Bessere Stimme durch Sport

Leute, ich stand die letzten Wochen echt vor einem Problem! Mit der Entwicklung meiner Band aus dem rockigen Genre in die Richtung des Alternative-Metal habe ich mich der körperlichen Anstrengung, die unser Live-Set mittlerweile mit sich bringt, während des Singens plötzlich nicht mehr gewachsen gefühlt. Meine Performance und meine Stimme haben darunter sehr gelitten. Darum habe ich mich u. a. mit Charles Simmons (Fitnesstrainer und Vocal Coach), Personal Fitness Coaches und aktiven Sportlern über mögliche Lösungen unterhalten. Worauf es bei Training von Stimme und körperlicher Fitness für die Bühne wirklich ankommt, habe ich in ein paar Anregungen für einen individuellen Trainingsplan zusammengefasst. Wer sogar noch höher, schneller, weiter vorrankommen mag, dem erzähle ich sogar, wie man vom Marathon zur stimmlichen Hochleistungsperformance kommt.

(Bild: © Shutterstock, Foto von hurricanehank)
(Bild: © Shutterstock, Foto von hurricanehank)

Auch wenn ich nach wie vor intonationssicher unsere Songs singen konnte und nach den Proben kein Stück heiser war, wurde trotzdem jede Probe für meine Stimme und meinen Körper mehr und mehr zu einem Kampf als zur Musik.

Ich musste mich viel stärker darauf konzentrieren, damit mir die Töne nicht unkontrolliert wegkippten und meine Atmung nicht mit einem sehr geräuschintensiven Asthmaanfall verwechselt wurde.

Meine Stimme fing mit der Zeit zwar an kräftiger zu klingen, verlor aber gleichzeitig ihren Facettenreichtum im Ton. Ich war im Hals richtig fest, wie man es im Gesang ganz typisch beschreiben würde. Viele meiner stimmlichen Soundeffekte hatten plötzlich keinen Platz mehr, denn mein Hauptfokus lag nur noch darauf, körperlich unserem musikalischen Fluss, dem Rhythmus und dem Tempo standzuhalten. Und das alles mit bühnentauglichen großen Bewegungen natürlich. Eine echt schweißtreibende Sache. Dass das dann nicht mehr geil klingt, brauche ich nicht extra erwähnen.

Regelmäßiger Sport kann Kraft und Ausdauer deiner Stimme verbessern!

Meine Atmung, mein Körper und meine Stimme funktionierten fortan gegeneinander anstatt miteinander. Eine wahre Belastungsprobe. Physisch! Und das obwohl ich schon immer ein recht sportlicher und aktiver Mensch war – und auch immer noch bin. In jeder verdammten Probe zu merken, dass meine Kondition schlicht dafür nicht auszureichen schien, fing an mich echt schwer zu belasten. Psychisch! Diese körperliche Grenze zu spüren, aber nicht aufbrechen zu können, hat ganz schön meine persönliche Frustgrenze ausgereizt.
Worauf genau kommt es beim Sport machen an, damit auf der Bühne sowohl die Stimme als auch die Performance davon profitieren?

Denn Sport scheint in diesem Fall nicht gleich Sport zu sein!
Über genau diese Frage habe ich mich mal mit Charles Simmons, Fitness Trainer, Vocal Coach und der Erfinder des VoxxBody Fitness Systems, unterhalten. Im Rahmen seiner Coachings erlebt er immer wieder Sänger/innen, die vor ganz ähnlichen Herausforderungen stehen, wie ich zu diesem Zeitpunkt.

Charles Simmons, Fitness Trainer, Vocal Coach und der Erfinder des VoxxBody Fitness Systems
Charles Simmons, Fitness Trainer, Vocal Coach und der Erfinder des VoxxBody Fitness Systems

Charles: Das Problem von den meisten Sängern ist es, dass sie beim Training ihre Stimme nicht als Teil des Ganzen sehen! Sie trainieren entweder den Körper oder ihre Stimme, vergessen aber dabei, dass sie auf der Bühne beides kombinieren – körperliche Anstrengung (Fitness) und Singen – und das in dem Maße, dass es auf der Bühne taugt, was heißt, dass auch große kraftvolle Bewegungen beim Singen möglich sind.
Bonedo: Stimmt eigentlich! Ich sage auch immer: “Stimme ist ein Muskel, den man trainieren kann”. Der gesamte Stimmapparat ist natürlich ein Zusammenspiel aus mehreren Muskelgruppen. Stimmliches Muskeltraining macht man im Gesangsunterricht mit Stimmbildung ja auch. Dabei wird nur sehr häufig die restliche Muskulatur im Körper außer Acht gelassen bzw. nicht mittrainiert. Beim allgemeinen Fitnesstraining wiederum wird kein Stimmtraining gemacht.
Charles: Genau. Darum verfolge ich mit meinen Coachings den Ansatz, beides zu verbinden.
Bonedo: Das klingt für mich jetzt nach viel Bewegung beim Stimmtraining. Ich denke jetzt automatisch ans Tanzen mit richtiger Choreographie. Welchen und wie viel Sport sollte man denn machen, um eine gute, ich nenne es mal Bühnenfitness zu haben?
Charles: Nein, es muss nicht immer gleich tanzen sein. Wenn man mal genau schaut und die Sänger und Musiker analysiert, die auf der Bühne wirklich erfolgreich sind, sind es die, die die soliden Basics beherrschen und während ihren Shows anwenden. Auf die extra Tanzeinlagen kommt es gar nicht so an. Es ist zwar nett, wenn das einer kann, aber für die Leute auf der Bühne nicht besonders wichtig!
Bonedo: Was heißt das jetzt genau?
Charles: Es ist wichtig, eine gute Grundkondition und eine gut trainierte, stabile Körpermitte zu haben. Und man muss es gewohnt sein, unter körperlicher Anstrengung die Atmung fließen zu lassen – man muss damit umgehen können. Die ideale Atmung, wie sie im Gesangsunterricht oft vermittelt wird, also man steht gerade, Körper und Bauch sind entspannt, funktioniert auf der Bühne während einer Show nicht.

Da herrscht Action und Power und du machst kraftvolle Bewegungen. Auch wenn du nicht tanzt oder eine feste Choreo hast. Über deine Atmung darfst du beim Singen nicht mehr nachdenken und musst auch unter körperlicher Belastung mit deiner Atmung umgehen können. Und eben eine kräftige Körpermitte. Das ist wichtig.
Bonedo: Also heißt das, ein ausgewogenes Konditionstraining zusammen mit Stabilisierungs- und Kraftübungen für den Oberkörper ist wichtig?
Charles: Richtig. So baue auch ich meine Trainingseinheiten für Sängerinnen und Sänger auf. Das kombiniere ich mit gezielten Stimmübungen während der Core- oder Ausdauerübungen. Dabei geht es in erster Linie nicht darum, höher singen zu können oder dass die Stimme kräftiger oder lauter wird. Das ist manchmal aber ein Nebeneffekt. Viel wichtiger ist es, zu lernen, wie man mit der eigenen Stimme und der Atmung bei körperlicher Anstrengung, also unter keinen Idealbedingungen, arbeitet.

Als Sänger/in Körper und Stimme wieder mehr als Einheit verstehen und einsetzen lernen – das sind die besten Sportarten

Ich hatte vor dem Gespräch zunächst eine ganze Weile viel selbst ausprobiert, um mein Problem wieder in den Griff zu bekommen. Ich habe meine Sporteinheiten variiert und erhöht, mein persönliches Stimmtraining umgestellt, neue Übungen ausprobiert und mich sogar noch intensiver mit unterschiedlichen Atemtypen auseinandergesetzt. Klar habe ich jeweils hier und da kleine positive Veränderungen an meinem Gesang und meiner Performance festgestellt. Mein Grundproblem blieb jedoch hartnäckig bestehen. Nervig wie ein Moskito! Ich war noch immer ein nach Luft japsendes im Proberaum umherspringendes Etwas.
Im Anschluss an das Gespräch mit Charles wurde mir klar, dass es viele wunderbare Sportarten gibt, mit denen das Zusammenbringen von Stimme und Sport und Konditions- und Kraftaufbau für eine gute Körpermitte gut funktioniert.
Kondition:

  • Laufen (Joggen, Walken)
  • Radfahren
  • Seilspringen
  • Schwimmen
  • Inliner fahren
  • Crosstrainer
  • Tanzen (der Klammerblues tut es leider nicht ;))
  • Rudern (z. B. auf Rudermaschine im Fitnessstudio)

Kraftaufbau für eine gute Körpermitte (Oberkörperstabilisierung):

  • Core Training
  • Oberkörper Workout mit und ohne Gewichten
    z. B. Liegestütz, Planks, Sit-ups etc…
  • Yoga
  • Kniebeugen und Ausfallschritte
  • Pilates
  • Rudern

3 Geheimtipps für deinen individuellen Trainingsplan

Übe Singen in Bewegung und unter Anstrengung
Bei all den oben aufgeführten Sportarten ist es möglich, währenddessen laut zu singen. Da man beim Sport ja sehr oft eh Musik hört … also den MP3 Player aufs Ohr und los. Zugegeben, im Fitnessstudio singt man vielleicht nicht so gerne laut mit, aber die meisten der Sportarten kann man auch zu Hause oder alleine im Wald oder im Feld machen. Nur keine Hemmungen! Einfach mal ausprobieren, auch wenn die Stimme erstmal nicht so schön klingt wie ohne sportliche Betätigung. Genau das ist der Trainingseffekt für den Proberaum und die Bühne: Stimme und Atmung unter körperlicher Anstrengung fließen zu lassen.
Bringe Songrhythmus, Übungen oder Bewegung beim Singen zusammen
Du kannst daraus auch ein ebenso geniales Rhythmustraining machen. Nimm dir deine Musik und versuche, die Übungen passend zum Takt oder den unterschiedlichen rhythmischen Auflösungen (z. B. Joggen oder Seilspringen mal auf die 4tel, mal auf die 8tel) durchzuführen. Und das, während du dabei singst.
Du brauchst noch mehr Kondition?
Wenn du dich noch mehr herausfordern möchtest, vielleicht weil die Bühnenperformance deiner Band ein Maximum an Bühnenfitness von dir abverlangt, übe die Songs doch mal während des Seilspringens. Auch hier gilt, dein Gesang muss nicht schön klingen beim Seilspringen, du lernst mit diesem Training deine Atmung und deine Kraft bei gleichzeitigen Stimmeinsatz besser miteinander zu koordinieren. Zudem stellst du deinen Körper vor die Herausforderung, selbstständig Lösungsansätze zu entwickeln, zuvor gelernte Gesangstechnik unter “ungünstigen körperlichen Bedingungen” trotzdem abrufen zu können. Das setzt natürlich eine gefestigte Technik und eine gute Grundfitness voraus. Auch wirst du feststellen, dass sich dein Gefühl für das Singen in einigen Belangen grundlegend verändern wird – du solltest also offen für (d)ein nächstes Level sein.

Was ist ein sinnvolles Sportpensum für Sänger/innen?

Meine panische Vorstellung davon, noch mehr willkürliche Sporteinheiten in meinem eh schon übervollen Terminkalender unterbekommen zu müssen, habe ich schon nach dem Gespräch mit Charles beruhigt beiseiteschieben können. Auch nach Gesprächen mit anderen aktiven Sportlern und Fitness Coaches war für mich schnell als Faustregel klar:

  • Einmal Sport die Woche ist besser gar kein Sport.
  • Möchte man nachhaltig seine Kondition oder Kraft verbessern bzw. weiter aufbauen, sollten es schon zwei bis drei Sporteinheiten von 30-60 Min. in der Woche sein.
  • Ausgehend vom persönlichen Fitness-Status-Quo sollten Kondition und Kraft kontinuierlich, aber langsam gesteigert werden. Z. B. die Lauf-, Rad- oder Schwimmstrecke langsam erhöhen, um die Kondition zu steigern. Erst die Wiederholungszahl der Kraftübungen steigern, bevor man evtuell auf höhere Gewichte geht, um Kraft aufzubauen.
  • Konsequent am Ball bleiben! Denn zum Trainieren gibt es kein schlechtes Wetter oder sonstige Ausreden. Die Sporteinheiten sollten fester Bestandteil des Wochenablaufes werden.
  • Beim Training gilt: Körperliche Grenzen austesten und wahrnehmen ist das A und O für ein effektives Training. Überfordere dich jedoch nicht durch ständige Grenzüberschreitung!

Und natürlich muss jeder für sich selbst entscheiden, welches Sportpensum das richtige ist. Man merkt ja selbst am besten, ab wann man mehr Energie in der Probe oder auf der Bühne zur Verfügung hat. Der eigene Körper und vor allem die Stimme sind für uns die besten Feedbackgeber. Eine Videoaufnahme aus dem Proberaum oder ein Livemitschnitt geben ebenfalls eine gute Rückmeldung, ob und inwieweit sich die Bewegungen zum Positiven verändert haben.
Ehrlich gesagt war ich zu Anfang sogar kurzzeitig am Überlegen, ob ich eine Pause von meiner Band einlegen sollte, um für mich zu reflektieren, ob das wirklich noch das ist, was ich musikalisch möchte und wozu ich mich körperlich und stimmlich gerüstet fühle. Denn in meiner Vorstellung soll meine Band für mich der Platz sein, bei dem ich Spaß und Freude für das empfinden kann, wofür ich wirklich brenne: Singen! Musik machen!

Mittlerweile merke ich, dass mir die paar Optimierungen meines Trainingsplanes wirklich viel gebracht haben. Ich habe nämlich jetzt genau die oben aufgeführten Punkte in meine Übungseinheiten integriert. Und da von meiner Band bereits das erste Feedback kam, dass ich wieder freier singe und mit scheinbar mehr Spaß in der Probe unterwegs bin, scheint es für mich zurzeit eine gute Trainingsvariante zu sein.

Ab wann macht es als Sänger/in Sinn, die eigene körperliche Fitness in das Gesangstraining zu integrieren?

Eigentlich ab dem Zeitpunkt, an dem man für sich entdeckt, dass man Spaß daran hat, zielgerichtet an der eigenen Stimme zu arbeiten. Ich sage es mal so: Jemand, der durch Gesangsunterricht nur etwas treffsicherer für die Karaoke-Bar werden möchte, braucht sich darum sicherlich keine allzu großen Gedanken machen. Wobei Sport ja jedem guttut. Auch denjenigen unter euch, die jetzt sagen: “Ich bin ja gar nicht in einem so harten Genre unterwegs.”, möchte ich den Gedanken an die Hand geben, dass es auch körperliche Fitness benötigt “normale” Gigs gut zu bewerkstelligen. Und sei es nur, um bei ruhigeren Songs frischer und lebendiger auf der Bühne zu wirken oder um überhaupt einen Gigtag besser durchzustehen, bei dem man bereits sehr früh in der Venue und bis nachts auf den Beinen ist und schwere Cases und Taschen mitschleppen muss. Ebenso helfen eine gute körperliche Fitness und Kondition dabei, mehrere Gigs kurz hintereinander spielen zu können, so wie es in der Festivalsaison gut mal sein kann.

Wie gesagt, unser Körper und unsere Stimme sind für uns in diesem Falle die besten Feedbackgeber, auf die wir hören sollten. Sie sagen uns genau, ob wir mehr oder weniger Fitness für unsere Tätigkeit als Sänger/in brauchen.

Du möchtest höher, schneller, weiter? Vom Marathon zur stimmlichen Hochleistungsperformance!

Bedenke: Nicht jeder kann direkt einen Marathon laufen oder an einem Triathlon teilnehmen. Das erfordert langfristiges und vor allem ein sehr zielgerichtetes Training. Auch stimmlich und performancetechnisch gilt, auf die Marathonebene bzw. auf die Ebene der Hochleistungsperformance, wie man sie z. B. bei einer größeren Tour oder anstrengenden Bühnenshows hat, muss man sich Stück für Stück hinarbeiten.

Und das am besten mit Hilfe von einem Fitness- und Mentaltrainer. Zu dieser Ebene muss man sich jedoch ganz schön durchbeißen.

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Profilbild von Kim Friehs

Kim Friehs sagt:

#1 - 22.04.2020 um 08:37 Uhr

0

Echt gute Impulse! Ich kenne die Probleme auch und werde jetzt mal anfangen so zu trainieren :)

    Profilbild von Stimmenwerk

    Stimmenwerk sagt:

    #1.1 - 23.04.2020 um 15:45 Uhr

    0

    Ja, probiere mal deinen Trainingsplan dahingehend anzupassen und teile hier gerne deine Erfahrungen mit. Da wäre ich sehr neugierig drauf. Ich helfe dir auch gerne weiter, wenn du mit irgendwas nicht so zurechtkommst oder weiterführende Impulse brauchst.

    Antwort auf #1 von Kim Friehs

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