter Bühnensynthesizer für Keyboarder, die sich auch mal mit dem Gitarristen „duellieren“ wollten. Behringer liefert den Modulationsgriff gleich mit, komplett mit Gitarrengurt und Gurtschrauben. Diese werden in vorgegebene Löcher auf der Rückseite gedreht, das Anschlusskabel in die entsprechenden Anschlussbuchsen gesteckt und schon kann man mit einem kleinen Pitchwheel die Tonhöhe des MS-1 benden, und mit einem Druckknopf die Modulation auslösen. Wer jetzt eine Invasion von MS-1 spielenden Bühnenkeyboardern befürchtet, darf sich entspannen: Anders als beim Original ist beim MS-1 kein Batteriebetrieb vorgesehen. Auch ist kein zeitgemäßer Akku verbaut, sodass der MS-1 immer mit Netzteil betrieben werden muss, dessen kurzes Kabel die Nutzbarkeit als Keytar deutlich einschränkt. Das hat Behringer nicht konsequent zu Ende gedacht, da die Firma mit dem Airplay Guitar ULG10 sogar das passende Wireless System für völlig losgelöste Performances im Programm hätte.
Womöglich hat Behringer den „Gitarrenbürzel“ auch nur aus nostalgischen Gründen beigelegt? Plötzlich kam mir eine aberwitzige Idee: Was, wenn der Gitarrenbürzel an meinen SH-101 passen würde? Allein das könnte für Besitzer einer originalen SH-101 ein Argument sein, sich den MS-1 zu kaufen und dann das Keytar-Kit des MS-1 für den 101 zu nutzen. Gedacht, geschraubt und tatsächlich, das Kit passt perfekt an den SH-101. Sofortige Ernüchterung dann aber beim Versuch, den Behringer-Anschluss-Stecker in die Roland-Buchsen einzuführen: Ein anderes Format. Eine Nutzung des MS-1-Gitarrenhalses am SH-101 ist also ,out of the box‘ nicht möglich. Aber vielleicht haben findige Bastler da noch einen Hack in petto…
Was fehlt und was ist anders?
Der MS-1 hat nur einen Portamento-Modus, automatisches Portamento fehlt. Es gibt beim Arpeggiator nur einen Modus (Up) und keine Transpose. Der Sequenzer bietet zwar viel mehr Patterns und ist speicherbar, aber längst nicht so flink und intuitiv zu bedienen, wie der des Originals. Die Tastatur ist via USB und MIDI polyphon und anschlagdynamisch, aber für’s direkte Spiel am Instrument finde ich das SH-101-Keyboard geschmeidiger. Im Laufe des Tests fiel mir auch auf, dass manchmal eine Taste nicht mehr korrekt in die Ausgangsposition zurückfederte, sondern etwas durchhing. Das ließ sich aber stets mit einem kurzen erneuten Tastendruck beheben.
Und schließlich ist es schade, dass der MS-1 nicht netzunabhängig betrieben werden kann. Wozu also das mitgelieferte Modulation Grip Kit, wenn der Keytar-Hero dann doch per Netzteil an den Bühnentisch gefesselt bleibt? OK, ich sehe vor meinem geistigen Auge schon umtriebige Bastler mit extrem verlängerten Netzteilkabeln über die Bühne fegen, aber verdränge diesen Gedanken auch gleich wieder.
Behringer MS-1 Sound Demo (No Talking)
Im Video bedient ein Toraiz Squid Hardware-Sequenzer via CV/Gate einen Behringer MS-1, einen originalen Roland SH-101 sowie sein digitales „Boutique-Pendant“ Roland SH-01a via MIDI mit jeweils dem gleichen Pattern. Die Soundeinstellungen wurden möglichst identisch gehalten, was in einer Live-Situation nicht immer akurat möglich ist. Dennoch sind die die vielen Gemeinsamkeiten und die Unterschiede gerade im Resonanzverhalten gut zu hören. Zusammenfassend gesagt: Alle drei Kandidaten sind sehr brauchbare Synthesizer und am Ende entscheiden Nuancen – und das Portemonnaie.
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Mehr Informationen
Gregor Rast sagt:
#1 - 17.10.2019 um 12:55 Uhr
Der Arp kann mehr als nur "up". Transponse geht auch. Eine Anleitung gibt es auch.
Was aber nicht geht und auch nirgends erwähnt wird : RD-8 Trigger zum steppen des Sequencers nutzen. Auch die Reduzierung auf 32 Steps ist übel.
irgendwie ein etwas halbgarer Test, oder?
Gregor Rast sagt:
#2 - 17.10.2019 um 12:59 Uhr
...und Pattern lassen sich auch mit den Tastern 1-8 direkt anwählen.
aljen sagt:
#3 - 01.04.2020 um 15:20 Uhr
Soweit ich das auf den Bildern (und Videos) erkennen kann, ist der "bedienungsunfreundliche Odyssey-Kollege aus dem Behringer-Baukasten"-Sequencer ursprünglich dem Moog Mother 32 abgeschaut. Siehe auch Crave. Alleine den Arpeggiator hat Behringer zusätzlich beigesteuert.Schwacher Trost: der Sequenzer der 32er Mutter ist noch eine bis anderthalb Nummern unintuitiver als seine Behringer-Kopie – aber wozu gibt es Handbücher…