PRAXIS
Was die hiesigen Paketversender befördert haben und danach noch funktioniert, muss eigentlich nicht mehr separat auf Bühnentauglichkeit getestet werden. Ich habe das trotzdem gemacht und das Beyerdynamic dabei weder beschädigt noch zerstört – trotz wenig zimperlichem Umgang. Zugegeben, es wurde nicht gerade im Wahn gegen die Wand geworfen. Trotzdem ist festzustellen, dass das Mikrofon samt Korb sehr stabil ist, die Verarbeitung würde sicher als Aushängeschild für “Deutsche Wertarbeit” auf der ganzen Welt anerkennende (oder neidische) Blicke ernten. Allerdings sollte auch ein Bändchenmikro robustester Bauart nicht unbedingt auf den Boden fallen – das könnte im ungünstigsten Fall das Ende der kleinen Aluminiummembran sein. Das Handling des Mikrofons macht Spaß, denn es ist wirklich ordentlich schwer und dick. Am Fuß, in dem der XLR-Stecker versenkt wird, misst der konische Korpus 2,3 cm, um bis auf 4,5 cm unterhalb des Korbes anzusteigen. Der Korb selbst hat einen wuchtigen Durchmesser von 5,7 cm. Ich assoziiere Bändchen klanglich eher mit Frauen- als mit Männerstimmen, das kann ich von der Hardware des 90r nicht behaupten. Kleinere Hände können das Mikrofon nicht so gut umgreifen, und sich den (meiner Meinung nach etwas zu auffällig glitzernden) Korb des sehr schweren Mikros während eines eineinhalbstündigen Konzerts vor die Nase zu halten, ist auch ohne Singen und Tanzen schon Sport.
Wer übrigens befürchtet, dass Phantomspeisung das arme Bändchen unumkehrbar dem Bändchenhimmel zuführt, der kann beruhigt sein: Nö. Gut, denn viele Mischpulte bieten leider nur eine blockweise Zuschaltung der 48 Volt, außerdem ist schnell die falsche Buchse auf der Stagebox erwischt. Ob aber Kabelwackler und An- und Abstecken bei geschalteter Speisung ebenfalls immer glimpflich überstanden werden, gilt es bei Bedarf noch zu erfahren. Klanglich entspricht das Beyerdynamic dem, was man sich aus dem Frequenzgang und der Kenntnis um das Empfängerprinzip ableiten kann. Der sanft abfallende Frequenzverlauf im Bassbereich kann einigen Stimmen sicher guttun, der Sängerin für die Testfiles würde ich im Livebetrieb vielleicht eher ein anderes Mikrofon in die Hand drücken. Ich finde beispielsweise nicht, dass man ihren Grundtonbereich auf der Bühne einschränken müsste, aber das hängt natürlich auch von der Instrumentierung und vielen anderen Faktoren ab. Und damit sind wir bei einem wichtigen Thema: Es gibt Stimmen und Einsatzzwecke, da ist das V90r die absolut goldrichtige Lösung. Der Höhenbereich erscheint mir sehr charmant, denn die vielbeschworene Seidigkeit der Bändchen lässt sich auch hier ausmachen, außerdem ist das Mikro sehr schnell. Durch die starke Überhöhung bei 10 kHz und den daraufhin starken Abfall wirkt das Signal über eine PA angenehm und gleichzeitig durchsetzungsstark, ohne einerseits zu kratzen und zu britzeln oder andererseits dumpf und intransparent zu wirken. Man könnte bei ausreichendem Mikrofonabstand fast schon von “Luftigkeit” sprechen. Nähert sich der Vokalist dem V90r, greift der Nahbesprechungseffekt. Die resultierende Bassanhebung ist meiner Meinung nach kein Glanzstück, klingt etwas unausgewogen und schnell störend. Bei weiteren Abständen gefällt das Mikrofon deutlich besser, lädt aber aufgrund seiner Bauform zur nahen Besprechung eher ein als ein schlanker Vertreter. Selbst bei entfernter Besprechung zeigt sich unter Umständen ein weiterer Nachteil des Bändchenprinzips: Trotz guter Gegenmaßnahmen seitens des Herstellers erfordert es im Betrieb erhöhte Vorsicht, Popplaute zu verhindern. Zieht man die Anschaffung eines derartigen Spezialisten in Erwägung, sollte man sich natürlich überlegen, welche Gründe es dafür gibt, dass das V90r das einzige Bändchen-Livemikrofon ist.
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Eine erwähnenswerte Sache noch am Rande: Die Richtungsempfindlichkeit V90r ist trotz der im Gegensatz zu üblichen Mikrofonen nicht runden Membranfläche offensichtlich absolut rotationssymmetrisch. Wie man das Mikro in der Hand auch dreht (also das schmale Bändchen ausrichtet), klanglich ändert sich dadurch überhaupt nichts.