Chandler Limited ist in recht kurzer Zeit eine absolute Größe in der Tontechnik geworden. Das REDD Microphone, ein sehr besonderes Röhren-Großmembranmikrofon mit integriertem (!) Preamp ist der neueste Streich des umtriebigen Amerikaners Wade Goeke.
Auf diesem prangt, wie auch schon auf dem Sensations-Mikrofonvorverstärker REDD.47, dem Kompressor RS124 sowie der TG-Reihe das neueste Logo der Abbey Road Studios (die dieses anscheinend regelmäßig wechseln). Mikrofon und Speiseteil sind im gleichen Grau gehalten wie auch schon die beiden 19“-REDD-Geräte (und beispielsweise Siemens-Kassetten).
Die ehemaligen EMI-Studios in London hatten in Hayes ihre eigene Entwicklungsabteilung für allerhand Gerätschaften, um sich qualitativ von der Konkurrenz abheben zu können. Bei Mikrofonen hat man schnell erkannt, dass es in der „Außenwelt“ schon geniale Mikrofone gibt. Darunter waren englische und amerikanische „Dynamiker“, etwa das STC 4021 („Ball and Bisquit“) , das Altec 639 und das STC/Coles 4038, vor allem aber Großmembran-Kondensatormikrofone aus dem deutschsprachigen Raum, damals natürlich noch zwingend in Röhrentechnik: Neumann U 47 und U 48, Neumann M 59 und M 50 und AKG C12 sind wohl die wichtigsten. Die Klangqualität ist legendär, ihr wird von vielen Herstellern nachgeeifert, auch die Herstellungsqualität ist bei entsprechender Pflege sagenumwoben. So hat mir Leister Smith, der „Mikrofonwart“ der Abbey Road Studios, ein U 47 gezeigt, das selbst dann schon reichlich alt war, als dort noch John Lennon und Paul McCartney hineingesungen haben.
Details
Neumann U 47 oder AKG C12?
Nun ist das Chandler Limited REDD Microphone mit seinem EMI- und Abbey-Road-Emblem kein Nachbau eines dieser Klassiker. Wer missmutig ist und eine böse Zunge besitzt, könnte anführen, dass Chandler dieses Feld wohl lieber denen überlassen will, die sich schon länger damit befassen – man denke an Peluso, Bock, Blackspade, Telefunken Elektroakustik und die vielen anderen, die sich durch simples Benutzen einer 47 oder 12 im Produktnamen bis hin zum penibel genauen Nachbau mit NOS-Teilen um die Gunst der Käufer bemühen. Außerdem sind die meistgenutzten Mikrofone der alten EMI-Studios ja gar keine Eigenentwicklungen oder zumindest Weiterentwicklungen, wie etwa bei den REDD-Verstärkern.
REDD.47-Preamp: Direkt eingebaut
Eine Besonderheit ist, dass am dreipoligen XLR-Ausgang des Röhrennetzteils Line-Level anliegen kann. Chandler haben dem REDD-Mikrofon direkt einen Preamp mit eingebaut, und zwar nach der Topologie, die schon im Chandler REDD.47 zum Einsatz gekommen ist. Diese beruhte auf den Vorverstärker der REDD-Konsolen, die wiederum die sagenhaften und heute noch hoch gehandelten Siemens V72 benutzten oder zum Vorbild hatten. Rückseitig am Mikrofonbody selbst befindet sich das Gain-Poti, welches Verstärkungen von +4 bis +33 dB zulässt. +33 dB sind für Großmembran-Kondensatormikros meist ausreichend. Am Netzteil selbst kann eine Abschwächung von bis zu zehn Dezibel eingestellt werden, das Mikrofon selbst besitzt für den Fall einer Schallquelle, deren Pegel schon kurz hinter der Kapsel gebändigt werden muss, ein Pad von zehn Dezibel, welches links unter dem Korb aktiviert werden kann. Man muss nicht viel rechnen können oder sich Kombinationsmöglichkeiten und ihre Auswirkungen überlegen: Durch flexible Levelsettings lassen sich beispielsweise heiß gefahrene Preampsounds herstellen, die dann durch den Output-Regler am Netzteil moderiert werden, um nicht ein nachfolgendes Gerät am Eingang zu überfahren. Und noch etwas: Die Ausgangsimpedanz des REDD-Pakets liegt bei 200 Ohm – wie bei Mikrofonen. Damit ist es also kein Problem, die wirkliche Verstärkung des Mikrofonsignals einem Preamp zu überlassen, den man in einer bestimmten Recording-Situation geeigneter findet. Andersherum ist es aber leider nicht möglich, den Preamp, der ja quasi mit dem Mikrofon verbaut ist, mit einem anderen Mikrofon zu nutzen. Eine weitere Option ist aber ein kleiner Schalter namens „Type“, der sich von „Norm“ auf „Drive“ stellen lässt. Drive wirkt dabei wie „Fine Tune“ am REDD.47, nur dass es nicht regelbar ist, sondern direkt auf „volle Molle“ springt. Zieht man am Output-Regler am Netzteil, wird dadurch ein „Low Contour“-Modus aktiviert, der ein wenig mehr Top-End hinzufügt und dafür die Tiefen etwas zurücknimmt.
Membran: Platin
Die Kapsel ist ganz offensichtlich ähnlich wie die eines alten Neumann-Mikrofons, da sie ein Zoll Durchmesser besitzt, mittenkontaktiert und das Kapselgehäuse recht dick gebaut ist. Im großen Messingbody ist Platz für zwei Backplates, sodass sich vordere und hintere Membran nicht eine Gegenelektrode teilen müssen. Anders als annähernd 100% aller Großmembranmikrofone wird nicht auf Mylar eine Goldschicht aufgedampft. Die im REDD Microphone verwendete Kapsel nutzt zwei Membranen mit Platin(!). Vollmetallkapseln findet man sehr selten, beispielsweise in manchen Sanken und im Neumann M 150 Tube, bei beiden ist es allerdings Titan, nicht Platin.
Wo ist die Acht?
„Hammwa nich.“ – Tatsächlich, die Richtcharakteristiken, die einstellbar sind, sind Kugel und Niere. Eine Acht, theoretisch durch die Invertierung der hinteren Membran bei gleichpegliger Zusammenschaltung von Vorder- und Rückseite konstruierbar, fehlt. Die Gründe können vielfältig sein. Zwar haben oben genannte Mikrofone auch nicht die freie Wählbarkeit geboten, aber diese wurden vor weit mehr als einem halben Jahrhundert konzipiert. Andersherum ist es einfacher, nur für zwei Polar-Patterns zu optimieren statt drei oder mehr. So manches Mikrofon klingt ganz gut, wenn man es auf Niere benutzt, schaltet man dann um, sieht die Welt oft ganz anders aus… Man könnte diesen Fakt also unter dem Punkt „konsequent“ abhaken.
„Ear-Tuning“ statt Messwerte
Wade Goeke mag keine Zahlen. Das ist vielleicht übertrieben, doch der noch recht junge Firmengründer kümmert sich lieber darum, seine Produkte gutklingend zu gestalten, als sie auf beste Messwerte zu trimmen. So findet man auch bei den Rackgeräten recht wenig Information, beim REDD Microphone ist das nicht anders. Zudem ist er recht „protektiv“, weshalb man häufig unkenntlich gemachte oder sogar in Kunstharz vergossene Schaltungsteile findet.
Stephan Steiner sagt:
#1 - 07.05.2018 um 14:33 Uhr
Hallo zusammen
Ich finde eure Tests immer sehr spannend zu lesen und sehr informativ. Hut ab! Euer Aufnahmeraum klingt allerdings schrecklich.... Sorry, dass musste ich mal loswerden. Egal welches Mikrofone Ihr testet, es klingen alle gleich besch...eiden.
Die Reflexionen auf den Aufnahmen sind äußerst unvorteilhaft. Es klingt alles wie in einer Kartonschachtel. Wenn Ihr dies noch in den Griff kriegt, ist alles perfekt!
Liebe Grüsse
Stephan