Corona-Lockdown und kein Ende in Sicht: Die Veranstaltungsindustrie steht seit März 2020 quasi seit einem kompletten Jahr unter Berufsverbot. Corona-konforme Experimente blieben Ausnahmen, noch vor einem halben Jahr getätigte Investitionen in Hygienemaßnahmen erscheinen nach den erneuten Lockdowns im Herbst wie aus dem Fenster geniestes Geld. Wie geht es weiter, fragen sich alle. Wenn wir doch nur in eine Glaskugel schauen könnten, um die Zukunft zu sehen.
- China: Kontrolle durch Kontrolle
- Interview: Ni Bing, Veranstalter und DJ
- Israel: Das Impftestlabor
- Australien: Die einsame Insel
- Mardi Gras 2021 Parade in Sydney
- Interview: Josh Kirkby alias DJ Box aus Sydney/Australien
- Japan: Zwischen Hoffen und Bangen
- Interview: Takkyu Ishino, DJ und Producer
- Interview: Tetsuya Umemura, Club ageHa
- Deutschland und die EU
- Interview: Oliver Vordemvenne, Festivalveranstalter
- Interview: Zohki, Clubmanager
- Interview: Andre Quaas, Booker
- Interview: Hauke Schlichting, mobiler DJ
- Interview: Tanith, Club-DJ
Und diese Glaskugel gibt es: Sie heißt Asien und Ozeanien! Während bei uns noch über Impfungen und Sonderwege gestritten wird, starten China, Israel und Australien bereits in die Post-Corona-Zukunft, wenn auch unter völlig unterschiedlichen Vorzeichen. Gleichzeitig haben dort die ersten Pandemie-Lockerungen, einhergehend mit Einreisebeschränkungen für Ausländer, dazu geführt, dass die lokalen Szenen und DJs enorm gestärkt wurden.
Wir wollen ein wenig beleuchten, unter welchen Bedingungen ein Neustart auch bei uns gelingen könnte.
China: Kontrolle durch Kontrolle
Während bei uns noch gelockdownt wird und in USA und UK zumindest Öffnungsstrategien entworfen werden, wird in China schon wieder gefeiert.: Clubs, Bars und Restaurants sind geöffnet, Festivals finden statt, allerdings mit strengen Sicherheitsauflagen, die mittlerweile normaler Teil des Alltags geworden sind, aber auch ohne die grausam hohen Todeszahlen wie in jenen Ländern, die sich nicht um Pandemiemaßnahmen kümmern.
Im riesigen kontinentalen Flächenstaat China ist das Virus unter Kontrolle. Das ist dem Land durch massenhafte Tests und eine rigorose Überwachungspolitik gelungen, die bei Weitem übertrifft, was sich Corona-App Skeptiker in Deutschland ausmalen.
Ohne die obligatorische Handy-App geht in China gar nichts. Ein sogenannter „Green Code“ weist die Person als nichtinfiziert aus, weil der User keinen Kontakt zu infizierten Personen hatte. Ebenfalls dient sie als Check-in für öffentliche Orte wie Bahnhöfe, Flugzeuge, Taxis oder Restaurants.
Wenn man sich zufälligerweise zur selben Zeit am selben Ort befindet wie eine infizierte Person, wird man automatisch erfasst und zur Quarantäne aufgefordert: zuhause, in einem speziellen Quarantäne-Hotel oder gleich direkt im Krankenhaus.
Diese wird von mehreren staatlichen Organisationen streng überwacht und auch die Nachbarn sind angehalten, sich um die Person in Quarantäne zu kümmern: überprüfen, ob genug zu essen und zu trinken im Haus ist, aber auch schauen, ob die Person ihre Quarantäne-Wohnung unerlaubt verlässt.
Seit Montag, 22. Februar, gab es laut Regierung keine neuen Fälle mehr in China. Das hat auch mit dem chinesischen Neujahrsfest zu tun, dem wichtigstem Fest im chinesischen Kalender, sozusagen Neujahr und Weihnachten auf einmal: Zwei Wochen lang reisen die Chinesen kreuz und quer durchs Land und besuchen ihre Verwandten. Da besteht natürlich gerade in Zeiten von Corona die Gefahr von unkontrollierter Verbreitung des Erregers.
Daher müssen Chinesen einen aktuellen Test vorweisen können, wenn sie reisen wollen. Die verschiedenen Provinzen akzeptieren die Green Codes anderer Städte und Provinzen, so dass sich Personen mit einem entsprechenden Code auf dem Handy frei bewegen dürfen. Wenn es neue Infektionsausbrüche gibt, wie vor einem Monat in Peking und anderen nordöstlichen Städten, dann werden diese sofort abgeriegelt: keine Menschen rein, keine raus. Solange man sich jedoch zwischen Gegenden mit geringem Risiko bewegt, wo es in den letzten 14 Tagen keine neuen Coronafälle gab, hat man Bewegungsfreiheit.
Interview: Ni Bing, Veranstalter und DJ aus Peking/ China
„Unser System hat uns geholfen, die Pandemie sehr effektiv zu überstehen.“
Welche Einschränkungen gelten in China für Veranstalter, DJs und Besucher?
Ni Bing: Im letzten Jahr haben die meisten Festivals nur maximal 15.000 Besucher erlaubt. Mein Rye Music Festival in Zibo (Shandong Province) war eine Ausnahme, weil die lokalen Behörden uns 30.000 Gäste gestatteten. Das Publikum musste beim Eintritt einen Green Code vorweisen können, viele Besucher trugen Masken, aber es gab keine Abstandsregeln. Weil es keine neuen Infektionen mehr gibt, durften die Clubs in China seit dem letzten Wochenende wieder öffnen. Dazu kommt, dass mittlerweile geimpft wird.
In China wird das Smartphone mittlerweile für jeden Bereich des öffentlichen Lebens genutzt, bis hin zum Bezahlen von alltäglichen Einkäufen. Wie wirkt sich dies auf das Leben in der Pandemie aus?
Ni Bing: Clubs, Restaurant, Geschäfte und Shopping Malls sind alle geöffnet, zwar nur mit limitierter Besucherzahl, aber es herrscht keine Maskenpflicht. Dafür benötigt jedoch jeder zwingend einen „Green Code“ auf dem Handy, um diese Orte betreten zu dürfen. Ohne grünen Status darf sich niemand in der Öffentlichkeit aufhalten, sondern muss für die nächsten zwei Wochen in Quarantäne und testen, bis der Status wieder grün ist
Restriktive Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung wie in China sind in Deutschland sehr umstritten, weil sie stark in die Privatsphäre der Menschen eingreifen.
Ni Bing: Ich kann gut verstehen, dass diese Maßnahmen für Menschen aus westlichen Ländern bedrohlich wirken. Ich selbst empfinde sie aber gerade in Zeiten von Corona auch als Sicherheit. Dieses System hat uns geholfen, die ersten beiden Wellen der Pandemie sehr effektiv zu überstehen und zu einem normalen Leben zurückzufinden.
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Israel: Das Impftestlabor
Das kleine Land ist ein echtes Freiluftlabor für die Beurteilung von Chancen und Risiken von Impfstoffen, denn hier wurde sehr schnell so gut wie die gesamte Bevölkerung geimpft und deren Wirksamkeit durch Studien bekräftigt. Deshalb sind seit dem 7. März Pubs, Clubs und Konzert-Venues wieder geöffnet, allerdings nur mit halber Kapazität und nur für ausgewiesene Geimpfte.
Auch ohne Impfnachweis gibt es Zugang zu Veranstaltungen, aber nur mit negativem Testnachweis für maximal 5 % des Publikums. Immerhin dürfen Menschen ohne Impf- und Testnachweis im Außenbereich von Cafés und Restaurants Platz nehmen, weil dort zwei Meter Abstand zwischen den jeweiligen Tischen eingehalten werden muss.
So gab der Pop-Star Ivri Lider im eigentlich 30.000 Zuschauer fassenden Bloomfield Stadium in Tel Aviv ein erstes Konzert für 500 Fans mit Masken und einem „Green Pass“ auf dem Smartphone. Der Green Pass kann eine Woche nach der zweiten Impfung oder nach überstandener Covid-19-Erkrankung ausgestellt werden und ist für 6 Monate gültig.
Und erst jetzt öffnen auch wieder alle Schulen und im Ausland gestrandete Israelis dürfen ins Land zurückkehren. Während wir uns in Deutschland noch auf eine lange Zeit ohne Clubs und Konzerte einstellen müssen, weil immer neue Infektionswellen immer neue Lockdowns notwendig machen könnten, werden in Israel Konzerthallen und Schulen gleichzeitig geöffnet, nachdem die Bevölkerung durchgeimpft wurde.
Australien: Die einsame Insel
Die Australier hatten als Inselbewohner schon immer einen riesigen Respekt vor eingeschleppten Infektionen jedweder Art. Schier unmöglich, auch nur ein unverspeistes Sandwich aus dem Flugzeug ins Land zu schmuggeln.
Durch scharfe Maßnahmen ist „Down Under“ mittlerweile wieder näher an der Normalität oder besser an einem „new normal“. Wie das aussieht, konnten wir auch in Deutschland am Beispiel des Tennis-Turniers „Australian Open“ in Melbourne begutachten: 14 Tage obligatorische Komplettisolation in einem kostenpflichtigen Quarantänehotel für alle Einreisenden aus dem Ausland und sofortige Komplett-Lockdowns beim Auftreten neuer Corona-Infektionen, wie es dann z. B. auch im Bundesstaat Victoria, wo auch Melbourne liegt, geschah.
Der Lohn der Entbehrungen: Clubs und Festivals dürfen wieder öffnen. So fand am 6. März die alljährliche Mardi Gras-Parade im Sydney Cricket Stadion statt.
Zwar mit begrenzter Teilnehmerzahl und mit den lokal vorgeschriebenen Hygieneregeln, aber dennoch ausgelassen und ohne Masken.
Mardi Gras 2021 Parade in Sydney: Begrenzte Teilnehmerzahl, aber Grund zur Hoffnung
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Mehr InformationenInterview: Josh Kirkby alias DJ Box aus Sydney/Australien
„Für die australische Kunstszene war die Pandemie verheerend.“
Wie empfindest du die Pandemiebekämpfung in Australien?
Josh Kirkby: Als Inselstaat haben wir uns bisher sehr gut geschlagen. 99,99 % der Bevölkerung vertrauen den Maßnahmen der Regierung, die auf dem Rat von Medizinern basieren. Pubs und Clubs wurden geschlossen, aber langsam öffnen sich die Dinge wieder. Clubräume können nur im „Cabaret-Modus“ betrieben werden. Das heißt: begrenzte Besucheranzahl, kein Tanzen und alle müssen sitzenbleiben. Doch auch hier sind Lockerungen bereits in Aussicht.
Gab es seitens der australischen Regierung finanzielle Hilfen für Musiker und Künstler?
Josh Kirkby: Die Regierung erhöhte die Arbeitslosenunterstützung „JobSeeker“ und zahlte zusätzlich 1500 US-Dollar für diejenigen, die betroffen waren, aber immer noch Jobs hatten. Jeder Arbeitnehmer, der Steuern gezahlt hatte, wurde über seinen Arbeitgeber als „Jobkeeper“ bezahlt. Für Unternahmen gab es günstige Kredite, aber keine Extrazahlungen.
Für die Kunstszene war die Pandemie jedoch verheerend, viele mussten nach alternativen Arbeitsplätzen suchen. Unabhängige Künstler und Visuminhaber waren die letzten, die für irgendeine Art von Wohlfahrt in Betracht gezogen wurden, finanzielle Hilfen kamen nur von Wohltätigkeitsorganisationen.
Japan: Zwischen Hoffen und Bangen
Noch im Mai 2020 galt Japans Umgang mit der Pandemie auch europäischen Virologen als Vorbild. Die wachsende Corona-Müdigkeit der Bevölkerung und umstrittene Förderungsmaßnahmen der Regierung wie die „Go To Travel“-Kampagne für geldwerte Beihilfen für Inlandreisen und „Go To Eat“-Coupons für das Essen auswärts sorgten für volle Züge, Flugzeuge und Restaurants, halfen aber auch bei der Verbreitung des Virus.
Zwar sind die Grenzen für alle Ausländer ohne festen Wohnsitz in Japan geschlossen, aber Schulen und Kindergärten, Geschäfte, Supermärkte, Friseure und Fitnessstudios sind geöffnet, Sportveranstaltungen mit bis zu 5.000 Zuschauern sind erlaubt.
Auch Veranstaltungen im Januar wie der Feiertag der Volljährigkeit, wo sich 20-Jährige im Kimono und Anzug in Massen für Selfies versammeln oder das Sumo-Neujahrsturnier fanden trotz einer Infektionswelle unter den Ringern fast wie gewohnt statt.
Bars und Restaurants dürfen nur bis 20:00 Uhr öffnen und sind angehalten, selbst für Hygienemaßnahmen zu sorgen.
Interview: Takkyu Ishino, DJ und Produzent aus Tokio
„Für die Zukunft können wir nur hoffen!“
Nicht nur durch seine Band Denki Groove genießt Takkyu Ishino Popstar-Status und ist wohl der bekannteste DJ in Japan.
Wie ist die momentane Situation der Clubs in Japan?
Takkyu Ishino: Hier in Japan wurden keine Lockdowns wie in Deutschland oder Frankreich verhängt. Im April 2020 wurde jedoch der „Ausnahmezustand” ausgerufen und Clubs mussten die Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln nach eigenem Ermessen organisieren. Daraufhin stellten einige der großen Clubs ihre Geschäfte unabhängig voneinander ein, aber es scheint, dass mehrere kleine Clubs ihre Geschäfte weiterführten.
Nachdem der Ausnahmezustand Ende Mai 2020 aufgehoben worden war, wurden viele Veranstaltungen und Festivals, die danach geplant waren, „aufgrund von COVID-19“ Anliegen verschoben oder abgesagt.
Einige Clubs nahmen ihre Geschäftstätigkeit gegen Ende 2020 schrittweise wieder auf, aber die Notstandserklärung wurde im Januar dieses Jahres erneut bekanntgegeben und jetzt stellen fast alle Clubs ihre Geschäftstätigkeit ein.
Gibt es finanzielle Unterstützung für Arbeitnehmer aus der Unterhaltungsindustrie (DJs, Musiker, Clubmitarbeiter, Techniker) von der Regierung?
Takkyu Ishino: Es gab Unterstützungen für Veranstaltungen, die durch die Notstandsmaßnahmen betroffen waren und auch für Künstler im Allgemeinen, die sich nicht nur auf DJs und Musiker beschränkte. Das Verfahren war jedoch sehr kompliziert und die Prüfung streng, daher waren die Menschen und die Ereignisse, die die Unterstützung erhalten konnten. Soweit ich aus den japanischen Nachrichten weiß, denke ich, dass die Unterstützung für Künstler in Deutschland umfangreicher ist.
Was ist deine Prognose für die Zukunft?
Takkyu Ishino: Leider dauert es noch einige Jahre, bis sich dieser Corona-Wahnsinn gelegt hat. Für die Zukunft können wir nur hoffen.
Interview: Tetsuya Umemura, Club ageHa, Tokio
„Wir werden nichts überstürzen, sondern langfristig planen!“
ageHa ist ein großer Techno-Club auf dem Gelände Studio Cast außerhalb von Tokio. Tetsuya Umemura ist dort für das Booking und die operative Leitung zuständig.
Wie sehen die Beschränkungen in den japanischen Clubs aus?
Tetsuya Umemura: Die aktuellen Richtlinien für Clubveranstaltungen beinhalten die Begrenzung der Anzahl der Besucher, das Tragen von Masken und die Verwendung von Desinfektionsmitteln sowie räumlichen Abstand zwischen den Besuchern. Wir wurden jedoch nur aufgefordert, diese Richtlinien einzuhalten, es handelt sich nicht um gesetzliche Verpflichtungen oder strenge Vorschriften. Aus diesem Grund halten wir diese Richtlinien für unfair, da die Clubbetreiber die erforderlichen Maßnahmen sehr unterschiedlich handhaben können.
Gab es finanzielle Unterstützung seitens der japanischen Regierung?
Tetsuya Umemura: Der sogenannte „Erleichterungszuschuss“ war eine einmalige Zahlung, die nicht nach der Größe jedes Unternehmens skaliert wurde.
Viele Veranstaltungsorte waren angesichts der derzeitigen Unterstützung nicht in der Lage, ihre Veranstaltungen zufriedenstellend abzuhalten oder ihre Miete zu zahlen.
Es ist klar geworden, dass die Veranstaltungsbranche unter dem Status Quo nicht überleben kann. Die japanische Regierung hat sich äußerst verspätet mit den Bedürfnissen der Unterhaltungsindustrie befasst und sollte die Bedeutung des Veranstaltungs- und Unterhaltungssektors erkennen, auch vor dem Hintergrund, dass die Olympischen Spiele im Juli und August dieses Jahres in Tokio stattfinden sollen.
Das gilt auch für die Künstler: Sie sind ebenfalls mit einer schwierigen Situation konfrontiert, da sie nirgendwo ihre Arbeit ausüben können.
Wie bereitet sich das ageHA auf die Zeit nach dem Ende der Pandemie vor?
Tetsuya Umemura: Es ist nicht so einfach, die verlorenen Kunden zurückzugewinnen. Club ageHa befindet sich weit entfernt vom Stadtzentrum im STUDIO COAST, der als Touristenattraktion dient. Mit einer Kapazität von 2.400 Personen sind die Kosten für das Halten von ageHa nicht mit anderen Veranstaltungen vergleichbar. Zudem verpflichten wir Top-Künstler aus der ganzen Welt. Wir werden also nichts überstürzen, sondern langfristig planen und hoffen, ausländische Künstler wieder nach den Olympischen Spielen in Tokio einzuladen.
Deutschland und die EU
Laut EU-Kommissar Thierry Breton vom 15. Februar will die EU bis Ende des Sommers jedem interessierten Bürger ein Impfangebot machen. Ob dies auch jeder beanspruchen wird, darf aufgrund einer weitverbreiteten Impfskepsis bezweifelt werden. Ob sich jede impfwillige Person zeitnah impfen lassen kann, ist aufgrund der oft unorganisiert wirkenden Maßnahmen der Regierungen ebenfalls unklar. Und welche Konsequenzen, dies auf die Wiedereröffnung von Clubs und Festivals haben wird, ob z. B. Clubbesitzer von ihrem Hausrecht Gebrauch machen und nur Gäste mit Impfung reinlassen werden oder ob dies wie in China oder Israel gesetzlich obligatorisch wird, wird die Zukunft zeigen und soll hier nicht erörtert werden.
Aber was erwarten deutsche DJs, Booker, Clubmanager und Festivalveranstalter von der Post-Corona-Zukunft? Im Bonedo-Interview mahnte DJ Hell erst kürzlich eine höhere Wertschätzung der Veranstaltungsbranche in Deutschland an.
https://www.bonedo.de/artikel/einzelansicht/interview-mit-dj-hell-kunst-corona-clubkultur.html
Gerade in diesen Krisenzeiten dürften sich die meisten Bonedo-Leser dieser Forderung anschließen.
Interview: Oliver Vordemvenne, der Festivalveranstalter
„NATURE ONE gibt es nur ganz – oder gar nicht.“
Oliver Vordemvenne ist Geschäftsführer der i-Motion GmbH und veranstaltet u. a. mit der Nature One, eines der größten und beliebtesten Open Air Festivals Europas.
Wie hart treffen die Pandemie-Einschränkungen große Festivals wie die Nature One und ihre vielen Mitarbeiter?
Oliver Vordemvenne: Finanziell gesehen können wir in Deutschland sehr froh über das Kurzarbeitergeld sein, damit kommen unsere festangestellten Mitarbeiter einigermaßen über die Runden. Einige unserer Mitarbeiter halten sich darüber hinaus mit Nebenjobs über Wasser. Große Sorge bereitet uns die Situation von vielen Dienstleistern, Freelancern, Künstlern, Bookern etc. Da sieht es teilweise wirklich bitter aus. Außerdem haben wir nun seit 11 Monaten ein Berufsverbot. Das ist auch emotional nicht so ganz einfach.
Habt Ihr Konzepte ausgearbeitet, die es euch ermöglichen würden, die Nature One und andere Festivals 2021 unter Pandemiebedingungen?
Oliver Vordemvenne: Leider sieht es im Moment nicht danach aus, ein Festival mit 65.000 Menschen durchführen zu können. Bei NATURE ONE kommt für uns eine Durchführung mit Einschränkungen wie Maske tragen, Abstand halten, Kapazitätsreduzierung o. ä. nicht in Frage.
Festivals sind gelebte Freiheit, loslassen, Alltag vergessen, Enthemmung. Schwer vorstellbar, wie das mit Maskenpflicht und Abstandsgebot funktionieren soll.
NATURE ONE gibt es nur ganz – oder gar nicht. Da warten wir lieber noch ein Jahr und feiern dann den größten Rave aller Zeiten.
Interview: Zohki, Clubmanager
„Wir werden mehr auf lokale DJs setzen!“
Zohki ist für Booking und Marketing im Perlenkind Club in Essen zuständig. Weiterhin ist er als DJ und Producer tätig, u. a auf dem renommierten Leipziger House Music Label „Moon Harbour“ und seinem eigenen Imprint „Deep In You Music“
Welche Planungen sind bei der völlig unübersichtlichen Corona-Lage derzeit für Clubs machbar?
Zohki: Aufgrund der aktuellen Verordnungen und das unkreative und schlechte Management der Bundesregierung ist für Clubs leider nichts machbar.
Wir konnten in der Zeit allerdings einmal in Zusammenarbeit mit #EuropeCares, tagsüber eine Spendenaktion im Club organisieren, wo wir sehr erfolgreich Spenden für geflüchtete Menschen auf Lesbos gesammelt haben.
Welche Maßnahmen betreibt euer Club, um auch nach dem Ende der Pandemie noch da zu sein?
Zohki: Der Club-Betreiber Baris Yilmaz und ich haben uns für die Zukunft folgendes vorgenommen:
Punkt 1: Wir werden versuchen, mehr auf regionale DJs zu setzen und diese zu fördern, anstatt auf kostspielige Headliner zu setzen. Die Headliner werden wir in Zukunft aber trotzdem nicht ausschließen.
Punkt 2: Es wird neben den elektronischen Samstagen neue Events geben. Hierzu wollen wir an Feiertagen beispielsweise Konzerte, Poetry Slams, Panels etc. anbieten, die für viele unserer Gäste untypisch, neu und erfrischend sein werden.
Punkt 3: Wir möchten die völlige Privatsphäre unserer Gäste garantieren und werden in Zukunft Foto- und Videoaufnahmen ausnahmslos verbieten. Außerdem tun wir unseren Gästen damit unbewusst Gutes, da sie ansonsten nicht sich wirklich fallenlassen können, wenn sie ständig aufs Handy schauen müssen auf der Tanzfläche und sogar andere Gäste damit stören.
Punkt 4: Wir werden unsere Resident DJs neu aufstellen und setzen auf talentierte Newcomer, die nicht nur die Top 100 Techno Charts wie ein CD-Spieler wiedergeben, sondern qualitative, nachhaltige Musik spielen, kennen und ggf. auch produzieren.
Punkt 5: Der letzte Punkt liegt uns besonders am Herzen: das Thema „Diversität“.
Leider ist die elektronische Musikszene sehr männerdominiert und das wollen wir definitiv für unseren Club ändern, indem wir Diversität noch mehr fördern!
Daher: Wenn ihr euch angesprochen fühlt oder eine gute Künstler:in kennt, dann meldet euch bei unserem Booker: sahak.i@perlenkind-club.de
Interview: Andre Quaas, Booker
„Eine extrem große Anzahl an Künstlern und Freiberuflern fällt durch‘s Raster.“
Andre Quaas betreibt in Leipzig die Booking-Agentur Times Artists und vertritt so renommierte Künstler wie Matthias Tanzmann oder Timo Maas.
Als Booking-Agentur besteht euer Kerngeschäft aus der Vermittlung von Künstlern an Veranstalter, was seit den Lockdowns nur noch schwer möglich erscheint. Habt Ihr auch in der Pandemiezeit Bookings tätigen können und wie sahen die aus?
Andre Quaas: Wir hatten seit März 2020 nur wenige Bookings. Das waren überwiegend sehr kleine Privat-Veranstaltungen oder Streaming-Events. Wir hatten im Sommer auch ein paar wenige Termine in der Schweiz, als dort kleine Clubs vorübergehend öffnen durften, sowie kleine Open Air Events in Deutschland. In Übersee fand für uns seither gar nichts statt und auch alle größeren Clubs und Veranstaltungen, mit denen wir regelmäßig zusammenarbeiten, waren geschlossen oder abgesagt.
Bereitet Ihr euch schon auf Post-Corona vor und welche Veranstaltungsformen erscheinen euch realistisch?
Andre Quaas: Wir behalten die Agentur lückenlos am Laufen und sind im regelmäßigen Austausch mit vielen Veranstaltern sowie Kollegen anderer Agenturen (z. B. über Booking United). Ob es in diesem Jahr große Indoor-Veranstaltungen oder gar Festivals geben wird, ist aktuell schwer einzuschätzen. Manche haben ja bereits auch die diesjährigen Termine schon auf 2022 geschoben. Wir hoffen auf eine baldige Genehmigung von verantwortungsvollen Konzepten In- und Outdoor. Sehr viele Veranstalter haben in den letzten Monaten sehr viel dafür getan. Und viele Menschen wünschen sich die Öffnung von Kunst- und Kulturbetrieben, sobald sich die Lage wieder entspannt. Sobald dies möglich ist, sind auch wir bereit.
Welche Informationen, Impulse und Hilfen aus der Politik wären jetzt am wichtigsten?
Andre Quaas: Für uns ist es vor allem wichtig, dass wir wirtschaftlich – betrieblich wie privat – die Zeit überstehen und bei Öffnung der Veranstaltungsbetriebe auch gleich wieder arbeiten können. Die bisherigen Hilfsmaßnahmen waren gut, wenn auch nicht ausreichend. Anders als Angestellte, die KuG beziehen können, erhalten wir seit März 2020 kaum private Kosten erstattet, weder für Lohnausgleich, Mieten, Kranken- und Altersvorsorge etc.
Die November- und Dezember-Hilfen, die Umsatzausfälle kompensieren sollen, hätten da ein Schritt in die richtige Richtung sein können. Allerdings profitieren vorwiegend international tätige Agenturen wie unsere davon kaum, weil dort nur in Deutschland erzielte Umsätze geltend gemacht werden können.
An dieser Stelle würden wir uns ein angemessenes Entgegenkommen wünschen, mehr Verständnis für die Funktionsweise unserer Branche und mehr Weitblick. Das Jahr 2020 haben wir mit einigen blauen Augen irgendwie durchgestanden. Ob uns das bei einem weiterhin andauernden Veranstaltungsstillstand 2021 ebenso gelingt, ist fraglich. Und auch 2022 wird ja nicht lückenlos an den Status Quo von 2019 anschließen.
Da wir die Schnittstelle zwischen den Veranstaltern und Künstlern sind, liegt uns auch das Wohlergehen dieser beiden Bereich sehr nahe. Während für einige Veranstaltungsbetriebe gut durchdachte Hilfsmittel geschaffen wurden, fällt eine extrem große Anzahl an Künstlern und Freiberuflern durchs Raster und kämpft um ihre Existenz, anstelle sich angemessen ihrer Künste und Talente widmen zu können.
Falls diese ihre Arbeit wegen Corona dauerhaft aufgeben, wäre das nicht nur ideell ein Verlust, sondern auch ein wirtschaftliches Problem für die Veranstalter und für uns als Agentur, da uns dann die Grundlage für unser Business fehlt.
Was kann uns der Blick nach Asien lehren?
Andre Quaas: Trotz globaler Vernetzung ist Asien in vielen Dingen gefühlt noch recht weit weg von Europa. Während dort seit vielen Jahren das Tragen von Schutzmasken in einigen Bereichen eine Selbstverständlichkeit ist, wurde dies in Europa noch im Frühling 2020 offiziell belächelt und wenige Monate später dann doch nahezu flächendeckend als Pflicht eingeführt. Und aufgrund höherer Technikaffinität scheint dort digital auch einiges fortschrittlicher zu laufen. Es wäre zumindest gut, wenn man nicht immer seine eigene Heimat als Mittelpunkt der Welt ansieht und offen bleibt für Erfahrungswerte aus Regionen, in denen man sich manchen Themen schon länger widmet.
Interview: Hauke Schlichting, mobile DJ
„Leider ist abzusehen, dass der gesamte Eventbereich auch nicht besser als z. B. Schulen behandelt wird.“
Hauke Schlichting ist seit 17 Jahren mobiler Hochzeits- und Event-DJ
Hattest du auch während der Pandemie Gelegenheit, deinem Beruf unter Corona gerechten Bedingungen nachzugehen?
Hauke Schlichting: Ich hatte Ende September/Anfang Oktober zwei Hochzeitsfeiern, die sich beide deutlich von „normalen“ Hochzeitsfeiern unterschieden. Bei der ersten gab es im Prinzip ein Tanzverbot auf Wunsch des Brautpaars, es wurde nur ab und zu einzeln etwas getanzt. Immerhin war es ein lauer Sommerabend direkt an der Spree mit vielen offenen Fenstern und Boxen draußen, so dass ich bis nach 02.00 Uhr Musikwünsche erfüllen konnte. Die Feier im Oktober musste kurz zuvor wegen neuer Auflagen von 50 auf 25 Gäste zusammengedampft werden. Die Verwandtschaft wurde gegen 20.00 Uhr nach Hause geschickt, dann kamen die engsten Freunde. Um 24.00 Uhr war aber behördlicherseits Schluss mit Musik und Alkoholausschank.
Hast du bereits Anfragen für Hochzeiten und Firmenfeiern für einen Tag X nach der Pandemie?
Hauke Schlichting: Tatsächlich gibt es ca. ein Dutzend Buchungen ab dem Sommer, eine Feier für 2022 und sogar schon eine für 2023, da wollte ein Brautpaar ganz auf Nummer sicher gehen. Viele Locations sind anderthalb bis zwei Jahre im Voraus ausgebucht, bei einer Verschiebung der Feier kommt es zu entsprechenden Verzögerungen. Firmenfeiern scheint es erst wieder zu geben, wenn alles wirklich gesichert ist, da geht niemand ein Risiko ein, bei den Brautpaaren scheint es (glücklicherweise) mehr zu pressieren, vielleicht sind die auch einfach mutiger. Aber die Auftragslage ist auch für 2021 deutlich schlechter als 2019.
Auf welchen Zeitraum hast du dich eingestellt, bis es wieder weitergeht und welche Szenarien erwartest du?
Hauke Schlichting: Ich hoffe, dass es ab dem Hochsommer wieder Feiern mit Auflagen und Einschränkungen geben kann, im Spätsommer dann hoffentlich mit weniger Einschränkungen. Feiern in Clubs und Diskotheken erwarte ich aber erst frühestens Anfang 2022. Leider ist abzusehen, dass der gesamte Event-Bereich auch nicht besser als z. B. Schulen behandelt wird. Dabei gäbe es so viele technische Möglichkeiten, die Wirkung von Impfungen zu unterstützen. Aber wenn schon für Schulklassen keine professionellen Raumluftfilter angeschafft werden, wird man das der Event-Branche auch nicht als Weg vorschlagen.
Interview: Tanith, Club-DJ
„Wir können nur froh sein, dass Wahljahr ist, sonst würde es sicher noch finsterer aussehen.“
Das Schlusswort soll DJ Tanith haben. Der Berliner Techno-DJ der ersten Stunde war schon immer ein Freund klarer Worte.
Wir alle müssen befürchten, dass Clubs in Deutschland als allerletzte Orte wieder öffnen dürfen. Welche Öffnungsszenarien erwartest du und wie können wir DJs uns am besten darauf vorbereiten?
Tanith: Es wird ein Hauen und Stechen um die ersten Gigs geben. Ich denke, Open Airs werden als erste zugelassen, das hätte man auch letztes Jahr schon machen können, deswegen zweifele ich, ob das dieses Jahr anders läuft, Stichwort Mutanten. Man kann im Moment eigentlich nicht anderes tun als weiter netzwerken und hoffen, dass die Locations, die man einst bespielte, nach der Öffnung, wann immer das sein wird, noch da sind.
Hältst du eine Corona-Veranstaltungskultur, wie sie in Asien bereits praktiziert wird, auf Europa übertragbar?
Tanith: Ich denke, dass es eh nicht wieder wird wie vor der Pandemie, wir werden uns da sicher in einigen Bereichen umgewöhnen müssen. Was allerdings auch eine Generationenfrage ist. Nachwachsende Generationen werden mit den neuen Parametern sicher besser zurecht kommen, weil sie nichts anderes kennen. Wir, die wir das Vorher noch kennen, werden wahrscheinlich einiges eher befremdlich finden, aber App und Masken würden mich persönlich nicht vom Feiern abhalten.
Welche Erkenntnisse hast du aus der Coronakrise für dich gewonnen?
Tanith: Die erste Erkenntnis dürfte sein, dass die Politik, Kultur und Soloselbstständigkeit trotz aller Lippenbekenntnisse irgendwo knapp neben dem Görli Dealer ansiedelt. Wir können nur froh sein, dass Wahljahr ist, sonst würde es sicher noch finsterer aussehen. Die daraus eruptierende Erkenntnis ist: Wir müssen uns entweder viel besser aufstellen oder von vornherein die Rechnung ohne den Staat machen. Man sagt ja, in der Krise zeigt sich der Charakter und der hat im vergangenen Jahr mit all seinen Versprechungen, Nichteinhaltungen, Finten und Schikanen in den Antragsanstellungen kein gutes Bild abgegeben. Ich erwähne nur mal die Nichtgeltendmachung der Auslandsgigs in den November- und Dezemberhilfen, obwohl man für diese schön Steuern zahlen durfte oder die Nichtaussetzung der Bedarfsgemeinschaft, wenn man schon in Hartz IV gesteckt wird.
Ziehst du für dich auch etwas Positives aus der Pandemie?
Tanith: Als positiv empfand ich die große Solidarität unter Artists, Publikum und Clubs, sei es durch Crowdfundings, Spenden, what ever. Des Weiteren fand ich es super, wie sich Clubs oft auf die neue Situation eingestellt und Alternativen gefunden haben, um zumindest ihr Überleben oder das ihrer Mitarbeiter zu sichern. Ich sage mal, wenn man den Clubs die Planungssache mit den Impfungen überlassen hätte, wären wir da heute auch weiter. Auch da zeigt sich in der Krise: Wer was kann und wer schon in normalen Zeiten mit Provisorien umgehen kann, der kann das eben auch in Krisenzeiten. Schade, dass die Politik solche Expertisen oft nicht erkennt.