Der 18-stimmige Wave bietet unter seiner Oberfläche zwei identische Synths, die als Slot A und B bezeichnet werden. Diese beiden Slots werden immer gemeinsam als ein Programm abgespeichert und können entweder einzeln oder gleichzeitig (als Layer) gespielt werden. Über MIDI können die beiden Slots auch einzeln angesprochen werden. Clavia legt wert darauf, dass der Wave mit seinen getrennten Signalpfaden dann auch als Stereoinstrument gespielt wird. Der Signalpfad ist vollkommen schlüssig und durch eine gewisse Reduzierung extrem einfach im Handling. Dabei darf man aber nicht übersehen, dass enorme Klangmöglichkeiten in höchster Audioqualität im Wave schlummern, die einem Live-Keyboarder das Leben leicht machen.
Oszillatoren und Synthesearten
Der Nord Wave hat zwei Oszillatoren, wobei Oszillator hier eigentlich der falsche Ausdruck ist: Der Wave macht alles, was nicht bei drei auf dem Baum ist, zum Oszillator. “Sound Source” wäre also eigentlich der bessere Begriff.
Oszillator 1 beherrscht
– die klassischen (virtuell-)analogen und syncbaren Wellenformen Rechteck, Dreieck, Sägezahn, dazu Sinus
– FM-Synthese (36 Logarithmen) mit bis zu 3 Operatoren (6, wenn beide Oszillatoren benutzt werden)
– 62 Wavetables
– 7 weitere Wellenformen: 3 Noise, 3 Sinus und einmal Rechteck speziell für akustische Instrumente
Oszillator 2 besitzt
– Rechteck, Dreieck, Sägezahn, Sinus und FM-Synthese wie Oszillator 1
– einen 180 MB großen Samplespeicher
“Sampled Waves”, was im Grunde die vom Roland D-50/M1 bekannte LA-Synthese aus gesampeltem Attack mit anschließendem Wavetable ist.
Damit sind in einem einzigen Instrument eben mal die wichtigsten Synthesearten des “giggin’ musician” abgedeckt: analog-subtraktiv (“klassisch”), FM
(Yamaha), Wavetable (z. B. Waldorf), LA (Roland) und ein befüllbarer ROMpler (Kurzweil). Wobei ROMpler nicht ganz präzise ist, die Samples können ja ausgetauscht werden. Der Wave ist also ein RAMpler.
Das alles in hervorragender Qualität: die Wavetables sind quasi aliasingfrei, klingen bei statischen Klängen (allen voran die hervorragenden Mellotron-Samples) ausgesprochen gut. Über die Qualität der klassischen Wellenformen muss bei Clavia nichts mehr gesagt werden. Ganz klar: der Wave setzt sich zum Ziel, mit der bestmöglichen Qualität anzufangen und bleibt so flexibler in der Klangformung. Angerotzt werden können die Klänge immer noch später im Signalweg, z. B. mit dem sehr schönen Overdrive oder den hervorragenden selbstoszillierenden Filtern.
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Laden von Samples
Aber das ist noch nicht alles. Wer mehr “Original” Sounds braucht, wird von Clavia gut bedient, denn Clavia baut seit einiger Zeit zwei hauseigene Samplepools auf, die nach und nach gefüllt werden. Die Klaviersounds im .npno-Format für Nord Stage und Nord Electro 3 sowie Samples im .nsmp-Format. In letzterem sind viele Streichersounds, die erwähnten Mellotron-Samples, und alles, was der Electro 3 so kann, erhältlich. Mit der aktuellen OS Version 2.02 kann der Wave das .nsmp-Format laden, was ein geldwerter Vorteil ist!
Sounddesign
Wer den Sound verbiegen will, kann sich der “Shape” Regler bedienen, die je nach gewählter Synthese-Methode den Klang verschieden verändern. So kann
man die klassischen Wellenformen verbiegen, bei den Samples die Decay-Zeit regeln und bei FM die Modulation und das Feedback steuern.
Und hiermit schießt der Wave den Vogel ab: Oszillator 2 kann Oszillator 1 phasen- oder frequenzmodulieren! Schon mal ein Wavetable durch ein Mellotron-Sample phasenmoduliert? Oder einen “normalen” FM-Sound durch das Tropfen eines Wasserhahns zusätzlich frequenzmoduliert? Und das dann durch einen Clavia-Filter gejagt? Im Handumdrehen?
LFOs und Hüllkurven
Nachdem die Oszillator-Sektion als “Kern” des Wave höchstes Lob erhält, wollen wir die anderen Module anschauen. Hier gibt es wenig Neues, manchmal auch zu
wenig, allerdings alles in Clavia-Qualtität.
Der Wave besitzt zwei LFOs mit Geschwindigkeiten von 0.03 bis 523 Hz. Insgesamt stehen sechs Wellenformen zur Verfügung, darunter zwei Zufallswellen. Die
Zielparameter sind auf die nötigsten beschränkt: Filterfrequenz, Filterresonanz, Panorqama, Oszillatormodulation (das ist die FM/PM-Modulation von Osc1 durch
Osc2), Oszillator Shape und die Tonhöhen von Oszillator 1 und 2.
LFO1 besitzt einen “Poly”-Mode, bei der jede der 18 Stimmen des Wave einen eigenen, freilaufenden LFO besitzt. LFO2 besitzt dafür einen “Single”-Mode, bei
dem die Wellenform nur einmal abgespielt wird. Sehr praktisch ist, dass man die Modulation durch einen Tastendruck einfach mal kurz stumm schalten kann. Das ist zwar kein ausgefeilter Compare-Modus, aber das braucht es bei so einem übersichtlichen Instrument auch nicht.
Der Modulation Envelope ist ein einfacher Attack/Release-Envelope, also ein schlichter zweiphasiger Envelope. Wobei die Attack-Phase 0.45 ms bis 45 s dauern
kann, die Decay- oder Releasezeit 3 ms bis 45 s. Auch hier gibt es nur ausgesprochen sparsame Ziele: Filterfrequenz, Oszillator-Mix, Oszillatormodulation,
Shape von Osc2, die Tonhöhen von Oszillator 1, 2 sowie der beiden zusammen.
Die Lautstärken-Hüllkurve ist eine übliche ADSR-Envelope. Es gilt für alle Hüllkurven bei Clavia-Geräten bei Clavia: Sie sind sehr, sehr knackig und
deutlich. So knackig, dass es bei zu kurzen Attack- und Release Zeiten tatsächlich knackt – kein Fehler, sondern ein natürliches Phänomen, dem man nur durch Erhöhen der Attack-Zeit entgehen kann. Attack und Decay können Werte zwischen 0.5 ms bis 45 s einnehmen, Release zwischen 3 ms und 45 s. Die selben Werte gelten auch für den Filter Envelope, womit wir dann auch beim zweiten Herzstück des Nord Wave sind.
Filter
Dass Clavia gute Filter bauen, weiß man seit 1995. Und dafür zahlt man ja auch. Das vielseitige, resonanzfähige Filter kann als Tief-, Hoch- und Bandpass-, Kamm-, Multi- und “Vocal”-Filter arbeiten, wahlweise mit einer Flankensteilheit von 12 oder 24 dB/Oct. Das Multifilter ist ein Filter mit drei Spitzen, das Vocalfilter ein Bandpass-Filter mit zwei modulierbaren Bändern. Der Frequenzbereich des Filters reich von von 14 Hz bis 21 kHz.
Die Filter können das aus den Oszillatoren kommende Material unterstützen oder zerstören, je nach Wunsch. Sie packen kräftig zu und haben nicht mehr die
Schwächen, die der Wave bei seiner Erstauslieferung noch hatte. Hier traten früher Probleme mit sich plötzlich verändernder Lautstärke auf. Aber Audiobeispiele sagen bekanntlich mehr als tausend Worte. Ton ab:
Effekte
Am Ende der sehr einfachen Signalkette von Oszillatoren, Filter und Modulationen, bietet der Wave noch eine Effektsektion, die wiederum sehr einfach gehalten ist. Für die einzelnen Slots gibt es jeweils einen Zwei-Band-Equalizer mit bis zu 15 dB Anhebung der Bässe unter 100 Hz und der Höhen über 4 kHz. Dazu gibt es einen schön klingenden Chorus mit drei “Stärkegraden”.
Weitere drei Effekte wirken sich jeweils auf den ganzen Sound aus, also auf beide Slots zusammen. Es gibt ein Mono/Stereo-Delay mit Tap-Tempo, Feedback und Zeiten
zwischen 64 ms und 2,26 s, ein Reverb mit fünf Raumsimulationen und einen sehr schönen Tube-Amp-Simulator. Für letzteren gibt’st dann aber auch wirklich nur einen
Drehregler und einen Knopf!
Ein Mono-Mode mit zuschaltbarem Glide, eine Chord-Hold-Funktion, das von Clavia bekannte “morphen” und Vibrato mit drei Stärken runden das Bild ab. Allerdings runden sie auch die Gesamtnote des Wave nach unten ab: Vibrato z. B. läßt sich ausschließlich über das Wheel und Aftertouch steuern. Auch das “Morphen” (andere würden es
vielleicht “drehen an bis zu 26 Knöpfen gleichzeitig” nennen) lässt sich nur über Anschlagsgeschwindigkeit, Wheel oder Pedal und Keyboard Note
steuern. Beim Nord Lead 3 gab es noch vier Morphgruppen, beim G2 acht!
Was kann der Wave eigentlich nicht?
Damit sind wir auch schon bei dem, was der Wave alles nicht hat, und das ist eine ganze Menge. Einige Sachen “kann” er einfach nicht, und das ist okay. Andere
Sachen sollte er schon können, und das ist dann angesichts dsr Preises weniger okay.
Was er rein faktisch nicht kann, sind Synthesearten außer den oben beschriebenen. Er besitzt Wavetables (wie der DSI Evolver), bietet aber z.B. kein Wavesequencing (wie es der Evolver ansatzweise kann). Die Wavetables können nicht ausgetauscht werden (beim Evolver möglich), genauso wenig wie die gesampelten Anschlagsarten. Der Wave hat ein Delay, dessen Signal aber nicht wieder zurück in den Verarbeitungsweg geschickt werden kann (Delay-Feedback beim DSI Evolver).
Dieser Vergleich verdeutlicht, dass ein recht schlichter, billiger Synth wie der DSI Evolver Dinge kann, die der Wave noch nicht mal ansatzweise drauf hat.
Der Wave beherrscht auch keine andere Synthesearten wie etwa Amplitudenmodulation (naja gut, wenn man den OscMix ganz schnell hin- und herdreht vielleicht…), von moderneren Verbiegungen wie Granularsynthese ganz zu schweigen.
Und er kann einiges weniger als andere (teilweise ältere!) Instrumente von Clavia, was mich entäuschte: Es gibt keinen Keyboard-Split, keine individuellen Outputs, keinen Input, Aftertouch kann nur auf Vibrato gerouted werden(!), Modulationsrad und Fußpedal teilen sich die gleiche Morph-Gruppe, MIDI-Sync für LFO und Delay ist nicht möglich, einen Arpeggiator sucht man vergeblich, genauso eine MIDI-Thru-Buchse… das ist dann schon eine ganze Menge. Vor allem sind es aber eine ganze Menge Dinge, von denen man glaubt, dass sie recht problemlos hätten integriert werden können. Und plötzlich ärgert einen der relativ hohe dann Preis doch. Deswegen hier ein sehr sanftes Pad zur Beruhigung:
Der Nord Wave ist ein fantastisches Instrument, das Vieles sehr gut kann. Als da wären:
– gute Synthesemöglichkeiten mit einem sehr flexiblen Sound, der edel beginnt um dann – wenn es denn beliebt – durch den Dreck gezogen zu werden
– einfacher und völlig durchschaubarer Workflow, angefangen von der Instrumentenoberfläche bis zu den beiden Softwareprogrammen
Durch seine Vielseitigkeit und Klangqualität ist er sogar durchaus in der Lage, die meisten Klänge eines großen Tastenparks zu ersetzen. Zum einen, weil er viele Synthesearten gleich selber mitbringt, zum anderen weil der 180 MB große Samplespeicher (welche wegen der verlustfreien Komprimierung der Samples 540 MB entsprechen) für Samples vollkommen ausreicht. Eigene Multisamples von seinen analogen Schätzchen erstellen? Kein Problem! Also Schluss mit einem extra Transporter für den Keyboarder. Ich behaupte, dass ein Keyboarder in einer Coverband nicht mehr als zwei rote Instrumente braucht: einen Nord Stage/Nord Electro und einen Wave!
Der Nord Wave ist sofort spielbereit (er bootet in 20 Sekunden, hat dann aber keinerlei Latenzen mehr z.B. beim Aufruren der Samples), und ist durch die fast durchgängige “ein Knopf ist ein Parameter”-Philosophie auch in Stress-Situationen leicht zu handhaben. Und es sind gerade die Beschränkungen, die ihn vielleicht so livetauglich machen. Wo es nicht viel Auswahl gibt, kann man auch nichts falsch machen.
Was dabei aber oft unter den Tisch fällt, sind die sehr schönen und sehr weit gehenden Synthesemöglichkeiten. Natürlich kann ich das auch mit Softsynths machen, aber natürlich brauche ich dafür aber einen Computer, der erstmal hochfahren muss, und natürlich brauche ich dafür verschiedene Programme, die ich beherrschen muss und die alle auf meinem Bildschirm über-, hinter- und untereinander liegen. Mit dem Nord Wave hat man das alles auf einer Oberfläche und die Module sind so gut, dass man zwar weiss, was gleich passiert, aber dennoch vom Sound begeistert ist, der eben doch die Erwartung ein bißchen übertrifft. Weniger Suchen und mehr Finden, und das sofort und sehr geil. Das macht einfach Spaß!
Wie das klingen kann und dass Brillianz und Fettheit durchaus zusammengehen können, kann man bei diesem Klangbeispiel sehr gut hören: