Der Record- und der Play-Button sind gedrückt, hinter dem nach rechts laufenden Playhead der DAW entstehen in der scharfgeschalteten Spur Schwingungsformen. Ist die Aufnahme vorbei, musst du kontrollieren und festlegen, ob der Take gelungen ist oder nicht.
Dabei vergisst man gerne einmal etwas, weil man den Fokus auf andere Dinge legt. Deswegen gibt es hier die ultimative Checkliste: Nach welchen Kriterien beurteilt man ein Recording?
Technische Fehler
Es gibt leider eine Menge technischer Ereignisse oder Unzulänglichkeiten, die euch die Aufnahme vermasseln können. Deswegen darauf achten: Sind alle Signale da, oder hat beispielsweise das Distant-Kit-Mikrofon einen Meter vor dem Schlagzeug irgendwann durch einen Wackler einfach ausgesetzt? Gibt es Clips in der DAW oder beim Wandler? Denkt daran, dass auch ein Signal, das in der Aufnahmespur nicht geclippt hat, durch Überfahren der davor liegenden Kette dennoch hoffnungslos verzerrt sein kann! Daher müsst ihr nicht nur sehen (Schwingungsform oder Meter), sondern die Tracks tatsächlich anhören.
Achtet speziell auf Drop-Outs, auf Brummen und sonstige Störgeräusche. Und da gibt es viele Möglichkeiten: Manchmal ist es ein LKW, der draußen vorbeidonnert und sich per Körperschallweg auf der Aufnahme verewigt. Oft quietscht irgendwo etwas, ein Fenster zwei Räume weiter wird zugeschmissen, fliegt irgendwo ein Kapodaster vom Verstärker, kommt der Schlagzeuger mit dem Stick an ein Mikrofon- oder Beckenstativ oder sogar an einen Mikrofonkorb, raschelt der Sänger mit seinem Blätterwerk oder tritt mit dem Fuß auf den Mikrofonständer. Manchmal springt irgendwo ein Lüfter an oder ein Steckernetzteil beginnt, hörbar zu sirren. Gerne knacken Röhrenverstärker auch noch Stunden, nachdem sie eingeschaltet wurden, weil ein Metallteil sich durch die Wärme ausdehnt.
Achtet auch auf durch das Spiel entstehende Signalanteile, die stören können. Das sind bei Vocals vor allem Popplaute und sehr kurze, scharfe, manchmal sogar clippende Signalanteile durch S-Laute, Schmatzen und dergleichen. Manche Instrumentalisten schnaufen zu laut beim Spielen, das ist vor allem bei eher leisen Passagen auffällig.
Ein Klassiker ist der verrutschende Kopfhörer bei Sängern und bei Schlagzeugern. Bei Sängern ändert sich dadurch die Schalldämmung des Monitoringsignals zum Vocal-Mikrofon – das Playback überspricht dann stark in das Gesangssignal und wird schnell zum Problem in der Mischung. Verrutschen die Headphones des Trommlers, kann man sich dann meist über die Overheads anhören, mit welch exorbitant hohem Pegel er sich mit dem Klick das Gehör schädigt. Die Aufnahme ist dann in den meisten Fällen hin.
Achtet auch auf Mikrofonpositionen. Bei Mehrfachmikrofonierung ist zwar vielleicht eine Abweichung von ein paar Millimetern oder sogar Zentimetern zwar nicht für den Sound des einzelnen Mikrofons wichtig, aber im Zusammenspiel spielen die Laufzeiten und somit die Phasenlagen eine wichtige Rolle. Dazu sollte man übrigens nicht nur auf Klangfarbenänderungen achten, sondern öfters mal einen Blick durch die Regieraumscheibe werfen. Oft sind es die üblichen Verdächtigen, also das schwere Bassdrummikrofon, das Overhead am lang ausgezogenen Galgen und alles, wo man bei der Aufnahme irgendwie drankommen kann.
Pitch
Es klingt einfach: „Schräg oder nicht schräg?“. Dabei ist die korrekte Tonhöhe eine ganz schön komplexe Angelegenheit. Es stellt sich zunächst die Frage nach der Referenz für die Tonhöhe. Das können für Vocals bereits eingespielte Gitarren sein, aber auch Synthieflächen. In manchen Produktionen wird dafür, ähnlich wie mit einem Click für die Timing-Referenz, eine Akkordspur angelegt. Bei Vocals solltest Du vor allem darauf achten, dass die Tonhöhe mit den Akkorden des bereits aufgenommenen Materials harmoniert – das bedeutet nicht zwangsläufig, dass eine ständige Abweichung um ein paar Cent schräg wirken muss. Im Gegenteil! Sollte die Pitch aber ganz und gar nicht passen, kontrolliert den Monitoring-Mix: Stimmt dort das Verhältnis von eigener Stimme zu den harmonietragenden Signalen nicht, wird es für jeden Vokalisten schwer mit der Intonation.
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Besonders bei akustischen Instrumenten solltet ihr trotz vielleicht sehr gut passender Pitch den gesamten Track kritisch betrachten. Häufig sind Instrumente nicht ganz oktavrein, was sich nur an manchen Stellen bemerkbar macht. Bundlose Instrumente werden von den Spielern manchmal nicht ganz genau gegriffen, deswegen muss bei Violine, Kontrabass, Fretless-E-Bass und dergleichen wirklich jeder Ton im gesamten Take analysiert werden. Fies: Je tiefer das Signal, desto schwerer ist es zunehmend, die Tonhöhe richtig zu bestimmen. Und generell geht dies nur mit einer entsprechenden Abhörsituation.
Klassische Probleme mit Gitarren sind übrigens Pitch-Drops nach dem Anschlag: Die Saiten verlieren nach dem Anschlag etwas an Tonhöhe. Wenn das viel ist und besonders lange dauert, kann das sehr unangenehm sein. Auch eine Verstimmung nach Bendings oder Nutzung des Vibratosystems sind ein häufiges Übel. Eigentlich müsste das der Gitarrist natürlich selber merken. Manchmal fehlt den Musikern aber die Erfahrung oder sie sind zu begeistert von ihrer gerade erbrachten Leistung…
Aber es kann alle treffen: Keyboarder vergessen beispielsweise beim Schrauben am subtraktiven Synthesizer häufig, sich um die wahrgenommene Tonhöhe zu kümmern. Nutzt man beispielsweise zwei Oszillatoren mit gleichen Pegelanteilen und verstimmt nur einen um ein paar Cent, um eine Schwebung zu erhalten, verstimmt man damit den gesamten Synth!
Schlagzeuger haben mit Stimmung nichts an den Strümpfen? Oh doch! Zwar geht es hier selten um Tonales, aber es ist nicht selten, dass sich während eines Stückes die Toms gegeneinander verstimmen oder – Klassiker! – die Snaredrum durch das Stick-Dauerfeuer am Ende eines Songs tiefer ist als am Anfang. Stimmschrauben lösen sich nun mal. Auch hier gilt: Ihr müsst bestimmen, ob das „schlimm“ ist oder vertretbar.
Analysiert besonders die schweren Stellen. Oft ist bei eher unüblichen Akkordwechseln die Tonhöhenkontrolle schwierig, ebenso bei schwierigen Phrasierungen. Bei Gesang besonders auf Sprünge achten – eine große Septime direkt zu treffen ist deutlich schwieriger als eine reine Quinte.
Immer dabei im Hinterkopf haben: Ist die Pitchabweichung überhaupt schlimm? Manche Gesangsstimmen etwa leben davon, dass sie ständig ein klein wenig flat oder sharp sind – das kann im besten Fall sogar die Stimmung des Songs unterstützen – wenn es nicht zu viel ist, selbstredend.
Timing
Wenn ohne Metronom gespielt wird, muss natürlich kontrolliert werden, ob die Temposchwankungen im Rahmen bleiben. Wird der Song zu schnell oder zu langsam oder schwankt er überhaupt zu stark, muss meist neu aufgenommen werden. Typische Problemstellen für Schlagzeuger sind oft Fill-Ins, die deutlich schneller werden, oder Parts, die deutlich energiegeladener daherkommen als die vorigen. Mit Klick sind diese Schwierigkeiten aber noch lange nicht aus dem Weg geräumt. Hier merkt der Trommler oft erst durch Vergleich von seinem Spiel und dem Klick, dass etwas nicht stimmt und verlangsamt wieder (oft tödlich für den Flow!). Wenn zum Klick gespielt wird, muss nicht immer alles genau „drauf“ sein, aber möglichst konstant. Eine immer kurz vor der 2 und 4 gespielte Snare kann beispielsweise hervorragend treiben, eine etwas verzogene Bassdrum auf der 1+ kann den Geist John Bonhams heraufbeschwören und das Stück schön dick schleppen lassen – das mechanische Grid der DAW ist nämlich oft zu steril und leblos.
Gut, Schlagzeuger und Timing, klar ist das ein Thema. Aber das gilt auch für alle anderen: Bassdrum und Bass müssen miteinander harmonieren, vielen Gitarristen ist irgendwie egal, was der Schlagzeuger da mit Ghost-Notes auf der Snare veranstaltet und bügeln gnadenlos ihre Licks darüber (und verlangen im Mix, wenn die Diskrepanz im Groove auffällt, nach einem Gate…). Seid wachsam – und scheut euch nicht davor, mit dem ganzen Körper mitzuwippen oder Luftschlagzeug zu spielen: Viele Menschen können Timing besser beurteilen, wenn sie nicht wie ein Verwaltungsfachangestellter am Schreibtisch festgebolzt in den Computermonitor starren…
Welches Signal beim Thema Timing und Groove gerne übergangen wird, ist das Gesangssignal! Sicher, Doppelungen und Chorgesänge müssen zueinander passen, aber der Groove eines Sängers macht mehr aus, als vielen klar ist. Das könnt ihr ausprobieren, indem ihr mal die Vocal-Tracks um ein paar Millisekunden nach vorne oder hinten schiebt. Lasst also zur Kontrolle ruhig einmal nur Drums und Vocals laufen.
Betrachtet Timing und Groove immer auch im großen Ganzen. Wer durch das Talkback verlauten lässt „Das war nicht ganz drauf, das machste bitte nochmal“ und den gerade aufgenommenen Take wegwirft, macht möglicherweise einen enormen Fehler.
Verspieler: Was ist eigentlich „falsch“?
Es gibt Tontechniker, die beim geringsten Verspieler das „Quadrat des Todes“ drücken – die Stopptaste. Doch selbst, wenn der Musiker einen Take abbricht, vielleicht ist er gerade so im Fluss, dass er nach der vergeigten Bridge dennoch den besten Chorus spielt oder singt, den er hinbekommen kann. Aufnehmen kann man heute raue Mengen, außerdem gibt es ja die Möglichkeit zu Drop-In und Kopie. Aber achtet mit darauf, an welcher Stelle die Bassdrum-Figur stolpert, eine falsche Seite mit angeschlagen wurde, das Klavier-Arpeggio mehr gewollt als gekonnt klingt, der schnelle Basslauf hingeeiert wurde oder der spontane Akkordwechsel sich vielleicht später mit dem Chorgesang beißen wird.
Bei Vocals: Text
Seht es so: Ihr könnt Sangeskünstler vor größter Peinlichkeit bewahren, indem ihr ein wenig mit auf den Text achtet. Ist alles richtig ausgesprochen? Im Zweifel sollte das Internet bemüht oder ein Muttersprachler konsultiert werden – der Aufwand lohnt sich allemal!
Ausdruck und Spiel-/Mikrofondisziplin
Es gibt viele perfekt eingespielte oder gesungene Takes, die technisch in bester Ordnung sind – aber dennoch blutleer und steril klingen. Gerne sind es „staatlich geprüfte Studiomusiker“, die zwar korrekt, aber mit zu wenig Gefühl für den Song einspielen. Viele erfolgreiche Produzenten achten daher in erster Linie auf die Attitude: „Rockt die Rhytmusgitarre?“ ist in den meisten Fällen wichtiger als „Ist der schwierige Griffwechsel sauber gespielt?“.
Schnell passiert es vor allem den Personen vor dem Gesangsmikrofon, dass sie sich im Eifer ihrer Darbietung stärker bewegen, als es euch als Techniker lieb ist. Starke Unterschiede in der Dynamik können zu verstärkten Problemen mit Rauschen auf der einen und Verzerrungen auf der anderen Seite führen, viele Mikrofone reagieren sensibel mit Klangfarbenänderungen bei Bewegung. Das betrifft nicht nur den Winkel der Mikrofonbesprechung, sondern auch den Abstand, da sich der Nahbesprechungseffekt nach der Entfernung von Schallquelle und Empfänger richtet.
Top oder Flop?
Im Regelfall ist es nicht verkehrt, bei einem „Wackelkandidaten“-Take einfach noch einen weiteren anzufragen – wenn es die Zeit zulässt und man den Musiker nicht über Gebühr quält. Wichtig ist dennoch, sich schnell entscheiden zu können: Ist alles, was man benötigt, aufgenommen? Und wie immer im Leben muss man hier abwägen, denn der wirklich perfekte Take ist selten. Es sind Störgeräusche drauf oder ein, zwei schlechte Intonationen, an einer Stelle wurde geeiert – aber das Feeling stimmt? Dann ist die Frage, ob man sich mit kleinen Unzulänglichkeiten arrangieren kann und was im Editing oder durch geschicktes Mixing entschärft, begradigt oder sonstwie repariert werden kann. Die beiden Extreme „We’ll fix it in the editing!“ und „Wir brauchen den absolut perfekten Take!“ sind beide zum Scheitern verurteilt. Hier sind also eure Entscheidung und euer Fingerspitzengefühl gefragt.
Arbeitstipps
Sinnvoll ist es, beim Einspielen schon gut hinzuhören und einen guten, alten Stift und einen Zettel zu benutzen, um gewisse Dinge zu notieren. „0:30 – Intonation?“ oder „1. Bridge, verspielt, aus 2. kopieren oder punchen?“ sind dann gute Anhaltspunkte.
Wie man beim Recording und beim Beurteilen hört, hängt von Signal und Situation ab. Es zeigt sich, dass es manchmal notwendig ist, zumindest ein Stück der bisherigen Tracks als Referenz zu haben (Groove/Timing und Pitch).
DAWs bieten heute vielfältige Möglichkeiten zur Farbcodierung. Eine Möglichkeit ist, graue Regions aufzunehmen und diese dann im Anschluss einzufärben (z.B. knallige Farbe = OK und blasse Farbe = Wackelkandidat). In die Namen der Clips kann man dann auch noch die aufgefallenen Probleme hineinschreiben, wenn man möchte.
Komplette Mischung beurteilen
Für das Beurteilen und Bewerten einer kompletten Mischung gelten andere, weitere Kriterien. Deswegen haben wir auch den Artikel Nach diesen Kriterien beurteilst du (d)einen Mix, in dem ihr auch eine Beurteilungsvoraussetzungen und eine Checkliste findet!