Praxis
British Oddity: etwas befremdliche Bedienung
Im Handling ist das Coles durchaus gewöhnungsbedürftig: Der Western-Electric-Adapter ist zwar leicht installiert, die Deinstallation hingegen ist durchaus eine etwas schrullige Sonderlösung, da die Blechringe am Korpus zusammengedrückt werden müssen, um den Arretiersplint für den dicken Adapterstecker freizugeben. Das bedeutet natürlich auch, dass man viel Vertrauen benötigt, um ein 4038 mit Adapter “upside-down” zu verwenden, wie es besonders bei Overheads und Gesangsmikrofonen öfters gemacht wird. Hier sollten dann die Ösen ins Spiel kommen und das Bändchenmikro wirklich an Bügel gehängt werden, statt an ein Gewinde geschraubt zu werden (oder eben beides). Alles kein Beinbruch, aber das wirklich Dumme ist, dass der kleine Plastikkoffer, in welchem das 4038 geliefert wird, Mikrofon und Adapter nur demontiert aufnimmt. Freuen wird man sich in jedem Fall über den weiten Neigungswinkel des Korbes und die Drehbarkeit auf der Achse. Schließlich sind Ribbons nicht ganz rotationssymmetrisch in ihrer Richtwirkung, außerdem kann man durch Schrägstellen der Bändchenfläche gegen die Wellenfront den Druckunterschied zwischen Vorder- und Rückseite des Bändchens verringern, was auch nähere Positionierungen ohne zu starke Verbassung und Zerrgefahr ermöglicht.
(Übrigens haben wir ein “How to” zum Umgang mit dem Coles 4038 erstellt – mit Text, Fotos und Video.)
Das Waffeleisen ist ein rohes Ei
Es bleibt aber ein klarer Nachteil von Bändchen, dass sie so empfindlich sind. Eine Nachricht frei nach Hiob: Das 4038 zählt unter den sowieso empfindlichen Bändchenmikrofonen zu den sehr empfindlichen. Zwar überstehen sie – selbstredend wohlverpackt – den Versand mit den Paketdiensten dieser Welt, doch kann ein zu hoher Schalldruck durch Blechbläser, Lautsprecher, Trommeln, ja schon das Pusten eines unwissenden Sprechers oder Sängers und sogar eine zu nahe Mikrofonierung ohne Poppschutz das Bändchen ausleiern und im Extremfall sogar reißen lassen. Es ließe sich zwar neu bespannen, aber das kostet Geld und verhindert möglicherweise die weitere Nutzung eines Paares im Stereoverbund. Es soll Engineers gegeben haben, die das Aluminiumbändchen in ihrem 4038 dadurch gehimmelt haben, dass sie den Koffer zu schnell geschlossen haben(!).
Anziehungskraft nicht nur auf Tontechniker
Um nicht langfristig das Bändchen ausleiern zu lassen, ist man gut beraten, Ribbon-Mikes mit vertikaler Bändchenposition zu lagern. Wichtiger ist es jedoch, den lilafarbenen Samtbeutel bei Nichtnutzung dem 4038 überzustülpen. Dadurch ist gewährleistet, dass Staubteilchen – besonders feine Metallpartikel, die vom Magneten angezogen werden können – das Innere des Bändchens nicht verschmutzen und die Performance beeinträchtigen. Noch etwas kann wie bei allen dynamischen Mikrofonen den Spaß verhageln: Phantomspeisung! Natürlich ist diese auch für ein Coles 4038 eigentlich ungiftig, doch wenn es ein Problem bei der Verdrahtung gibt oder durch Kabelziehen der Kontakt der Pins stark verzögert unterbrochen wird, kann der kleine Stromfluss durch das Bändchen selbiges schmoren. Mir ist beispielsweise die Schwingspule eines Vintage-Mikrofons kaputtgegangen, weil ich an einem Pult mit nur blockweise schaltbarer Phantomspeisung ein mangelhaft konfektioniertes Kabel verwendet hatte.
Phantome meiden – oder nutzen
Glücklicherweise gibt es für solche Fälle Phantom-Blocker. Diese bieten zwar auch keine hundertprozentige Sicherheit, doch wird damit das Risiko eines Schadens sehr gering. Den Feind kann man sich auch zum Freund machen: Praktisch finde ich einen kleinen Barrel-Amp, wie ihn die niederländische Firma Triton Audio herstellt. Dieser nutzt die Phantomspeisung als Spannungsquelle für einen kleinen Verstärker mit festen 20 dB Verstärkung, blockiert die 48 Volt aber gleichzeitig Richtung Mikrofon. Damit schlägt man möglicherweise zwei Fliegen mit einer Klappe: Mikrofon-Vorverstärker, die ganz hohe Verstärkungen nicht anbieten oder – je nach Design – im hohen Gain-Bereich zu viele Harmonische erzeugen, können dadurch deutlich entlastet werden. Es ist nicht unüblich, dass bei leiseren Signalen und womöglich etwas entfernterer Mikrofonierung die Preamps eine Schwerstarbeit von über 70 dB Pegelhub leisten müssen – nicht jeder Vorverstärker wird also dem Coles 4038 gerecht!
British Politeness
Auch wenn man es für andere Zwecke anschafft und in einem Studio tätig ist, das mit Sprache nicht viel am Hut hat, sollte man sich mit einem 4038 einmal die Zeit nehmen und Sprache aufnehmen. Wer einen englischen Muttersprachler zur Hand hat, sollte ihn sich dafür greifen. Doch auch ohne: Das klingt eindeutig nach Großbritannien und weckt Assoziationen mit Orangenmarmeldade, Linksverkehr, Pubs mit opulenten Bierzapfhähnen und abwechselnd warmem und kaltem Regen. So haben wahrlich britische Sprecher zu klingen – und so klingen sie auch heute noch.
Für dich ausgesucht
Es fällt auf, dass der Klang der Stimme einerseits zurückhaltend und unaufdringlich wirkt, bei aller “Plattheit” aber gleichzeitig komplett, äußerst klar und artikuliert. Diese Kombination macht auch den Reiz bei der Abnahme verschiedener Instrumente aus: Es ist nicht das allerletzte Detail, welches dargestellt wird, doch das Gesamtbild passt und ist – wenn man sich die kurze Zeit genommen hat, Abstand und Winkel optimal einzurichten – oftmals sogar mix-ready. Das betrifft einerseits oft den Frequenzgang, andererseits sogar die Dynamik. Man hat nicht so sehr das Bedürfnis, herausstechende Bestandteile irgendwelcher scharfer Konsonanten einzufangen und Vokalen mehr Bauch zu geben, das Signal ist einfach rund. Hier kommt auch der Roll-Off ins Spiel, welcher Sprecher (besonders deutschen mit ihrer übertrieben scharfen Artikulation) ein wenig im Zaum hält, was die Spitzen angeht. Amerikanischer, weicherer Artikulation ist das eher nicht zuträglich. Allerdings lässt sich bei Bedarf der Nahbesprechungseffekt ausnutzen und die Stimme sehr nah und intim klingen lassen. Und na klar: Was für Sprecher gilt, lässt sich auch auf Sänger übertragen:
Im Vergleich zum Coles 4038 klingen manche anderen Bändchen wie das beliebte Beyerdynamic M160 etwas feiner und brillanter, ja sogar so manches Tauchspulenmikrofon trotz seiner großen bewegten Masse. Das Electro-Voice RE20 klingt hier fast schon spritzig. Einen ganz anderen Klangcharakter hat ein Großmembran-Kondensatormikrofon, welches frischer, aber auch britzeliger und reibender klingt.
Bang the Drums!
Die Verwendung eines 4038 als Vocal-Mike ist recht selten, da es schon sehr deutlich “vintage” klingt und auch die Abbey-Road-Engineers sich bei den Beatles-Aufnahmen lieber an ihrem Neumann-Fundus vergangen haben und sehr gerne ein U 47 vor die Liverpooler mit den komischen Frisuren (später auch: Bärten, Brillen, Anziehsachen, Freundinnen…) gestellt haben.
So, jetzt aber: Schlagzeug! Zum Test baue ich – obwohl ich ein Stereopärchen habe – ein Mono-Overhead auf. Nach kurzer Positionssuche habe ich etwas gefunden: Das Overhead steht, vertikal ausgerichtet, recht zentral über der Fersenplatte der Bassdrum-Maschine. Ein zweites 4038 befindet sich in Kniehöhe mehr als einen Meter links neben der Snare und zeigt mit dem vertikal liegenden Bändchen exakt auf die Mitte des Bassdrumkessels. Ja, das sieht komisch aus und nein, das steht so bestimmt in keinem Lehrbuch. Allerdings können die Mikros hier zeigen, was sie können:
Bigger than Jesus? Bigger than Life!
Das ist er, der “Bigger than Life”-Sound! Die Trommeln klingen – obwohl in Zimmerlautstärke gestreichelt – groß und wuchtig, aber gleichzeitig weder rau noch behäbig und auf keinen Fall wabbelig und indifferent. Percussion-Signale haben immer noch die notwendige Luft und bleiben auf verhaltene und bescheidene Weise agil. Es tut mir fast schon leid um die häufigen Klischees: Es klingt einfach englisch. Wer gerade über eine vernünftige Abhöre lauscht, wird bemerken, was für ein warmer, angenehmer, aber trotzdem bestimmter und konkreter Bassdrumdruck von dem Knee-Mike eingefangen wird. So richtig vermissen tue ich ein Bassdrum-Mikrofon eigentlich nicht in diesem Moment. Übrigens: Ich habe wirklich sehr schöne Zildjian-, Ufip- und Masterwork-Becken… die hier alle nicht zum Einsatz kommen. Es sind ziemlich schlechte Becken, alte, billige, maschinell hergestellte Messingblech-Scheiben aus den Budget-Serien diverser Hersteller – aber nie klangen die so gut wie über diese Mikrofone!
Schmatzen mit mehr Schmackes
Bei allen Signalen fällt auf, dass es ein leichtes, kurzes Schmatzen in den Attacks gibt, die Transienten aber dennoch ihre Klarheit und Bestimmtheit behalten. Wie bei manchen Röhrengeräten wird der Attack dadurch geringfügig breiter und bekommt ein leichtes “Singen”, ohne dass es ein nerviges “Ringen” wird. Will man es klassisch haben und die Drums deutlich squashen, bewegen und färben, schickt man die beiden 4038-Signale durch einen adäquaten Kompressor für diese Aufgabe: So klingt die für Liebhaber dieses Sounds vielleicht schon ideale Overhead-Kette 4038, Tube-Tech MP 1A und Chandler Zener Limiter:
Natürlich gibt es noch viele weitere Möglichkeiten, ein Drumkit mit einem oder zwei Coles zu mikrofonieren. Neben den notorischen Stereoverfahren mit Achtern sind dies aber gerne die klassischen Overheads, Shoulderheads und Front-Kit-Positionen, wobei sich die beiden letztgenannten aufgrund der rückseitigen Emfpindlichkeit der Acht besonders bei geringerer Deckenhöhe im Gegensatz zu üblicheren Over-Kit-Positionen empfehlen, um sich nicht mit den nahen Rückwürfen Kammfilterprobleme einzuhandeln.
Keine Angst vor dem EQ
Die Coles 4038 vertragen Frequenzbearbeitung erstaunlich gut. Auch positive Gains im Höhenbereich sind möglich, solange man sein geringpegliges Signal nicht sowieso schon im Rauschen suchen muss. Mit dem Equalizer macht es beim 38er wie bei wenigen anderen Mikrofonen Spaß, Frequenzbereiche wirklich zu boosten, anstatt andere mit negativem Gain verschwinden lassen zu wollen. Es ist wirklich erstaunlich, was sich mit einem EQ im Spektrum alles “finden” lässt und wie sehr man im Mix den Frequenzgang eines Signals noch verwandeln kann, ohne dass man an der Qualität Abstriche machen müsste.
Alles durch eins
Ich habe mir den Spaß erlaubt, wie im Testmarathon der Tauchspulenmikrofon-Klassiker einfach mal alle Signale mit 4038ern aufzuzeichnen, um den Charakter, aber auch die Vielseitigkeit dieses Bändchen-Urgesteins vorzuführen. Und siehe da: Der Mix benötigt nur verhaltenes EQing und kommt sogar mit sehr wenig Kompression aus. Ich habe die Signale auch trocken gelassen, um diese leicht staubige, edelmatte Patina nicht zu verwässern. Neben dem Drumsound hat es mir vor allem die Arbeit vor meinem Transistor-Combo angetan, über den das Rhodes lief: Die harten Spitzen wurden sanft zurückgefahren und das Signal automatisch “teurer”, außerdem kann man vor dem Cabinet mit Winkel und Abstand sehr stark klanggestaltend Einfluss nehmen – und erwischt eigentlich nie eine Position, in der das Signal grauenhaft klingt und zusammenbricht. Auch der E-Bass klingt bauchig, aber trotzdem straff – das 4038 fügt kein “Nachwabbeln” hinzu. Doch bei aller Liebe: Ein Coles 4038 sollte bestimmt nicht das erste Mikrofon sein, was man sich anschafft, denn als Mädchen für alles und Arbeitstier taugt es nur bedingt.
b.riesel sagt:
#1 - 20.03.2013 um 18:51 Uhr
hi nick
schöner test. ich habe selbst seit etwa 1 jahr ein coles 4038 und würde es nie wieder hergeben. ich findes es gerade bei weibl. vocals genial. man muß dem roll-off mittels eq etwas gegenwirken. dafür hat man dann super präsente vocals - in your face. ich nutze es für immer mehr und liebäugle mit einem zweiten für overheads ;-)
Johnny sagt:
#2 - 19.11.2019 um 13:57 Uhr
Braucht man eigentlich unbedingt ein Matched Pair für M/S oder Blumlein, oder könnte ich mir zu meinem vorhandenen Coles einfach ein zweites dazu kaufen?
Nick (Redaktion Recording) sagt:
#2.1 - 19.11.2019 um 14:26 Uhr
Hallo Johnny,das hängt sicher vom Alter und Zustand Deines 4038 ab. Im Zweifel solltest Du es einfach ausprobieren, indem Du im XY-Betrieb mit wiederholbaren Quellen (z.B. ganz banal Wiedergabe über Lautsprecher oder Amp mit Reamping) die Mikrofone tauschst und anschließend in der DAW mit Solo die beiden Aufnahmen vergleichst. Und im Idealfall versuchst Du, auch andere Einflüsse (Kabel, Preamps…) durch L-R-Tausch auszuschließen.
Und natürlich ist ein MS nicht so empfindlich gegenüber unterschiedelichen Mikros.Beste Grüße
Nick
Antwort auf #2 von Johnny
Melden Empfehlen Empfehlung entfernenJohnny sagt:
#2.1.1 - 20.11.2019 um 13:52 Uhr
Hallo Nick! Vielen Dank für den Tipp!
Antwort auf #2.1 von Nick (Redaktion Recording)
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