Praxis
Ohne Studium der englischsprachigen Vollanleitung bekommt man beim XW-PD1 keinen Fuß auf den Boden. Nach zwei Nachmittagen akribischen Handbuchstudiums verstehe ich zumindest das Grundkonzept: Oberste Hierarchie-Ebene ist die Sequenz. Sie enthält vier Pattern-Groups, die wiederum aus sechzehn Pattern wählbarer Länge bestehen. Jedes Pattern kann aus vier sogenannten Banks gebildet werden, wobei Part eigentlich der treffendere Ausdruck wäre. Jede dieser vier Banks agiert wahlweise im Drum-, Melody-, Synth- oder User-Sample-Modus – im Casio-Sprech wird das dann Padset Type genannt. Um in die verschiedenen Programmier- und Sound-Modi zu gelangen, nutze ich die praktischerweise beleuchteten Funktionstasten am linken Ende des Geräts. Aber schon bei Eingabe eines Wertes mit dem Value-Poti wird es zäh: Es arbeitet inkrementell, allerdings ohne Auf-Null-Zurückspring-Mechanik. Möchte ich also einen bestimmten Parameterwert erreichen, muss ich tunlichst zuvor abbremsen und versuchen, wieder in den Bereich der Nullrasterung zu kommen, was sich in der Praxis als ausgesprochen schwammig erweist.
Man gewöhnt sich also besser an die Parametereingabe über die Drumpads, bei denen die Tasten 11 und 12 mit den Funktionen +/- belegt sind. Warum man dazu nicht die viel besser in Griffweite liegenden Tasten 3 und 4 gewählt hat, bleibt mir ein Rätsel. Editiervorgänge und Lauflichtprogrammierung erledige ich über das 16-segmentige Kreisrund. Das lässt sich dank der zweifarbigen Hintergrundbeleuchtung gut und zielgerichtet bedienen. Beim Auslösen von Slice- und Stotter-Effekten macht es richtig Laune, damit zu arbeiten. Zumal alles in Echtzeit auch auf externe Audioquellen angewandt werden kann, die via Mikrofon oder Line-In angeschlossen sind. Wünschenswert wäre allerdings eine Quantisierung des Effekts, da es meistens sehr zufällig ist, an welcher Stelle man ihn abwirft.
Einen weitaus besseren Blick auf die Interna des XW-PD1 gibt die auf der Casio-Seite downloadbare Editor-Software für OS X und Windows. Sie verströmt zwar etwas hemdsärmeligen Windows-95-Charme, dürfte aber an vielen Stellen die bessere Wahl zur Programmierung des Trackformers sein. Erst mit ihr beginne ich zu begreifen, wie mächtig der Casio eigentlich ist und was hier an Algorithmen-Power aufgrund Unbedienbarkeit verborgen liegt. Wirklich schade.
So stellt sich erst im Editor dar, dass der XW-PD1 neben den zweihundert internen Effektprogrammen weitere zweihundert für den Benutzer bereithält. Und die sind bis ins Detail editierbar. Vier getrennte Effektblöcke können pro Programm frei mit den Modulen Filter, Tremolo, Flanger, Gater, PitchShifter, Distortion, Crusher, Ringmodulator und Noise Generator bestückt werden, wobei die Parameter jedes Moduls umfassend modifizierbar sind. Auch die Belegung der beiden FX-Potis und des Crossfaders mit ausgewählten Parametern ist möglich. Plötzlich entdecke ich auch, dass ich die Pads eines Drumpad-Sets frei mit Sounds, Phrasen, User-Samples und jedem der 200 Effekte (!) versehen darf. Was für Möglichkeiten – und alle hinter dem gerade mal dreistelligen alphanumerischen Display verborgen! Nicht weniger als 250 Synthesizerklänge und 723 Drumsamples befinden sich im Speicher, aus denen aber nur 15 Factory-Drumsets gebildet wurden. Verstehe einer die Welt.
Was mit ausufernder Programmierung an Glitch-Beats so machbar ist, zeigt dieses kleine Beispiel ganz gut und dabei verwende ich nur einen einzigen der vier möglichen Parts:
Bei der Arbeit mit dem Editor überkommt mich eine gewisse nostalgische Begeisterung: Ja, so habe ich in den späten achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts auch Musik gemacht und ich beginne mir vorzustellen, am XW-PD1 mit den ohnehin etwas oldschoolig klingenden Drums einige Pattern zu programmieren, um sie dann bei Live-Acts oder DJ-Sets dazu zu mischen. Dann fällt mir ein: Er hat ja gar keine DIN-MIDI-Buchsen, der kleine Casio. Wird also nix mit MIDI-Sync.
Kommen wir zum Thema Sampling. Als Quelle können der Mikrofoneingang und/oder der Line-In herangezogen werden. Aufgenommen werden wahlweise drei oder neun Sekunden oder eine festgelegte Dauer von Beats (1 – 16). Aufnahmen erfolgen in Mono, der Speicher fasst ungefähr 36 Sekunden (12 kurze oder vier lange Samples). Drücken der Record-Taste aktiviert die Aufnahme, erneutes Drücken stoppt sie. Danach weist man das Sample einem Einzelpad zu oder nutzt es als tonal spielbaren Sound auf allen Pads. Besonders an die Qualität des Mikrofoneingangs sollte man keine überhöhten Erwartungen stellen – für Live-Effekte und Performances reicht es, Studioqualität ist es nicht.
Stellt sich die Frage nach dem Sounds. Das riesige Klangrepertoire bietet solide Basisklänge, die eher durch einen leicht mittenlastigen Retro/Oldschool-Charme als durch hightechige Brillanz oder Komplexität glänzen. Überhaupt klingt der XW-PD1 eher verhalten, daran ändern auch der integrierte Vierband-Equalizer und Maximizer nichts. Entsprechend wirken all die Demo-Songs halbgar, die moderne, ultraknackige EDM- oder Dubstep-Produktionen präsentieren sollen. Erstaunt war ich über die sehr unterschiedliche Qualität der Sequenzen – das Team war offenkundig nicht durchgehend inspiriert.
Anders sieht es bei HipHop- oder Glitch-Sachen aus, denn hier entwickelt der leichte Trash-Faktor eine ganz eigene Dynamik und der raue, ungeschliffene Charakter erinnert an eine Oldschool-Maschine. Wer mit seiner Musik in diesem Bereich angesiedelt ist, könnte durchaus Gefallen am rüpeligen Sound des XW-PD1 finden. Gerade in Verbindung mit den oft etwas unsauberen Effekten entwickelt der Trackformer eine eigene Ästhetik, die, wenn die Algorithmen an ihre Grenzen kommen, durchaus spannend ist. Ob sich die Entwickler das allerdings so gedacht haben…