Mit dem ME-50 brachte Boss 2003 ein Produkt auf den Markt, das sowohl von den normalerweise recht puristischen Verfechtern einzelner Bodeneffekte als auch von Multieffekt-Usern gleichermaßen positiv aufgenommen wurde. Dass es sich sogar zu einem Verkaufsschlager entwickelte, hatte seinen Grund in der Konzeption, die beiden Lagern entgegenkam: Bedienung und Oberfläche sollten so simpel und übersichtlich sein wie bei den allseits beliebten kleinen Effektpedalen, aber gleichzeitig sollte es dem Gitarristen auch die Möglichkeit geben, seine Effektkombinationen abzuspeichern – ein Mix aus beiden (Effekt-) Welten sozusagen. Es gab drei Effektblöcke (Distortion/Modulation/Delay) und ein Pedal (Volume, Wah …). Alles konnte einzeln ein- und ausgeschaltet und mit „normalen“ Reglern bedient werden, was zumindest theoretisch einer Kette von einzelnen Bodentretern sehr nahe kam, und das für vergleichsweise kleines Geld.
Auf der vergangenen Musikmesse 2009 in Frankfurt präsentierte Boss den Nachfolger des blauen Multi-Effektes, das ME-70. Es hat die gleiche Größe wie das Vorgängermodell, aber einen Effektblock mehr und außerdem eine zusätzliche Preamp-Sektion. Was das Teil sonst noch so zu bieten hat und wie es klingt, das erfahrt ihr im folgenden bonedo Testbericht.
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GEHÄUSE/OPTIK Das schwarz gesprenkelte Stahlblechgehäuse signalisiert eindeutig, wo das Gerät hingehört: auf die Bühne. Allen dort auftretenden physischen Belastungen ist das ME-70 mühelos gewachsen. Hier wurde, wie schon beim Vorgänger, auf eine robuste Ausführung Wert gelegt. Alle Regler, Schalter und das Display befinden sich auf der Geräte-Oberseite, die Anschlüsse auf der Rückseite. Die Fußtaster, mit denen die einzelnen Effektblöcke geschaltet werden, und das Pedal sind etwas schmaler ausgefallen als beim ME-50, was Platz schafft für einen zusätzlichen Schalter und damit auch einen weiteren Effektblock. Für stabilen Halt sorgen sechs breite Gummifüße. Ebenfalls auf der Unterseite finden wir das Batteriefach für sechs 1,5V Mignon AA Batterien, mit denen das ME-70 bis zu 12 Stunden ohne externe Stromversorgung auskommt. Trotzdem empfiehlt es sich, ein zusätzliches Netzgerät zu erwerben, denn mit der Zeit wird das ständige Batteriewechseln doch etwas nervig und teuer. Schade, dass das Netzgerät nicht im Lieferumfang enthalten ist.
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OBERSEITE/BEDIENUNG Auf der Oberseite befinden sich 25 Regler, mit denen alle Soundveränderungen eingestellt werden können. Klingt im ersten Moment nach großem Durcheinander, ist es aber gar nicht, denn das Gerät ist wirklich übersichtlich aufgebaut. Also der Reihe nach: Alle Sektionen, das heißt, die einzelnen Effekte und der Preamp, sind inklusive der jeweils dazugehörenden Regler durch eine weiße Umrandung voneinander abgegrenzt. Oben links finden wir mit besagter Preamp-Sektion schon die erste Neuerung, ein Preamp mit verschiedenen Amp- und Speakersimulationen. Mit dem Type-Regler wählt man zwischen sechs verschiedenen Amp-Charakteristiken, den bewährten Boss COSM-Simulationen legendärer Amps. Geregelt wird das Ganze mit Gain, Bass, Middle, Treble, Presence und Level. Es gibt außerdem die Möglichkeit, den Preamp einfach als neutralen Equalizer einzusetzen, um beispielsweise das Effektgerät frequenzmäßig an unterschiedliche Amps anzupassen oder für extreme Frequenzverbiegungen bei Metal-Sounds.
Neben dem Preamp wartet der Regler für den Reverb, mit dem zwei Hall-Typen, nämlich Room und Hall, angewählt und in der Intensität eingestellt werden. Es folgen mit Master-Volume, dem Taster für EZ Tone (einfaches Soundeinstellen), Edit, Write und Bank die allgemeinen Bedienelemente. Eingebettet zwischen diesen Tastern liegt das Display, das im Memory-Mode die Nummer der angewählten Speicherbank anzeigt.
Rechts neben dem Display befindet sich der Pedal FX Regler, mit dem der Modus des Pedals angewählt wird, das normalerweise als Volume-Pedal seinen Dienst verrichtet. Tritt man es aber fest durch, wird eine zweite Funktion angewählt, die sich mit diesem Regler einstellen lässt. Hier kann zwischen Wah, Whammy (+1, -1) Voice Effekt und der Tempo Steuerung von Modulation oder Delay gewählt werden.
OBERFLÄCHE/BEDIENUNG II
In der unteren Hälfte sind die vier Effektsektionen mit jeweils vier Reglern untergebracht. Mit einem Rasterpoti wählt man den jeweiligen Effektmodus aus und mit den übrigen drei Potis wird der Effektsound eingestellt. Ein- und ausschalten lässt sich das Ganze mit dem dazu gehörenden Schalter, der bei aktivem Effekt von einer leuchtenden roten LED geschmückt wird.
Der erste Effektblock wird als Comp/Fx bezeichnet und ist neu hinzugekommen. Er bietet Compressor, Touch Wah, Defretter, Tone Modify oder einfach nur die Funktion SOLO, die das Signal den Einstellungen entsprechend boostet – sehr gut geeignet, um die Lautstärke im Solo etwas anzuheben.
In der zweiten Sektion kommen die verschiedenen Verzerrer an die Reihe, insgesamt zehn an der Zahl, die von Natural Overdrive über Metal Distortion bis zum Fuzz reichen. Geregelt werden sie mit Drive, Tone und Level.
Im dritten Block sind die Modulationseffekte untergebracht. Hier finden wir unter anderem Chorus, Phaser, Flanger, Harmonist und Tremolo. Und last but not least Nummer vier mit dem Delay. Auch hier gibt es unterschiedliche Echo-Effekte von Analogecho über Modulate (Echosignal & Chorus) bis zum Tap-Delay, bei dem man per Pedal das Tempo des Delay-Effekts eintippen kann. Auch eine Phrase Loop-Funktion steht zur Verfügung, ein Looper mit einer Aufnahmezeit von bis zu 40 Sekunden, dessen Aufnahme über den Delay-Taster gesteuert wird. Das ist sehr praktisch zum Üben: Schnell eine Rhythmus-Gitarrenspur aufnehmen und dann endlos Solo dudeln …
Aufbau und die Bedienung entsprechen praktisch einer Hintereinanderschaltung dieser vier Effekte, die im Wesentlichen nicht komplizierter zu bedienen sind als Einzelpedale. Wer aber keine Lust auf Stepptanz mit vier Pedalen hat und seine Effektkombinationen lieber abspeichern möchte, der kann das im zweiten Bedienmodus, dem Memory-Mode, verwirklichen. Hier stehen 36 User-Speicher und 36 Presets zur Verfügung, aufgeteilt auf 18 Bänke mit je vier Speicherplätzen.
RÜCKSEITE/ANSCHLÜSSE Sämtliche Anschlüsse sind auf der Rückseite untergebracht, beginnend mit dem Input, der auch als On/Off-Schalter fungiert und das Gerät einschaltet, sobald ein Stecker die Buchse belegt. Es folgen zwei Ausgänge (Output) zum Anschluss an einen Gitarrenamp, über die das Signal ohne frequenzkorrigierte Speakersimulation ausgegeben wird. Wer aber das ME-70 direkt an die PA anschließen oder für Recordingzwecke mit den integrierten Preamp-Sounds nutzen möchte, der sollte den REC OUT/PHONES Ausgang benutzen.
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Ein Stereo-Miniklinken-Eingang (AUX IN) schließlich dient zum Anschluss einer Signalquelle wie zum Beispiel eines MP3 Players, will man zwischendurch vielleicht zu Backing-Tracks üben. Falls die vorhandenen Schalter zur Steuerung nicht ausreichen, kann man an die Footswitch-Buchse zwei zusätzliche Fußtaster anschließen, die Preamp oder Reverb ein- oder ausschalten.
PRAXIS Zum Lieferumfang des ME-70 gehören ein kleines Handbuch und sechs Alkaline-Batterien, die für die ersten zwölf Stunden Jammen reichen. Aber wie schon erwähnt, macht der Kauf eines Netzteiles auf jeden Fall Sinn. Ich hatte zum Glück noch welche herumliegen, also konnte ich mich ganz entspannt an den Test machen. Als Erstes habe ich das ME-70 über den Headphone-Out direkt an mein Mischpult angeschlossen, und wir hören uns die Preamp-Sektion an. Hier ein Soundbeispiel mit einer Marshall-Simulation und dem STACK-Mode (Audio:Stack).
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StackR-Fier
Etwas härter kommt dann die Modern America Fraktion mit der Simulation eines Mesa Boogie Rectifiers (Audio:R-Fier). Die Ampsimulationen sind in Ordnung, allerdings bemerkt man, dass die Sounds im Vergleich zum GT-10, dem Boss Topmodell, eine Spur undynamischer rüberkommen. Aber dafür kostet das GT-10 auch fast das Doppelte! Die wahre Stärke des Gerätes sind ganz eindeutig die Effektsounds, und meines Erachtens liegt sein Haupteinsatzbereich in der Kombination mit einem am besten clean eingestellten Amp. Hier zeigen sich Effekte und Zerrsounds von ihrer besten Seite, und deshalb habe ich das ME-70 für die folgenden Hörbeispiele auch entsprechend verkabelt. Es ging direkt an den Sovtek MIG-50 und über eine alte Marshall-Box mit Greenback Speaker. Leider hat man dem ME-70 keinen internen Loop eingebaut, an den man zum Beispiel noch ein anderes Effektgerät in den Signalweg einschleifen könnte. Damit ist es auch nicht möglich, den Signalweg aufzuteilen, und vielleicht die ersten beiden Blöcke vor die Vorstufe des Amps und Modulation und Delay in den Einschleifweg zu legen.
Wir beginnen mit den Pedalfunktionen, und hier als Erstes mit dem Wah-Wah. Der Pedalweg ist gut und lässt sich im Stehen wie im Sitzen sehr komfortabel und weich bedienen. Es läuft leichtgängig, kann aber auch gut für fest eingestellte Zwischenpositionen benutzt werden. So klingt es mit der Tele (Audio:Wah).
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WahWhammyTouch Wah
Als Nächstes hören wir die Simulation eines Whammy-Pedals (+1 Oct). Der Gitarrenton wird per Pedal stufenlos eine Oktave nach oben geschoben, wofür einiges an Prozessorleistung benötigt wird, um die Tonhöhenverschiebung auch sauber und ohne Störgeräusche zu vollziehen. Dazu kommt ein Natural Overdrive aus der OD/DS Sektion (Audio: Whammy). Das funktioniert einwandfrei! Weiter geht es mit einem Touch Wah, einem Wah-Effekt, der auf die Anschlagsdynamik anspricht (Audio: Touch Wah). Der Effekt „Quakt“ extrem funky und lässt sich auch sehr gut spielen, vor allem, weil die Eingangsempfindlichkeit (Sens) eingestellt werden kann.
Weiter geht es mit dem wichtigsten Effekt, dem Verzerrer. Fünf davon aus dem reichlichen Angebot werden wir uns zu Gemüte führen. Am wenigsten Gain hat der Mode BOOST, hier wird der Klang eines Treble Boosters simuliert, einer leichten Zerrung mit sehr guter dynamischer Ansprache (Audio: Boost).
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BoostNaturalDistMetalFuzz
Für Freunde der Pick- und Poti-Dynamik, die ihre Verzerrung gerne über das Volume-Poti an der Gitarre steuern, ist der Natural Overdrive auch eine gute Wahl. Den Drive Regler habe ich auf 15 Uhr eingestellt und zuerst mit abgedrehtem und dann mit voll aufgedrehtem Volume Poti gespielt. So klingt es (Audio: Natural). Wer mehr auf volles Brett für typische Classic Rock Sounds steht, der ist mit dem DIST-Mode bestens bedient. Hier gibt es einen fetten Distortion mit einer großen Bandbreite, und von alten 70er Sounds bis zum britischen Metal aus den 80ern ist praktisch alles möglich (Audio:Dist). Wem das nicht genug zerrt, der sollte zum METAL-Distortion greifen. So klingt dieser Zerrer mit einer Les Paul bei einer Drive-Einstellung von 13 Uhr (Audio: Metal). Will man den Ton jetzt noch etwas verbiegen, zum Beispiel für einen etwas extremeren Mid Scoop Sound, hilft der Preamp mit dem Mode EQ. Jetzt ist nämlich noch ein zusätzlicher Equalizer am Start, mit dem man die Mitten parametrisch regeln kann. Für die extravaganten Retro Zerr-Sounds gibt es den FUZZ-Distortion, die gnadenlose Säge (Audio: Fuzz).
Jetzt widmen wir uns den Modulations-Sounds. Die amtlichen Disco-Sounds hat der Phaser parat, der schön weich klingt und auch bei häufigen Anschlägen Attack und Ghostnotes definiert überträgt (Audio: Phaser).
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PhaserUni VibeOctaver
Bei der Simulation des Uni-Vibe Effekts wurde originalgetreu gearbeitet. Hier besteht die Möglichkeit, das Tempo über das integrierte Pedal zu steuern, was natürlich sofort dankend entgegengenommen wird (Audio: Uni Vibe). Auch beim Octaver gibt es nichts zu bemängeln, der Ton kommt klar, die Ansprache ist sehr gut und das Ganze klingt mit einer ES und einem zugeschalteten Metal-Distortion aus der OD/DS Sektion extrem fett (Audio: Octaver).
Mit dem gleichen Basis-Sound (ES und Metal Overdrive) habe ich jetzt den Harmonist ausgewählt. Hier kann man die Tonart einstellen, ein Intervall auswählen und das wird dann entsprechend vom Gerät geliefert. Auch hier ist wieder ordentlich Rechenpower gefragt, besonders wenn Bendings gespielt werden. Aber das ist für das ME-70 kein Problem, alles wird sauber und ohne digitale Störgeräusche wiedergegeben (Audio: Harmonist).
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HarmonistTremoloModulateAnalog
Neben der Möglichkeit, das Tempo von Modulations- und Delay-Effekten mit dem integrierten Pedal zu steuern, kann man es auch über den jeweiligen Taster eintippen. Voraussetzung dafür ist, dass der Taster zwei Sekunden lang gedrückt wird, dann blinkt die LED im momentanen Effekt-Tempo und die Geschwindigkeit kann eingetippt werden. Sehr sinnvolle Einrichtung, wenn man zum Beispiel einen sehr intensiv eingestellten Tremolo-Effekt benutzt (Audio: Tremolo). Jetzt hören wir noch zwei Beispiele aus der vierten Effekt-Sektion, dem Delay. Neben den Standards in Verzögerungszeiten von 1- 6000 ms gibt es noch ein paar Specials, zum Beispiel der Modus MODULATE. Hier wird das Delaysignal noch mit einem Choruseffekt versehen, ähnlich wie beim Deluxe Memory Man von Electro Harmonix. Das Originalsignal hat keinen Chorus. Somit lassen sich breite, modulierte Delay Sounds erzeugen (Audio: Modulate). Eine Bandechosimulation ist auch an Board, der Delay Sound ist in den Höhen abgesenkt und klingt dadurch weicher (Audio: Analog).
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FAZIT Mit dem ME-70 hat Boss den Vorgänger (ME-50) noch einmal stark aufgewertet, ohne dabei den Preis wesentlich zu erhöhen. Das Bedienkonzept ist ausgezeichnet, man hat praktisch eine Kette von vier Einzeleffekten vor sich, und für uns Gitarristen bietet die übersichtliche Bedienung mit Reglern das gewohnte Bild. Man sieht sofort, was Sache ist, und kann auch sehr schnell eingreifen. Falls nötig, lassen sich die Effekteinstellungen auch auf einem der 36 Speicherplätze sichern. Klanglich gibt es nichts zu meckern, das ME-70 hat eine große Effektauswahl in sehr guter Qualität, mit der man in sämtlichen musikalischen Gefilden seinen Spaß und einen guten Ton haben kann. Möchte man eben schnell etwas ohne Amp aufnehmen oder sollte auf der Bühne der Verstärker den Geist aushauchen, erweist sich der Preamp als gute Ergänzung. In solchen Momenten geht man mit dem ME-70 kurzerhand direkt in das Mischpult. Schade nur, dass kein zusätzlicher interner Send/Return für den Anschluss externer Effektpedale in den Signalweg eingebaut wurde. Das Preis-Leistungs-Verhältnis ist ausgezeichnet.
Das ME 70 ist schon ein Brett. Man braucht halt ne Zeit dazu um es zu lernen. Denn so gut wie der Kollege dieses Boss hier erklärt hat, kann das kaum ein Musikgeschäft. Vielen Dank für diesen genialen Test - sogar mit Sound. Chapeau!!
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Dirk sagt:
#1 - 31.12.2011 um 11:57 Uhr
Das ME 70 ist schon ein Brett. Man braucht halt ne Zeit dazu um es zu lernen. Denn so gut wie der Kollege dieses Boss hier erklärt hat, kann das kaum ein Musikgeschäft. Vielen Dank für diesen genialen Test - sogar mit Sound. Chapeau!!