Praxis
Üppige Palette an Klangoptionen
Aufgrund der recht übersichtlichen Parametrisierung sollte man eigentlich davon ausgehen, dass der Einsatz und die klanglichen Möglichkeiten des Chandler Ltd. EMI RS124 sich relativ leicht überschauen lassen dürften. Überraschenderweise ist das aber nicht so. Zum einen verbirgt sich hinter der Handvoll Bedienelementen eine ziemlich üppige Palette an Klangoptionen, zum anderen reagiert das Gerät bisweilen etwas unerwartet. Ich bin selten einem so speziellen Kompressor begegnet, es handelt sich hier um ein ausgewachsenes Charaktertier mit extrem deutlichem Eigensound (was zunächst eine äußerst positive Eigenschaft ist!), an den man sich erst einmal gewöhnen muss, um dann dessen gesamte Bandbreite ausloten zu können. Und außerdem sind die Regelwege von Input Control und Output Attenuator so ungewöhnlich kalibriert, dass man sich in puncto Gainstaging etwas mehr Gedanken machen muss als bei anderen Geräten – aber dazu weiter unten mehr.
Mittiger Grundcharakter
Ins Auge springt auf jeden Fall der sehr warme, mittige Charakter des Gerätes. Tiefbässe werden etwas zurückgestellt und harsche obere Mitten ebenso. Der Fokus liegt hier ganz klar auf satten, cremigen, molligen Klanganteilen – es überrascht nicht, dass der RS124 auch gerne eingesetzt wurde, um die glockig-glasigen Vox-Gitarrensounds von John und George zu entschärfen. Das ist auf jeden Fall ein Charakter, der Spaß macht, bei dem wirklich etwas passiert. Zurückhaltung ist hier nicht angesagt, vielmehr darf man mit allem – wirklich allem! – in die Vollen gehen. Eingangspegel, Pegelreduktion, wattig-wollige Tiefmitten, gib ihm! Insofern ist der RS124 kein Präzisionsinstrument für feinste Mix-Retuschen, sondern ein Klangwerkzeug im besten Sinne des Wortes. Insbesondere die Zeitkonstanten tragen stark zu diesem Charakter bei. Der Attack ist punchy und breit, auf Bässen stellt sich hier tatsächlich schnell das „Sgt. Pepper“-Gefühl ein, und die Release sorgt auch bei kurzen Einstellungen für ein charakteristisches Pumpen mit ganz eigentümlichen Bewegungen. Man hat irgendwie das Gefühl dass das Signal „lebt“, auch wenn (oder gerade weil) sich nicht immer auf Anhieb die beste Einstellung finden lässt.
Recht spezielles Gainstaging
Zu diesem bisweilen etwas sehr lebendigen, manchmal gar diffusen Eindruck trägt auch das Gainstaging bei, denn die Regelwege von Input und Output sind etwas speziell aufgelöst. Bereits bei der 9-Uhr-Position und bei Eingangspegeln im „normalen“ Rahmen erzielt das Gerät gerne eine Pegelreduktion von bereits satten 10-15 dB. Und dann reicht die Aufholverstärkung nicht immer aus, um den Pegelverlust auszugleichen. Bezeichnenderweise heißt das Bedienelement auch „Output Attenuator“ und nicht etwa „Output Gain“ – üppige Pegelreserven am Ausgang stellt das Gerät nicht zur Verfügung, zumindest nicht bei Kompression im Bereich von um die 5 dB Pegelreduktion. Hier wird man den Ausgang immer voll aufdrehen und trotzdem noch den Pegel mit einem nachgeschalteten Gerät aufholen müssen. Anders sieht es aus, wenn man den RS124 am Eingang gnadenlos überfährt, was ja zweifelsohne Spaß macht, dann wird man den Ausgang vielleicht auch mal etwas zudrehen müssen; aber man hat eben auch so viel Pegelreduktion, dass es in zahlreichen Fällen des Guten dann doch zuviel ist.
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Superfuse willkommene Ergänzung
Versöhnlich stimmt auf jeden Fall der SuperFuse-Modus, der nicht nur gut klingt, sondern auch noch etwas Pegelreserven am Ausgang locker zu machen scheint. Gerade wenn man Signale dicker und lauter machen möchte, dann ist dieser Betriebszustand eine willkommene Ergänzung zur Standard-Palette.