Praxis
Verglichen mit dem trockenen Signal wird sofort deutlich, dass der TG Opto nicht dazu entworfen wurde, keine Spuren zu hinterlassen. Die eigentliche Aufgabe, also das Regeln der Lautstärke, spielt zwar eine Rolle, ebenso wichtig scheint mir aber eine spürbare charakterliche Veränderung zu sein. So klingt der “optical”-Modus eines Distressors vergleichsweise farblos. Auch bei zugeschalteter Distortion kann dieser dem TG-Opto nicht das Wasser reichen. Ein LA2A-Nachbau polnischer Herkunft bleibt ebenso spürbar hinter dem Eindruck von Fülle und Nähe zurück, den der Chandler zu zaubern vermag.
Im Vergleich mit meinem Vintage-LA2A wird dann doch deutlich, dass der TG Opto eine Transistor-Einheit ist. Die Disziplin der subjektiven Vergrößerung beherrscht die alte Dame immer noch weitaus besser. Im Gegenzug bewirkt der TG Opto eine Scharfzeichnung, die recht angenehm ist. Bei stärkerer Gain-Reduction verschiebt sich das Bild ein wenig: Während der alte LA2A auch dann noch große Anteile der oberen Mitten durchlässt, sorgt der Chandler dafür, dass dieser (bei weiblichen Stimmen manchmal unerwünschte) Bereich angenehm gedeckelt wird.
Auch der nächste Vergleichskandidat, eine Manley-Elop-Schaltung, verschiebt die Grundhaltung eines Gesangs stärker in Richtung “offen”, wohingegen das magische Feld des Chandler hauptsächlich in der Grundsubstanz liegt. Das bewirkt, dass die Farbe einer Stimme sich etwas in Richtung “intim” verschiebt, so wie es bei einem Nahbesprechungseffekt der Fall ist. Eine Änderung des Grundcharakters also, die schön, aber eventuell nicht immer erwünscht ist, weil sie ein bisschen auf Kosten der Leichtigkeit gehen kann. Die Stimme klingt sozusagen “erwachsener”.
Der Chandler TG Opto bietet eine Vielzahl von Lieblings-Einsatzgebieten
Bass klingt stabiler im tonalen Bereich. Hier ist das Modul eine kleine Wunderwaffe, wenn es gilt, Läufe unaufgeregt und trotzdem klar und deutlich im Mix zu platzieren. Allerdings kann es sein, dass, je nach Instrument, ein paar Obertöne etwas verschnupft herauskommen.
Klaviere provozieren bei schnellem Attack manchmal eine gewisse Ruckeligkeit in der Regelung. Hier empfiehlt es sich meines Erachtens, eher langsame Ansprechzeiten und dafür schnelle Release-Werte zu verwenden. Dann allerdings kann der Kompressor reichhaltig mit Wohlklang belohnen. Ein Traum ist das bei einem E-Piano.
Für Drums empfiehlt das Handbuch, den Hard-Knee-Modus zu verwenden. Ich finde allerdings durchaus auch die Soft-Betriebsart einen Blick wert. Spürbar besser als alle anderen optischen Kompressoren in meinem Testfeld vermag es der Kleine, Transienten gleichberechtigt zu betonen, ohne dass dabei irgendeine Zählzeit zu kurz kommt. Squashing, also die einer Verzerrung ähnliche starke Regelung mit sehr schnellen Zeiten, ist ja nicht unbedingt das primäre Einsatzgebiet optischer Begrenzer, aber auch hier schlägt sich das Ding gut. Die schnellste Ansprechzeit lässt zwar etwas mehr stehen, als für ein zünftiges Zerschroten nötig wäre, aber die schnellste Rücklaufzeit leistet gute Arbeit, wenn es darum geht, die räumliche Dimension eines Room-Mics hervorzuholen. Insgesamt zeigt der TG Opto eine Klarheit und Gleichmäßigkeit in der Betonung der Transienten, die ihresgleichen sucht. Gerade als Parallelkompressor für Schlagzeug sorgt er so für eine wunderbare Präsenz aller Details, ohne dabei viel Raum im Mix zu beanspruchen.
Die beiden Knee-Modi verwandeln das Gerät in jeweils ganz unterschiedliche Biester
Hier scheint mir eine Arbeitsteilung recht logisch. Fürs Tracking, also die Verwendung während der Aufnahme, halte ich Rounded-Knee für unbedingt geboten, weil sonst die Kompression gar zu sehr um Aufmerksamkeit buhlt. Im Mix, besonders bei paralleler Anwendung, kann auch Hard-Knee gar Hübsches anrichten. Allerdings sollte man hier erst recht keine unauffällige Arbeit erwarten. Auch schon bei minimaler Regelung scheint das Modul zu rufen “schaut her, was ich tu”. So kann es vorkommen, dass ein Signal bereits alle Artefakte von Kompression trägt, bevor die Dynamik überhaupt nennenswert eingegrenzt wurde. Zum Glück klingt das dann so schön, wie ein Chandler eben klingt.
Eine Sache kommt mir allerdings spanisch vor: Eine Veränderung der Dynamik ist erst ab sehr hohen angezeigten Werten spürbar. Das bringt mich auf den Verdacht, dass die Anzeige lügt – und wie sich bei der Messung herausstellt, ist das tatsächlich der Fall.
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Ein Blick auf die Physik …
… fördert zutage, dass die Angaben über Gain-Reduction wie vermutet komplett irreführend sind. Der Vergleich mit der Messung anhand eines Sinustons in verschiedenen Frequenzbereichen ergibt, dass das VU-Meter etwa den doppelten Wert anzeigt. So entspricht die Anzeige “-5dB” einer gemessenen Gain-Reduction von nur etwa 1,5 dB, und eine tatsächliche Reduzierung um 8,5 dB wird als “-16dB” angezeigt.
Sowohl harmonische als auch unharmonische Verzerrungen treten im hörbaren Bereich nicht auf. Allerdings ist eine leichte Phasenverschiebung oberhalb von 10 kHz erkennbar, die über alle Kompressionsgrade relativ konstant bleibt. Sie ist zum Glück so geringfügig, dass sie einer gelungenen Parallelkompression nicht im Wege steht. Das ergibt auch der Hörtest.
Ein ganz wesentlicher Faktor bei der Klangfärbung scheint überhaupt die Phasenlage zu sein, also Veränderungen im Zeitverhalten unterschiedlicher Frequenzen. Dadurch lässt sich der Klangcharakter des Kompressors durchaus per Faltung extrahieren und anwenden. Ich habe das ausprobiert und würde zwar nicht behaupten, dass die gewonnene Impulsantwort dem Sound des Gerätes vollständig gerecht wird, ein bisschen erkenne ich ihn aber in der Faltung wieder. Das weist darauf hin, dass die klangliche Veränderung, die der TG Opto bewirkt, linear bzw. reversibel sind und nicht, wie es bei einer Verzerrung der Fall wäre, irreversibel.