PRAXIS
Solo-Synthesizer
Die Synthesizer-Sektion des XW-P1 baut auf mehreren Standbeinen auf. Beginnen wir mit der Solo-Synth-Abteilung. In diesem Modus ist der XW-P1 ein monophoner Lead- und Bass-Synth mit bis zu 6 Oszillatoren bzw. Klangquellen (nicht zu verwechseln mit der Hex-Layer-Funktion, zu der wir noch kommen werden). Zunächst stehen 2 virtuelle Synth-Oszillatoren zur Verfügung, die jeweils eine von 311 Synth-Wellenformen erzeugen können. Darunter sind neben den Standards Sinus, Dreieck, Sägezahn, Rechteck und PWM auch etliche Wellenformen, die mit Namen wie “OB Saw” oder “JP Square” an historische Größen der Analog-Ära erinnern. Variationen der Standard-Wellenformen sind also im Überfluss vorhanden. Es folgen 2 PCM-Oszillatoren, die jeweils einen von 2.135 (!) Sample-Sounds liefern können. Der fünfte Baustein ist ein Noise Generator.
Schließlich ist auch die Verwendung eines externen Signals vom Mic- oder Inst-Eingang als Baustein eines Solo-Synth-Klangs möglich, wobei ein den Eingängen nachgeschalteter Pitch-Shifter zum Einsatz kommen kann. Alle diese sechs Elemente verfügen über eigene, einfache Tiefpassfilter ohne Resonanz, eigene VCAs sowie über Pitch-, Filter- und Amp-Hüllkurven. Das kombinierte Signal der bis zu sechs Klangquellen durchläuft dann ein weiteres Filter. Dieses bietet die Typen Tiefpass, Bandpass und Hochpass und ist resonanzfähig. Auch hierfür steht eine Hüllkurve zur Verfügung. Zwei globale LFOs, die sowohl auf verschiedene Parameter der einzelnen Blöcke als auch auf das Master-Filter wirken können, sowie ein DSP-Effekt runden die Ausstattung ab. Damit ist der XW-P1 mit einer unerwartet umfangreichen Synth-Architektur ausgestattet, die für einige interessante Sounds gut sein sollte. Für einen Synth in dieser Preisklasse sind die Möglichkeiten jedenfalls bemerkenswert. Und in der Tat: Unter den 100 Presets für den Solo-Synth-Modus finden sich zahlreiche gut verwendbare Klänge. Für Eigenkreationen stehen weitere 100 Speicherplätze zur Verfügung. Druckvolle Bässe kann der XW-P1 genauso liefern wie durchsetzungsfähige Lead-Sounds. Der Klangcharakter tendiert dabei leicht in die Richtung “drahtig-metallisch”. Klar, der XW-P1 ist kein virtuell-analoger Synth und möchte es auch gar nicht sein. Dennoch kann die Solo-Synth-Abteilung aktuelle und konkurrenzfähige Sounds hervorbringen. Schade, dass diese Sektion nur monophon arbeitet, denn sie ist für mich das Highlight des XW-P1. Hier hört ihr einige Beispiele:
PCM-Klänge
Weiter geht’s mit der PCM-Sektion, in der die PCM-Wellen auch polyphon spielbar sind. Hier stehen 400 Presets und 100 User-Speicherplätze zur Verfügung. Allerdings lassen sich nur veränderte Werkspresets abspeichern – eine freie Auswahl aus den insgesamt über 2.000 PCM-Wellenformen gibt es hier also nicht. Außerdem beinhaltet die Sektion 20 Drumsets und 10 User-Kits. Die PCM-Klänge bieten im Vergleich zur Solo-Synth-Sektion nur wenige Einstellmöglichkeiten. Darunter ist eine einfache Amp-Hüllkurve (Attack und Release) und der Filter-Cutoff (ohne Resonanz). Beim Ausprobieren der Werks-Presets wird klar, dass diese Klänge eher als Beigabe zu verstehen sind. Zwar kann der XW-P1 dank der PCM-Wellenformen zum Beispiel auch Klavier-, Gitarren- und Streichersounds erzeugen, aber klanglich können diese nicht in der Profiliga mitspielen. Viele der “akustischen” Instrumente kommen recht flach und eindimensional daher und lassen Tiefgang und Ausdruckskraft vermissen. Die Samples sind kurz geloopt und bewegen sich leider auf dem Niveau von Einsteiger-Keyboards. Auch die Drumkits klingen etwas steril und wenig kraftvoll, was sich vor allem in den Sequenzer-Patterns bemerkbar macht. Zwar wird niemand bei einem Gerät in dieser Preisklasse Klänge erwarten, die sich mit aktuellen High-End-Workstations messen können. Aber vielleicht hätte Casio die Anzahl der PCM-Sounds halbieren und stattdessen mehr Augenmerk auf die Qualität legen sollen. Dennoch gibt es auch in der PCM-Abteilung natürlich einige Lichtblicke – vor allem bei den Synth-Pads.
Hex Layer
Hinter dem “Hex Layer” genannten Modus verbirgt sich eine Funktion, die bis zu sechs PCM-Sounds übereinander schichten kann. Das Ganze ist also bei genauerer Betrachtung keine “Hex”-erei. Trotzdem eröffnen sich damit interessante Klangwelten.
Für jeden der sechs Layer lässt sich einer von 788 PCM-Klängen auswählen. Weiterhin stehen für jede Schicht eine ADSR-Amp-Hüllkurve, ein einfaches Lowpass-Filter ohne Resonanz und individuelle Chorus- und Reverb-Sends zur Verfügung. Auch lassen sich Tastatur- und Velocity-Bereich für jeden Layer getrennt einstellen, sodass der Hex-Layer-Modus auch zur Erstellung von Split-Sounds taugt. Die Lautstärke der einzelnen Layer kann während des Spielens mit den Fadern justiert werden, was dynamische Performances ermöglicht. Allerdings fällt es einem dabei immer wieder auf die Füße, dass sich die Fader die Werte nicht elegant “abholen”, sondern sofort einen Lautstärkesprung auslösen, wenn die Faderstellung nicht mit dem voreingestellen Wert übereinstimmt. Für das gesamte Gebilde aus bis zu sechs Schichten stehen ein Amp- und ein Pitch-LFO zur Verfügung. Außerdem gibt es eine interessante Detune-Funktion, die die Stimmung der einzelnen Layer automatisch gegeneinander verschieben kann. So kann man im Handumdrehen fette Unisono-Sounds kreieren. Leider gibt es im Hex-Layer-Modus weder auf der Layer-Ebene noch für den Gesamtklang ein resonanzfähiges Filter, was angesichts der ansonsten sehr vielseitigen klanglichen Möglichkeiten mehr als schade ist.
Hier hört ihr einige Beispiele für Hex-Layer-Sounds. Zum Teil habe ich während des Spielens das Verhältnis der einzelnen Schichten verändert und am Detune-Parameter gedreht.
Zugriegelorgel
Zusätzlich zu den beschriebenen Synth-Sektionen besitzt der XW-P1 eine Drawbar-Orgel-Emulation mitsamt Keyclick, Percussion und Leslie-Effekt. Zur Steuerung der Zugriegel kommen die neun Fader zum Einsatz. Mittels der drei Buttons linkerhand der Fader lässt sich die Rotorgeschwindigkeit wechseln und die Percussion aktivieren. Alle weiteren Einstellungen, etwa die Decay-Zeit der Percussion, die Rotor-An- und Abschwellzeiten und der Overdrive, werden mittels der programmierbaren Regler oder in einem gesonderten Menü vorgenommen. Die Orgel ist natürlich eine willkommene Ergänzung und lässt sich in erfreulich vielen Parametern einstellen. Der Grundklang geht für ein so günstiges Instrument durchaus in Ordnung. Leider sind die Fader für eine genaue Kontrolle der Zugriegel schlicht zu kurz und reagieren mit Verzögerung. Außerdem tritt beim gleichzeitigen Bewegen mehrerer Fader ein unerfreulicher Effekt auf: Wenn man mehrere Zugriegel simultan bewegt und währenddessen eine Note spielt, erklingt diese erst mit deutlicher Verspätung. Weitere Abstriche muss man bei den orgeltypischen Effekten machen. Die Leslie-Simulation und vor allem der Overdrive sind klanglich nicht auf der Höhe der Zeit und entlarven den XW-P1 auf Anhieb als Digitalsynth.
Step-Sequenzer
Der Step-Sequenzer des XW-P1 kann seine Herkunft nicht verleugnen: Mit seinen neun Parts, die ganze Begleitpatterns multitimbral abspielen können, hat er das Arranger-Gen. Der Sequenzer ist eine Art Mini-Begleitautomatik, die sich von ihren Kolleginnen bei den Arranger-Keyboards nur dadurch unterscheidet, dass sie die Patterns nicht musikalisch an gespielte Akkorde anpassen, sondern nur transponieren kann. Davon abgesehen erinnert alles an typische Arranger-Keyboards. Es gibt getrennte Spuren für verschiedene Drum- und Percussion-Spuren, Bass, Akkorde, etc., sowie vier Steuerspuren. Patterns lassen sich verketten und zu einem Song zusammenstellen. Der Sequenzer kann auch zur MIDI-Clock synchronisiert werden. Zur Mischung der einzelnen Spuren gibt es eine eigene Mixer-Displayseite.
Die Eingabe von Noten kann entweder mit den Step-Sequenzer-Tasten oberhalb der Fader erfolgen, was sich besonders für Drums anbietet, oder über die Tastatur. Dabei stehen zahlreiche einstellbare Parameter wie Timing und Anschlagstärke zur Verfügung. Auch Controllerbewegungen kann der Sequenzer aufzeichnen. So lassen sich komplette Begleitpatterns kreieren, zu denen man dann auf der Tastatur jammen kann. Zur Echtzeit-Transposition der Patterns dient die Funktion “Key Shift”. Als Startpunkt besitzt der XW-P1 100 Preset-Sequenzen, die jeweils über acht Variationen verfügen. Zusätzlich lassen sich 100 User-Sequenzen speichern.
Unter den voreingestellten Patterns gibt es viele, die Spaß machen und zum Improvisieren einladen. Dass der Sound der Begleitungen häufig nicht so richtig druckvoll rüberkommt, ist nicht dem Sequenzer anzulasten, sondern liegt an der bereits erwähnten mäßigen Qualität der PCM-Samples. Hier hört ihr zwei Beispiel-Patterns, bei denen ich auch von der “Key Shift”-Funktion Gebrauch gemacht habe:
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Arpeggiator und Phrasen-Sequenzer
Auch der live auf der Tastatur gespielte Part kann “automatisiert” werden. Hierfür gibt es einen Arpeggiator und einen Phrasen-Sequenzer. Der Arpeggiator bietet 100 Preset-Patterns und weitere 100 User-Speicherplätze. Unter den voreingestellten Sequenzen sind nicht nur klassische Synth-Arpeggios, sondern auch ganze Basslines und Gitarrenfiguren. Der Arpeggiator verfügt über eine Hold-Funktion und kann selbstverständlich ebenfalls synchronisiert werden. Der Phrasen-Sequenzer ermöglicht es, “on the fly” eine Phrase aufzunehmen und sie dann mit einem einfachen Tastendruck auch transponiert wieder abzuspielen.
Performance-Modus
Im Performance-Modus können bis zu vier Klänge gleichzeitig auf der Tastatur gespielt werden, wobei Split- und Layer-Setups möglich sind. Allerdings kann dabei nur der erste Part alle Möglichkeiten der Klangerzeugung ausschöpfen – die übrigen drei Parts müssen mit einfachen PCM-Klängen auskommen. Zusätzlich arbeitet der Modus wie ein Registrierungs-Speicher. In einer Performance wird das gesamte Setup des Instruments, inklusive Sequenzer- und Arpeggiator-Einstellungen gesichert. Dadurch wird es möglich, auf der Bühne sehr schnell zwischen Einstellungen zu wechseln.
Bedienung
Für ein Instrument in der 500-Euro-Klasse bietet der XW-P1 eine Fülle von Möglichkeiten. Die Ausstattung des Synths mit verschiedenen Klangerzeugungs-Modi, mehreren Sequenzern und einem Arpeggiator macht das Gerät ziemlich komplex, und wer noch nie mit einem Synthesizer zu tun hatte, wird möglicherweise zunächst den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen. Leider ist es Casio nicht gelungen, ein wirklich intuitives und benutzerfreundliches Instrument zu bauen. Gerade für Einsteiger ist die Struktur des Synths zunächst wohl nur schwer zu durchblicken. Der XW-P1 verwirrt mit mehrfach belegten Buttons, verschiedenen Spielmodi und einer etwas konfus angeordneten Bedienoberfläche. Für viele Einstellungen muss man in Menüs abtauchen. Klar – nach einiger Zeit gehen die Abläufe flott von der Hand. Da sich das Instrument mit seinem günstigen Preis auch und vor allem an Einsteiger wendet, hätten die Architektur des Synths und das Bedienkonzept allerdings gern etwas geradliniger und simpler ausfallen dürfen.
Eine gut geschriebene, klar strukturierte Bedienungsanleitung hätte hier Abhilfe geschaffen. Leider trägt das deutsche Handbuch zum XW-P1 aber nicht gerade zum Verständnis bei. Zwar gibt es einen “Schnellkurs” für Einsteiger, aber insgesamt ist die Anleitung aus einem sehr technischen Blickwinkel verfasst und stellenweise auch miserabel übersetzt. Ich zitiere aus dem Abschnitt über das Speichern von Effekteinstellungen:
Ich habe bei Casio nachgefragt, ob es sich bei dem Handbuch zu dem getesteten Vorseriengerät um einen Vorabdruck handelt. Nein, das ist die finale Version. Wer noch nie einen Synthesizer bedient hat, könnte an dieser Anleitung verzweifeln. Das haben andere Hersteller schon deutlich besser gemacht.