Wieder einmal testen wir ein neues Plugin von Cherry Audio. Diesmal steht ein rarer sowjetischer Synthesizer im Fokus der rührigen Entwickler: Der zweistimmig paraphone Formanta Polivoks erschien zu Beginn der 80er Jahre. Bis dahin war die ehemalige UdSSR bis auf die Termenvoks beziehungsweise Thereminvox nicht gerade für elektronische Musikinstrumente bekannt. Wer sich fürs Original interessiert, erfährt in unserem lesenswerten Vintage Synth Feature viele weitere Details.
Ich möchte gar nicht auf einen A/B-Vergleich zwischen dem Cherry Audio Atomika und dem Polivoks hinaus. Das Plugin ist deutlich günstiger, hat moderne Extras und gibt sich in der DAW anders als das rare Urgestein. Die Frage lautet vielmehr: Was bringt dieser neue Software-Synth für die heutigen Musikproduktion? Sein attraktiver Preis von 49 Euro kann und soll nicht allein das einzige Kaufargument sein.
Das Plugin ist schnell installiert. Beim allerersten Kontakt mit Cherry Audio Atomika habe ich meine Zweifel, ob mich der Neue von Cherry Audio vollauf begeistern kann. Doch so viel vorab: Man kann sich täuschen. Für euch gilt also: weiterlesen, 20 Audio-Demos hören und das Fazit abwarten.
DETAILS & PRAXIS
Cherry Audio Atomika: Polivoks plus Extras
Das Cherry Audio Atomika hält zwar am unvergleichlich rauen Sound des Polivoks fest, schmückt die originale Klangerzeugung aber deutlich aus. So lässt sich das Plugin mit bis zu 16-facher Polyfonie einschließlich Unisono spielen. Der LFO bietet mehr Wellenformen und kann tempo-synchronisiert werden. Anders als beim Original gibt es Velocity, Aftertouch, Glissando sowie Pitch- und Modulationsrad. In der Oszillatorsektion stehen zwei separat modulierbare VCOs mit den Wellenformen Dreieck, Sägezahn und Rechteck, jeweils mit breitem oder schmalem Puls bereit. Der erste Oszillator nutzt mit VCO2 eine simple Frequenzmodulation, ein Noise Generator fehlt ebenfalls nicht.
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Als Unikat entpuppt sich das Filterdesign. Anstelle von State-Variable-Filter kommen beim Polivoks programmierbare Operationsverstärker zum Einsatz. Atomika emuliert sie nicht nur sehr gut, sondern ergänzt sie auch um die Parameter Starve, Filter- und Amp Drive sowie um neue Filtermodi wie Hochpass, Bandspere und Peak Response. Und noch eine Besonderheit: Die beiden ADSR-Hüllkurven für Lautstärke und Filter lassen sich loopen.
Effekte und Arpeggiator beim Cherry Audio Atomika
Wechseln wir vom Main- auf den ARP/FX-View. Auf dieser separaten Seite stellt der Cherry Audio Atomika seinen Arpeggiator und die Effekte zur Verfügung. Vor allem das FX-Angebot ist nicht zu verachten. Es gibt vier einzelne Blöcke: Phaser, Flanger/Chorus, Echo und Reverb. Alle vier Bereiche sind individuell programmierbar. Beim Hall hat man die Wahl zwischen den Reverb-Typen Spring, Plate, Room, Hall und Galactic. Der Echo-Block umfasst Digital-, Tape- und Ping-Pong-Echo. Nicht weniger variabel sind Phaser und Flanger/Chorus.
Mit dem FX-Modulator zieht Cherry Audio noch einen kleinen Joker aus der Tasche. Dahinter verbirgt sich ein spezieller LFO, der ausschließlich zur Modulation der Effekte dient und sich per Modulationsrad steuern lässt. Zusammen mit dem Arpeggiator rüttelt man so die Atomika-Sounds rhythmisch auf. Die Arp-Sektion allein bleibt unspektakulär.
Cherry Audio Atomika: bissige und scharfe Sounds
Nicht weniger als 20 Audio-Demos beweisen es: Der Cherry Audio Atomika hat viele Ecken und Kanten. Seine schneidenden Sounds machen es Ohren und Lautsprechern schwer zu schaffen. Wer es rau, forsch und schmutzig liebt, wird diesen Soft-Synth mögen. Hören wir uns das Aufgebot näher an. Stolze 350 Presets befinden sich bereits im Browser, weitere 100 Sounds könnt ihr als Pack „Chain Reactions“ hinzukaufen.
Stark ist die Library in Bässen, Leads und Arpeggiator-Sounds. Trotz einzelnem Oszillator strotzt er vor Kraft, wie das Audio-Demo 07 (1 VCO Bass) euch demonstriert. Mit der speziellen Filtersektion erzeugt man recht einfach brachiale, fiese und raue Sounds. Gut zu hören ist das in den Audio-Demos 03, 14, 15 oder 17. Für experimentellere Klangstrukturen und Perkussivität ist er auch zu haben. Bei den Polysynths und Pads wirkt der Atomika zwar nicht so geschmeidig wie ein Oberheim, punktet dafür aber mit seinem eigenen Charakter. Hörtipps sind Demos 05 (Cyberia) und 10 (Requiem).
Cherry Audio Atomika ist bedienbar
So gelungen die vielen Presets auch sind: Früher oder später will man selber ran. Es ist dann auch okay, zwischen zwei Seiten wechseln zu müssen. Persönlich gefällt mir das Design im Main View des GUI weniger. Alle Bedienelemente liegen unscheinbar nebeneinander auf dem Panel. Das äußert sich zwar nicht so krass wie beim Cherry Audio Sines, könnte aber farbiger und strukturierter ausschauen. Auch die GUI-Variante mit der Aufschrift in kyrillischen Buchstaben geht an der Praxis vorbei. Hier sollte Cherry Audio besser einen neuen Weg finden und sich nicht so stark am originalen Entwurf festhalten.
Das ist aber nur meine subjektive Wahrnehmung und keine Kritik. Im Grunde lässt sich das Plugin per Focus Zoom-In nämlich gut bedienen. Auch im Verbund mit externer Hardware steht der Atomika gut dar: Man kann praktisch Parameter per MIDI-Control steuern.
FAZIT
Endlich gibt es den Polivoks in erweiterter Form als VST! Cherry Audio Atomika kann ziemlich direkt und schroff klingen. Das unterscheidet das charismatische Plugin von den etlichen VA-Synths mit Weichspülprogramm. Vor allem für härtere Gangarten der elektronischen Musik birgt Atomika großes Potenzial. So heftig und kompromisslos nach Punk klingt der virtuelle Polivoks allerdings nicht. Gerade mit den guten On-Board-Effekten können auch Ambient Producer schöne Klänge fabrizieren und sich mit dem Cherry Audio Atomika anfreunden. Eigentlich würde ich fünf Sterne vergeben, aber das monoton wirkende GUI trübt des Gesamtbild schon ein wenig.
From Russia with Love – hier bekommt man Synth-Geschichte mit nostalgischem Ostblock-Charme auf den eigenen Rechner – sehr erschwinglich und inspirierend. Vielen Dank dafür, Cherry Audio!
Features
- Emulation des Formant Polivoks
- 16 Stimmen, Unisono, Glide
- Zwei separat modulierbare Oszillatoren, Oszillator-FM, Rauschgenerator
- Op-Amp-Filter plus weitere Parameter und typen (HP, Notch, Peak)
- Zwei loopbare ADSR-Hüllkurven, ein tempo-synchronisierbarer LFO
- Vier Effekt-Slots (Phaser, Flanger/Chors, Delay, Reverb)
- FX-Modulator (LFO für Effekte)
- Arpeggiator
- 350 Presets
- Skalierbares GUI, Zoom-In Feature
- Demo-Version (für 30 Tage)
- Systemvoraussetzungen: Ab Windows 7, Mac OS X 10.13 (M1 Support), Online-Aktivierung, VST, VST3, AU, AAX, Standalone
- PREIS: 49 Euro
- Gelungene Emulation des Polivoks
- Filterdesign
- Bässe, Leads und Arpeggios
- Integrierte Effektsektion
- Gute Preset Library
- Sehr günstiger Preis
Wellenstrom sagt:
#1 - 21.10.2024 um 11:08 Uhr
Jo, hier auch schon im Einsatz und gleich in 'nem Track verbaut. Guter, charaktervoller Klang. Beim Schrauben wirkte das Hüllkurvenverhalten etwas, sagen wir mal, spröde, schwammig -whatever - auf mich. Ist allerdings quasi der erste Eindruck. M.E. ein Synth in den man sich peu a peu "einfühlen" bzw. einhören muss. Für 49 € definitiv ein No Brainer und ein Must Have (um es mal mit Anglizismen auszudrücken).
Matthias Sauer sagt:
#1.1 - 21.10.2024 um 18:16 Uhr
Hi Wellenstrom, Danke für Feedback! Ist definitiv ein toller Software-Synth. ;)
Antwort auf #1 von Wellenstrom
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