Praxis
Nach nunmehr mehreren Wochen eingehender Beschäftigung und einer Handvoll kleinerer Produktionen mit Bitwig Studio, kann ich ein weitestgehend positives Fazit ziehen. Dabei sind es besonders die unscheinbaren, auf den ersten Blick eher unspektakulären Devices und Programmfeatures, wie etwa die XY-Matrix für Effekte und Instrumente, der Multiband-Splitter oder der Audio- und LFO-Modulator, die man schon nach kurzer Zeit nicht mehr missen will und bewirken, dass man sich die Frage stellt, warum das mit anderen DAWs nicht auch beziehungsweise nicht auch so einfach geht. Ob es nun der Paketmanager ist, der neues Audiofutter auch im Hintergrund nachladen kann und merklich dabei hilft, den Überblick über installierte Soundlibraries zu behalten, der logische, von links nach rechts orientierte Clip-View oder das sichere Plugin-Management. Schnell wird bei der Arbeit mit Bitwig aber auch klar, dass die Software förmlich danach schreit, mit Shortcuts bedient zu werden. So lässt sich beispielsweise die Abwesenheit von globalen Solo/Mute-Off-Taster effizienterweise durch einen Shift-Klick auf einen der Mute/Solo-Taster kompensieren.
Was die Programmstabilität betrifft, kann ich vom Dauertest nur Gutes berichten: Ohne einen einzigen Neustart lief Bitwig Studio auch mit eher exotischen Fremdhersteller-Plugins anstandslos durch. Das Sandbox-Prinzip, dass also Plugins in einem gesonderten Speicherbereich ausgeführt werden, scheint wirkungsvoll zu sein. Allein ein böswillig eingestellter, interner Equalizer (EQ-2) brachte an einem Punkt die DAW dazu, intern, digital zu übersteuern und mit einem angezeigten Signalpeak von 659 dB (sic!) die Audioausgabe abzubrechen. Nachdem der Parameter wieder in normale Regionen gebrachte war, reichte ein kurzes De- und Reaktivieren der Audio-Engine – was in Bitwig Studio praktischerweise ohne Neustart möglich ist – aus, um das Projekt weiter fortzusetzen – sehr gut. Ausgesprochen gut gefällt mir auch das flexible Bus-Management, in dem man die Kanäle jeder korrekt ins System eingebundenen Soundkarte frei benennen und als Stereo/Mono und Lautsprecher/Kophörer-Ausgang definieren kann.
Schwierigkeiten machte mir dagegen das „Gridden“ von Audiomaterial. Wenn die automatische Erkennung von Bitwig mit ihrer Schätzung richtig liegt: Kein Problem – dann folgen Audioschleifen brav dem Mastertempo und die Ergebnisse des Timestretching-Algorythmus brauchen sich hinter den Konkurrenten nicht zu verstecken (siehe die folgenden Audiobeispiele). Wirklich nerven kostete mich dagegen das in den Beispielen zu hörende Gitarren-Riff. Wissend, dass es ein Tempo von hundert BPM hat, berechnete Bitwig hartnäckig 91,7 Schläge pro Minute. Das hat zur Folge, dass der Cliprahmen automatisch kleiner gesetzt wird, als das Sample lang ist. Nach langem Kampf mit den „Onsets“ gelang es mir dann endlich, das Sample ins Beat-Raster einzupassen. Wirklich elegant gelöst ist das aber nicht und geht in anderen DAWs entschieden einfacher.
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Ich will auch nicht verheimlichen, dass es im Testzeitraum einige Produktionen gab, wo ich gar nicht erst versucht habe, sie in Bitwig zu realisieren, sondern direkt zum altbewährten Cubase und Samplitude gegriffen habe. Es handelte sich hierbei um eine Werbemusik, eine Pop-Produktion und ein Hörspiel. Im ersten Fall fehlt in Bitwig schlicht und ergreifend die notwendige Video-Integration. Im zweiten eine integrierte, dynamische Tonhöhenkorrektur. Das letztgenannte Szenario scheiterte an den nicht vorhandenen Überblendmöglichkeiten. Hinzu kommt, dass manche Funktionen nicht immer ganz eindeutig zu erreichen sind: Besonders der kontextabhängige (Arrange, Mix, Edit) Wechsel der Symbole in der Fußzeile kann einen stellenweise schon mal irritieren. Überhaupt ist der Workflow in Bitwig ein bisschen sprunghaft: Hier klappt was auf, da wechselt die Ansicht, dort versteckt sich ein Untermenü. Gerade bei aufwändigen Projekten mit vielen Spuren, Automationen und Clips ist es nicht selten angenehmer, wenn von der Software – also dem GUI und dem inhärenten Workflow – eine gewisse Ruhe und Übersichtlichkeit ausgeht. Das können andere Vertreter dieser Gattung (derzeit) noch besser.
Von großer Bedeutung für den Erfolg von Bitwig Studio in naher Zunkunft, dürfte die integrierte, offene Programmierschnittstelle zur Controller-Anpassung sein. Es handelt sich hier um standardisierte Script-Dateien, die man Bitwig einfach in den Ressourcen-Ordner schiebt. Das Angebot an vorgefertigten Templates ist zum jetzigen Zeitpunkt noch gut überschaubar. Wie eng verzahnt sich aber die Kommunikation zwischen der Software und Hardware am Ende darstellen kann, konnte man bereits auf der Musikmesse im Verbund des „Nektar Panorama P6“-Controllers mit Bitwig Studio erleben. Hier geht die Integration so weit, dass sogar die Bildschirminhalte bidirektional an das Display des Controller-Keyboards gesendet werden. Es ist davon auszugehen, dass sich mit Bitwig Studio der Trend zu einer immer engeren Verzahnung zwischen Controller und Software, wie wir in jüngerer Zeit Erleben konnten (Native Instruments Maschine, Ableton Live Push) weiter fortsetzt.