Praxis
Feiner Bleistift statt breiter Pinsel
Die Chris-Hein-Reihe bietet umfassende Einstellungsmöglichkeiten. Das eröffnet einerseits vielfältige Manipulationsmöglichkeiten, ist aber nicht immer ganz unkompliziert. Statt Malen mit breitem Pinsel ist also Zeichnen mit feinem Bleistift angesagt.
Die Basics-Ansicht präsentiert sich übersichtlich. Sie konzentriert sich vor allem auf die Anzeige der gerade abgespielten Samples. Die Articulation Presets offenbaren dagegen, wie der Hase läuft. Zu bedenken ist, dass fast alle im Screenshot gezeigten Parameter nur für eine der 16 Artikulationen eines Instruments gelten. Da schlägt das Herz des MIDI-Nerds höher!
Dass man derartige Einstellungen nicht schon beim ersten Skizzieren eines Bläsersatzes vornimmt, sollte klar sein. Für das Zeichnen der groben Umrisse reicht die Sustain-Spielweise vollkommen aus. Wie ein mit der Maus programmiertes Arrangement ohne Bearbeitung klingt, und was passiert, wenn man im nächsten Schritt alternative Artikulationen verwendet, ist in den folgenden Tracks zu hören. Die Sforzando-Artikulation am Ende musste über Time-Stretch ein wenig in die Länge gezogen werden. Innerhalb der Instrumentengruppen passte zwar die Länge der Samples, zwischen den Gruppen waren aber Unterschiede zu bemerken.
Für dich ausgesucht
Bei der Bearbeitung der Dynamik wird klar, wie sinnvoll es ist, einzelne Artikulationen separat bearbeiten zu können. So kann man etwa festlegen, alle längeren Spielweisen (Sustain, etc.) mit dynamischen Crossfades (X-Fade) abzuspielen. Das ermöglicht es, einen bereits angeblasenen Ton weiter in der Lautstärke zu bearbeiten, was dem Spielverhalten eines echten Bläsers recht nahe kommt. Bei kürzeren Artikulationen und Spezialeffekten ist das dagegen nicht notwendig, da es meist keine größeren Lautstärkeverläufe gibt. So entscheidet man sich für die Dynamiksteuerung über die Anschlagstärke.
Verzierungen
Legato und Vibrato tragen einen erheblichen Teil zum Realismus der virtuellen Blechbläser bei. Die Library bietet eine stattliche Auswahl an Steuerungsmöglichkeiten, um verschiedene True-Legato-Übergänge auszulösen oder das Vibrato über drei CCs gleichzeitig zu steuern.
Das Ergebnis ist wiederum im Player zu hören, wobei sich die Bearbeitung hauptsächlich auf die gleich am Anfang gespielte Trompete bezieht.
Ein interessantes Feature ist die NoteHead-Funktion. Beim MIDI-Programming ist es nicht ungewöhnlich, ein langes Sustain mit einem kurzen Staccato-Akzent zu kombinieren, um eine akzentuierte lange Note zu erzeugen. Bei der Arbeit mit vielen Instrumenten kann dies recht kompliziert und unübersichtlich werden. Nicht so mit Chris Hein Orchestral Brass: Die NoteHead-Funktion unterlegt die langen Artikulationen auf Wunsch mit einer der sechs kurzen Artikulationen.
Die NoteHeads werden über einen eigenen CC gesteuert. Wie man im obigen Screenshot sieht, lassen sich sogar separate Lautstärken- und Hüllkurveneinstellungen für die sechs gestackten Samples angeben. Im Player ist zunächst der Schlussakkord des Demo-Arrangements ohne und mit NoteHeads-Feature zu hören. Darauf folgt der komplette Track mit zusätzlichem Note-Heads-Einsatz.
Doppelter Faltungshall
Da die Instrumente der Library extrem trocken aufgenommen wurden, benötiget man in den meisten Fällen einen zusätzlichen Hall. Orchestral Brass besitzt eine doppelte Faltungshall-Engine, von der sich eine auf die kürzeren Raumanteile (Early Reflections) und eine auf die Hallfahne konzentriert. Die 61 Impulsantworten entsprechen denen der Orchestral Winds.
Obacht: Die Raumsignale werden beim Panning einzelner Instrumente mitbewegt. Bei klassischen Send-Effekts ist das nicht der Fall. Problematisch wird das aber lediglich bei extremen Panorama-Einstellungen. Dass ein doppelter Faltungshall pro Einzelinstrument ordentlich auf die Rechen-Performance schlägt, verwundert wenig. Wer mit einem kompletten Blechbläserensemble und vielleicht noch weiteren Librarys arbeitet, benutzt am besten einen externen Hall. Trotzdem klingen die Impulsantworten größtenteils recht ordentlich. In den folgenden Audio-Beispielen gibt es zwei Varianten mit Panning zu hören.
Größere Ensembles
Da bisher nur Einzelinstrumente zu hören waren, hören wir uns zum Schluss die Library in dickeren Besetzungen an. Orchestral Brass bietet dazu eine Ensemble-Funktion, die einem Instrument zusätzliche, leicht verstimmte Varianten hinzufügt.
Diese Art der Bearbeitung klingt meines Erachtens allerdings nicht sehr realistisch. Weitaus überzeugendere Ergebnisse erhält man, wenn man die Einzel-Patches durch die „echten“ Ensemble-Patches ersetzt.