Carlton Barrett sorgte für das legendäre Reggae-Drumming in Bob Marleys Band, den Wailers, der wohl größten Reggae-Band aller Zeiten. Als Marley, Peter Tosh und Bunny Wailer 1970 beschlossen, ihre Formation um einen festen Bassisten und Schlagzeuger zu erweitern, fiel die Wahl auf Carlton und seinen Bruder Aston “Family Man” Barrett, die fortan den unverkennbaren Sound der Wailers prägten. Neben Barretts ikonischen One-Drop-Beats haben wir für diesen Workshop verschiedenste Groove- und Fill-Beispiele notiert, nachgespielt und analysiert, um euch einen tiefen Einblick in sein musikalisches Schaffen zu geben – viel Spaß!
Der musikalische Werdegang von Carlton Barrett
Carlton Barrett wurde 1950 in Jamaika geboren. Erste Banderfahrungen sammelte er mit seinem Bruder Aston „Family Man“ Barrett am Bass. Ende der Sechziger stiegen Carlton und Aston bei „The Hippy Boys“ ein, eine in Kingston zu damaliger Zeit gefragte Begleitband. Neben zahlreichen Sessions für verschiedene Künstler spielten die Barrett-Brüder auch auf zwei UK-Chart-Hits, „Liquidator“ für Harry J und „Return Of Django“ für Lee Perry, der als eine der einflussreichsten Persönlichkeiten in der Entwicklung des Reggae und Ska sowie als Wegbereiter des Dub und Roots-Reggae gilt. Über Perry kam es schließlich 1970 zur ersten Studiosession mit Bob Marley, in dessen Band „The Wailers“ die Barrett-Brüder bis zu Marleys Tod im Jahre 1981 spielen sollten.
The King Of „One Drop“
Carlton Barrett wurde als Teil der Wailers schnell zu einer prägenden Figur des Reggae. Er kultivierte den stilprägenden „One Drop“-Beat, der sich durch die Betonung der dritten Zählzeit auszeichnet und heute als „der“ typische Reggae-Beat gilt. Der „One Drop“ revolutionierte nicht nur die jamaikanische Musik, sondern beeinflusste weltweit Schlagzeuger und Produzenten verschiedener Genres wie Dub und Hip-Hop, aber auch Pop-/RockDrummer wie Stewart Copeland von The Police. Carltons präzise, innovative Rhythmen und farbenreiche Fill-ins bilden das Fundament für viele von Marleys bekanntesten Hits, darunter „Exodus“, „No Woman, No Cry“ und „Stir It Up“. Wie bei vielen seiner Kollegen, fand auch Carlton Barretts Leben 1987 ein viel zu frühes und gewaltsames Ende. Zurecht gilt er als einer der wichtigsten Schlagzeuger der Musikgeschichte und als Wegbereiter des globalen Erfolgs des Reggae.
Carltons Einflüsse
Was Vorbilder angeht, so war Carlton Barrett, wie viele seiner Schlagzeugerkollegen (Sly Dunbar, Leroy “Horsemouth” Wallace, Style Scott, u.a.), stark durch den Schlagzeuger Lloyd Knibb beeinflusst, der als wichtigste Figur des Ska-Drummings gilt und vor allem mit seiner Band „The Skatalites“ auf sich aufmerksam machte.
Wie Elvin Jones oder Charlie Watts ist auch Carlton Barrett einer dieser Drummer, dessen Magie mit Noten oder Worten allein nicht beschrieben werden kann. Neben seiner ausgezeichneten Technik, vor allem was sein Hi-Hat-Spiel angeht, ist es doch diese gewisse zweite Ebene, die seine Grooves so einzigartig macht und ihnen eine besondere Tiefe gibt. Carlton selbst beschreibt sie mit einem „spirituellen Vibe“:
„Well, it’s a spiritual vibe that I try and get from my drums to the music. Because drums come from the slavery days and from Africa, it comes from a lot of history. The reggae drummer carries that history more than the guitarist or keyboards player, and the good reggae drummers make playing a spiritual experience.“ (Carlton Barrett, Modern Drummer Magazine, 1982)
Carltons Drumset bei Bob Marley
Bevor wir uns ausgiebig mit einigen Notenbeispielen aus Carlton Barretts Drumming befassen, werfen wir einen kurzen Blick auf das Equipment, das er in seiner Zeit bei Bob Marley benutzte. Auf Fotos und Videos aus den Siebzigern sieht man ihn überwiegend mit Ludwig-Schlagzeugen, wobei er nie ein offizieller Ludwig-Endorser war. Später spielte er Drumsets von Yamaha, die ihm während einer Tour in Japan eine Kooperation anboten.
„I have been touring Europe for years and the Ludwig company never offered me any drums for an endorsement agreement. But the first time the Wailers go to Japan, the Yamaha people want me to endorse their drums. So they give me a kit since the Wailers was the top reggae group in Japan. I cannot turn down an offer like that!“ (Carlton Barrett, Modern Drummer Magazine, 1982)
Die Präparation des Sets war wichtiger als die Marke
Ob Ludwig oder Yamaha Drums, Carltons ikonischer Sound entstand vor allem durch die Art, wie er sein Drumset präparierte. Er spielte Bassdrum und Toms ausschließlich ohne Resonanzfell, was in den Siebzigern unter Drummern sehr populär war. Das führte zu einem kurzen, knackigen und trockenen Sound. Seine Snare – überwiegend nutzte er eine Ludwig Supraphonic 402 in 14“ x 6,5“ – spielte er stets extrem hoch gestimmt und oftmals ohne Snareteppich, womit er einen Timbales-ähnlichen Sound erreichte, der den Sound seiner Fill-ins prägte. Sein Setup bestand anfangs aus einer 22“ Bassdrum sowie 12“, 13“ und 16“ Toms mit einer 14“ Snare. Später nahm er noch weitere Toms hinzu, wie man im folgenden Video von 1979 sehen kann:
Wie bei seinen Trommeln, handelte es sich bei Carltons Becken-Setup ebenfalls überwiegend um Leih-Equipment, das ihm für die jeweiligen Konzerte mit den Wailers gestellt wurde. Dadurch war er vermutlich darauf angewiesen, die populären Beckengrößen zu spielen, die damals folgende waren: 14“ Hi-Hat (häufig Zildjian „New Beat“) sowie 14“, 16“ und 18“ Crashes.
The One Drop Beat
Der „One Drop“ ist sicherlich der charakteristischste Beat, sowohl im Reggae als auch speziell in Carlton Barretts Spiel. Ist für unsere westeuropäischen Ohren vor allem die erste Zählzeit im Takt die wichtige, zeichnet sich der One Drop Beat durch eine Betonung der dritten Zählzeit aus, während die erste Zählzeit eher überspielt wird.
„No Woman No Cry“
Der Bob Marley-Klassiker „No Woman No Cry“ ist ein tolles Beispiel für den One Drop Beat. Carlton spielt hier die Bassdrum zusammen mit einem Rimclick auf der dritten Zählzeit. Dazu markiert er mit der Hi-Hat die zweite und vierte Zählzeit sowie das geschwungene Achtel-Feel.
„Get Up Stand Up“
Im Falle von „Get Up Stand Up“ haben wir es mit einer weiteren Variation des One Drop Beats zu tun. Weiterhin spielt Carlton hier die Bassdrum zusammen mit einem Rimclick auf der dritten Zählzeit. Die Hi-Hat spielt er mit einem Pattern, das dem typischen Jazz-Ride-Pattern gleichkommt. Obendrein öffnet er die Hi-Hat jeweils auf der ersten Zählzeit und schließt sie gleich auf der nächsten Achtel wieder. Im vierten Takt des folgenden Notenbeispiels seht ihr noch eine typische Variation des Rimclicks, den Carlton dann und wann statt auf „3“ mal auf „1“, „2+“ und „4+“ setzt und somit die Bassdrum auf „3“ umspielt.
Variation des One Drop Beats: „I Shot The Sheriff“
Dieser Song ist nicht nur ein schnellerer, sondern auch ein tolles Beispiel dafür, dass die Bassdrum des One Drop Beats gewiss nicht dogmatisch auf der dritten Zählzeit gespielt werden muss. Wie hier gut zu erkennen, markiert Carlton auch mal die „4“ oder gar die „1“, was sein Spiel auflockert. Auch die Hi-Hat spielt er in diesem Beispiel merklich intuitiver und abwechslungsreicher.
„Jamming“
Der Beat zu „Jamming“ besitzt zwar weiterhin eine Betonung der dritten Zählzeit, hat jedoch durch die pulsierende Bassdrum einen ganz eigenen Charakter. Dazu kommen in diesem Beispiel vermehrt Rimclick-Variationen zum Tragen, die sich um den Viertelpuls schlängeln.
Im Folgenden schauen wir uns ein paar Hi-Hat Variationen an, für die Carlton Barrett populär geworden ist.
„Young Generation Dub“ (King Tubby)
Zwar nicht von Bob Marley, jedoch mit Carlton Barrett am Schlagzeug, ist „Young Generation Dub“ von und mit King Tubby ein geeignetes Beispiel für Carltons virtuoses Hi-Hat-Spiel. Innerhalb der ersten 16 Takte pendelt er fließend zwischen Triolen, Sechzehnteln, leisen Schlägen und Akzenten und bleibt dabei konstant und scheinbar mühelos im Groove.
Typische Fill-ins, die bei Bob Marley zum Einsatz kommen
Nach dem wir uns bis hierher einige Beispiele zu Carltons grandioser Groove-Ästhetik angeschaut haben, kommen wir nun auf seine wunderbaren Fill-ins zu sprechen, die ihr in so manch vorausgegangenem Beispiel bereits gehört habt. Wie im Falle seines Hi-Hat-Spiels, bewegt sich Carlton auch bei seinen Fill-ins fließend zwischen Achteln, Achteltriolen und Sechzehnteln. Besonders oft spielt er eine Art Variation eines Three-Stroke-Ruff, bei dem er die zweite Triole mit einem Doppelschlag in der rechten, gefolgt von einem Einzelschlag in der linken Hand und schließlich einem Akzent in der rechten Hand spielt.
„Get Up Stand Up (Live)“
Das Intro des in diesem Workshop eingangs verlinkten Live-Videos zu „Get Up Stand Up“ ist ein eindrucksvolles Beispiel für Carltons Virtuosität abseits seines Groove-Spiels. Das achttaktige Intro ist geradezu vollgepackt mit der oben beschriebenen Three-Stroke-Ruff-Variation. Im achten Takt, der schließlich in den Vers-Beat überleitet, bricht Carlton kurz mit dem Triolen-Feel, indem er für einen Takt in Sechzehnteln phrasiert.
„Coming In From The Cold“
„Coming In From The Cold“ von Bob Marleys letztem Studioalbum „Uprising“ leitet Carlton mit einem zweitaktigen Fill-in ein, das ebenfalls verschiedene Notenwerte kombiniert. Er beginnt auf der dritten Zählzeit mit drei Vierteltriolen, die er auf Snare und erstem Tom verteilt. Im zweiten Takt spielt er daraufhin gerade Achtel auf dem zweiten und dritten Tom und beendet das Ganze schließlich mit einem Crash, zusammen mit der Snare auf der vierten Zählzeit.
Andere Carlton Barrett Beats
Abschließend möchten wir euch noch zwei Beispiele zeigen, die eine andere Facette in Carltons Drumming zeigen. Neben seinen berühmten One Drop Beats kamen nämlich auch mal Funk- und Soul-artige Beats zum Tragen!
„Them Belly Full (But We Hungry)“
Dies ist einer der wenigen Songs, bei denen Carlton nicht nur als Drummer, sondern auch als Komponist zum Einsatz kam. Das achttaktige Intro spielt er in einem aus heutiger Sicht Hip-Hop-artigen Feel, mit einer deutlichen Betonung der ersten und dritten Zählzeit. Ergänzend spielt er hier eine Vielzahl an verschiedensten Fill-ins.
„Could You Be Loved“
„Could You Be Loved“ unterscheidet sich von anderen Bob Marley-Hits vor allem durch seinen stoischen, Soul-artigen Beat, der auch ohne Umschweife einem Al Green-Song entstammen könnte. Das gilt auch für die Art des Snare-Tunings, das im Vergleich zu anderen Beispielen aus Carltons Drumming relativ tief gehalten ist.
Ich wünsche euch viel Spaß beim Anhören und Nachspielen der Soundfiles.
Bis zum nächsten Mal! Jonas