Nahezu ohne Fehl und Tadel präsentiert sich die Ibanez RG 350, sodass man sich den Gang zum Gitarrenservice eigentlich sparen kann, es sei denn, man legt wert auf gründliches Finetuning. Durch die ausgezeichnete Verarbeitung und Einstellung der Gitarre kommt natürlich auch ein sehr gutes Spielgefühl auf. Die Bespielbarkeit des dünnen Halses mit D-Shaping ist über das gesamte Griffbrett perfekt, und die beiden großzügig ausgeschnittenen Cutaways ermöglichen bequemes Greifen bis zum 24. Bund. Er ist auf der Rückseite nur wenig lackiert und daher angenehm glatt, was Lagenwechsel und Rutschen über das Griffbrett völlig problemlos macht. Dank des etwas breiteren Halses als bei Strat und Les Paul liegen die Saiten auch einen Hauch weiter auseinander, was besonders beim Greifen von Akkorden sehr hilfreich ist. Alle Mechaniken arbeiten perfekt und auch das Tremolo funktioniert sogar bei extremem Einsatz verstimmungsfrei, genau so, wie es sein soll.
Jetzt wird es Zeit für den akustischen Test dieses Instrumentes. Auch hier habe ich den Hughes & Kettner Duotone als Verstärker ausgewählt. Der Clean-Kanal ist eingestellt und wir hören zuerst einmal die fünf verschiedenen Pickup-Kombinationen (Hals, Hals&Mitte, Mitte, Mitte&Steg, Steg).
Die Gitarre hat dank der eingebauten Humbucker (INF3 & INF4) einen relativ hohen Ausgangspegel. Auch der Single Coil in der mittleren Position (INFS3) kann da gut mithalten. Auffällig ist aber der Klangunterschied der einzelnen Kombinationen. Logisch! Das soll ja auch so sein … Aber damit meine ich den drastischen Unterschied des wiedergegebenen Frequenzbereichs. Der Hals-Pickup klingt sehr warm, der Bassbereich um 200 Hz ist sehr gut vertreten. Schaltet man dann auf die nächste Kombination (Hals & Mitte), ist davon nichts mehr zu hören. Der Bassbereich ist weggefiltert, mir persönlich ist dieser „Out Of Phase“ Sound zu dünn. Den gleichen Effekt hört man bei der Position 4, der Kombination von Mitte und Steg-Tonabnehmer. Selbstverständlich bewegen wir uns hier im Bereich des persönlichen Geschmacks, aber ich empfinde solche Tonabnehmer-Kombinationen, oder besser gesagt, die Sounds daraus als nicht homogen. Meines Erachtens leidet darunter auch die Durchsetzungsfähigkeit in der Band. Spielt man den einzelnen Tonabnehmer, dann erhält man ein breites Frequenzbild und man stellt die Klangregelung des Verstärkers darauf ein. Schaltet man dann auf die Zwischenpositionen, klingt alles total dünn. Hören wir uns aber mal die verschiedenen Kombinationen im musikalischen Kontext an.
(Weitere Soundbeispiele gibt es auf der nächsten Seite)
Der Halstonabnehmer macht durch seine klare Basswiedergabe und dem warmen Sound eine sehr gute Figur für Jazz Sounds und Akkordspiel mit Fingern und Daumen-Anschlag. Die Anschlagsdynamik für diesen Bereich funktioniert auch sehr gut, wird härter angeschlagen, dann klingt die Gitarre etwas höhenbetonter (Audio: Jazz Neck).
Richtig Power hat der Humbucker am Steg. Auch hier wird, trotz des hohen Pegels, die Anschlagsdynamik ordnungsgemäß wiedergegeben und das Ganze hat auch einen angenehmen Höhenbereich, der zwar präsent ist, aber nicht zu schrill und im Ohr noch nicht wehtut (Audio: Clean Bridge).
Weiter geht es mit den angezerrten Tönen: Der Overdrive-Kanal des Verstärkers wird angewählt, Gain auf zehn Uhr und wir hören im nächsten Beispiel alle fünf Tonabnehmer-Kombinationen hintereinander, beginnend mit dem Hals-Pickup (Audio: Crunch All PU).
Hier ist der Frequenz-Unterschied der einzelnen Pickup-Kombinationen nicht so drastisch zu hören wie im Clean-Bereich. Die Gitarre klingt recht knackig, hat eine gute Ansprache und einen ebenso guten Anschlags-Attack. Als Nächstes nehmen wir die Dynamik in Sachen Anschlag und Volume-Poti unter die Lupe.
Beim folgenden Hörbeispiel habe ich den Gain-Regler des Verstärkers voll aufgedreht. Der Steg-Pickup wurde angewählt und zuerst ganz leicht mit den Fingern angeschlagen, danach hart mit dem Pick. Der Unterschied sollte trotz hoher Verzerrung am Amp deutlich hörbar sein (Audio: Dyna Pick). Im verzerrten Bereich klappt es leider nicht so gut mit der Dynamik, der Pickup macht zwar ordentlich Dampf, das geht aber im Hi-Gain-Bereich auf Kosten der Ansprache und der Dynamik. Jetzt folgt der Test zur dynamischen Bandbreite des Volume-Potis. Zuerst ist der Lautstärke Regler an der Gitarre weit zurückgenommen, dann wird er voll aufgedreht. Bei zurückgenommenem Regler sollte die Verzerrung wesentlich schwächer sein (Audio: Dyna Poti).
Auch in dieser Disziplin kann die Ibanez RG nicht überzeugen. Das wiederum ist aber kein Beinbruch, denn die Konzeption eines solchen Instrumentes ist eben nicht auf Vintage-Freunde zugeschnitten, die ihre Soundvielfalt mit den Fingern, der Dynamik des Anschlags und mit dem Einsatz des Volume-Potis erzeugen. Bei dieser Gitarre geht es um fette Pegel bei Lead-Sounds, die den Amp bestmöglich übersteuern. Und das kann sie sehr gut, wie im folgenden Beispiel zuerst mit dem Hals- und dann mit dem Steg-Tonabnehmer zu hören ist (Audio: Lead Neck&Bridge).
Auch für Riffs im höher verzerrten Bereich ist das Instrument sehr gut geeignet. Die Wiedergabe ist präzise und deutlich, Akkorde werden klar wiedergegeben und klingen überhaupt nicht matschig oder undifferenziert.
Hier ein Beispiel mit dem Steg-Pickup bei Gain auf 15 Uhr mit eingeschaltetem Boost am Amp (Audio: Dist Bridge).
Zum Schluss werfen wir noch einen Blick auf die Bandbreite und den Wirkungsgrad des Tone Reglers, zuerst mit komplett zugedrehtem Regler, dann voll aufgedreht.
Das Tone Poti schneidet im komplett zugedrehten Modus alle Frequenzen über 1 kHz völlig ab. Somit lassen sich mit dem Einsatz des Tone-Reglers auch manche etwas schrill erscheinenden Clean-Sounds entschärfen, oder auch etwas dumpf klingende Zerrsounds erzeugen. Sehr gut!