Celemony Melodyne 5 Studio Test

Praxis

Vorab

Ich verwende Melodyne seit weit mehr als 15 Jahren im Studioalltag und habe auch mit den mir zum Test zur Verfügung stehenden Beta-Versionen von Melodyne Studio 5 keine Probleme bei der Stabilität und Zuverlässigkeit des Programms gehabt. 
Die meiste Zeit verwende ich Melodyne als Plugin in Pro Tools, aber auch die Stand-alone-Version kam während dieses Tests häufiger zum Einsatz. In beiden Applikationen läuft Melodyne seit Jahren störungsfrei und vollkommen zufriedenstellend.

Melodyne in Logic – Probleme bis Logic 10.4.4

Obwohl ich auch Logic Pro X von Apple im Studio verwende, benutze ich Melodyne mit diesem Programm lieber nicht. Im vergangenen Jahr habe ich nämlich unangenehme Bekanntschaft mit der ARA-Implementation in Logic gemacht. Denn offensichtlich hatte Apple zwischen Logic Pro X 10.4 bis zur ersten Version, die mindestens Mac OS 10.13 voraussetzte (Logic Pro X 10.4.5), noch keine konsistent stabile ARA-Implementation.
Wie ich zu dieser Aussage komme? Weil ich einen Bug entdeckt habe, der recht ärgerlich ist, wenn man Logic-Projekte zwischen mehreren Rechnern mit unterschiedlichen Logic-Versionen hin und her wandern lässt: Wird ein Logic-Projekt mit Melodyne-ARA-Spuren von Logic Pro X 10.4.5 oder neuer an einen Rechner übergeben, der noch mit Mac OS 10.12. und einer Logic-Version vor 10.4.5 arbeitet, sind alle Melodyne-Edits weg. Es gibt keine Fehlermeldung oder ähnliches und es sieht so aus, als wäre alles in Ordnung – die mit Melodyne vorgenommenen Optimierungen sind aber weg.
Da dieser Fehler nicht offensichtlich ist, kann man ihn auch leicht übersehen. Er kann sich aber drastisch auswirken: Wer selbst mit Melodyne arbeitet und vielleicht in einem Song nicht nur die Lead Vocals sondern auch umfangreiche Backing Vocals getuned und optimiert hat, wird wissen, wie viele Stunden Arbeit in so einem Projekt stecken können. Verhindern lässt sich der Datenverlust nur, indem man die Melodyne-Instanzen des Projekts vor der Übergabe an das ältere System über „Bounce in Place“ endgültig macht.

Die ersten Versionen der Logic-ARA-Implementation sind nicht mehr mit denen ab Logic Pro X 10.4.5 kompatibel.
Die ersten Versionen der Logic-ARA-Implementation sind nicht mehr mit denen ab Logic Pro X 10.4.5 kompatibel.

Um es noch einmal deutlich zu sagen: Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass diese Probleme von Melodyne ausgehen. Es wirkt vielmehr so, als hätte Apple an der ARA-Integration noch ein bisschen üben müssen. Mit den Versionen 10.4.5 oder höher treten diese Probleme nicht mehr auf. Zum neuen Logic 10.5 kann ich noch keine Aussage treffen, da diese Software erst wenige Tage vor der Fertigstellung dieses Testberichts ausgeliefert wurde.

Die neuen Funktionen im täglichen Einsatz  

Ich habe während der einmonatigen Testphase mit verschiedenen Beta-Versionen von Melodyne 5 Studio gearbeitet. Fehler oder Fehlfunktionen, die die neu implementierte oder andere Funktionen betreffen, sind mir nicht aufgefallen. Manches hat in der Praxis nur etwas anders reagiert, als ich es mir vorher vorgestellt habe. Zum Beispiel bei der Sibilantenbalance: Wie oben erwähnt sind die Sibilanten in vielen gesprochenen oder gesungenen Worten keine komplett isolierbaren Elemente, sondern mit den Vokalen über eine Art Crossfade sehr eng verbunden. Das setzt der Bearbeitung natürliche Grenzen: So stößt man ähnlich wie bei einem DeEsser ab einer bestimmten Absenkung der S-Laute an die Grenzen des natürlich wirkenden Klangs.
Im folgenden Klangbeispiel gibt es drei kurze Sprachabschnitte mit reduzierten S-Lauten: Zuerst hört ihr jeweils Melodyne 5 mit reduzierten Sibilanten um ca. -30 Prozent, dann den Pro Tools DeEsser optimiert eingestellt und dann Melodyne 5 mit übertriebenen Einstellungen (ca. -75 Prozent Sibilanten):
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S-Laute

Und auch bei anderen Konsonanten ist es nicht immer einfach, natürlich klingende Ergebnisse zu erzielen, wenn man sie gezielt anhebt oder absenkt. Die Möglichkeiten zum Sounddesign mit dem Sibilantenwerkzeug sind eine nette Zugabe, werden bei mir im Alltag aber vermutlich nur eine untergeordnete Rolle spielen. Am stärksten hilft die Sibilanterkennung, um die Natürlichkeit einer Gesangsstimme beim Tuning und Transposing zu erhalten, da die stimmlosen Konsonanten und Atemgeräusche nicht mitgetuned werden. Besonders in Verbindung mit der veränderten, musikalisch gewichteten Berechnung des Tonhöhenschwerpunkts wird das Tuning in Melodyne 5 so erheblich vereinfacht. Egal, ob man die Blobs per Doppelklick oder über das Tonhöhenmakro „mal eben“ schnell korrigiert, die Ergebnisse klingen mit erheblich weniger Aufwand besser als vorher. Dieses Maß an Arbeitserleichterung ist nicht zu unterschätzen. Dazu ein Beispiel: Während ich für das Tuning der Lead Vocals eines dreieinhalb minütigen Popsongs mit Melodyne 4 mehrere Stunden benötigte, reichen jetzt in der Regel 30 Minuten. Die meiste Zeit der 30 Minuten verwende ich jetzt auf kritische Passagen, bei denen ich mir über das richtige Maß an Tuning Gedanken mache.  
Melodyne ist durch die Sibilantenerkennung und den geänderten Tonhöhenschwerpunkt viel einfacher zu bedienen und führt auch bei weniger geübten Anwendern schnell zum richtigen Ergebnis. Das ist für mich wirklich die größte Verbesserung in Melodyne 5!
Ein weiteres Highlight von Melodyne 5 ist die Akkorderkennung mit Akkordspur in Verbindung mit dem Akkordraster. 

Wenn Akkord als Raster ausgewählt ist, sind jeweils nur die Töne weiß markiert, die zum Akkord gehören.
Wenn Akkord als Raster ausgewählt ist, sind jeweils nur die Töne weiß markiert, die zum Akkord gehören.

Dazu wieder ein praktisches Beispiel: Ich habe eine Akkordfolge aufgenommen und Melodyne hat die Akkorde erkannt. Jetzt füge ich meinem Track einen musikalisch eintaktigen Loop eines anderen Instruments hinzu, den ich über die Länge der Akkordfolge wiedergebe. Der Loop passt an manchen Stellen der Akkordfolge, an vielen aber auch nicht. Wenn ich in Melodyne für das Einrasten der Noten das Akkordraster eingestellt habe, rutschen nach einem Doppelklick auf alle Blobs des Loops die Noten auf solche Töne, die zum aktuellen Akkord passen. So passt sich der Loop dem jeweiligen Akkord an und ist seiner Eintönigkeit beraubt. 
Zunächst hören wir das Klangbeispiel mit unbearbeiteten Gitarren- und Bass-Loops, die nur zum Teil zu den Akkorden des E-Pianos passen. Im zweiten Beispiel wurden beide Instrumente nach der oben genannten Methode mit Melodyne 5 bearbeitet. Im dritten Beispiel wurde das Ganze mit ein paar Loops von akustischen Gitarren verziert.
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unbearbeitetes Klangbeispiel bearbeitet Instrumente + Loops

Das Akkordraster kann aber auch beim Arrangieren mehrstimmiger Klänge wie Chöre oder Bläsersätze eine äußerst hilfreiche Orientierung bieten. Mir gefällt besonders, dass Melodyne 5 mich bei allen Fragen unterstützt, die meine musikalische Umgebung betreffen: Was spielen die anderen Spuren? In welcher Tonart spielen wir? Auf welchem Akkord bewegen wir uns gerade? Auf Grundlage dieser, jetzt immer direkt sichtbaren Parameter habe ich einen besseren Überblick und komme somit schneller zu den richtigen Entscheidungen. Und selbstverständlich kann ich mich auch bewusst anders verhalten und einen akkord- oder gar skalenfremden Ton auf einer Spur verwenden. Melodyne macht mir Vorschläge, ich entscheide aber selbst.
 

Im Bild sehe ich die Akkordspur in Orange, den Bass in Grau und das Timing im 16tel-Raster sowie Tonart und Akkorde in den oberen Zeilen
Im Bild sehe ich die Akkordspur in Orange, den Bass in Grau und das Timing im 16tel-Raster sowie Tonart und Akkorde in den oberen Zeilen

Die Akkorderkennung kann man zum Beispiel auch benutzen, um die tonale Struktur eines Songs von anderen Komponisten schnell zu durchdringen. Ein Leadsheet ist dann schnell erstellt. Das deutlich verbesserte Akkord-Handling ist für mich Highlight Nummer zwei von Melodyne 5!
Die weiteren Neuerungen sind hilfreich und praktisch, werden aber in meinem „Melodyne-Alltag“ eher eine geringere Bedeutung haben: Dazu gehört zum Beispiel das Fade-Werkzeug, mit dem sich Blobs ein- oder ausblenden lassen. Da ich in der Praxis ausschließlich mit der Plugin-Version von Melodyne arbeite, mache ich meine Fades in aller Regel mit der DAW. Ich vergleiche das Tool mit dem Laustärkewerkzeug, das ja schon immer in Melodyne zur Verfügung steht: Ich benutze es selten, möchte aber auch nicht darauf verzichten. So ähnlich geht es mir auch mit dem Levelling-Makro, das ähnlich wie das Pitch- und das Timing-Makro eine Möglichkeit bietet, mit wenigen Mausklicks die Dynamik einer Performance zu beeinflussen.

Mit wenigen Mausklicks lassen sich die Dynamik einer Performance optimieren
Mit wenigen Mausklicks lassen sich die Dynamik einer Performance optimieren

Die leisen Noten können lauter und die lauten leiser geregelt werden. In meinem Alltag habe ich dieses Makro bisher nicht vermisst, weil ich nur gelegentlich einzelne Blobs in der Lautstärke verändere. Für eine schnelle Dynamikbearbeitung mehrerer Chorstimmen oder andere Instrumente kann das Makro ganz hilfreich sein, präziser ist man natürlich mit einer manuellen Bearbeitung einzelner Noten. Die Makros sind für den Modus schnell „mal eben“ perfekt. Durch das Levelling-Makro können jetzt alle drei Dimensionen einer Note schnell beeinflusst werden: Tonhöhe, Timing und Lautstärke/Level. 

Auch der neue Algorithmus „perkussiv tonal“ ist sehr praktisch, wenn man mit Percussionklängen arbeitet, die einen tonalen Anteil haben, wie eine 808-Kick oder zur Tonart gestimmte Toms des Drumsets. Man kann die Klänge anders stimmen und sogar die geräuschhaften Anteile (Sibilanten) getrennt bearbeiten, wenn man diese Funktion einschaltet. Ich persönlich habe diesen Algorithmus bisher nicht vermisst, freue mich aber, dass Melodyne noch mehr Material sachgerecht behandeln kann.
Mir fehlt leider immer noch ein spezieller Gitarrenalgorithmus, der polyphon gespielte Strumming-Patterns artefaktfrei behandelt. Denn wenn ich eine Schwäche in Melodyne benennen soll, dann sind es die leicht verschliffenen Attacks bei solchen Gitarrenspuren. In dichten Playbacks fällt das nicht unbedingt auf, aber ich hätte es trotzdem gerne perfekt. Im folgenden Klangbeispiel hört man in den ersten beiden Takten die unbearbeitete Gitarre mit knackigen Attacks, die beiden folgenden Takte sind Mit Melodyne bearbeitet und klingen verschliffen. 

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Vorher/Nachher – Acoustic Guitar
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Profilbild von Dirk Kessler

Dirk Kessler sagt:

#1 - 23.09.2020 um 18:53 Uhr

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Einen solchen Test zu machen, ohne jeglichen Querverweis bzw. Vergleich von Workflow, Funktionen und die Qualität der Ergebnisse mit anderen Platzhirschen (wie z.B. Revoice), finde ich sehr strange und wird den Lesern, die vor einer Kaufentscheidung stehen, nicht wirklich zusätzlich helfen.
Man fragt sich, aus welchen Gründen so etwas unterbleibt.

    Profilbild von Felix Klostermann

    Felix Klostermann sagt:

    #1.1 - 24.09.2020 um 17:24 Uhr

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    Hallo Dirk Kessler, einen kleinen Vergleich findest du hier: https://www.bonedo.de/artik...sowie noch mehr über Melodyne hier:
    https://www.bonedo.de/artik...LG;
    felix

    Antwort auf #1 von Dirk Kessler

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