Die D’Angelico Premier Bowery ist eine Vollmahagoni-Dreadnought, die mit der Patina der 30er-Jahre gesegnet ist, aber mit einem leistungsfähigen Onboard-Tonabnehmersystem und einem Cutaway moderne Akzente setzt. Der New Yorker Hersteller profitiert nicht zuletzt vom Renommee des legendären Gitarrenbaumeister John D’Angelico, der in den 30er-Jahren in der Lower East Side eine Werkstatt unterhielt und dort mit seinem Team exquisite akustische und später halbakustische Archtop-Gitarren in limitierter Auflage produzierte. Die Instrumente von John D’Angelico wurden damals von zahlreichen zeitgenössischen Künstlern wie Chet Atkins, Johnny Smith, Johnny Mercer geadelt und von Kennern genauso bewundert wie heute ein Ferrari von Automobilliebhabern.
Im Jahr 2011 wurde die Produktion der Instrumente unter dem Label D’Angelico wieder aufgenommen, nachdem der Mitbegründer der milliardenschweren Arizona Iced Tea Company und begeisterter Gitarrensammler John Ferolito Sr. die Rechte an der Traditionsmarke erworben hatte. Im Fokus der Produktion standen zunächst die Re-Issues der berühmten Archtops aus den 30er-Jahren. Inzwischen hat die Firma die Produktpalette mit zahlreichen unterschiedlich ausstaffierten Solidbodys, Hollowbodys und Westerngitarren ausgeweitet und lässt auf hohem Fertigungsniveau hauptsächlich in Fernost produzieren. Darüber hinaus werden Einzelstücken auch im Custom Shop in USA gefertigt.
Die Frage, ob der “alte” John D’Angelico sich auch mit einer bloßen Kopie einer Dreadnought zufrieden gegeben hätte, möchte ich einfach mal unbeantwortet im Raum stehen lassen, zumal er Flat-Top-Gitarren auch nur im Einzelfall gebaut hat. Man darf aber festhalten, dass auch die Westerngitarren aus der laufenden Produktion mit einem interessanten Preis-Leistungs-Verhältnis punkten, sodass es sich allen Ressentiments zum Trotz lohnen könnte, einen Blick auf die aktuelle Testkandidatin, die Premier Bowery zu werfen:
Details
Die Premier Bowery wurde von Kopf bis Knopf auf alt getrimmt und greift – wie schon angedeutet – typische Designmerkmale aus den 30er-Jahren auf. Jedenfalls hatten Vollmahagoni-Gitarren damals Hochkonjunktur. Aber auch die Mattlackierung und die Sunburst-Färbung dürften die Retro-Illusion noch weiter verstärken.
Der Korpus wurde, wie schon erwähnt, nach dem Vorbild der berühmten Martin Dreadnought geformt. Mit einer Breite von 40,64 cm am Unterbug (hier leicht überdimensioniert) und einer Korpuslänge von 50,5 cm stimmen nicht nur die Proportionen, sondern auch die Abmessungen im Großen und Ganzen. Die Zarge ist je nach Messpunkt zwischen 10,16 cm (4″) am Halsfuß und satten 11,94 cm (4,7″) cm am Knopf tief ausgeschnitten, sodass man mit einem vollen Naturton rechnen darf. Mit dem rund geschwungenen Cutaway möchte die Premier Bowery natürlich auch den Linienspieler abholen. Verständlich.
Gitarren mit einer Mahagonidecke werden vorzugsweise auch mit Böden und Zargen aus Mahagoni bestückt. Die Premier Bowery befindet sich damit in bester Gesellschaft mit High-End-Gitarren namhafter Hersteller. Lediglich Griffbrett und Saitenhalter (Merbau) sowie die Stegeinlage (PPS) wurden aus anderen Hölzern/Kunststoffen hergestellt. Massive Hölzer wurden nicht verbaut, was in diesem Preissegment nicht überrascht. Andererseits wirken sich laminierte Hölzer nicht zwangsläufig negativ auf den Klang aus. Besonders ins Auge fällt die Schwarzfärbung am Deckenrand, die – durchaus gewollt – mit vielen Unregelmäßigkeiten doch sehr rustikal wirkt. Im Zentrum blicken rotbraune Maserungen mit dunklen und hellen Streifen durch.
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Die Decke wurde aus zwei Teilen “gebookmatched”. Die Maserungen ergeben ein symmetrisches Faserbild mit einer mittig verlaufenden Nahtstelle. Binding am Decken- bzw. Bodenrand gibt es nicht, sodass das Deckenholz im Querschnitt zu sehen ist. Einen Schlagschutz hat man der Premier Bowery nicht geschenkt und auch auf preistreibende Einlegearbeiten kann unsere Probandin verzichten. Eine schlichte Verzierung aus ABS umrundet das Schallloch mit Normaldurchmesser. Bei näherer Betrachtung erkennt man fünf konzentrische Ringe, wobei ein breiter Zentralstreifen (cream) optisch herausragt.
Ein dunkelbrauner aufgeleimter Stairstep Saitenhalter aus dem Tropenholz Merbau beherbergt am Unterbauch 6 Pins aus PPS-Kunststoff. In der Fräsung ruht wackelfrei eine einteilige längenkompensierte Stegeinlage, die die Stimmung aufrecht hält und eine Nase für die B-Saite löst das Intonationsproblem. Decke, Zargen und Boden wurden mit matt glänzendem Aged Math auf alt getrimmt. Das hauchdünne Finish dürfte sich positiv auf das Schwingungsverhalten auswirken.
Interieur
Im Inneren findet man alle Konstruktionsmerkmale, die einer Dreadnought gut zu Gesicht stehen. Die kreuzweise angeordneten Streben (X-Bracing) unter der Decke schützen nachhaltig vor Verformung und Aufwölbung. Die Streben im Oberbug wurden “non scalloped” unterbaut, die im Unterbug dagegen bogenförmig ausgehöhlt (scalloped), was man aber ohne Hilfsmittel nicht mehr sehen kann. Das Gleiche gilt auch für die Nebenleisten im Ober- bzw. Unterbug. Tatsache ist, dass sich bogenförmig ausgehöhlte Leisten förderlich auf das Schwingungsverhalten der Decke auswirken.
Schmale Holzstreifen stabilisieren den fragilen Teil der Decke rund um das Schallloch und Decke, Halsfuß und Zargen sind durch einen massiven Halsblock aus Mahagoni miteinander verbunden. Ein Leiter-Bracing, das aus vier Querbalken besteht, hält die beiden Bodenhälften zusammen. Ein Bodenmittelstreifen entlang der Nahtstelle fehlt. Boden sowie Decke sind rundherum mithilfe keilförmig gesägter Reifchen mit der Zarge verleimt, die absolut sauber und regelmäßig eingesetzt sind, so weit das Auge reicht. Im Inneren kann ich keine Mängel entdecken.
Elektronik
Mit dem integrierten aktiven Tonabnehmersystem nimmt die Premier Bowery richtig Fahrt auf, wenn das entsprechende Übertragungsset am Start ist. Der Piezo versteckt sich unter der Stegeinlage, der Preamp, ein hauseigener MG-30, hat in der oberen Zarge Platz genommen. Der Sound wird mit dem obligatorischen Besteck aus den drei Klangreglern Bass, Middle, Treble und dem Regler für die Lautstärke gesteuert. Die einzelnen Buttons sind rundum blau beleuchtet, sodass man auch im Dunkeln leichtes Spiel hat. Der Phasenumkehrtaster (Phase) räumt gehörig mit Störfrequenzen und Brummschleifen auf und der Ausgang wird automatisch abgeschaltet, wenn das Stimmgerät mit dem Taster “Tuner” aktiviert ist. Man kommuniziert mit einem farbenfrohen und gut beleuchteten Display, das präzise Angaben macht. Allerdings kann man den Referenzton (A = 440 Hz) nicht kalibrieren.
Die Eingangsbuchse ist zusammen mit dem Batteriefach auf einer schwarzen Grundplatte aus Kunststoff in der unteren Zarge verschraubt. Eine kleine LED meldet sich rotleuchtend, wenn dem eingelegten 9-V-Block der Saft ausgeht. Die Batterie ist in einer Schublade untergebracht und kann im Handumdrehen ausgetauscht werden.
Hals und Griffbrett
Hals und Halsfuß bestehen, wie schon gesagt, komplett aus Mahagoni. Der spitze Halsfuß wurde stabil mit einer Schwalbenschwanz-Verbindung mit dem Halsblock verzapft und verleimt – unwahrscheinlich, dass sich die Komponenten ausgerecht dort ablösen.
Ein eingelegter Dual Action Truss Rod verleiht dem vergleichsweise dünnen Hals (Umfang: 11 cm) die nötige Stabilität. Die Halskrümmung kann im unteren Drittel bei Bedarf mit einem Inbusschlüssel justiert werden, der im Lieferumfang enthalten ist. Zugang zur Stellschraube verschafft man sich über das Schallloch. Werkseitig ist der Hals aber optimal eingestellt, sodass im Moment kein Handlungsbedarf besteht. Der Hals (Dicke am Sattel: 2 cm) mit “C”-Halsprofil liegt jedenfalls gut in der Hand.
Das aufgeleimte sanft gewölbte Griffbrett (Radius: 16″) besteht aus Merbau, das u.a. auch unter der Bezeichnung Borneo Teak firmiert und in Süd- und Südostasien, aber auch in Madagaskar geschlagen wird. Um den natürlichen Austrocknungsprozess zu beschleunigen, wurde das Holz hier torrefiziert, d. h., über einen längeren Zeitraum in einem sauerstofffreien Ofen erhitzt, um Öle und Harze “abzukochen”, die normalerweise erst nach Jahren auf natürlichem Wege abgebaut werden.
Ob das Material angriffslustigen Hammer-ons dauerhaft gewachsen ist, wird die Zukunft zeigen. Die Überlebenschancen stehen aber gar nicht schlecht, da das glatte Tropenholz seine Langlebigkeit (z. B. im Parkettbau) bereits unter Beweis gestellt hat. Torrefiziertes dichtes Teakholz dürfte sich jedenfalls kaum mehr verziehen.
20 Medium Jumbo-Bünde wurden sauber abgerichtet, poliert, und treten an den Seiten auf ganzer Länge nicht aus. Kreisrunde Acryl-Punkteinlagen geben dem Griffbrett die Struktur, die zur Orientierung nötig ist, wobei man das eingelegte Material auf den ersten Blick kaum von echtem Perlmutt unterscheiden kann. Auch auf der Sichtkante findet man entsprechende Punktmarkierer. Die sechs Saiten laufen über einen Sattel aus Kunststoff (PPS), der mit einer Breite von exakt 4,3 cm der Norm bei Stahlsaitengitarren entspricht und mit korrekt befeilten Kerben aufwartet. Der Hals-Korpus-Übergang befindet sich bei der Dreadnought standardgerecht am 14. Bund.
Kopfplatte
Die verspielte und reichlich mit “Stufenornamenten” dekorierte Kopfplatte profitiert auch formal von John D’Angelicos originellen Designelementen. Dass sich dieser bei der Entwicklung des markanten Stufendesigns vor allem von der New Yorker Skyline inspirieren ließ, liegt auf der Hand.
Die Ränder der Kopfplatte sind – wie der Body – leicht dunkel eingefärbt. Auf jeder Seite sind jeweils drei ölgekapselte verchromte Mechaniken mit griffigen “Rotomatic Stairstep” Stimmflügeln (nach dem Entwurf von John D’Angelico) verschraubt, die erwartungsgemäß leichtgängig und präzise arbeiten. Die geschwungene Oberkante wird von einem dekorativen Art déco Ornament gekrönt.
Die große geschlossene Kopfplatte bietet Raum für Einlegearbeiten. Große Perlmutteinlagen mit originellen Motiven waren in den 30er Jahren das Markenzeichen von John D’Angelico und auch hier prangt im Zentrum eine ansehnliche Einlage aus Acryl. Man braucht nicht viel Fantasie, um dort einen stilisierten, auf dem Kopf stehenden Wolkenkratzer zu erkennen. Ganz oben an der der Kopfplatte thront das Logo von John D’Angelico.
Sichtbare Struktur- und Farbunterschiede am Hals-Kopfübergang zeigen, dass die Kopfplatte angesetzt wurde, und zwar sanft angewinkelt, um die Saitenspannung zu erhöhen. Der Aluminium Skyscraper diente ursprünglich als Abdeckung für die Stellschraube und blieb als Deko-Element, denn die Stellschraube für den Dual Action Stab befindet sich am Schallloch. Jedenfalls sieht die Kopfplatte sehr stylish aus.