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B.log – Kugel + Acht = Niere

Freie Einstellbarkeit der Richtcharakteristik mit zwei Mikrofonen

“Na toll, und was ist daran jetzt so besonders?” wird vielleicht jemand fragen. Das ist berechtigt, denn schließlich gibt es Nierenmikrofone wie Sand am Meer. Nun, man kann die Pegel der beiden Mikrofone natürlich variieren. Was dann mit der resultierenden Charakteristik passiert, ähnelt dem, was passiert, wenn eine Braunmühl-Weber-Doppelkapsel mit ihren beiden um 180° verdrehten Nieren mit gleichen oder unterschiedlichen Polaritäten zusammengemischt wird: Man kann über den Pegel die Richtcharakteristik stufenlos von Acht über Niere bis zur Kugel einstellen. Cool? Cool. Ein Mikrofon, das seine Richtcharakteristik mit je einer Kugel- und einer Acht-Kapsel “zusammenrechnet”, ist das beknieenswerte Sanken CU-41/44X. Einstellbare Richtcharakteristiken auf diesem Prinzip ermöglicht das Josephson C700. Aber natürlich lassen sich auch einfach einzelne Mikrofone verwenden, etwa aus Schoeps’ Colette-Modularserie. 

Kugel_Niere_Acht_addieren

Interessant in diesem Zusammenhang: Einzelmembran-Kugeln sind in den Höhen sowieso nierenähnlich, was natürlich einen Unterschied von Theorie zu Praxis zur Folge hat. Doppelmembran-Kugeln sind im oberen Frequenzbereich eher achtermäßig. Und: “Echte” Kugeln sind Druckempfänger, Achterkapseln in jedem Fall Druckgradientenempfänger. Diese technischen Unterscheidung haben zur Folge, dass die beiden Kapseln vor allem in den extremeren Frequenzbereichen sehr unterschiedlich reagieren. Ich nutze gerne die Extremversion dieser Eigenschaften, nämlich die Kombination aus einem DPA 4009 (hier als Referenz zu sehen und zu hören) mit UA0777 Nose Cone und den englischen Kauz-Bändchen Coles 4038. Damit habe ich nicht nur die Richtcharakteristik unter Kontrolle, sondern auch sehr unterschiedliche Klangcharakter. Ein bisschen Historie: Das Western Electric / Altec 639 war ein Mikrofon, das unter anderem in den HMV-/EMI-/Abbey-Road-Studios rege Verwendung fand. Hier waren ein Ribbon-Element und eine wie bei Funkberater PGH und Sennheiser MD 21 als Tauchspule (!) ausgeführte Druckempfänger-Kugel verbaut. Das 639A konnte über einen dreistufigen Wahlschalter Ribbon (“R”, Acht) oder dynamisches Element (“D”, Kugel) oder eben eine Kombination (“C” wie “Cardioid”) zur Verfügung stellen. Das 639B ermöglichte insgesamt sechs Settings, also auch Zwischenstufen. Und noch dazu sah das 639 mindestens so sexy aus wie Shures 55 Unidyne

Richtcharakteristik und Stereobreite erst im Mixdown einstellen

So. Fein. Es geht aber noch weiter: Wenn ich zwei Signale mischen will, die von zwei Mikrofonen kommen, dann zwingt mich doch niemand, das Mischungsverhältnis und somit die Richtcharakteristik direkt einzustellen. Deswegen: Erst aufnehmen, dann nachträglich das Polar Pattern wählen! Das ist es, was auch Mikrofone wie das Microtech Gefell UM 930 twin oder das Sennheiser MKH 800 TWIN so interessant macht. Und bei der Einstellung der Richtcharakteristik im Mixdown ist der Spaß noch lange nicht zu Ende, denn mit Tief- und Hochpassfiltern kann man stark frequenzselektive Richtcharakteristiken einstellen. Die strammen, neutralen Bässe einer Druckempfänger-Kugel mit den sämigen Höhen eines englischen oder amerikanischen Bändchen-Mikrofons? Top!  
Wenn man jetzt noch hingeht und eine weitere Acht quer zur Hauptachse legt… dadurch hätte man ein S-Signal, welches sich, ebenfalls nachträglich, mit einer MS-Matrix auf L/R dekodieren lässt. Freie nachträgliche Einstellung von Richtcharakteristik, Wählbarkeit der Klangcharakteristik, Bestimmung der Stereobasis? Sonst noch Wünsche? Ich finde, man kann mit drei Mikrofonen breiter aufgestellt sein als so manches Soundfield. Und, ach ja, Surround… da wird es ja erst richtig lustig… 
Wollt ihr selber experimentieren (und dazu möchte ich euch unbedingt ermuntern), dann achtet auf eine größtmögliche Nähe der Membranen zueinander und einen nicht zu kleinen Abstand zur Schallquelle, um nicht im Höhenbereich Phasenprobleme zu bekommen. Sinnvoll ist die oben beschriebene Vorgehensweise beispielsweise bei Vocals und Akustikgitarren, um Raumanteile zu bestimmen und die Vorne-/Hinten-Positionierung auf der Mischbühne zu regeln und beim Drumset, um die Balance zwischen Signalefreistellung und natürlichem Klang steuern zu können. Und da sag’ noch einer, Mikrofonierung wäre “langweilig”.

Beste Grüße,
Nick Mavridis (Redaktion Recording)

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Profilbild von Mackie-Markus

Mackie-Markus sagt:

#1 - 11.09.2015 um 14:07 Uhr

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H. Riedel sagt:

#2 - 14.09.2015 um 16:04 Uhr

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Das muss ich mal austesten. Habe kein Acht Mikro kann aber eins leihen.

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dvdr sagt:

#3 - 17.09.2017 um 11:13 Uhr

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Hallo - ich bräuchte da bitte ein ganz konkretes Feedback zum Setup- zwei Kleinmembraner Nieren direkt übereinander so anordnen, dass sie 180° gegeneinander sehen und die Kapseln möglichst mittig übereinander liegen
- für eine saubere 8 besser direkt schon am Vorverstärker die Phase eines Kanals invertieren und darauf achten, dass die Pegel identisch sind (bei meinem FireFace sind die Pegel digital einstellbar, sollte also kein Problem sein). Beide Kanäle entweder im FireFace per Subgruppe auf mono summieren und auf einer Spur in der DAW aufnehmen - oder, wenn das nicht geht:
- weiterhin Phase im Vorverstärker invertieren, auf 2 Spuren in der DAW aufnehmen und per Subgruppe auf eine "Monospur" summieren.
Das wäre die "Pseudo-Doppelmembran-Acht" aus zwei Kleinmembranern, eine dritte Kleinmembraner-Niere dazu, und fertig ist die M/S Anordnung????
Ach, und: zwei Großmembraner so anzuordnen, wird wahrscheinlich wegen der Größe und Abstand der Kapseln unerwünschte Phasendifferenzen und keine saubere Acht geben, oder?- so, und jetzt letzte Idee: bei dieser Mikrofonanordnung müsste - rein theoretisch - doch folgendes möglich sein: Aufnahme der Mikrofone auf jeweils 2 Monospuren. Spur zwei des ersten Mikrofons wird in der DAW invertiert. Wenn ich jetzt die Spuren 1 und 2 per Subgruppe mono summiere, erhalte ich eine Acht (so wie vorhin beschrieben). Wenn ich die Spuren 3 und 4 summiere, erhalte ich eine Kugel. Das wäre dann M/S mit zwei Mikrofonen. Oder ist die Addition der ja 90° zum Schall stehenden Mikros wegen der Frequenzabhängigen Richtwirkung für eine solche Summierung nicht möglich, weil es eine völlig unsaubere Kugel gibt?Ich bin gespannt und hoffe auf Antwort :-)

    Profilbild von Nick (Redaktion Recording)

    Nick (Redaktion Recording) sagt:

    #3.1 - 17.09.2017 um 11:48 Uhr

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    Hallo "dvdr",zum ersten Absatz: Prinzipiell richtig. Der Unterschied in der Bauhöhe wird sich besonders in den Höhen bemerkbar machen und sich auf die Schärfe auswirken, so zumindest meine Erfahrung mit "selbstgebauten" Achten. Dass es aber räumliche Unterschiede gibt, ist soo schlimm nun auch nicht, denn jedes XY- oder MS-System arbeitet sol, also alles, was "One Point" ist. Und auch Mono-Zweikapselmikrofone (wie manche Sanken, Josephson) bauen übereinander, zählen aber dennoch zur Crème. Und abseits von Bändchen gibt es sowieso nur wenige "echte" Achten, also Einmembraner. Schoeps' Colette MK8 wäre ein positives Beispiel hier. Ich habe schon MS mit Doppelmembranen (Großmembran/Braunmühl-Weber-Konstruktion) gemacht, das geht ziemlich gut. Da ist es aber tatsächlich gut, wenn man die Kapseln sehr nah aneinander bekommt (z.B. AT5045, Milabs, Pearl…) oder die Schallquellen und Reflexionsflächen nicht allzu nah sind.Die Idee in Absatz zwei, ist, wenn ich sie richtig verstehe: Du nimmst zwei Nierenmikrofone in 180 Grad. Du spilttest beide Signale, mischst sie einmal phaseninvertiert für die querliegende Acht und einmal phasentreu für eine Kugel. Ich habe das selbst noch nicht gemacht und wüsste jetzt nicht, was in der Theorie funktionell dagegenspricht. Allerings: Fast alle Nieren haben bei 90 Grad schon ordentlich Einbrüche und Unregelmäßigkeiten, du musst vor allem bedenken, dass Du jedes Signal zwischen 90 und 270° eines Mikros auch mit dem jeweiligen Frontsignal zusammenmischst – mit gar nicht so unerheblichen Pegelanteilen. Auch, wenn Du Dir genaue Polardiagramme von Kugeln ansiehst, die mit Doppelmembranmikrofonen erstellt werden, dann siehst Du, dass es bei seitlicher Besprechung tatsächlich etwas "schwierig" ist. Und das ist dann ja das "Axis"-Signal. Alles nicht soo wild vielleicht, weil das Sennheiser MKH800 (Doppel-Kleinmembran, allerdings baulich sehr nah) das auch so macht und seitlich noch sehr ordentlich klingt. Allerdings: Du musst sicher sehr nah an die Schallquelle, weil Dein M ja zwangsweise eine Kugel ist. Meist nimmt man ja Nieren oder eine Acht für das M. Und damit kommen die oben beschriebenen Probleme sicher stärker hinzu. Ist aber sehr spannend! Und vielleicht eine passable Broadcast-Lösung, wenn es nur zwei Inputs gibt und man die Stereobreite nicht voreinstellen kann oder will (oder automatisieren muss…).Probier' es bitte aus! Und melde Dich danach. Ich versuche das glaube ich auch mal.Beste Grüße und schönen Sonntag
    Nick

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