Chandler Limited nehmen als mit offiziellem Segen bedachte Gralshüter der EMI-Technik eine Sonderstellung ein – was hier auf den Markt gebracht wird, gibt es nirgendwo sonst.
Mit dem TG Microphone Cassette wird diese Produktlinie nun abgerundet. In dem Channelstrip finden sich altbekannte Komponenten und auch eine spannende Neuigkeit!
Das Hohelied auf Chandlers EMI-Klone und die legendäre Abbey-Road-Technik im allgemeinen haben wir auch hier bei bonedo schon oft gesungen. Mit dem Plazet der Verantwortlichen im legendären Tomnstudio im noblen Londoner St John’s Wood sowie mit Zugriff auf die Archive mit Original-Schaltplänen ausgestattet, hat Chandler eine Produktpalette mit enormer Bandbreite auf die Beine gestellt. Hier finden sich vom Micpre bis zum Mischer die Schaltungen, die damals um 1970 im Hause EMI entwickelt wurden, um die hauseigenen Studios weltweit mit angemessener Technik auszustatten. Der legendäre Nimbus dieses Equipments besteht sowohl durch die Klassiker, die damit produziert wurden, als auch durch einen weiteren Faktor: Dieses Equipment, beziehungsweise die Vintage-Originale, sind super selten, denn sie wurden nie frei zum Verkauf angeboten. Zwar besaß die EMI weltweit eine ganze Reihe Studios, aber die Soundprozessoren der Designteams TG und REDD wurden aussschließlich für diese hergestellt. Dementsprechend rar gesät sind die Gelegenheiten, originalem EMI-Gerät über den Weg zu laufen. Dieses Erbe wird vom Abbey Road recht eifersüchtig gehütet und verteidigt, und nur die Amerikaner um Wade Goeke von Chandler Ltd. können sich im Rahmen einer speziellen Kollaboration mit dem EMI-Material austoben.
Details
EMI-TG-Linie nicht neu bei Chandler – aber das Regelglied des Kompressors
Die TG-Linie von Chandler umfasst schon lange zahlreiche unterschiedliche Preamps, EQs und Kompressoren, doch ein vollumfänglicher Kanalzug war noch nicht dabei. Zwar ist der TG Channel MKII recht umfangreich ausgestattet, bietet aber keine Dynamiksektion. Und so liegt es nahe, dass nun ein Kanalzug vorliegt, der sich tatsächlich funktional an einem kompletten TG-Mischpult-Kanal orientiert, einem der ersten Mischpult überhaupt, welches eine Dynamikeinheit in jedem Eingangskanal anbot. Dennoch ist hier in der Designphase mehr passiert, als dass flugs ein paar Komponenten zusammengewürfelt werden. Denn selbst wenn Preamp und EQ uns im Kern bekannt vorkommen dürften, so hat es diesen Kompressor so noch nicht gegeben. Die TG-Konsole arbeitete mit einem Dioden-Limiter in jedem Kanal, welcher sich damals etwas am röhrengetriebenen Fairchild orientierte, welcher bis dato als Dynamiktool der Wahl im Abbey Road galt. Doch der TG Microphone Cassette arbeitet, Novität für Chandler, mit einem optoelektronischen Regelelement. Damals experimentierten auch die EMI-Engineers mit dieser Technologie, und wahrscheinlich hat Chandlers Zugang zu diesen Dokumenten hier den Ausschlag gegeben, von den standardmäßigen Zener-Dioden abzuweichen.
Preamp: typisch TG
Die Preamp-Schaltung entspricht direkt derjenigen des hauseigenen TG2, wie auch die Frontplatte unmissverständlich klarstellt. Das Gain wird per Drehschalter in 5dB-Schritten von 20 bis 60 dB voreingestellt und anschließend per Poti feinjustiert. Dabei steht hier nochmals eine Reserve von +10 dB zur Verfügung. Alternativ kann man das Output-Poti auch nutzen, um den Eingang heißer zu fahren und trotzdem einen „vernünftigen“ Ausgangspegel weiterzureichen. Per Schalter stehen Phantomspeisung und Phasendrehung zur Verfügung, man kann zwischen Mic- und Line-Signalen wählen sowie den frontseitigen Instrument-Input aktivieren. Eine Pegel- oder wenigstens Signalanzeige sucht man jedoch vergeblich. Dafür bietet die Cassette ein mit sechs Positionen zwischen 33 und 110 Hz recht flexibles Trittschallfilter, welches sich selbstverständlich auch komplett deaktivieren lässt.
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Shelving-Filter und Mittenband
Das derartig aufbereitete Signal wird nun direkt an die EQ-Sektion weitergereicht. Hier finden sich die beiden vom TG12345 Curve Bender bekannten Shelving-Filter, hier aber mit stufenlos einstellbarer Amplitude. Die Frequenzen liegen fest bei 91 Hz und 8,1 kHz, was im Zusammenspiel mit den weichen Kurven für eine wirkungsvolle Tonblende sorgt. Dazu gibt es noch ein Mittenband mit den Eckfrequenzen 300 und 500 Hz sowie 1,2, 3,6 und 6,5 kHz. Sämtliche Filter bieten eine maximale Amplitude von ±10 dB.
Britischer Spleen
Um allerdings den Kompressor an den Start zu bringen, ist ein Griff in die Kabelkiste gefragt. Ja, ganz richtig! Die Dynamikeinheit ist als separates Tool konzipiert, um sie einzusetzen, muss man rückseitig die entsprechenden XLRs durchverbinden. Das hat den Vorteil, dass man den Kompressor vollkommen separat von Preamp/EQ nutzen kann, aber den Nachteil, dass es eben keinen bequemen, internen und per Schalter zu aktivierenden Signalfluss gibt, wenn man alle Komponenten auf dem gleichen Signal zum Einsatz bringen möchte. Auch der Einsatz des Kompressors erfordert etwas Nachdenken und vor allem einen Blick in die Bedienungsanleitung, denn hier laufen einige Dinge anders als man das gewohnt ist – klar, es ist ein britisches Design aus den späten 60ern, und da regiert der Spleen… Der Kompressor versteht sich als „dynamic gain range reducer“, und als solcher wird er etwas anders eingestellt als herkömmliche Konzepte. Vor allem reagiert das Meter völlig, und zwar wirklich völlig anders als man das gewohnt ist. Zunächst wird über das HOLD-Poti die Stärke der Kompression eingestellt. Dies verschiebt gleichzeitig die Ruheposition der VU-Nadel auf der Skala nach oben. Von dieser Position aus schlägt die Nadel nun bei Kompression nach oben aus, und je weniger sie ausschlägt (weil die Ruheposition schon so weit hochgeschoben wurde), desto weniger komprimiert das Gerät. Das klingt etwas kompliziert, ist aber vor allem lediglich ungewohnt, und das Manual erklärt dies auch sehr umfangreich und deutlich. Zur Klanggestaltung stehen die Parameter Attack und Release zur Verfügung, zudem bietet das Gerät zwei Kompressionskurven. Das SHARP betitelte harte Knie entspricht der LIMIT-Kennlinie des hauseigenen Zener-Limiters, und damit auch dem Vintage-Vorbild. Dazu gesellt sich noch der ROUNDED-Modus, welcher mehr der Natur der Optozelle Rechnung trägt und für weniger zackige Kompression gut ist. Sowohl EQ als auch Kompressor verfügen über ihre eigenen Bypass-Schalter.
Bauteile teilweise vergossen und unkenntlich gemacht
Sämtliche Anschlüsse mit Ausnahme der Instrumenten-Klinkenbuchse befinden sich auf der Rückseite. Darunter ist derjenige für das externe Netzeil und ein weiterer für die Verlinkung zweier TG-Kompressoren. Das gesamte Gerät ist beeindruckend schwer, robust gefertigt, und es versprüht diesen rohen, ungehobelten Charme besonderer, alter Technik. Insbesondere die typischen TG-Potikappen sehen immer wieder sehr gut aus. Auch das Innenleben macht den professionellen Eindruck, den man von Chandler zumeist gewohnt ist. Die Schaltung verfügt über Audioübertrager, der EQ basiert auf Spulenfiltern. Allerdings ist es schwer, Chandler auf die Schliche zu kommen: Verstärkerschaltung und Optokoppler sind gesockelt und vergossen, bei zahlreichen Transistoren die Typenbezeichnung abgefeilt. Unterm Strich bleibt jedoch die Tatsache bestehen, dass es sich hier um hochwertige, gut gefertigte Technik handelt.