PRAXIS
Ein blau-schwarzer Synthesizer mit stabilem Metallgehäuse und hölzernen Seitenteilen steht aufgebaut in meinem Studio. Der Poly Evolver wirkt wuchtiger, als ich es von den Produktfotos im Netz her erwartet habe, und ist mit knapp 13 Kg auch nicht gerade ein Fliegengewicht. Sein Logo erinnert mich eher an eine Spielzeugmarke und passt für meinen Geschmack nicht so gut zu einem Spielzeug … äh … Musikinstrument für Erwachsene. Aber wir wollen mal nicht so miesepetrig sein. Schaltet man das Gerät an, leuchten jede Menge blaue Lichter auf, die beispielsweise die jeweils aktiven Stimmen des Synthesizers anzeigen. Ein blaues Display und viele rote Taster komplettieren die Farbenpracht. Auch auf der Rückseite sind vier blaue LEDs angeordnet, die in Abhängigkeit zur Geschwindigkeit der vier LFOs aufleuchten. Insbesondere im Dunkeln macht das was her! Hin und wieder kam es beim folgenden Test vor, dass der Poly Evolver Startschwierigkeiten hatte und erst bei wiederholtem Anschalten hochfahren konnte. Für ein Instrument dieser Preisklasse ungewöhnlich bis peinlich!
Auf der Rückseite sind sämtliche Anschlüsse angebracht: Rechts das MIDI Trio In/Thru/Out, daneben Sustain- und zwei Pedal Buchsen, die wahlweise auch als CV-Spannungs Eingang fungieren können. Anliegende CV-Spannungen ermöglichen die Kommunikation mit anderen Synthesizern oder Taktgebern abseits der MIDI-Welt. Einen CV-Ausgang gibt es am Poly Evolver nicht. Der Eingang für das Netzteil und der Power On-/Off-Knopf ist in der Mitte platziert, links daneben dann der Audio Input L-R, mit dem man externe Audiosignale oder auch die internen Stimmen (wieder) in den Synthesizer hineinleiten kann. Es folgen die vier Einzel-Stereoausgänge für die vier Stimmen des Poly Evolvers sowie Stereosumme und Kopfhöreranschluss. Alle Buchsen sind unsymmetrisch und für 6,3mm Klinke ausgelegt.
Das Zubehör gestaltet sich übersichtlich: ein externes Netzgerät mit verschiedenen Steckdosenaufsätzen und ein knapp gefasstes Benutzerhandbuch in englischer Sprache. Das Handbuch wartet neben den obligatorischen Erklärungen auch mit ein paar Tipps & Tricks auf und liefert mit seinen Tabellen einen guten Überblick über die zahlreichen Modulationsmöglichkeiten und sämtlichen MIDI Control Changes. Optional kann ein Software-Editor erworben werden, mit dem sich der Synthesizer am Bildschirm editieren lässt.
Für dich ausgesucht
Ich spiele die Presets an und höre überwiegend Klänge der Kategorien bissig, atmosphärisch und androgyn. Die Wavetable-Oszillatoren und digitalen Effekte prägen die Sounds. Und auch an Programmen, die den Step-Sequenzer nutzen, wurde hier nicht gespart. Werkseitig etwas unterrepräsentiert ist die Stilistik der warmen und einfachen Sounds, die der Poly Evolver mindestens genauso gut beherrscht! Das Filter klingt – wie bei allen Dave Smith Instrumenten – großartig und ist ein Garant für edlen Klang, egal, was man hier auch tut. Es beruht auf einer Neuauflage der legendären Curtis Chips, die auch schon damals im Prophet 5 eingesetzt wurden. Beginnt man, sich selbst an Klangschöpfungen zu versuchen, wird einem die Fülle der Möglichkeiten und Komplexität dieses Synthesizers bewusst. Nicht selten geschehen hier beim Editieren auch ungewollte oder überraschende Dinge, was ich als durchaus positiv empfinde. Ausprobieren und herumexperimentieren lohnt sich hier!
Vier Bänke mit jeweils 128 Speicherplätze gibt es für die Sounds des Program-Modes, 3x 128 Speicherplätze für den Combo-Mode. Hilfreich ist das numerische Tastenfeld, mit dem man alle Programme mit wenigen Tastendrücken aufrufen kann. Besonders im Liveeinsatz kann das ein großer Vorteil sein! Schön ist auch die „Compare“-Funktion, mit der man ein Preset nochmal hören kann, bevor man es eventuell mit einem neuen Sound überschreibt.
Tastatur und Potis
Die Keyboardtastatur fühlt sich hochwertig an und arbeitet tadellos, auch an den durchsichtigen, beleuchteten Pitch- und ModWheels ist nichts auszusetzen. Dank der Transpose Up-/Down-Taster spielt man auf Knopfdruck immer in der gewünschten Lage. Auch Taster, Potis und die gerasterten Endlosencoder schneiden gut ab. Im Gegensatz zu den vielgescholtenen Endlosreglern der früheren PEK-Serie lösen die Potentiometer und Encoder der aktuellen PE-Serie sehr zuverlässig auf. Für die Potis stehen drei Modi zur Auswahl: Passthru, Relative und Jump. Wählt man Passthru, muss man zunächst den aktuellen Wert durchfahren, um ihn ändern zu können. Bei Relative wird der Wert um den Regelweg geändert, den das Poti ermöglicht. Da es sich jedoch nicht um Endlosdrehregler handelt, stößt man in diesem Mode des Öfteren an die physikalisch gesetzten Grenzen eines Potentiometers. Denn das arme Ding weiß ja nicht, wie es stehen muss, wenn man einen neuen Sound aus dem Programmspeicher aufruft. Im Modus Jump springt der Wert sofort auf die entsprechende Stellung des Potis, wenn man es bewegt. Das Editieren des Synths geht relativ leicht von der Hand und macht Spaß, sofern man hier nach ausführlicher Lektüre des Handbuchs Herr der Lage geworden ist. Für alle wichtigen Funktionen gibt es dank zahlreicher Potis und Taster Sofortzugriff und das zweizeilige Display reicht im Großen und Ganzen aus. Leider wurde das Displaykonzept aus Mopho, Prophet & Co. nicht übernommen, bei dem der ursprüngliche Wert eines Parameters immer über dem neuen, gerade editierten Wert zu sehen ist.
Gut gefallen hat mir die Solofunktion der Oszillatoren, LFOs, Modulators, Combo Parts und Sequenzen: Drückt man länger auf den jeweiligen Anwahltaster, wird der dazugehörige Oszillator, Modulator oder Part in den Solo-Mode geschaltet. Die anderen Artgenossen schweigen vorübergehend. Das erleichtert das Editieren dieses komplexen Synthesizers deutlich!
Vier Stimmen sind nicht gerade üppig und man stößt nicht selten an die Grenzen der Polyphonie. Beispielsweise mit der rechten Hand einen dreistimmigen Akkord halten und mit der linken eine legato Basslinie spielen, geht nur auf Kosten von Stimmenopfern. Je nach „Opfermodus“ wird die älteste, höchste oder tiefste Stimme zugunsten einer neuen abgeschaltet. Vermisst habe ich einen Panic-Taster, auch wenn ich ihn nicht oft gebraucht hätte. Aber manchmal bleibt beim Umschalten dann doch ein Sound mit sehr langem Release hängen … Auch einen Arpeggiator sucht man hier vergebens.
Sequenzer
Der Gated Step Sequenzer ist eine Maschine in der Maschine, eine kleine Welt für sich. In der Theorie ist er relativ einfach zu verstehen, ihn jedoch so zu programmieren, dass auch das herauskommt, was man möchte, kann schon mal etwas Geduld erfordern. Mit ihm lassen sich kurze Melodiephrasen und Basslines programmieren. Und nutzt man mehrere Sequenzen zum Spielen von Melodien, werden sogar Akkorde gespielt! Als Alternative zur Werteingabe per Potidrehen kann man auch den „Sequence Record Modes“ wählen. Er ermöglicht es, Noten per Keyboardtastatur auf das Raster des Sequenzers einzuspielen. Inklusive Pausen und Sequenz-Turnarounds. Und das Ganze offline, Schritt für Schritt. Ansonsten ist der Step-Sequenzer eine hervorragende rhythmische Modulationsquelle. Insbesondere, wenn man ihn per MIDI-Clock mit einer DAW oder externen Grooveboxes synchronisiert, kommt man schnell zu rhythmisch schlüssigen Ergebnissen. Interessante Modulationsverschiebungen lassen sich durch unterschiedliche Längen der vier parallel laufenden Sequenzen generieren. Dank Lauflichtern, Display und je einem Poti pro Step behält man dabei stets die Übersicht. Und wer doch mal im Wald stehen sollte: Einfach von der Reset-Funktion Gebrauch machen. Hier ein paar Patterns aus dem Sequenzer.
Effekte
Die Effekte sind das Salz in der Suppe des Poly Evolvers, sie machen die Sounds oft erst prägnant, räumlich oder speziell. Ein schlapper Basssound kann beispielsweise durch etwas Distortion oder ein tonal mitschwingendes Tuned Feedback die nötige Portion Biss oder Dreck bekommen.
Grundsätzich gilt bei Distortion: Mit niedrigen Werten kann man die Signale aus VCO-VCF-VCA angenehm anrauen und mittiger machen, bei höheren und hohen Werten fliegen hier ordentlich Späne. Klanglich geht’s dabei in Richtung Transistorverzerrer, also eher harsch als smooth. Der Anstieg der Verzerrung geht mir dabei etwas zu ungestüm zur Sache, schon bei ganz kleinen Werten nimmt Körnigkeit und Lautstärke sofort zu, ein sanfter ansteigender Regelweg wäre hier musikalisch oft sinnvoller. Abhilfe kann man sich dafür insofern schaffen, dass man die Pegel der Oszillatoren absenkt.
Hack ist ein brachialer Audio-Fleischwolf mit 14 Intensitätsstufen. Seine Spezialität ist kratziges, digitales Röcheln. Ein Bitcrush FX, wie er im Buche steht. Das Wort “sanft” kommt in seinem Wortschatz nicht vor. Insbesondere Keyboarder, die auf fiese, kreischende Klänge stehen, werden damit ihre wahre Freude haben.
Das Delay schafft immer sofort eine gute Räumlichkeit, kann die Basisklänge aber auch mit klaustrophobisch-phasigem bis dröhnendem Beiwerk verfremden. Auch chorusähnliche Effekte lassen sich mit dem Delay erzielen, wenn man die Delayzeiten dezent moduliert.
Zunächst ist ein Riff ohne Tuned Feedback zu hören, danach verschiedene Frequenz-Einstellungen des Feedbacks, gesteuert von meiner DAW per MIDI CC 85. Das Feedback „spielt“ eine zweite Stimme dazu.
Ich erhöhe manuell langsam die Intensität der Distortion, das ursprüngliche Bell-Sound Pattern verwandelt sich in ein obertonreiches, konturloses Pad. Auch das Delay hat einen wichtigen Effekt auf das breite Stereobild und das relativ lange Sustain.
Wechselnde Einstellungen des Delays: verschiedene Tempi, Amount- und Feedback Level. Das Delay ist zum Tempo des zugrundeliegenden Akkordpatterns synchronisiert, zeitweise sind alle drei Delays gleichzeitig aktiv.
Zunächst erhöht sich der Grunge-Level, dann kommt Hack dazu, Grunge geht wieder raus. Es folgt eine Fahrt mit dem Hochpassfilter, erst mit maximalem Hack-Pegel, dann mit Grunge.
Wie schon angedeutet: Eine Stärke des Poly Evolvers ist es, dass man nicht nur seine Oszillatoren und Filter, sondern auch seine Effekte mit den zahlreichen Modulationsquellen bearbeiten kann.
hoerby sagt:
#1 - 24.05.2011 um 18:49 Uhr
Ich hoffe noch auf den Tag an dem Dave Smith den "Super Evolver" mit 16 Stimmen o.ä. herausbringt. Naja, mindestens 8 sollten es sein ...
Stefan sagt:
#2 - 20.05.2022 um 15:27 Uhr
Grausames Gerät! Unsagbar unübersichtlich! Nach kürzester Zeit hatte ich den über - mittlerweile eigentlich alle DSI Synthies - die klingen irgendwie alle gleich, steril, kein Leben drin . . .