Karten-Abnahmezwang
„„Pay to play“ – wer kennt das nicht?“, fragt Stivy, Sängerin der Goth-Rocker Tonk! aus Recklinghausen, leicht resigniert. „Bands, die das nicht kennen, haben sich noch nicht bei größeren Locations oder Festivals beworben… Für kleine Bands gibt es einen Karten-Abnahmezwang. Das ist recht problematisch, wenn man zweihundert Kilometer von zu Hause spielt, da sind 25 Tickets zu fünf Euro eine ganze Menge Schotter – damit man nachmittags um drei auftreten darf.“ Stivy und Tonk! mussten im letzten Jahr eine besonders bittere Erfahrung machen. „Es ging um ein Benefizfestival. Das lasse man sich bitte mal auf der Zunge zergehen, BENEFIZ, also guter Zweck! Für den Event hatten wir uns mit Promo-Mappe und Demo-CD beworben. Wir freuten uns schon, dabei zu sein, dann kam die Email, dass wir Karten abnehmen sollen. Wir haben nicht lang nachgefragt und abgesagt. Eine Woche später kam eine weitere Mail, dass wir „nur“ zwanzig Tickets zu acht Euro kaufen sollten. Wir sind bei unserer Meinung geblieben und waren somit nicht auf dem Festival.“
„Es gibt öfters Clubs, welche die Abnahme von einem Kontingent an Karten zur Bedingung für einen Auftritt machen“, bestätigt Olli, Sänger/Gitarrist von Shearer. Die Punk´n´Rollcombo stammt aus Berlin und existiert bereits seit neun Jahren. Sein Kollege Ronny (Gitarre) erinnert sich an ein Beispiel. „Im Berliner Club K 17 spielten Sepultura. Ich habe mich nach dem Supportplatz erkundigt, der Club wollte, dass wir fünfzig Karten a dreißig Euro abnehmen, also 1.500 Euro blechen. So finanziert die Vorband schon mal einen guten Teil der Gage der Hauptband. Das haben wir natürlich nicht gemacht!“ Franka Hartweg von der Geschäftsführung des K17 weist darauf hin, dass der Club das Sepultura-Konzert nicht veranstaltet hat, sondern nur den Saal stellte und somit auch nichts mit dem Kartenverkauf an die Supportband zu tun hatte. Abgesehen davon, müssen nahezu alle Supportbands im K17 Karten abnehmen. „Wir lassen ihnen die Karten bei unseren Veranstaltungen billiger, so haben sie die Möglichkeit, von dem Gewinn ihr Spritgeld zu finanzieren. Uns gibt das die Sicherheit, dass einige Karten schon mal verkauft sind. Da geht es um einen kleinen Taler, also dreißig Karten a fünf Euro.“ Ferner veranstaltet das K17 Abende, an denen Nachwuchstalente aus bestimmten Genres auftreten. „Da bewerben sich mehr Bands als wir unterkriegen. Vier Bands treten am Abend auf. Sie nehmen für 150 Euro Karten ab, dafür machen wir Werbung und stellen die PA, Backline und sowohl einen Ton- als auch Lichtmann. Die Bands können Geld verdienen und wir haben ein volles Haus. Über den Eintritt verdienen wir an solchen Abenden nichts, wir verdienen am Tresen.“
„Einige Veranstalter sind Haie!“
Kleinen Bands bleibt oft gar nichts anderes übrig, als in die Tasche zu greifen, wenn sie ihre ersten Gigs spielen wollen. Ungewollt werden sie so zu Veranstaltern. „Früher waren wir froh, wenn wir überhaupt auftreten durften“, erinnert sich Jana, Sängerin und Bassistin der Bremer Pop-Rockband Pink Mercury. Sie weiß von einem namhaften norddeutschen Club, der neben einem Hauptact sieben Supportbands spielen ließ, die je für 150 Euro Karten kaufen mussten. „Es gibt viele Bands, die ohne Gage auftreten und Veranstalter, die das ausnutzen. Veranstalter sind Haie! Sie wollen Live-Musik, die Publikum anlockt. Selbst wenn die Gruppe ohne Gage spielt, ist das auch „pay to play“, denn irgendwelche Kosten fallen immer an“, rechnet Jana vor. Patrick Radimersky, Booker vom Knaack Club in Berlin, hält dem entgegen, „dass es sehr teuer ist, einen Club zu eröffnen und am Laufen zu halten.“ Während auch in der Hauptstadt Kartenabnahme gang und gäbe ist, verfolgt der Knaack ein anderes Konzept. „An den Newcomer-Abenden können Bands bei uns spielen, ohne zu zahlen. Sie erhalten zwar keine Gage, bekommen aber Getränke.“ In der Zeit von 22 bis 23 Uhr zahlen männliche Konzertgäste nur einen Euro, weibliche Gäste kommen gar umsonst rein. Bei diesen Newcomerabenden haben in der Vergangenheit etliche Talente gespielt, die später groß ´raus kamen. Radimersky nennen Mia, Knorkator und Silbermond. Einen Wermutstropfen hat die Sache jedoch, der zentral gelegene Club akzeptiert keine Bands von außerhalb. „Wir engagieren nur Berliner Bands, die auch Publikum ziehen“, stellt Patrick klar. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass niemand zu Gruppen aus anderen Städten kommt, die Musiker sind dann allein im Laden.“
Band-Flut führt zu Gig-Ebbe
So paradox es klingt, schuld an „pay to play“ ist die neu erwachte Begeisterung für handgemachte Musik. Joel Berger, Chef von myspace Deutschland, rechnet vor, allein in Deutschland seien über 200.000 Bands bei myspace vertreten (weltweit sind es sechs Millionen). Die Folgen davon kennt Olli von Shearer. „Wir haben dieses Jahr über 300 Clubs angeschrieben, was zu keinem (!) Gig geführt hat. Die Veranstalter sind nicht mehr bereit, kleineren Bands die Möglichkeit zu geben, „auswärts“ zu spielen. Wir hören immer öfter: ,Warum soll ich ´ne Band aus Berlin engagieren, ich hab hier hundert lokale Bands, die umsonst spielen‘.“
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Jana, die energische Frontfrau von Pink Mercury, empört vor allem, dass „Veranstalter Bands nicht als Dienstleister sehen, die bezahlt werden müssen.“ Doch man hört beim Thema „pay to play“ auch Stimmen wie von Dennis, Basser der Metalband Insecurity Of Being aus Nordrhein-Westfalen. „Bis zu einem gewissen Grad kann ich nachvollziehen, dass Bands bei Gigs eine „Startgebühr“ bezahlen müssen, um dem Veranstalter eine gesicherte Deckung seiner Kosten zu gewährleisten“, meint er verständnisvoll.
Auch Kollegen halten die Hand auf
Was früher als „asozial“ galt, ist heute normal. Nicht nur Veranstalter versuchen, ihre Kosten auf Nachwuchsbands abzuwälzen, auch namhafte Kapellen verfahren nach dem gleichen Prinzip. „Von einer Hamburger Hardcore Band bekamen wir das Angebot, ihre Europa-Tour mitzuspielen“, erzählt Jana. „Sie wollte zwei Gruppen mitnehmen, die zweite Vorband sollte dreitausend Euro zahlen, und die Band, die direkt vor der Hauptband spielt, fünftausend Euro. Zwölf Konzerte in Deutschland, Österreich, Schweiz, Holland und Frankreich standen auf dem Tourplan. Wir bekamen die Zusage, aber dann sagten wir uns, dass eine Hardcoreband als Haupt-Act nicht das Richtige für uns ist. Deren Fans wollen uns nicht hören und kaufen auch unsere T-Shirts und CDs nicht. Wir würden unsere Fanbase nicht vergrößern“, schätzt sie und fügt scherzhaft hinzu: „Wir haben sogar überlegt, dasselbe zu machen: Einfach eine blöde Supportband einladen, die unsere Tour finanziert.“
„Sollen wir uns einkaufen?“
Eine namhafte Crossover-Kapelle aus Süddeutschland offerierte Shearer den Job als Support-Act für eine 20-Städte-Tour, Kostenpunkt zehntausend Euro. Damals haben die Hauptstädter das „unmoralische Angebot“ noch entrüstet abgelehnt, doch im Zuge der grassierenden Gig-Dürre hat sich ihre Haltung geändert. „Wenn man mal wieder in einem völlig leeren Club spielt, kommt einem der Gedanke: Sollen wir uns einkaufen?“, gibt Ronny zu. „Für eine Kapelle, die zu uns passt, würden wir sechs- bis achttausend Euro locker machen. Bei einer prominenten Band wissen wir, dass die Hütten voll sind. Wir konnten bis jetzt immer überzeugen, deswegen glauben wir, dass wir bei 10-12 Support-Konzerten vor vollen Häusern durch Verkauf von Merchandise und CDs einiges an den Auslagen wieder ´rein kriegen. Außerdem würden bestimmt einige Zuschauer später zu unseren Headliner-Gigs kommen.“
Für Contests zahlen – ja oder nein?
Band-Contests sind im Prinzip eine gute Möglichkeit, unter professionellen Bedingungen Bühnenluft zu schnuppern. Diverse Wettbewerbe sind kostenlos, das prestige-trächtige Emergenza Music Festival zählt zu den Ausnahmen. Vielen erscheint das europaweite Nachwuchsfestival eher wie ein Geschäftsmodell zum Geldverdienen. Arvid, Gitarrist der Kieler Geradeaus-Rocker In Rock We Trust, erklärt wie es geht. „Man bewirbt sich online und zahlt 78 Euro Einschreibgebühr. Beim ersten Meeting werden Werbeplakate, Flyer und ein Hunderter Block Eintrittskarten verteilt.“ Die Bands erledigen so Vorverkauf und Werbung für den Veranstalter. Kommen sie weiter, wiederholt sich die Prozedur, wieder bekommen sie Werbe-Material und Karten in die Hand gedrückt. Ein geschickter Schachzug, haben Bands doch das Interesse, möglichst viele Freunde auf die Beine zu bringen, die bei Vorrunde, Semi-Finals und regionalen Finals für sie stimmen. „Das ist nun mal eine kommerzielle Veranstaltung“, rechtfertigt sich der deutsche Emergenza-Chef Andrea Petricca in der Zeitschrift Visions. „Wir haben keinerlei Geldgeber und wollen natürlich Profit machen. Man kritisiert uns, weil wir den ganzen Vorverkauf an die Bands übergeben und per Hand abstimmen lassen. Aber je mehr Leute du mobilisieren, je besser du dich promoten kannst, desto besser bist du.“
Masse statt Klasse
Jana und Pink Mercury haben bei etlichen Wettbewerben mitgemacht. Sie mussten erfahren, dass Bands ohne musikalisches Talent, aber mit vielen Freunden vor ihnen lagen. „Deswegen ziehen wir Wettbewerbe mit Jury plus Publikumswertung vor. Aber es ist immerhin eine Möglichkeit zu spielen, man bekommt keine Gage, hat aber auch kaum Kosten.“ Stivy und Tonk! haben inzwischen die Nase voll. „Kürzlich hatten wir uns bei einem Contest angemeldet und im Nachhinein gesehen, dass wir dort mal wieder Karten abnehmen sollten. Bei derartigen Wettbewerben wollen wir nicht mehr mitmachen! Contests sind nur interessant, wenn man in einer coolen Location spielen kann, aber es votet ja leider immer das Publikum. Das bedeutet, Bands, die noch zur Schule gehen oder mit großem Freundeskreis auftauchen, kommen weiter. Egal, ob sie nun gut oder schlecht sind.“ Diesen Vorwurf akzeptiert Emergenza-Chef Petricca: „Die Entscheidung liegt beim Publikum“, sagt er gegenüber Rockszene.de. „Wer am Ende die meisten Handzeichen auf sich vereinigen kann, hat eben gewonnen.“
Auch Shearer nehmen an Contests nicht mehr teil, sie glauben, dass es zu viele Möglichkeiten für Einflussnahme von außen gibt. „Mit meiner alten Band hatten wir für die zweite Emergenza-Runde 120 Karten abgesetzt, aber nur 112 Stimmen bekommen, obwohl auch viele Fremde zusätzlich für uns gestimmt haben“, erinnert sich Ronny mit Unbehagen. Petricca weist derartige Vorwürfe zurück: „Wir zählen die Stimmen sehr sorgfältig. Wir haben früher mal mit zwei Leuten gezählt und kamen beide auf Abweichungen von fünf bis zehn Stimmen, aber das in Hallen wo über tausend Leute anwesend waren und sich der halbe Saal gemeldet hat“, verteidigt sich der Emergenza-Chef. Kollege Olli wundert sich dennoch: „Schon komisch, dass meist eine Band gewinnt, die eine größere Plattenfirma im Hintergrund hat. Und wenn draußen vor der Tür Eintrittskarten verschenkt werden, mit schönem Gruß von „Band X“, dann ist doch klar, dass da jemand mit Geld in den Taschen die Geschicke der Band lenkt.“
Für Arvid und In Rock We Trust hat das Emergenza, trotz aller Nachteile, seinen Reiz. „Als Kieler Band ist man etwas ab vom Schuss, da will man nach Hamburg. Das Emergenza gibt uns die Gelegenheit, dort Gleichgesinnte zu treffen. So haben wir mit Uncut eine Hamburger Band in unserem Alter gefunden, die so ähnlich tickt wie wir. Mit denen haben wir schon drei Konzerte nach dem Gig-Tausch-Prinzip gemacht, die haben Konzerte für uns in Hamburg und wir im Gegenzug für sie in Kiel organisiert. Ich finde, man kann bei den Contests gute Kontakte knüpfen.“ In Rock We Trust haben einen Vorteil, ihr treibender Sound, nicht weit von AC/DC entfernt, überzeugt Publikum und Jury gleichermaßen. „So haben wir zweimal das Regional-Finale erreicht und außerdem hab ich noch zweimal die Gitarre gewonnen – als Auszeichnung für den besten Gitarristen.“
Nur nicht kleinkriegen lassen
Janas Band existiert schon elf Jahre. Sie hat an zahllosen Wettbewerben teilgenommen und viele Höhen und Tiefen erlebt. „In all den Jahren hatten wir vier-, fünfmal den Moment, wo alle in Tränen ausgebrochen sind. Keiner konnte den anderen mehr leiden. ,Wir lösen uns jetzt auf‘, haben wir gesagt. Das war nach einem Contest, der für uns nicht funktioniert hat. Sich nach einem Contest aufzulösen, weil man an sich selbst zweifelt, das ist Quatsch! Ein Glück, dass wir das nicht gemacht haben!“ Stivy von Tonk! sieht Wettbewerbe inzwischen von der humorvollen Seite: „An den meisten Contests dürfen wir ja eh nicht teilnehmen, weil wir zu alt sind… juhuu! Mit 27 steh ich am Ende meiner Band-Karriere.“
Am Ende ist alles „pay to play“
Genau genommen, beginnt „pay to play“ in dem Moment, in dem ein Instrument gekauft, Musikunterricht genommen, ein Übungsraum gemietet wird etc. Wenn eine Band Spritgeld zahlt, um zu einem Konzert zu fahren, bei dem sie keine Gage erhält – was ist das anderes als „pay to play“? Die Berliner Shearer haben sich einen Bandbus gekauft, für den sie 180 Euro im Monat abzahlen; eine Band erwirbt Verstärker und Boxen, um große Räume zu beschallen; Mitglieder investieren in teure Demo-Aufnahmen, eine aufwändige Foto-Session und eine vom Profi-Journalisten verfasste Bio – all das ist „pay to play“. Kunst und Kommerz, das war schon immer eine unheilige Allianz. In jedem Fall gehen die Musiker in Vorleistung. Sie haben einen Traum und dafür sind sie bereit, sehr viel zu geben an Talent, Herzblut, Energie, Zeit und auch Geld.