Praxis
Chandler hier ohne Black Box unterwegs
Ein Blick auf das Äußere und in die Innereien des EMI/REDD.47-Preamps macht deutlich, dass sich bei Chandler bezüglich der Fertigung nichts geändert hat. Die Frontplatte ist kräftig, das Gehäuse stabil und schwer. Wie immer ist das Platinenlayout aufgeräumt, übersichtlich und für den Fall von Defekten leicht zu reparieren. Auf eine „Black Box“, also in Harz eingegossene Teile der Schaltung zum Schutz vor neugierigen Blicken, verzichtet der Hersteller. Schließlich hat er das Schaltungsprinzip nicht entwickelt. Die wenigen Bauteile im Verstärker sind ausreichend dimensioniert und mit Sicherheit aufwändig selektiert. Vorbildlich ist die Verkabelung im Gehäuse – die mechanische Sicherheit war wohl genauso wichtig wie die Verringerung von elektromagnetischen Einstreuungen auf den Audioweg. Außerdem ist genug Platz im Gehäuse, das Vorbild galt aufgrund von Abwärmeproblemen als „Röhrengrab“.
Ohne Meter kann es auch gehen
In die gleiche Kerbe schlägt die Haptik des REDD.47. Alle Bedienelemente lassen sich mit genügendem, aber nicht zu hohem Widerstand bewegen. Das gilt im Übrigen auch für das nicht gerasterte Volume-Poti und auch die kleinen Umschalter. Wer es noch nicht gemerkt hat: Es gibt kein VU-Meter, keine LED-Pegelanzeige, keine Overload-LED, nichts dergleichen. Das kann man natürlich anprangern, doch bei einem Gerät wie dem Beatles-Preamp ist die typische Arbeitsweise (hoffentlich!) kein Schnell-Schnell. Ein Amp wie der REDD.47 wird per Gehör gepegelt, für den Ausgangspegel gibt es das Volume-Poti und ein Meter des nachfolgenden Geräts, beispielsweise eines Analog-Digital-Wandlers.
Verstärkung: Gar nicht so stark
Die 57 Dezibel Maximalverstärkung des EMI-Vorverstärkers sind nicht gerade üppig, die weiteren Preamps aus dem Test liefern im Falle des Lydkraft Tube-Tech MP-1 70 dB, im Falle des True Systems P-Solo Ribbon sogar 76 dB Gain – das ist eine um den Faktor acht höhere Spannungsverstärkung! Es ist also spannend, wie der Abbey-Road-Preamp auf Mikros mit Übertragungsfaktoren um die 1 mV/Pa umgehen wird. Signale von Großmembran-Kondensatormikrofonen mit Brutalo-Outputs von um die 50 mV/Pa werden da wohl eher keine Probleme bereiten…
Vocals mit Microtech-Gefell UM 92.1S
Vocals mit Sennheiser MD-421-II
Vocals mit AKG D19
Vocals mit Coles 4038
Bass über DI-Input
Bassist: bonedo-Autor Rainer Wind
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Und tatsächlich: Nutzt man ein ausgangsschwaches Mikrofon wie das Coles 4038 (0,56 mV/Pa!), hat man auch dann noch mehr als genügend Headroom, wenn das grobe und das feine Gain voll aufgerissen sind. Erfreulich: Es rauscht dennoch kaum, der EMI-Amp zeigt noch keine Kompressionserscheinungen oder unschön klingende Verzerrungen. Um sehr geringpeglige Signale stärker zu boosten, lässt sich beispielsweise mit phantomgespeisten Vorschalt-Preamps wie dem Cloudlifter oder dem Triton FetHead arbeiten. Letztgenannter bietet etwas mehr als 20 Dezibel Verstärkung. Eine andere Möglichkeit ist, vor oder nach dem REDD.47 einen weiteren Amp zu benutzen. Erlaubt ist schließlich, was gefällt. „Heiß“ angefahren, kann der Vorverstärker schön satte Färbungen erzielen. Dynamische Mikrofone alleine liefern für sehr starke Prägung nicht genug Pegel am Input. Ach ja: Als Klangfärber für Line-Signale (Pad einschalten und Gain niedrig halten!) eignet sich der Chandler REDD ebenfalls hervorragend. Der Thermionic Culture Vulture lässt grüßen!
Fine Gain und Hochpassfilter beeinflussen den Klang
Interessant: Mit Fine Gain ändert man nicht nur den Pegel, sondern bekommt mehr Farbe in das Signal! Und auch das für die Chandler-Reissue erweiterte Hochpassfilter senkt nicht nur brav die Tiefen ab. Nein: Je höher man es ansetzt, desto mehr „Grain“ bekommt das Signal, desto stärker klingt es nach Übertrager. Und das klingt toll! Ich bin begeistert, wie man dem Signal Tiefen rauben und gleichzeitig Ecken und Kanten hinzufügen kann. Um stärker soundbildend Einfluss zu nehmen, wären mir noch höhere Eckfrequenzen des Hochpassfilters durchaus lieb gewesen.
Ein bisschen Aufwand ist schon nötig…
In Chandlers Marketing-Texten ist etwas von „easily reproduce“ im Zusammenhang mit Sounds bestimmter Beatles-Songs zu lesen – eine maßlose Vereinfachung. Der Engineer muss wissen, was er da tut, denn es gibt kaum einen anderen so „schwierig“ zu bedienenden Preamp. Man muss ihn wirklich kennenlernen, um sein Klangverhalten in die richtigen Bahnen lenken zu können, so reagiert er auf Bändchen komplett anders als auf Kondensatormikrofone, arbeitet aber auch klar deren Unterschiede heraus. Nun, den hohen Aufwand des Kennenlernens wird man sicher leisten wollen, wenn man einen so hohen Preis für einen Mono-Preamp zu bezahlen bereit ist…
Trotz aller Färbung immer transparent
Egal, welches Mikrofon, ob Line-Signal oder ein Instrument per DI: Der Chandler EMI REDD.47 tritt immer selbstbewusst auf und prägt Signale eindeutig. Sie rücken alle ein Stück in Richtung Hörer, werden präsent und direkt, sodass ich mich fast fragen muss, wie man damit wohl umgehen soll, wenn alle Signale einer Aufnahme diese Behandlung bekommen (Nun, es scheinen ja schon Leute in den 1960ern hinbekommen zu haben…). Das Signal wird angereichert, die Verzerrungsprodukte sind nicht zu überhören. Aber: Das Signal wird niemals dick, träge oder behäbig. Versteht man Röhrenwärme als Andicken wie mit einer Sahnesauce, greift man besser zum 610er-Preamp von Universal Audio. Der REDD bleibt immer transparent, fein und detailliert, engt die Dynamik nicht ein, lässt Signale trotz aller Färbung atmen – und das ist grandios. Wer einmal einen Siemens V72 oder auch 76 gehört hat, wird diese Beschreibung sicher nachvollziehen können. Und ja, es gibt durchaus Ähnlichkeiten! Mir erscheint der REDD dennoch etwas aggressiver, wilder, rockiger, weniger ausgewuchtet. Besonders auffällig ist, wie der Tube-Tech MP-1A im Vergleich dasteht: Edel, aber brav. Auch dieser ist meisterlich darin, Signalen eine leichte Farbe mitzugeben und einen hochwertigen Schimmer zu verleihen. Doch ist der Tube-Tech da weitaus vorsichtiger, während der REDD durchaus unzivilisiert hinlangen kann. Bei aller Präsenz ist der Sound des REDD aber nie beißend oder nervig. Sollte man im zweistelligen Kilohertzbereich Signalanteile vermissen, kann man guten Gewissens dort etwas anheben (in den Abbey Road Studios mit dem Brilliance Pack, von dem Softube eine hervorragende Software-Version gefertigt haben).
Anbetungswürdig
Bei allem Gerede von den Beatles und der Abbey Road: Dieser Mikrofonvorverstärker ist ein äußerst flexibles Gerät für jegliche Produktionssituation. Alle möglichen Signale, selbst Bass-DI, Sprache, Streicher, Synthesizer, alle Musikrichtungen von Pop über Rock bis Jazz… für alles ist der REDD.47 hervorragend geeignet. Einen Amp, der sich zuverlässig klanglich identifizieren lässt und mit starken Schultern seinen Charakter zeigt, der sich bei Bedarf durchaus zurückhält oder eben stark in den Vordergrund spielt – der ist wirklich anbetungswürdig. Einen derart reichen, tiefen Klang findet man wahrlich sehr selten und nur bei den absoluten Top-Geräten. Wirklich, es ist gut, dass ich euch mein Klangempfinden per Text mitteile. Denn würde ich darüber reden, könnte ich mich vor Euphorie in Trance begeben und mein Gegenüber vor Glück jauchzend würgen. Nein, keine Sorge: Ich bin wirklich „sane“ in der Birne, wie der Brite sagt. Der REDD.47 ist es aber nicht: Er ist ein unglaubliches Biest. Es gibt viele Preamps, die man aufgrund ihres Charakter beknien muss, Neve 1073, Tube-Tech MP-1A und MP-2A, API 512, Chandlers Germanium– und der TG-Preamp, die alten Siemens-Kassetten V72 und V76 – und dieses Gerät, dessen Testbericht ihr gerade lest, gehört zweifellos dazu. Ab-so-lut. Ich will einen REDD. Nein, halt, stop: Zwei! Ich will zwei!
Ringo sagt:
#1 - 20.03.2015 um 22:13 Uhr
Traum Gear!! Jetzt kann ich nimmer einschlafen!
John sagt:
#2 - 01.04.2015 um 21:27 Uhr
I think that was rather Grand!! I'll take one home with me ✌️
pipifax sagt:
#3 - 30.05.2016 um 18:06 Uhr
Hammer Gerät. und hammer Test.