Das System Till Lindemann: Hat es noch eine Zukunft?

Nach monatelanger Vorbereitung stieg Ende Mai das erste Konzert der Rammstein Stadion-Tournee in Vilnius. Der feurige Auftakt entpuppte sich im Nachhinein zum Desaster. Aufgrund schwerer Vorwürfe von Frauen gegenüber Frontman Till Lindemann steht die Band vor einer ungewissen Zukunft.

Kommt bald der Absturz? @ Julien Damelet 

“Die Spermakanone blieb dann diesmal doch im Depot”, schreibt der Spiegel über die letzte Rammstein-Show. Die ersten beiden Konzerte in München wurden trotzdem vor fast ausverkauften Haus absolviert. “München, danke, dass ihr hier und bei uns wart”, sagt der Sänger der Band zum Schluss. Mehr Worte an das Publikum gab es allerdings nicht. Obwohl der aktuelle Vorwurfs-Fall allgegenwärtig war, lieferte die Band das ab, was die Fans von ihr erwartet haben: eine bombastische Show.

Dabei ist Rammstein weit über den Grenzen hinaus ein Phänomen. Fans aus der ganzen Welt singen die deutschen Texte mit, ohne auch nur ein Wort zu verstehen. Die Band polarisiert bewusst mit exzentrischen Auftritten und politisch unkorrekten Texten. Darin findet man alles: Gesellschaftskritik, Liebe, Gewaltfantasien und Machtspiele. Für manche wird hier gezielt mit Übertreibung, dem lyrischen Ich und Kunstfiguren gespielt, andere sehen hier einfach nur kranke Fantasien mittelalter Männer.

Der erste Dominostein fällt

Bei der aktuellen Geschichte geht es aber Vordergründig um das Gesicht der Berliner Band: Till Lindemann. Der mittlerweile 60 Jahre alte Leipziger ist Frontman und Texter von Rammstein. Gegen ihn kamen vor zwei Wochen erstmals Vorwürfe an die Öffentlichkeit. Die Irin Shelby Lynn war auf einem Konzert in Vilnius dabei und ging dort auf die Rammstein-Afterparty. Sie wachte am nächsten Morgen mit blauen Flecken und Erinnerungslücken wieder auf. Bei der Afterparty traf sie auf Lindemann, der Sex mit ihr haben wollte. Sie stellte allerdings klar, dass Till sie letztlich nicht berührt habe, nachdem sie deutlich gemacht habe, dass sie nicht mit ihm schlafen wolle. Lynn vermutet außerdem K.O.-Tropfen als Grund für ihre Erinnerungslücken, konnte das aber nicht beweisen.

Dieser Vorfall hat regelrecht eine Lawine ins Rollen gebracht. Seitdem hat sich eine hohe zweistellige Zahl an Frauen in öffentlichen Foren wie reddit oder direkt bei Zeitungen gemeldet und ebenfalls Vorwürfe erhoben. Die Süddeutsche Zeitung (paywall), der Norddeutsche Rundfunk und der Spiegel (paywall) hatten seitdem mit dutzenden Frauen gesprochen. Die Berichte der Frauen wiederholen sich dabei immer wieder: ein auf Lindemann maßgeschneidertes Groupie-System, die Bereitstellung von Drogen (inkl. Alkohol) und Machtspiele.

Gesichter von möglichen Opfern bzw. öffentliche Zeugen sind bis jetzt allerdings Mangelware. Kein Wunder also, dass die Geschichte von der Youtuberin Kayla Shyx viral ging. Ihr 36-minütiges-Video mit dem Titel “Was wirklich auf Rammstein Afterpartys passiert” hat in drei Tagen über 4 Millionen Aufrufe erhalten. In dem Video erzählt Kayla über ihre eigenen Erfahrungen bei einem Rammstein-Konzert im Sommer 2022 im Berliner Olympiastadion.

Erfahrungsbericht zu Rammstein Aftershow-Party

Kayla, damals 20 Jahre alt, war mit einer 18-jährigen Freundin unterwegs und hatte Karten für die sogenannte “Row 0” – der Bereich zwischen Bühne und der ersten Publikumsreihe. Die beiden wurden während des Konzerts von einer gewissen Alena Makeeva angesprochen und zur Aftershow-Party eingeladen. Makeeva war vier Jahre lang als “Casting-Director” (so beschreibt sie sich selber auf Instagram) aktiv und hatte laut Kayla die Aufgabe, junge Frauen zwischen 18 und 30 Jahren für Pre- und Afterpartys für Till Lindemann zu finden.

Statt auf der normalen Aftershow-Party, die parallel stattfand, zu landen, wurden sie und andere junge Frauen in einen separaten Raum gebracht. In dem Raum gab es laut Kayla nur zwei Sofas und es wurde Alkohol angeboten. Die jungen Frauen saßen dort aufgereiht und warteten bis etwas passiert. Sie mussten ihre Handys abgeben und erfuhren später, dass sie nur wegen möglicher sexueller Begegnungen mit Lindemann dort waren. Dabei wurden keine Ausweise kontrolliert.

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Lindemann setzt auf Angriff

Rammstein, die bisher keinen offiziellen Sprecher oder eine PR-Agentur für Krisenkommunikation hatten, meldeten sich bisher nur mit einem kurzen Statement auf Social Media zu Wort. Darin schreibt die Band, dass die Vorwürfe “ernst genommen” werden und dass sich Fans sowohl vor als auch hinter der Bühne wohl fühlen sollen. Außerdem bitten sie darum auf Vorverurteilungen zu verzichten – sowohl gegen die Frauen, die Anschuldigungen erhoben haben, als auch gegen Rammstein selbst.

Lindemann wird mittlerweile von der Berliner Anwaltskanzlei “Schertz Bergmann” vertreten. In einer Pressemitteilung wurde Stellung zu dem Vorwurf genommen, dass Frauen bei Rammstein-Konzerten mit Alkohol bzw. K.O.-Tropfen betäubt wurden, um für Lindemann gefügig gemacht zu werden. Diese seien laut den Anwälten “ausnahmslos unwahr”.

In der Pressemitteilung werden sowohl Nutzer auf Social Media-Plattformen als auch Medien beschuldigt, eine “unzulässige Verdachtsberichterstattung” zu pflegen. Am Ende wird mit Klagen gedroht, falls keine ausgewogene Berichterstattung stattfindet. Der Anwalt Christian Solmecke von dem Youtube-Kanal ‘WBS LEGAL’ hat die Pressemitteilung genauer analysiert. Er sieht darin auch eine Taktik, dass jetzt ausgerechnet beim großen Tourneestart die Medien aus Angst vor möglichen Klagen kürzer treten werden und weniger über die Rammstein-Vorwürfe berichten. Der Journalisten-Verband wirft der Kanzlei “Einschüchterung” vor. Der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall wird in einer Mitteilung zitiert: “Die Drohung mit rechtlichen Schritten gegen Journalistinnen und Journalisten ist der Versuch, Medien einen Maulkorb anzulegen.”

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“Was erwartet man sich auf einer Rammstein Aftershow-Party?”

Die Diskussionen zu diesem Thema im Internet werden sehr emotional geführt. Die Verteidiger von Rammstein bzw. Lindemann argumentieren, dass man den Sänger nicht verurteilen sollte, solange es keine rechtliche Verurteilung gibt. Außerdem liest man häufig in den Kommentarzeilen sinngemäß, dass man im Backstage-Bereich von Rammstein “keine Teezeremonie mit Gesprächen über den Weltfrieden” erwarten sollte. In vielen Kommentaren wird auch mit der Eigenverantwortung der Frauen argumentiert, da sie ja bewusst auf die Afterpartys gehen und das ganze daher einvernehmlich ist. In dem Spiegel-Video wurden einige Rammstein-Fans vor dem Konzert in München zu der Causa befragt.

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Auch die Ex-Freundin von Till Lindemann, Sophia Thomalla, verteidigte den Rammstein-Frontman. Auf Twitter teilte sie in einem Tweet ein Statement von Jadu Laciny. Laciny war 2020 eineinhalb Monate mit Rammstein auf Tournee unterwegs.

Auf der anderen Seite gibt es auch viele kritische Kommentare zu dem Thema. Der Youtuber “Rezo” hat die Vorwürfe von Kayla und weiteren Frauen in einem eigenen Video zusammengefasst.

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Die sich wiederholenden Vorwürfe waren demnach:

  • Frauen werden unter falschen Versprechen zu Pre- oder Afterpartys eingeladen
  • Dort werden Drucksituation geschaffen, aus denen junge Frauen schwer wieder herauskommen
  • Es wurden sexuelle Handlungen erwartet
  • Durch die Zuführung von Alkohol und Drogen waren die Frauen nicht mehr in der Lage vernünftige Entscheidungen zu treffen
  • Aufgrund dieser Punkte kann nicht mehr von Konsens gesprochen werden

Auch Die Ärzte sprachen bei ihrem letzten Konzert das Thema an. Dabei machten sie einen Witz über K.O.-Tropfen und sprachen sich gleichzeitig für eindeutigen Konsens beim Sex aus.

Einen Ausschnitt dazu gibt es hier:

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Wie geht man mit dieser Situation, auch als Rammstein-Fan, um?

Eines ist klar: Das Thema wird nicht so schnell aus der Welt sein. Selbst wenn es keine strafrechtlichen Konsequenzen geben sollte, bleibt die moralische Frage: Sind Lindemann-Privatpartys in dieser Form hinzunehmen?

Ein System mit dem einzigen Ziel, einem 60-jährigen Rockstar junge Frauen für sexuelle Handlungen zuzuführen, sollte hinterfragt werden. Kann man hier noch von einvernehmlich sprechen, wenn verschiedene Methoden eingesetzt werden, durch die junge Frauen bewusst in schwierige Drucksituationen geraten? Ein Thema das diskutiert und nicht nur als normales “Rockstar- und Groupie-Spielchen” abgetan werden sollte.

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Josh sagt:

#1 - 15.06.2023 um 12:37 Uhr

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Die Vergangenheit der Band Mitglieder hat viel mit Punkrock zu tun. Ich frage mich, wo bleiben die Äusserungen der alten Punks über das Verhalten ihres Sängers ? Angst vor Altersarmut müssen die Herren nicht haben. Egal ob Rammstein zerbricht oder nicht. Ich für meinen Teil gehe auf kein Konzert mehr dieser Band ,so lange es keine Klärung der Sache gegeben hat. Ich bin froh das gestern verkündet wurde das die Staatsanwaltschaft jetzt ermittelt.

    Profilbild von Christian

    Christian sagt:

    #1.1 - 16.06.2023 um 18:52 Uhr

    0

    Du könntest es ja auch anders herum handhaben, nämlich: Du gehst weiterhin auf die Konzerte, falls Du die Band magst, und zwar solange bis strafrechtlich etwas Relevantes nachgewiesen ist bzw.Till verurteilt ist. Sowas nennt sich "Unschuldsvermutung", die eigentlich jedermann zu Teil werden sollte, bis etwas Gegenteiliges nachgewiesen ist. Alles andere ist die klassische "Vorverurteilung". Und soetwas wollen wir ja schließlich nicht, oder?

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