Mit über 100 Konzerten im Jahr führte der Wuppertaler Bassist Armin Alic ein erfülltes und erfolgreiches Musikerleben. Bis ihn im Jahr 2024 plötzlich Panikattacken auf der Bühne in ein tiefes Loch stürzten. Die Ängste wurden so groß, dass es ihm unmöglich wurde, sein gewohntes Leben weiterzuführen. Versuche, sich selbst zu therapieren, blieben erfolglos, weshalb Armin ab einem gewissen Punkt professionelle Hilfe in Anspruch nahm. Mit Erfolg: Mittlerweile spielt der Bassist wieder Konzerte und hat gelernt, sein Freelancer-Leben auf der Überholspur in gesündere Bahnen zu lenken. In diesem Interview berichtet Armin Alic über sein Leben „zwischen Bühne und Burnout“, über Panikattacken während der Auftritte, seine Depression – und seinen erfolgreichen Weg zurück zu einem normalen Leben!

“Ich hatte das Gefühl, dass ich jeden Moment das Bewusstsein verlieren würde.”
Lieber Armin, Mitte April jährte sich jener schicksalsschwere Tag im Jahr 2024 zum ersten Mal. Damals standest du während einer laufenden Tournee mit der Henrik Freischlader Band in Berlin auf der Bühne – und dann war auf einmal alles anders! Kannst du uns diesen massiven Einschnitt in deinem Leben schildern?
Armin Alic: Hallo, lieber Lars! Erstmal vielen lieben Dank für die Gelegenheit zu diesem Gespräch. Also, nachmittags vor dem Soundcheck trank ich einen Espresso, woraufhin mir schlagartig schwindelig wurde. Das war insofern ungewöhnlich, als ich so etwas wie Schwindel bis dahin nie erlebt hatte. Der Schwindel war dann während des Soundchecks so intensiv, dass ich ein paar Mal aufhören musste zu spielen. Es war also klar, dass irgendwas nicht in Ordnung ist. Aber nach dem Motto „The show must go on“ habe ich erstmal weitergemacht. Abends beim Konzert hatte ich, sobald ich den ersten Ton gespielt hatte, eine sehr intensive Panikattacke. Das setzte sich dann über die nächsten zwei Stunden fort, bis das Konzert zu Ende gespielt war.
Wie hat sich diese Panikattacke auf der Bühne konkret angefühlt?
Armin Alic: Bei Panikattacken gibt es ja sehr viele verschiedene Ausprägungen mit unterschiedlicher Intensität. Für mich war es so, dass ich die ganze Zeit das Gefühl hatte, dass ich jeden Moment das Bewusstsein verlieren würde. Auch war der Schwindel sogar noch intensiver als beim Soundcheck. Ich habe auch gemerkt, dass ich keine plötzlichen oder ruckartigen Bewegungen machen darf, weil dadurch alles noch schlimmer wurde. Viel Zeit zum Nachdenken hatte ich ja auf der Bühne nicht. Es hat unheimlich viel Kraft gebraucht, das Konzert gut zu Ende spielen zu können.
Wie ging es dann weiter? Konnte die Tour fortgeführt werden?
Armin Alic: Am nächsten Morgen bin ich wach geworden, und mir ging es wirklich nicht gut. Der Schwindel war weiterhin sehr präsent, und ich war vollkommen erschöpft und entkräftet. Die nächste Station war Dresden. Dort habe ich es dann mit den letzten Kräften irgendwie geschafft, mein Equipment aufzubauen. Kurz darauf kam dann der eigentliche Zusammenbruch: Ich war noch nicht einmal mehr in der Lage, im Sitzen meinen Bass in den Händen zu halten. Es war also absolut unrealistisch, an diesem Abend auf die Bühne gehen zu können. Stattdessen ging es erstmal in die Notaufnahme. Dort wurde eine akute Stressreaktion diagnostiziert, mit der Vermutung, dass die Symptome keinen körperlichen Hintergrund haben. Ich habe die Tour daraufhin abgebrochen, und bin am nächsten Morgen mit dem Zug nach Hause gefahren. Die Band hat schon den Abend in Dresden mit einem anderen Bassisten bestritten und die Tour mit verschiedenen Aushilfs-Bassisten fortgeführt.

Danach hast du also erst einmal wieder zuhause in Wuppertal gesessen. Wenn das eigene Leben „von jetzt auf gleich“ nicht mehr so funktioniert, wie man es gewohnt ist: Wie bist du in der ersten Zeit nach diesem Einschnitt damit umgegangen? Bist du in ein tiefes Depressions-Loch gefallen? Hast du dir sofort Hilfe geholt?
Armin Alic: Zunächst bin ich zum Arzt gegangen und habe mich gründlich untersuchen lassen. Zum Glück konnte dabei die Vermutung der Ärztin aus Dresden bestätigt werden, dass ich körperlich gesund bin. Darüber war ich schon einmal sehr froh! Mir war auf jeden Fall sofort klar, dass ich die Reißleine ziehen muss. Ich habe dann relativ schnell alle anstehenden Termine abgesagt und meine Position in der Henrik Freischlader Band verlassen. Parallel musste ich mich auch noch um einige private Dinge kümmern, die ich nicht absagen oder verschieben konnte. Das hab ich gemacht, so gut es eben ging. Danach musste ich mich erstmal sammeln und versuchen zu verstehen, was mit mir passiert. Ich habe mit ein paar Freunden sprechen können, die Therapeuten sind. Sie haben mir geraten, so viel wie möglich zu ruhen und alles ganz langsam zu machen. Ich habe mir nicht sofort Hilfe geholt. Ich hatte vor, im Sommer für einige Wochen nach Sarajevo zu fahren und dort zur Ruhe zu kommen. Ich war zur damaligen Zeit etwa zehn Jahre nicht mehr in meiner alten Heimat gewesen. Die Erfahrung war ambivalent: Am Anfang hat mein Plan funktioniert, irgendwann aber auch gar nicht mehr. Ich dachte intuitiv, dass gerade am Anfang einer Therapie Regelmäßigkeit wichtig ist. Also war die Idee, das Thema nach meiner Rückkehr nach Wuppertal anzugehen. Das Depressions-Loch kam nicht sofort, sondern erst einige Monate später.
“Die Situation im letzten Jahr war so intensiv, dass mir von Anfang an klar war, dass ich eine Therapie machen muss.”
Hat die Tatsache, dass du zunächst auf eigene Faust versucht hast, des Problems Herr zu werden, vielleicht auch etwas mit einem vermeintlichen männlichen Rollenbild zu tun? So nach dem Motto: „So was macht MANN mit sich selbst aus, wird schon so schlimm nicht sein, ich werde damit alleine fertig!“?
Armin Alic: Die Situation im letzten Jahr war so intensiv, dass mir von Anfang an klar war, dass ich eine Therapie machen muss und will. Es hat allerdings in den Jahrzehnten davor schon Situationen gegeben, wo es Sinn gemacht hätte, mir Hilfe zu holen. Ich habe das aber nicht gemacht, weil ich dachte, das kriege ich auch alleine hin. Deine Frage ist spannend! Es ist ja bekannt, dass Männer sich bei Themen wie diesem mitunter etwas schwerer tun als die meisten Frauen. Wir holen uns oftmals erst dann Hilfe, wenn es wirklich brennt. In meinem Fall war das nicht bewusst der Fall, unterbewusst aber vielleicht schon. Ich war eigentlich immer der Meinung, dass ich mir Hilfe holen würde, wenn das wirklich notwendig werden würde. Aber wann genau ist dieser Zeitpunkt gekommen? Mit der heutigen Erfahrung hätte ich diesen Weg sicherlich schon viel früher eingeschlagen. Letztlich ist dieser männliche Stolz vollkommen fehl am Platz. Er bringt einen überhaupt nicht weiter und kann die Situation unnötig verschlimmern. Zugleich mache ich mir aber deswegen jetzt auch keine Vorwürfe. Was passiert ist, kann ich nicht ungeschehen machen. Aber ich kann daraus lernen, und auf diesem Weg befinde ich mich jetzt, zum Glück!
Du sagtest mir in unserem Vorgespräch, dass dir dein Körper schon in den Wochen zuvor schon ziemlich konkrete Warnsignale gesendet hat, welche du jedoch ignoriert hast. Was für Signale waren das?
Armin Alic: Ja, genau! Vor dem Zusammenbruch kamen viele Dinge zusammen. Zum einen war ich unheimlich viel unterwegs – allein im April 2024 standen 20 Konzerte an. Parallel passierten, wie schon erwähnt, private Dinge, die auch belastend waren. Zusätzlich dazu hatte ich aber schon seit Januar eigentlich so gut wie durchgearbeitet. Ich habe die Produktionen zweier Alben gleichzeitig betreut, noch ein drittes Album im Studio eingespielt, Podcast-Folgen aufgenommen, auch mit anderen Bands Konzerte gespielt, usw. Warnsignale gab es einige, und eigentlich waren sie auch ziemlich deutlich. Ich habe gemerkt, dass ich kräftemäßig erschöpft war, und eine Pause brauchte. Ich hatte das Gefühl, dass es so nicht mehr lange gut gehen kann und habe das auch mehrfach geäußert. Zugleich fiel es mir unheimlich schwer abzuschalten und zur Ruhe zu kommen. Ich hatte sogar Anfang April ein paar Tage Auszeit gemacht und bin spontan an einen ruhigen Ort gefahren. Zu dem Zeitpunkt waren aber ein paar Tage bei weitem nicht ausreichend, um mich wirklich zu erholen. Ich habe es auf jeden Fall aus eigener Kraft nicht geschafft, den Zusammenbruch abzuwenden. Auch hier sind die Gründe vielfältig: Zum einen ist es ja bei uns Freiberuflern leider so, dass wir uns zwar eine Krankschreibung holen können, diese uns aber finanziell nicht weiterbringt. Wenn wir nicht spielen, haben wir unweigerlich einen Verdienstausfall. Ich habe nie daran gedacht, für so einen Fall eine Zusatzversicherung bei der Krankenkasse abzuschließen – schließlich ging es mir ja immer gut! Dann ist es aber auch so, dass mir ja ein Großteil der Dinge, die ich in dieser Zeit gemacht habe, sehr viel Spaß gemacht hat. Da ist es dann manchmal umso schwieriger, auf die Signale des Körpers zu hören. Mein Plan war eigentlich, bis Ende April durchzuhalten, denn im Mai hätte ich einen längeren Zeitabschnitt frei gehabt. So weit bin ich aber nicht gekommen, weil mein Körper und mein Geist vorher schon die Notbremse gezogen haben.

Letztlich war doch aber dieser Breakdown sicherlich nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, oder? Du sagtest mir in unserem Vorgespräch, dass diesem Einschnitt in Wahrheit jahrelange depressive Phasen vorausgingen, die zum Teil sehr weit zurückreichen …
Armin Alic: Mit Sicherheit! Mit Depressionen habe ich seit meiner Teenager-Zeit zu tun. Ich war schon als Kind sehr wetterfühlig und mag die dunklen Jahreszeiten nicht besonders. Nach allem, was ich heute weiß, sind die depressiven Phasen hauptsächlich eine Folge des Kriegs-Traumas und der damit verbundenen Entwurzelung. Ich bin ja im April 1992 aus Sarajevo, Jugoslawien, geflohen, wo der Krieg bereits begonnen hatte. Ich hatte das große Glück, in Deutschland eine neue Heimat zu finden, aber solche Erlebnisse hinterlassen natürlich Spuren. Vor dem Krieg hatte ich eine sehr schöne Kindheit und kannte keine depressiven Verstimmungen. Möglicherweise gibt es aber auch noch andere Gründe, die dazu beigetragen haben. In den ersten Jahren meiner freiberuflichen Tätigkeit als Musiker war meine wirtschaftliche Situation lange Zeit sehr prekär. Das hatte natürlich auch Auswirkungen auf das Befinden. Hier hätte ich mir sicherlich schon viel früher Hilfe holen können. Ich habe mich immer schon viel mit Psychologie beschäftigt, und bin auch, was die Verarbeitung des Traumas angeht, aus eigener Kraft schon weitergekommen. Es gibt aber einfach Dinge, die man ohne Hilfe nicht lösen kann.
“Ich hatte sehr viel Glück im Unglück!”
Bekanntlich sind Therapieplätze in Deutschland leider rar gesät und es dauert mitunter Wochen oder Monate, bis man an überhaupt einen Termin für ein Erstgespräch bekommt. Wie war das bei dir?
Armin Alic: Genau so ist es! Ich hatte unheimlich viel Glück: Nachdem ich aus Bosnien wieder nach Hause gekommen war, habe ich auf gut Glück einige Therapeuten und Einrichtungen in meiner Nähe angeschrieben. Es gab sofort zwei Angebote zur Gruppentherapie, aber auch ein paar Absagen. Eine der Damen, die mir abgesagt hatten, bot mir am Telefon an, dass sie sich melden könne, falls kurzfristig etwas frei würde, und etwas später ist genau dieser Fall eingetreten. Im Grunde hat es vom Beginn meiner Bemühungen bis zum Erstgespräch nur ein paar Wochen gedauert. Ich hatte also sehr viel Glück im Unglück!
Einen Therapieplatz zu bekommen, ist das eine Problem – auch an den oder die richtige(n) Therapeut(in) zu kommen, ist das andere. Worauf sollte man deiner Meinung nach bei der Suche achten?
Armin Alic: Eine schwierige Frage. Jeder Mensch ist anders, und jede Situation ist anders. Deswegen braucht auch jeder Mensch und jede Situation eine subjektiv passende „Lösung“. Ich denke aber, dass an erster Stelle steht, dass man sich mit der behandelnden Person gut versteht. Es braucht das Gefühl, dass man ernst genommen und verstanden wird. Das ist die erste Voraussetzung, damit Vertrauen entstehen und man sich überhaupt öffnen kann. Für mich ist es zum Beispiel so, dass es mir leichter fällt, mich in so eine Situation mit Frauen zu begeben, als mit Männern. Es fühlt sich einfach besser an! Dann gibt es ja auch sehr viele verschiedene Therapie-Formen und man muss schauen, dass man für die jeweilige Fragestellung den richtigen Ansatz findet. Letztlich kann man nur herausfinden, was für einen selber am besten funktioniert, indem man sich auf den Weg macht und es einfach versucht. Lieber einige Versuche unternehmen, bis es wirklich passt, als es gar nicht erst zu versuchen.
Wer bezahlt eigentlich eine solche Therapie? Muss man in die eigene Tasche greifen, oder übernimmt das per se die Krankenkasse? Und wenn ja: Wie ist da das Prozedere? Muss man z. B. selbst erst einmal ellenlange Anträge ausfüllen, bis es überhaupt losgehen kann?
Armin Alic: Die meisten Therapeuten können mit Krankenkassen abrechnen, einige aber auch nicht. Es gibt aber auch Menschen, die sich per se entscheiden, nicht den Weg über die Krankenkasse zu gehen und lieber selbst zu zahlen. Sie wollen nicht, dass eine solche Behandlung aktenkundig wird. Sie befürchten, dass ihnen dadurch Nachteile entstehen können, zum Beispiel beruflicher Art – was mitunter leider sogar begründet ist. Grundsätzlich gibt es vier Verfahren, die mit einer Krankenkasse abgerechnet werden können: Verhaltenstherapie, Tiefenpsychologische Psychotherapie, Psychoanalyse und Systemische Psychotherapie. Darüber hinaus haben dann einige Therapeuten qualifizierte Weiterbildungen aus den Bereichen Trauma-, Entspannungs-, Schema- oder weitere Therapien. Je nach Fragestellung kann es hilfreich sein, z. B. traumatherapeutisch zu arbeiten. Die Prozedur am Anfang ist in der Regel wie folgt: Man kontaktiert den Therapeuten in der Sprechzeit und vereinbart ein Erstgespräch in der Sprechstunde. Hier lernt man sich kennen und schaut, ob eine Zusammenarbeit passt. Hierfür gibt es sogar noch 2-4 weitere Termine. In dieser Zeit wird auch eine (Verdachts-)Diagnose gestellt und man beantragt gemeinsam die ersten Therapiestunden. Als Patient holt man vom Hausarzt einen sogenannten „Konsiliarbericht“ ein. Das ist wichtig, um festzustellen, dass keine körperliche Ursache gegen eine Therapie spricht. Bestenfalls entscheiden sich nach den Sprechstunden beide Seiten für eine längerfristige Zusammenarbeit. Für den Therapeuten muss es ja auch passen. Der ganze Prozess der Beantragung ist auf jeden Fall nicht so kompliziert und aufwändig, wie man es vielleicht denken mag. Therapeuten sind darin natürlich sehr erfahren. Angst vor diesem Prozess sollte einen daher nicht davon abhalten, sich auf den Weg zu machen.

“Die Idee ist, eine Verbesserung und Stabilisierung der Situation zu bewirken, sodass man irgendwann wieder ein Leben ohne Einschränkungen führen kann.”
Du machst ja eine Verhaltenstherapie. Ohne zu tief ins Detail zu gehen, weil das natürlich sehr privat ist: Wie muss man sich eure gemeinsame Arbeit vorstellen?
Armin Alic: Erstmal muss man ja die Situation „eruieren“. Man erörtert, was genau passiert ist, damit eine Verdachts-Diagnose erfolgen kann. Dann versucht man gemeinsam herauszufinden, welche Faktoren zum Entstehen des Problems beigetragen haben. Wenn man einen Überblick hat, kann man sich auf den Weg machen, nach Lösungsansätzen zu suchen. Erstmal welchen, die kurzfristig wirken und den akut bestehenden Leidensdruck mindern. Und danach jene, die langfristig wirken. Die Idee ist, eine Verbesserung und Stabilisierung der Situation zu bewirken, sodass man irgendwann wieder ein Leben ohne Einschränkungen führen kann. Was ich in meiner Situation sehr gut finde, ist, dass ich die Möglichkeit habe, in jeder Sitzung das Thema vorzugeben. Ich kann also bestimmen, worüber wir sprechen. Die Therapeutin versucht dann, mir Lösungsvorschläge und Strategien mitzugeben, die ich anwenden kann, um für die jeweilige Situation eine Verbesserung zu erreichen. Das funktioniert für mich sehr gut.
Viele Leute haben eine verklärte Vorstellung nach dem Motto: „So, ich mache jetzt mal eben acht Wochen Therapie, und danach kann mein Leben wie gewohnt weiterlaufen.“ So funktioniert es aber in der Praxis natürlich nicht, sondern man entscheidet sich bewusst für einen zum Teil sehr langen und steinigen Weg, der Höhen und Tiefen mit sich bringt. Gab es bei dir persönlich Rückschläge, seit du die Behandlung begonnen hast?
Armin Alic: Genau so ist es. Zunächst sind ja Therapeuten auch Menschen wie alle anderen auch. An sie die Erwartung zu haben, dass sie für einen alle Probleme lösen können, ist unrealistisch und führt zu Enttäuschungen. Bei physischen Problemen gibt es in der Regel ganz klare Dinge, die ein Arzt tun kann, um sie zu beheben. In der Psychotherapie findet die eigentliche Arbeit aber in der Zeit zwischen den Sitzungen statt! Diese Arbeit kann man nur selbst machen, indem man die Dinge beherzigt, die man in den Sitzungen gemeinsam erarbeitet. Man muss auch verstehen, dass solche Heilungsprozesse niemals schnell und linear verlaufen können. Sie brauchen immer Zeit und verlaufen in „Wellen“. Eigentlich ist es ja auch klar, denn eine Überlastung, die so intensiv ist, dass sie irgendwann zu Problemen führt, entsteht ja auch über eine sehr lange Zeit. Viele Verhaltensmuster, die mich zum Beispiel in diese Situation gebracht haben, hatte ich ja über Jahre und Jahrzehnte „trainiert“, wenn man so will. Derartige Konditionierungen kann man nicht auf Knopfdruck ausschalten. Das Gehirn, das Nervensystem und der Körper brauchen Zeit, um sich an die Veränderungen zu gewöhnen. Auch bei mir ist der Heilungsprozess ein wellenförmiger: Die Zeitintervalle, innerhalb derer es mir ziemlich gut geht, werden aber zum Glück immer länger und konstanter. Ich stehe aber dennoch immer vor der Frage, ob ich mich dafür entscheide, die neu erlernten Wege zu gehen, oder dafür, in meinen alten und ungesunden Mustern zu verweilen. Das ist manchmal eine Herausforderung, weil man an die alten Muster so gewohnt ist. Vor einigen Wochen war ich noch einmal in einer solchen Situation. Nach einigen Erfolgserlebnissen hatte ich das Gefühl, es wäre alles so wie früher, und bin, ohne es richtig zu merken, wieder in alte Verhaltensweisen rein gerutscht. Zum Glück habe ich aber relativ schnell wieder da raus gefunden. Der Körper gibt einem ja sehr klare Signale, die man beachten sollte. Und auch wenn man mal in alte Verhaltensweisen zurückfällt, ist es nicht so, dass man danach wieder bei Null anfangen muss. Die „Tools“, die man in der Therapie erarbeitet, machen es möglich, schneller und mit weniger „Folgen“ wieder zurück zu finden. Es ist einfach ein dynamischer Prozess. „Rückschläge“ gehören dazu und sind kein Weltuntergang.

“Die Angst ist eigentlich ein im menschlichen Organismus angelegtes Schutzsystem.”
Wenn man so komplett ausgebremst wird im Leben, gibt es ja zwangsläufig einige Nebenschauplätze. Zum Beispiel steht man als Freiberufler ganz schnell vor dem Problem, wie man angesichts der finanziellen Einbußen eigentlich über die Runden kommen soll. Wie lief das bei dir ab?
Armin Alic: Reserven hatte ich nicht wirklich. Ich habe zwar die letzten Jahre, gemessen am Musiker-Durchschnittslohn, schon ok verdient. Es war jedoch bisher niemals so viel, dass es möglich gewesen wäre, wirklich nennenswerte Beträge zur Seite zu legen. Ich habe seit einigen Jahren eine private Altersvorsorge, zusätzlich zur KSK. Aber da will man ja eigentlich nicht drangehen, wenn es nicht unbedingt sein muss, denn dieses Geld ist ja für die Zeit später im Leben gedacht. Auch hatte ich in der Zeit vor dem Zusammenbruch einiges in neue Instrumente und neues Equipment investiert, denn ich nahm ja an, dass alles wie gewohnt weitergehen würde. Meine „Philosophie“ war aber auch immer schon, dass man mit dem Geld, was man verdient, irgendwas machen sollte. Zum einen muss es ja im Fluss sein, damit es sich vermehren kann. Aber auch deswegen, weil man nie weiß, wie viel Zeit man noch hat. Wenn ich also viel arbeite, will ich das verdiente Geld irgendwie auch sinnvoll einsetzen und etwas davon haben. Es hat mich also erstmal ziemlich kalt erwischt! Es gab und gibt zum Glück sehr viel Support von Familie und Freunden. Dafür bin ich sehr dankbar! Ich habe aber auch schon relativ bald nach dem Zusammenbruch wieder angefangen zu arbeiten. Offiziell war ich drei Wochen krankgeschrieben. Danach habe ich langsam begonnen, mich wieder um Dinge zu kümmern. Mitte August, also fünf Monate nach dem Zusammenbruch, habe ich wieder die ersten Konzerte gespielt. Natürlich in der Menge erstmal weitaus weniger als in den ganzen Jahren davor. Aber es war mir sehr wichtig, wieder auf die Bühne zu gehen, sobald ich das Gefühl hatte, dass ich es wagen kann. Die Angst ist ja eigentlich ein im menschlichen Organismus angelegtes Schutzsystem, welches sinnvoll ist, weil es einen vor Gefahrensituationen schützt. Hat man es mit einer Panikstörung zu tun, gibt es nur einen Weg, die Angst zu besiegen: Man muss immer wieder in die Situationen rein gehen, in denen sie entstanden ist.
Die sogenannte „Symptomverschreibung“!
Armin Alic: Genau! Nur auf diese Weise kann das „System“ lernen, dass in Wahrheit gar keine Gefahr besteht und es nicht erforderlich ist, in den sogenannten „Fight or flight“-Modus zu gehen. Hilfreich ist das Bewusstsein, dass das, wovor man Angst hat, gar nicht passieren kann, und auch nicht passiert. Ich habe mich ja immer schon sehr gerne auch edukativ betätigt. Zum Beispiel seit 2013 regelmäßig im Rahmen des Programms „Kultur macht stark“. Da haben wir an diversen Schulen und Jugendzentren in sozialen Brennpunkten in Bochum verschiedene Bandprojekte betrieben. Das Kapitel endete leider eher unerwartet Ende 2024 aus bürokratischen Gründen. Ich unterrichte also jetzt auf jeden Fall wieder mehr privat. Das hat mir immer schon Freude gemacht, aber ich habe mich nie aktiv darum gekümmert, weil ich immer so viel unterwegs war. Es gibt auch noch einige weitere kleine Baustellen, wie zum Beispiel die Arbeit für das Netzwerk „create music NRW“. Da geht es um landesweite Förderung des Nachwuchses im Popmusik-Bereich. Ich bin auch Mitbegründer und Vorstandsmitglied des Wuppertaler Vereins „Planet K – Kultur für alle“. In diesem Rahmen passiert eigentlich auch immer viel. Ebenso mache ich, genau wie du ja auch, von zuhause aus Studiojobs. Ich habe zuhause ein sehr schönes und effektives Setup, kann also in meinem Homestudio Aufnahmen in einer Qualität machen, die höchsten Ansprüchen gerecht werden. Und das mache ich sehr, sehr gerne! Im letzten Jahr hat mir die finanzielle Situation große Sorgen gemacht. Irgendwann habe ich diese Sorgen aber hinter mir lassen können. Ich mache das, was in meiner Situation möglich ist und arbeite so viel, wie ich eben kann. Ich vertraue darauf, dass aus dieser Situation etwas Positives entstehen wird. Und dass es sogar besser wird, als es vorher war. Ich muss aber auch dazu sagen, dass es im Kollegen- und Freundeskreis sehr viel Verständnis für meine Situation gibt. Dementsprechend sind alle bereit, mit meiner Situation zu arbeiten und umzugehen. Dafür bin ich auch sehr, sehr dankbar!
Gab es bei dir irgendwann mal einen Punkt, in dem du ernsthaft erwogen hast, komplett mit dem Musikmachen aufzuhören und etwas ganz anderes zu machen?
Armin Alic: Ja, irgendwann im Winter 2024 war es für eine Weile tatsächlich so, dass ich zumindest diesen Gedanken mal für eine Weile zugelassen habe. Ich bin seit meinem achten Lebensjahr Musiker und konnte mir nie auch nur im Ansatz vorstellen, etwas Anderes zu machen. Aber Teil der Symptomatik ist auch, dass Empfindungen sehr stark eingeschränkt oder sogar komplett unterdrückt sein können. Ich hatte eine Phase, in der das der Fall war. Das heißt, dass meine emotionale Verbindung zur Musik für eine Weile ausgeschaltet war, wenn man so will. Ebenso konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht einschätzen, ob ich überhaupt noch Kraft und Lust dazu habe, weite Reisen zu machen, um Konzerte zu spielen. Anstrengend und belastend ist ja an unserem Beruf weniger die Zeit auf der Bühne, sondern die viele Fahrerei und das ganze „Drumherum“. Also habe ich mir für eine Weile immerhin vorgestellt, wie es wäre, die Entscheidung zu treffen, beruflich etwas ganz Anderes zu machen. Ich habe ja durchaus auch noch andere Interessen. Allerdings kam die Freude an der Musik zum Glück irgendwann wieder, und jetzt gerade ist die „Connection“ sehr klar! Ebenso hatte ich im Januar mit meinem Kumpel Danko Rabrenović – auch bekannt als der „Balkanizer“ – auch wieder die ersten Gigs, für die ich etwas weiter gereist bin. Da war es dann sehr schön, die Erfahrung zu machen, dass mir auch das Reisen nach wie vor Freude macht und mir immer noch etwas gibt. Über diese Entwicklungen bin ich sehr froh, denn natürlich wollte ich die Musik nicht an den Nagel hängen. Dennoch war es sehr gut, für eine Weile auch mal diese Perspektive einzunehmen. Sie hat mir nämlich sehr bei der Realisierung geholfen, dass mein Wert als menschliches Wesen nicht an mein Dasein als Musiker geknüpft ist.

“Ich war über viele Jahre lang an ein extrem schnelles Tempo gewöhnt.”
An welchen Stellschrauben in deinem Leben bzw. deinem Alltag hast du persönlich aufgrund deiner Therapie-Erfahrungen bislang gedreht? Was hat sich in deinem Leben im letzten Jahr verändert?
Armin Alic: Erstmal ist mein Leben gezwungenermaßen deutlich langsamer geworden. Das war zu Beginn sehr ungewöhnlich. Ich war ja über viele Jahre lang an ein extrem schnelles Tempo gewöhnt. Mit der Zeit habe ich aber auch viele Vorzüge der Langsamkeit kennen und schätzen gelernt. Gerade wir Musiker denken ja häufig, dass es ein Qualitätsmerkmal ist, 100 Shows im Jahr zu spielen und dazu auch noch auf zehn anderen Hochzeiten zu tanzen. De facto ist der Mensch aber für diesen Stress gar nicht gemacht. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass solche Probleme und Erkrankungen in unserer Gesellschaft immer mehr Menschen in vielen verschiedenen Berufen betreffen. Mir hat es also sehr geholfen, mal einige Gänge runterzuschalten. Das Erlebnis, dass das Leben auch dann schön ist, wenn man nicht immer 300% gibt, ist ungemein wertvoll! Bezüglich der Erkenntnisse aus der Therapie gibt es schon sehr viele Punkte: An erster Stelle steht der Lernprozess, für mich selbst und meine Interessen besser einzustehen. Das bedeutet zum Beispiel auch, besser NEIN zu sagen zu können. Zum einen zu beruflichen Angeboten, die für mich keinen Sinn machen oder sich nicht gut anfühlen. Aber auch anderen Menschen Grenzen zu setzen, wenn ich das Gefühl habe, dass sie sich mir gegenüber unangemessen verhalten. Beides ist mir früher sehr schwer gefallen. Teils, weil ich ein sehr offener Mensch bin und immer Lust auf neue Erfahrungen und Erlebnisse habe. Teils auch, weil ich eher konfliktscheu bin und keine Lust auf Stress habe. Dann ist ein sehr entscheidender Punkt, immer wieder Ruhephasen einzuschieben. Damit meine ich wirkliche Ruhephasen, in denen gar nichts passiert. Also wirklich Stille, kein Handy, keine Musik – überhaupt nichts, was Körper und Geist in irgendeiner Form stimuliert! Ebenso versuche ich, Multitasking zu vermeiden, soweit es geht. Auch hier denken wir ja, dass die Fähigkeit dazu erstrebenswert ist. Tatsächlich überfordert es uns aber nur und führt dazu, dass wir zwar viel machen, aber nichts davon wirklich gut. Auch der Umgang mit Perfektionismus ist ein Thema. Natürlich wollen wir alle immer das Beste geben, was möglich ist. Aber wir sind ja keine Maschinen. Das heißt, ich lerne auch, mich selbst und andere nicht so hart zu beurteilen und öfter mal „Fünfe gerade sein“ zu lassen. Diese Art von Härte mit sich selbst und anderen führt oft zu einer Verbissenheit, die irgendwann auch toxisch wird und Schaden anrichtet. Und es ist auch schön zu sehen, dass die Welt sich weiterdreht und immer noch schön ist, wenn mal irgendwas nicht ganz zu 100% gelingt. Natürlich spielen auch Faktoren wie regelmäßiger guter Schlaf sowie eine gesunde Ernährung mit Mitte 40 eine deutlich größere Rolle als vor zehn oder 20 Jahren. Das ist jetzt erstmal ziemlich viel, aber man macht ja auch nicht alles gleichzeitig, sondern tatstet sich langsam an die Dinge heran. Dafür gibt es sehr viele Tools: Gute Erfahrungen habe ich zum Beispiel mit Übungen der progressiven Muskelentspannung gemacht. Ebenso empfinde ich geführte Meditationen und bestimmte Atemübungen als sehr hilfreich. Irgendwann habe ich angefangen, täglich lange Spaziergänge zu machen. Ebenso habe ich damit angefangen, regelmäßig meine Gedanken aufzuschreiben. Beides habe ich in der Vergangenheit auch schon gemacht, allerdings weniger konsequent und regelmäßig, als ich es jetzt tue. Das sind alles Dinge, die man mit recht wenig Aufwand und ohne dass sie etwas kosten, betreiben kann, die aber den Heilungsprozess sehr befördern. Es ist natürlich alles immer noch in Bewegung, aber es haben schon viele entscheidende Änderungen stattgefunden, zu denen ich ohne die Therapie sicherlich so nicht gekommen wäre.
Was ich interessant fand: Teil deines Wiedereinstiegs in die Arbeit als Live-Musiker war es, dass du zunächst nur im Sitzen gespielt hast. Erst vor wenigen Tagen hast du aber den ersten Gig wieder im Stehen gespielt – wie war das für dich?
Armin Alic: Genau. Das war der Tatsache geschuldet, dass ja der Schwindel eines meiner Hauptsymptome ist. Daher habe ich mich im Sitzen viel sicherer gefühlt und konnte mich besser auf die Musik konzentrieren. Zugleich war es aber auch klar, dass irgendwann der nächste Schritt kommen sollte, also der Versuch, wieder im Stehen zu spielen. Interessanterweise hatte ich das aber an dem Tag gar nicht geplant. Ich habe mich gut gefühlt und es einfach beim Soundcheck ausprobiert. Als dann die Zeit für den Gig kam, dachte ich: „Was soll’s, ich probiere das jetzt einfach mal!“ Ich hatte zwar im Hintergrund einen Stuhl stehen, habe ihn aber dann nicht gebraucht. Es war ein sehr gutes und befreiendes Gefühl. Es hat natürlich beides was für sich, aber für mich ist es doch so, dass ich im Stehen wesentlich freier agieren kann und auch ganz anders spiele. Zugleich ist es auch eine sehr interessante Erfahrung, sich langsam wieder an Dinge heranzutasten, die ein Leben lang selbstverständlich waren, und es erstmal nicht mehr sind. Man lernt sie dadurch besser zu schätzen! Interessant ist die Tatsache, dass das in einem Rahmen stattgefunden hat, in dem wir zwar ein Konzert gegeben haben, bei dem aber das Thema „mentale Gesundheit“ im Fokus stand. Es ist ein neues Konzept und heißt „Couch in Concert“. Ins Leben gerufen wurde es von der Sängerin Lea Bergen und der Psychologin und Psychotherapeutin Elisabeth Miro. Lea kenne ich schon sehr lange. Während der Corona-Krise habe ich zusammen mit dem Kölner Gitarristen Hanno Busch Leas Debüt-EP produziert. Irgendwann im letzten Jahr sprachen wir miteinander und sie erzählte mir, dass sie auch schon seit geraumer Zeit mit Panikattacken auf der Bühne zu kämpfen hat. Zusammen mit Elisabeth Miro, die ihre beste Freundin ist, hatte sie die Idee entwickelt, Livemusik mit einer öffentlichen Diskussionsplattform zum Thema der mentalen Gesundheit zu verbinden. Alle in der Band haben in irgendeiner Form mit dem Thema zu tun – entweder als Betroffene oder Angehörige – und wir spielen sogar teilweise Songs, die sich auf das Thema beziehen. Elisabeth Miro ist quasi der „Host“ von Gesprächen mit der Band zum Thema. Auch das Publikum hat auch die Möglichkeit, Fragen zu stellen und sich einzubringen. Wir haben das vor einigen Wochen zum ersten Mal gemacht, und es war ein sehr berührender und sehr erfolgreicher Abend. Also hat es absolut Sinn gemacht, mich in diesem Rahmen zu trauen, wieder ein Konzert im Stehen zu spielen.

“Ich sehe mich in der Zukunft hoffentlich gesund, weiterhin neugierig und offen.”
Gibt es konkrete Ziele im Zusammenhang dieser ganzen Geschichte, die du noch vor dir hast?
Armin Alic: Ich sehe mich in der Zukunft hoffentlich gesund, weiterhin neugierig und offen. Ich möchte gerne sehr alt werden und in der Lage bleiben, das zu tun, was ich am liebsten tue: Musik machen! Konkrete Ziele, Wünsche und Träume gibt es viele. Einige meiner musikalischen Träume haben sich ja schon erfüllt, sehr viele aber auch noch nicht. Es gibt auf jeden Fall einige Bands und Künstler, mit denen ich sehr gerne spielen würde, weil ihre Musik in meinem Leben eine besondere Rolle spielt. Ich freue mich auch drauf, wieder längere Tourneen zu spielen, wenn meine Energiespeicher wieder entsprechend gefüllt sind. Dann habe ich grundsätzlich den Plan, in den nächsten fünf bis zehn Jahren so viel Geld zu verdienen, dass ich doch auch mal etwas zur Seite legen kann. Darüber hinaus lasse ich mich aber gerne überraschen. Ich will gar nicht genau wissen, wo ich in zehn Jahren sein werde. Das eröffnet nämlich die Möglichkeit, dass Dinge passieren, die ich mir jetzt noch gar nicht vorstellen kann, und das finde ich sehr schön!
Bitte erzähle uns zum Abschluss kurz noch ein paar Dinge, die wir in diesem Jahr von dir hören oder sehen werden. Schließlich hast du dir ja erst kürzlich auch einen coolen neuen Sadowsky Metroline Bass gegönnt! Und du arbeitest ja auch nach wie vor mit deiner eigenen Band, dem Royal Street Orchestra, mit dem du meines Wissens gerade einen neuen Longplayer eingespielt hast.
Armin Alic: Genau, die in Markneukirchen von Warwick gebauten Sadowsky Metroline-Bässe sind der absolute Knaller! Ich freue mich sehr, dass sich hier die Gelegenheit zu einer Zusammenarbeit ergeben hat. Ich habe meinen ersten Metroline seit Februar 2023, und er ist sehr schnell zu meinem Hauptbass avanciert – zweifellos der beste Fünfsaiter, den ich bisher gespielt habe. Ich habe langfristig den Wunsch, meine Kollektion noch um einige weitere Metroline-Bässe zu erweitern. Es sind Instrumente, die genau das bieten, was ich immer gesucht habe! Was in diesem Jahr auf jeden Fall passieren wird, ist, dass ab der zweiten Jahreshälfte und im nächsten Jahr das Royal Street Orchestra wieder mehr Konzerte spielen wird. Wie du schon sagtest, haben wir im Dezember 2024 unser drittes Album „metamorphose“ veröffentlicht. Die Aufnahmen dazu liegen schon einige Jahre zurück. Wir haben für das Album die Band um ein Kammerphilharmonie-Orchester erweitert. Es war also eine etwas umfangreichere Produktion, und es hat – auch bedingt durch die Corona-Krise – einige Zeit gedauert, bis das Album wirklich fertig war. Wir sind mit dem Ergebnis sehr glücklich und freuen uns auf jeden Fall alle sehr darauf, künftig wieder mehr live zu spielen. Zudem fangen wir bald an, neue Musik zu schreiben. Dann haben wir im letzten Jahr auch über unser Label Royal Street Records „Amanet“ das Debütalbum unseres Pianisten Gert Kapo veröffentlicht. Das war für mich auch eine sehr schöne Erfahrung, weil ich die Musik liebe, die Gert geschrieben dafür geschrieben hat. Für die Aufnahmen kam ein sehr erlesenes und international besetztes Lineup an Musikern zusammen. Die Basics der meisten Songs haben Gert, Rhani Krija an Hybrid Drums und Percussions, und ich im Frühling 2022 aufgenommen. Mit Gert haben wir im letzten Jahr zum Release schon einige sehr schöne Konzerte gespielt. Es wird auch hier in der zweiten Jahreshälfte und in 2016 mehr Konzerte geben. Ebenso haben Gert, Rhani und ich kürzlich angefangen, mit ganz neuen Songideen zu experimentieren – vielleicht für ein neues Album, was wir dann im Trio aufnehmen. Weil ich gerade viel zuhause bin, arbeite ich auch wieder mehr an eigenen Ideen, nehme viel auf und mache neue und aktuelle Videos. Mit „Couch in Concert“ wollen wir auch sehr gerne weitermachen, und es sind auch noch einige weitere musikalische Themen für 2026 im Gespräch. Ich lasse mich aber auch sehr gerne überraschen und bin sehr offen für neue Projekte und Ideen. Abseits der Musik habe ich bereits im letzten Jahr vor dem Zusammenbruch einige neue Folgen für meinen „Talking Spirits Podcast“, bei dem du ja auch schon zu Gast warst, aufgenommen. Diese werde ich irgendwann demnächst veröffentlichen. Ich möchte den Podcast sehr gerne weiterführen, mache mir aber hier auch Gedanken, in welcher Form das am meisten Sinn macht. Dann zieht es mich, auch durch die Therapie bedingt, immer mehr zum Schreiben. Hier habe ich den Wunsch, das auch irgendwie weiter auszubauen und regelmäßiger öffentlich zu betreiben. Wie du siehst, gibt es sehr viele Ideen und Projekte. Damit ich mich aber nicht wieder übernehme, mache ich mir keinen Stress und plane im Moment auch noch nicht all zu viel im voraus. Ich schaue einfach Tag für Tag, was sich gut anfühlt und wohin die Reise geht. Irgendetwas Schönes passiert eigentlich immer! Anfragen aller Art können übrigens gerne jederzeit an armin@arminalicbass.com oder an meine Social-Media-Kanäle geschickt werden. Ich lese immer alles und melde mich in der Regel zeitnah zurück!

Gibt es aus deiner Sicht etwas, was getan werden kann, um das Thema der mentalen Gesundheit (bei Musikern) mehr in den Fokus zu rücken?
Armin Alic: Ich denke, dass es sehr sinnvoll wäre, wenn „Mental Health“ Teil der Lehrpläne an Musikhochschulen wäre. Von der Mannheimer Popakademie weiß ich, dass es schon seit längerer Zeit der Fall ist, dort ist der liebe Urban Elsässer für diesen Bereich zuständig. Ein hervorragender Psychologe, der auch selbst sehr gut Gitarre spielt. Wie es andere Hochschulen halten, weiß ich nicht wirklich. Aber die Herausforderungen, denen man sich in unserem Beruf zu stellen hat, sind in den letzten Jahren nicht weniger geworden. Deswegen denke ich, dass allen damit sehr geholfen wäre, wenn dieser Aspekt ein regelmäßiger Bestandteil der Ausbildung würde. Meines Erachtens wäre es auch sinnvoll, das auch an Schulen ab einem gewissen Alter zu thematisieren. Die Herausforderungen für junge Menschen haben spätestens seit der Corona-Krise enorm zugenommen. Nicht zuletzt verstehe ich auch nicht, wieso das Thema in unserer Gesellschaft immer noch so tabuisiert ist. Die Zeiten, in denen wir gerade leben, sind alles andere als einfach. Manchmal habe ich fast schon den Eindruck, dass es kaum noch Menschen gibt, die nicht irgendein Problem haben. Unsere Gesellschaft hat ja in vielerlei Hinsicht in den letzten Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht, mit denen wir uns gerne rühmen. Damit gehen aber auch beachtliche Belastungen für alle Menschen einher. Damit irgendwie sinnvoll umzugehen, ist eine Herausforderung. Ich wünsche mir, dass sich weitläufig die Erkenntnis durchsetzt, dass Erkrankungen der Seele eine logische Folge der aktuellen Zeiten und des Zustands der Gesellschaft sind, in der wir leben. Und dass die Menschen, die in dieser Hinsicht an ihre Grenzen kommen, dafür nicht verurteilt werden und nicht als weniger wertvoll bzw. als schwach angesehen werden. Ein offener Umgang mit diesen Themen sollte eigentlich in einer modernen und progressiven Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit sein. Ist natürlich klar, dass auch das alles nicht auf Knopfdruck geht. Wir haben aber alle sehr viele Möglichkeiten, hier zu einer Verbesserung beizutragen.
Wahre Worte! Ich hoffe stark, dass dieser Artikel vielen Musikerinnen und Musikern, die sich in ähnlichen Situationen befinden, Mut macht und ihnen zeigt, dass se nicht alleine sind und es einen Ausweg aus solch einer schwierigen Situation geben kann. Gibt es noch etwas, das du Betroffenen mit auf den Weg geben möchtest?
Armin Alic: Das hoffe ich auch! Wenn ihr in einer ähnlichen Situation seid, holt euch bitte Hilfe! Es gibt hierzu sehr viele Möglichkeiten und Wege, die man gehen kann! Sprecht im Familien- und Freundeskreis darüber und macht es, sofern ihr könnt, öffentlich! Und am wichtigsten ist mir, euch ans Herz zu legen, dass das Leben sehr schön und sehr lebenswert ist. Auch wenn ihr in einer schwierigen Situation seid, gebt bitte nicht auf! Es gibt für jedes Problem mindestens eine Lösung, auch wenn es manchmal nicht so scheint. Die Erkenntnis, dass alles irgendwann ein Ende hat, gilt auch für Krisen und schwierige Phasen im Leben. Auch sie haben eine Halbwertzeit, und es ist möglich, sie zu überwinden und gestärkt aus ihnen hervorzugehen. An dieser Stelle möchte ich auch allen Leserinnen und Lesern vom Herzen für ihre Aufmerksamkeit danken.
Lieber Armin, vielen Dank für deine offenen Worte und alles Gute für deine Zukunft – persönlich wie musikalisch!
Armin Alic: Lieber Lars, vielen lieben Dank für dieses Gespräch und die Gelegenheit, dieses so wichtige Thema etwas detaillierter zu beleuchten. Ich wünsche dir auch vom ganzen Herzen alles Gute!

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