Willkommen zum vierten Teil unseres Chromatik-Workshops. In den letzten Folgen ging es primär um die Chromatik im Solospiel. Dort begegnete uns unsere Halbtonleiter in erster Line in einem tonalen Rahmen – wir haben also Skalentöne mit Halbtonschritten aufgefüllt oder Arpeggiotöne eingekreist. Doch Melodie- und Solospiel sind nicht die einzigen Einsatzgebiete der chromatischen Tonleiter, denn abgesehen davon begegnet uns dieses Stilmittel auch in der Begleitung, in Akkordprogressionen wie in Riffs.
Auf der Gitarre, aber auch bei Tasteninstrumenten, können durch Chromatik sehr interessante Effekte und Sounds entstehen. Deswegen wollen wir uns zu Beginn ein paar bekannte Riffs anschauen, die sich dieses Mittels bedienen, und sie analysieren. Ziel ist es, eigene Akkordfolgen mit chromatischem Material aufzupeppen und mit den erlernten Tools kreativ umzugehen.
War es im Jazz schon immer gang und gäbe, Chromatik in Solospiel und Begleitung einzusetzen – auch die Klassik bedient sich gerne chromatischer Melodien, wie z.B. Korsakovs “Hummelflug” oder die “Habanera” aus Bizets “Carmen” – so muss man im Pop/Rockbereich schon etwas genauer hinschauen und die Historie durchforsten, um zu einigen Beispielen zu gelangen. Doch es gibt sie und gute Songwriter wissen sie so einzusetzen, dass sie entweder einen bestimmten Effekt erzielen oder uns im anderen Fall als Hörer gar nicht erst besonders auffallen.
In der Mutter der Rockmusik, dem Blues, finden wir sehr gute Möglichkeiten, uns Akkorden entweder chromatisch von oben oder von unten anzunähern. Meist passiert das gegen Ende des Taktes und führt zu einem neuen Akkord.
Hier ein Beispiel für einen Blues in G. Im Playback könnt ihr euch selbst austoben und auch gerne verschieden Approaches variieren (z.B. statt von oben diesmal von unten etc.). Ich habe für das Beispiel die Akkorde meist nur ganz einfach in halben Noten gelegt und den Akkordwechsel dann chromatisch eingeleitet.
In den 60ern finden wir bei Jimi Hendrix, der ja stets sehr offen gegenüber anderen Stilistiken war, in seinem Cover des Stückes “Hey Joe” einen tollen chromatischen C-Teil. Die zugrundeliegende Akkordfolge lautet:
Jimi spielt zu Beginn des Laufes den Grundton C, alle anderen Grundtöne (G,D, A und E) werden jeweils drei Halbtöne tiefer chromatisch steigend angenähert:
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Ein weiters Beispiel für chromatische Single-Note-Lines in Rockriffs finden wir wenige Jahre später bei Deep Purples “Into the fire” (der Refrain von “Space Trucking” wäre ein weiteres Beispiel für chromatische Läufe in Deep Purple Songs und bestimmt gibt es noch viele mehr). Hier verknüpft Blackmore im Prinzip die Endnote der einen Phrase mit dem Startton der neuen Phrase, und das an mehreren Stellen:
Stevie Wonder ist ein Meister der Chromatik in der Pop/Soulmusik, was kein Wunder ist, da Wonders Musik harmonisch sehr starke Jazzanleihen hat. Insofern ist der Weg zur Chromatik nicht allzu weit.
Konzeptionell ganz analog zu Hendrix und Blackmore begegnet uns das Riff von “I wish”. Die Introakkorde pendeln zwischen Ebm7 und Ab7, und auch hier nähert er sich dem Grundton des Ebm chromatisch von unten an:
In dem nächsten großen Stevie Wonder Hit “Sir Duke” finden wir vor dem Refrain sogar vollständige Akkorde, die gänzlich in Halbtonschritten wandern, in diesem Fall ist jeder Akkord ein Dominant 7/9:
Chromatik auf Basis der Bluestonleiter ist sehr verbreitet und findet stilübergreifend auch in jeder Epoche der Rock/Popgeschichte statt.
Hier das allseits beliebte Aerosmith-Riff “Walk this way”. Da die Intro in E steht, bedient sich die Band der E-Bluestonleiter:
Oder auch in Metallicas “Seek and Destroy” finden wir einen chromatischen Lauf, der der E-Bluestonleiter entspringt, zum einen in Takt 5 und zum anderen finden wir die Blue Note in Takt 7.
Gerade bei Metalbands wird Chromatik gerne eingesetzt (“Master of Puppets” oder “For whom the bell tolls” wären nur ein paar weitere Beispiele von Metallica, aber auch Slayer Riffs sind geradezu voll davon).
Kleine Dosierungen von Halbtonschritten finden wir häufig in Form von Durchgangstönen wie hier beim Intro von Nirvanas “Come as you are” – Kurts Gitarre wurde hier einen Ganzton tiefer gestimmt und natürlich mit dem legendären Small Clone Chorus von Electro Harmonix eingespielt:
Oder aber in Form von ganzen Durchgangsakkorden am Beispiel von “Reckoning Day” von Megadeth. Das Original ist zwar in Eb-Tuning, für Euch habe ich es allerdings in Standard E-Tuning aufgenommen. Der chromatische Durchgang findet sowohl über dem E-Riff als auch über dem F#-Riff statt:
Im Outro von Billy Idols “Rebell Yell” hat sich Steve Stevens, der ohnehin für seine ausgefuchsten Rhythmusgitarrenparts bekannt ist, etwas ganz besonderes ausgedacht. Steve spielt Quart-Powerchords, die sich chromatisch steigend wie fallend über das Refrain-Riff bewegen.
Die Zielnoten sind entweder F# und B im viertem Bund oder A und D im siebten Bund. Bezogen auf die darunterliegenden Harmonien ergibt das für Takt 1 Septime und kleine Terz vom Bm, für Takt 2 Quinte und Grundton vom Bm, im Takt 3 landen wir auf Quinte und Grundton des D, aber in Takt 4 erhalten wir die maj7 und die große Terz des G.
In den Noten seht ihr sowohl die Main Rhythm Guitar als auch die chromatische Powerchordline:
Lasst uns nun versuchen, mit unserer Halbtonleiter eigene Ideen zu entwickeln!
Manchmal kann es sein, dass man ohnehin eine chromatische Song-Idee im Kopf hat, die bereits relativ klar definiert ist. Eine andere Situation könnte jedoch auch sein, von einer bestehenden Akkordfolge oder generell einer Komposition auszugehen und einfach zu experimentieren, wo man Halbtonschritte einfügen kann. Wir haben es hier also mit einem Thema zu tun, das weit über unseren rein instrumentalen Aufgabenbereich hinausgeht, denn eigentlich handelt es sich bereits um das Arranging eines Songs, da ja evtl. die andern Instrumente unsere chromatischen Eskapaden in ihren Part mit aufnehmen müssen), oder wir greifen in die Komposition ein (vorausgesetzt, der Komponist ist damit einverstanden).
Zum Anfang möchte ich euch ein Funkriff vorstellen, bei dem wir es mit einem steady 16tel Groove über D7/9 zu tun haben :
Eine Singlenote-Gitarre mit einigen chromatischen Elementen könnte so aussehen bzw. klingen. Wichtig dabei ist, wie auch beim Solieren, dass die Chromatik irgendwo “hinführt”:
Noch mehr Möglichkeiten haben wir, wenn es sich um eine ganze Akkordprogression handelt. Im folgenden Beispiel wurde der D7 Groove erweitert um:
Das klingt in der Basis-Variante so:
Aufgepeppt durch chromatische Durchgangsakkorde und chromatic approaches haben wir allerdings eine ganz andere Baustelle. Der Bass darf an der einen oder anderen Stelle unsere Durchgangsakkorde mitspielen. Das kann den Effekt natürlich noch verstärken, aber selbst wenn er es nicht täte, würden Durchgangsakkorde in den meisten Fällen trotzdem funktionieren. Hier muss euer Ohr, wie immer, die letzte und entscheidende Instanz sein.
Begeben wir uns in die “Classic – 70s” Rock-Abteilung, in der es leider bereits alle möglichen Riffs gibt und es deshalb schwerfällt, ein klassisches Rockriff in diesem Stil zu kreieren, das nicht bereits auf einer Led Zeppelin oder Deep Purple Platte in ähnlicher Form zum Einsatz kam.
Manchmal kann man jedoch mithilfe der chromatischen Tonleiter ein Riff etwas umgestalten, ohne dessen musikalische “Quintessenz” vollkommen zu verlassen.
Betrachten wir dieses Riff:
Die essentiellen Noten dieses Zweitakters sind im Prinzip das C für Takt 1 und das F für Takt 2 (das ist auch genau das, was der Bassist macht). Wenn wir jetzt alle anderen Noten etwas umarrangieren und ein wenig Chromatik einfügen, erhalten wir dieses Riff. Das ist zwar ähnlich, aber trotzdem verleihen die Halbtöne dem ganzen eine besondere Würze, und wenn der Bass das Ganze noch mitspielt, kommt richtig Freude auf:
Betrachten wir nun ein Riff, das über einer ziemlich gewöhnlichen Akkordfolge zustande kommen kann, wie z.B. folgender:
Hier haben unsere Akkorde an manchen Stellen so große Abstände, dass wir nicht einfach jeden davon chromatisch auffüllen können. Aber vielleicht fallen uns ein paar Möglichkeiten ein, wie wir über die jeweiligen Akkorde ein wenig chromatisches Material einsetzen.
Mit normalen Powerchords gespielt, klingt die Progression so:
Allerdings ist auch das Folgende über diese Akkordfolge möglich:
Im Prinzip nähere ich mich an verschiedenen Stellen entweder dem neuen Akkord chromatisch an, oder spiele über den jeweiligen Akkord den Quartpowerchord chromatisch von unten an. In diesem Beispiel habe ich das willkürlich gewählt, aber probiert aus – es funktioniert an verschiedenen Stellen.
So weit einstweilen für diese Folge. All das oben erwähnte ist natürlich kein Zwang, sondern lediglich ein Tool, um die eine oder andere Akkordfolge zu “würzen”. Oder anders ausgedrückt: “No rules, just tools!”
Vermutlich ist es sogar ratsam, mit solchen Stilmitteln mit Bedacht umzugehen, denn zum einen will man ja nicht, dass jeder Song einen ähnlichen Sound bekommt und zum andern gibt es natürlich auch genug weitere Möglichkeiten, Akkordfolgen zu pimpen. Entscheidet selbst, in welchen Topf ihr greifen wollt und geht kreativ mit allen Möglichkeiten um.
In der nächsten Folge möchte ich euch noch einige Konzepte zeigen, wie wir uns mit der Chromatik noch weiter aus dem Fester lehnen können und den tonalen Rahmen beim Solieren noch etwas weiter ausreizen – natürlich wieder mit vielen Tricks und Übungen.
Bis dahin viel Erfolg mit dem neuen Stoff
Haiko