PRAXIS
Das V96c liegt nicht wie einige andere Bühnenmikrofone in der Hand wie ein steinzeitlicher Faustkeil, sondern macht einen fast schon grazilen Eindruck. Dafür verantwortlich ist in erster Linie der leicht konische Korpus, der vor dem Kragen, der in die Kapsel mündet, nur 2,6 cm Durchmesser aufweist. Am Fuß des Mikrofons sind es 2,4 cm.
Klanglich wird nach dem Einschalten der Phantomspeisung schnell klar, dass es sich um ein Kondensatormikrofon handelt: Wie bei einem Studiomikrofon werden auch absolute Feinheiten übertragen wie Atmen und Kleiderrascheln, und das im Detail. Im Vergleich zu dynamischen Mikrofonen zeigt sich der Vorteil der Kondensatortechnik sofort, denn Tauchspulenmikrofone bekommen davon im Regelfall nichts mit, weil die Membran aufgrund der höheren Masse durch die angeklebte Spule weitaus träger ist. Gute und wichtige Nachricht: Gegen Griffgeräusche ist das Mikrofon sehr unempfindlich!
Bei mittlerem und weitem Besprechungsabstand wirkt der Klangcharakter des 96 über eine P.A. und Monitoranlage zunächst recht natürlich. Zudem ist das Signal durchsetzungsfähig, ohne dabei zu nerven, sämtliche Feinheiten der Stimme werden übermittelt und kommen auch beim Konzertbesucher (und über das Monitoring bei allen Musikern) an. Das kann so kein dynamisches Mikrofon leisten. Sänger und Sängerinnen mit interessanten Aspekten im oberen Frequenzspektrum der Stimme sollten also grundsätzlich überlegen, ob sie der schweren Mikrofonmembran eines dynamischen Mikrofons erlauben, diese Bestandteile herauszufiltern. Nähert man sich dem Mikrofonkorb, tritt ein Nahbesprechungseffekt ein, der allen Gesangsstimmen einen ordentlichen Schub im tieffrequenten Bereich verleiht. Je nach Stimme und Umgebung wird dadurch die Aktivierung von Low-Shelf oder -Cut nötig, insgesamt arbeitet der Proximity-Effekt jedoch deutlich runder und angenehmer als bei vielen anderen Mikros. Der “kristalline” Charakter bleibt erhalten, Nahbesprechung führt also nicht zwangsläufig zu einem Sound, der wie durch einen Samtvorhang aufgenommen klingt. Gut! Und noch etwas: In der Praxis zeigte sich das TG V96c nicht so rückkopplungsfreudig, wie man auf den ersten Blick vielleicht befürchten könnte.
Für dich ausgesucht
Bei ganz genauer Betrachtung über gute Studioabhöre fällt auf, dass die absoluten Höhen etwas farbig und “künstlich” klingen. Dies lässt sich möglicherweise auf die umfangreichen akustischen Maßnahmen vor der Membran zurückführen. Ab dem Präsenzbereich aufwärts empfinde ich die Höhen als etwas unecht und bearbeitet. Diese Assoziation steht im Gegensatz zu dem, was ich über das 96c aussagen kann, wenn es an eine Anlage angeschlossen ist. Und schließlich ist auch dieses TG ein Bühnenmikrofon, sodass diese Zusammenhänge nicht so sehr ins Gewicht fallen. Diese leichte Merkwürdigkeit fällt nur unter Studiobedingungen auf, im Livebetrieb “versendet” sie sich – nicht jedoch die generellen Feinheiten des Signals. Die Tatsache, dass über hochwertige Abhöre Zusammenhänge auffallen, die auf den meisten Live-Anlagen untergehen, ist technisch erklärbar und bestätigt sich immer wieder. Also ist im Grunde alles im grünen Bereich für das V96c. Nur wer glaubt, mit einem Bühnenkondenser zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu können und damit gleichzeitig ein Studiomikrofon sein Eigenen zu nennen, begeht einen logischen Fehler. Das 96 ist für den Live-Vocaleinsatz gebaut worden und für nichts anders.