Praxis
Das erste der beiden getesteten Kleinmembranpärchen aus der Beyerdynamic 900er-Serie, das ich mit zwei XLR-Steckern zu seiner Aufgabe zwinge, sind die Nierenmikrofone MC 930. Das Handling ist wie zu erwarten gut, doch sehe ich die Gefahr eines versehentlichen Schaltens von Pad oder Filter nicht so sehr, wie man es in Heilbronn offenbar tut. Bedenkt man, dass die beiden Schieber sowieso in einer Mulde eingelassen sind, ist es meines Erachtens überflüssig, dass man diese dann nicht auch mit der Fingerspitze bewegen kann. Wie beim 910 ist beim MC 930 nämlich ebenfalls der berühmte “spitze Gegenstand” dafür notwendig.
Ein erster Höreindruck und die anschließende lange Testphase bestätigen es: Die beiden Druckgradientenempfänger klingen genau so, wie man es aufgrund des grafischen Frequenzgangs auch erwarten würde (das ist ja nicht immer der Fall!). Die absoluten Höhen fallen etwas ab, wodurch das Signal im Vergleich zu den wirklichen Top-Mikrofonen des Marktes eine leicht matte Note erhält. Doch schon hier wird klar, dass die MC 930 zu Recht zu unserer Mittelklasse gehören, denn zu den Preiswerteren grenzen sie sich ebenfalls deutlich ab: Dort findet man im Regelfall sehr schwache Air-Bands und deutlich stärkere Boosts zwischen 5 und 15 kHz. Ein gutes (oder, je nach Standpunkt, schlechtes) Beispiel wären die deutlich preiswerteren Beyerdynamic MC 530, die ihren Job nicht so hochwertig verrichten.
Der Bass der 930-Nierenmikrofone ist recht stramm und trocken, neigt keinesfalls zum Dröhnen oder “Wabern”. Lediglich im Mittenband ist eine etwas zu starke Dichte auszumachen, die bei feinen Soloinstrumenten oder fragilen Klangkörpern den Spaß etwas trüben kann. Eine höhere “Elastizität” der Dynamik hätte dem Klangbild gutgetan, aber eine sehr, sehr natürliche Dynamik muss man sich bei Mikrofonen schlicht und einfach teuer erkaufen. Will man im Popmusikbereich akustische Instrumente aufnehmen, macht man mit den 930ern sicher keinen Fehler, denn auch ausstattungsseitig ist man für vieles gewappnet. Der nicht unangenehme Nahbesprechungseffekt kann mit dem sehr vorsichtigen und nicht färbenden Filter schön im Zaum gehalten werden, wenn man beispielsweise eine HiHat aufzeichnen will (natürlich leisten hier das “mechanische Trittschallfilter” in Form der Spinne und der “Strömungsgeräuschunterdrücker” alias Windschutz ebenfalls gute Dienste). Doch auch Chor und Ensembles müssen nicht außen vor bleiben, vor allem, da offenbar gewissenhaft gematcht wurde. Wer mehr möchte, muss eben auch mehr bezahlen (alte Tontechniker-Bauernregel).
Die Höhen des 910 klingen zwar aufgrund des grundlegend verschiedenen Wandlerprinzips ganz anders, lassen aber ebenfalls das letzte Stückchen Transparenz und Natürlichkeit vermissen. Das Kugelmikrofon scheint die typischen Beyerdynamic-Merkmale besser zu transportieren als das richtende Pendant: Das MC 910 klingt verhalten, unauffällig, ja fast schon unterwürfig. Es käme gar nicht auf die Idee, dem Signal seinen Stempel aufzudrücken, sondern leistet das, was man von einem DE-Mikrofon dieser Preisklasse erwarten kann und erwarten sollte. Dieses Arbeitstier kommt aufgrund seiner Ausstattung in vielen Einsatzorten klar, der immer vorhandene leicht richtende Charakter der Höhen macht aufgrund der eher hellen Abstimmung eine Positionsfindung einfacher. Die Bässe sind groß, aber niemals wummerig. Nur in den Tiefmitten kann man eine kleine Nervosität ausmachen – aber auch nur, wenn man genau hinhört oder absolut hochklassige (und richtig teure) Stäbchen zum Vergleich hat. Als Hauptmikrofone sind die 910er natürlich einsetzbar und werden nicht enttäuschen, doch auch an Drums & Percussion, für Atmo-Aufnahmen und Ambience ist man auf jeden Fall auf der sicheren Seite. Die Unterschiede zwischen den beiden Verkaufseinheiten – die Kugeln sind ja nicht gematcht – kann man absolut vernachlässigen. Das spricht für die geringe Toleranz in der Herstellung!
Klaus Joter sagt:
#1 - 27.10.2015 um 16:27 Uhr
Es ermüdet, immer und immer wieder Gitarren als Probeinstrumente für Mikrofone, Vorverstärker und "wer weiß was sonst noch" hören zu müssen. Das ist an Ideenlosigkeit kaum noch zu überbieten. Wie wäre es denn mal mit einem Flügel?
Nick (Redaktion Recording) sagt:
#1.1 - 28.10.2015 um 13:04 Uhr
Hallo Klaus,danke für den Beitrag. Du hast recht, ein Flügel ist ein aussagekräftiges Instrument, das viele relevante Parameter eines Kleinmembranmikros fordert. Allerdings orientieren wir uns an Instrumenten, die viele kennen (und daher einschätzen können) und die am häufigsten aufgenommen werden – und das sind nun mal Akustikgitarren (und bei vielen Mikros natürlich Stimmen). Im Sinne der Abwechslung wären tatsächlich sogar mal Exoten interessant.Beste Grüße,
Nick Mavridis (Redaktion Recording)
Antwort auf #1 von Klaus Joter
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