„Warum versucht ihr Typen meine Karriere zu ruinieren?“
, fragt Diana Ross ihre Produzenten Nile Rodgers und Bernard Edwards. Sie hatte ihr neues, noch unveröffentlichtes Werk einem namhaften New Yorker DJ als Test vorgespielt. Die Kritik fiel vernichtend aus – für die beiden Produzenten ein Schock. Welcher Musiker kennt das nicht – man macht mit oder für andere Leute Musik, und dann kommen plötzlich die Zweifler aus dem Dickicht. Natürlich erst, wenn es ernst wird: 3 Minuten vor einem entscheidenden Gig, oder wie in diesem Fall, nachdem das Album fertig produziert ist. In solchen Momenten kommt es auf ein gesundes Selbstvertrauen und gute Instinkte an. Wie man inzwischen weiß, wurde „Diana“ das erfolgreichste Album ihrer Karriere – mit Hits wie „Upside Down“, „I’m Coming Out“ und „My Old Piano“. Songs, die auch über 30 Jahre nach Erscheinen noch funktionieren – alles geschrieben und produziert von diesen beiden Herren. Woher nahmen sie also das Selbstvertrauen, sich gegen das Label durchzusetzen und Diana zu ihrem Glück beinahe schon zu zwingen? Es ging damals sogar so weit, dass extern umproduziert wurde – auch wenn am Ende doch die nun legendäre Ursprungsfassung des Werkes erscheinen durfte.
Nile Rodgers ist ein Mann, dessen Arbeit viel größer ist, als sein Name: Seine Band Chic prägte den Disco-Funk Ende der 1970er Jahre. Sein markantes Gitarrenspiel war und ist nicht minder stilprägend – und im Verbund mit Band- und Basskollege Bernard Edwards bildete er ein kongeniales Musiker-, Songwriter- und Produzententeam. In den 80ern hatte er auch allein einen echten Lauf als Produzent: ob David Bowies „Let’s Dance“, Madonna zweites und manifestierendes Album „Like a Virgin“, oder „Notorious“ von Duran Duran, Mick Jaggers „She’s the Boss“ oder Paul Simon, INXS und die B52s. Die Liste ist lang – und beinhaltet viele unerwartete Namen. Er meint allerdings, dass er trotz der Erfolge wohl nie die erste Wahl als Produzent war, sondern oft als Problemlöser dazu geholt wurde. Er erzählt viel von seinen Projekten, und hat jede Menge Anekdoten parat. Schlaf muss in der Zeit ein Fremdwort für ihn gewesen sein. Auf Allmusic kann man sich einen Überblick über seinen Arbeitseifer verschaffen: HIER der Link.
Das Buch gibt vor allem einen sehr persönlichen Einblick in sein Leben: als er 1952 in der Bronx geboren wird, ist seine Mutter gerade mal 13 Jahre alt – wie man sich vorstellen kann, also nicht gerade einfache Umstände. Mutter und Stiefvater sind zudem drogenabhängig, und so ist sein Heranwachsen nicht gerade von Stabilität und Halt geprägt. Er schreibt, dass er im Grundschulalter schon anfing sich mit Klebe schnüffeln ein High zu verschaffen. So beginnt das Buch: „Ich habe lange gebraucht, um zu realisieren, dass was meine Mutter und mein Vater so machten, nicht unbedingt normal war. (…) Meine Freunde und ich bekamen Impfungen, wenn wir zum Doktor gingen, und wir hassten es. Aber meine Eltern stachen sich fast jeden Tag Nadeln in den Körper und schienen es zu genießen. Weird.“ Er war zu der Zeit sieben Jahre alt. Ein Halt für ihn waren die Pfadfinder: dort trat er ein und blieb bis in die frühen Teenagerjahre dabei. Zeitweise zieht er nach Los Angeles um, und lebt in der Obhut der Großmütter. Als er wieder zurück in New York bei der Mutter ist, bringt ihm sein Vater (der Percussionist war) bei Rhythmuspattern zu lesen – da ist Nile 14. Außerdem macht er Musik in der Schule. Als für Nile mit 19 die Reise mit seinem ersten Profi-Gig als Musiker beginnt, ist sein Vater schon tot: Wenige Tage zuvor verstirbt er, gezeichnet von Drogen und Alkohol.
„Le Freak“ ist eine tolle Autobiographie. Nile Rodgers scheint sich nicht auf Ghostwriter verlassen zu haben, sondern hat das Buch wohl selbst geschrieben. Es wirkt sehr persönlich und ehrlich – dieser „Freak“ hat sich auf Anhieb einen Platz in meiner ewigen Top-5 der Musikerbiographien erobert. Er bringt einen schon auf der ersten Seite in seine Geschichte rein, und führt einen durch alle Erfolge, Irrungen und Wirrungen. Das Buch scheint es zurzeit leider nur auf englisch zu geben, ist aber von der Sprache nicht kompliziert zu verstehen. Neben seiner entscheidenden Rolle in der Geschichte der Popmusik hat Nile mit „Le Freak“ vor allem auch ein sehr inspirierendes Buch über das Musik machen geschrieben. Botschaft: Weitermachen!
INFO
Verlag: Sphere (5. Juli 2012)
Taschenbuch
Sprache: Englisch
ISBN:978-0751542776
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