ANZEIGE

Der Club-DJ der Gegenwart: Vom uniquen Trendsetter zur austauschbaren Bespaßungs-Jukebox?

Früher war man noch jemand!

In den goldenen 1990er schwelgend, besinnt man sich der aufblühenden Discotheken-Landschaft, wo die Gäste unvoreingenommen nach der Pfeife des DJs tanzten. Die Clubs waren nicht nur samstags, sondern an bis zu fünf Tagen in der Woche gefüllt. Der Verzicht des Besuchs kam einer Katastrophe gleich, denn man würde dieses gemeinsame Feiern in den von Scheinwerfer gefärbten Nebelschwaden samt bombastischen Soundsystem verpassen. Nebenbei baggerte man ohne Hemmungen an der Bar und auf dem Dancefloor.

(Bild: Shutterstock, Credits: hurricanehank)
(Bild: Shutterstock, Credits: hurricanehank)

Diese Form der nächtlichen Unterhaltung ist zwar nicht ausgestorben, aber sie kränkelt, wie auch die Befugnis eines DJs, seinen eigenen, von ihm geprägten Sound ohne Kompromisse durchzusetzen. Die Mehrheit passt sich dem Publikum an, um es nicht zu verprellen und damit die halbvollen Locations vor dem finanziellen Kehraus zu bewahren. Schließlich zählt jeder Gast! Musikalisch geht man auf Nummer sicher, sodass unabhängig des jeweiligen DJs der Sound, gar die Playlisten recht identisch sind. Wie konnte es soweit kommen?!

Verlust des analogen Kopierschutz

Vor mehr als 20 Jahren gehörte es zum guten Ton und zur Credibility eines Club-DJs, nur mit Vinyl aufzulegen. Dance-Tracks wurden größtenteils nur oder einige Wochen vor dem CD-Release auf 12-Inch veröffentlicht. Die Auflagen waren streng limitiert, daher schnell vergriffen oder erst gar nicht käuflich erhältlich. Ein DJ definierte sich über seine aufgelegten Platten und seinen Musikstil. Mit dem Einzug der MP3 und Musikerkennungs-Apps wie Shazam ist fast jedes Set von einer Tracklist und damit jeder DJ stilistisch kopierbar.

Veränderung der Medienlandschaft

Einst hörte man neue Tracks als erstes nur in den Clubs und auch Discotheken. Der DJ als Testimonial, auch zum Teil im Auftrag der Schallplattenlobby, checkte mit dem Auflegen der Promo-Platten die Reaktion des Publikums. Nicht allein der volle Dancefloor, sondern auch Nachfragen zu den aufgelegten Tracks, galten als Indikatoren für einen potentiellen Club-Hit. Entsprechend tippten ihn die DJs in die Dance-Charts. Positionierte er sich an deren Spitze, folgte ein Videodreh für MTV und VIVA, um ihn per Heavy-Rotation auf den Sendern zu promoten und damit den Verkauf anzukurbeln. Dies funktionierte solange gut, wie auch die Musik gut war. Letztlich wurde auch viel Schund in die DJ-Charts getippt. Das stank VIVA. Letztlich stoppte der Musiksender 2003 diese Promo-Maschinerie, indem sie Dance-Music komplett aus ihrem Musik-Programm verbannte. Dance-Music besann sich ihrer Wurzeln. Die Sets der DJs waren wieder einzigartiger und nicht ausschließlich von den Promos der Plattenindustrie durchzogen. Die aufgelegte Musik verdiente sich wieder den Stempel: independent und credibil.
Mittlerweile ist sie nicht mehr den Clubs vorbehalten, sondern ständig verfügbar. Spartensender, Streaming-Dienste und Plattformen wie YouTube, Sound- oder Mixcloud, aber auch Online-Music-Shops stopfen hungrige Ohren sofort und kostengünstig. Damit hat der kommerzielle Club als Quelle für den neuesten musikalischen Trend ausgedient. Auch mancher Gast ist musikalisch mehr auf dem Laufenden als der DJ, was er ihn auch durch penetrantes Musikwünschen samt Besserwisser-Phrasendreschen spüren lässt.

Jeder kann ein DJ sein

Die monetäre Hemmschwelle zum DJing ist mit billigen DJ-Apps, DJ-Controllern und kostenlos gesaugten Tracks überwunden. Anscheinend kann jeder auflegen, der eine App beziehungsweise Konsole besitzt. Selbst mit Equipment auf Spielzeug-Niveau ist es heut schon fast kinderleicht. Faszinierte Blicke über die Schulter der DJs in der Discotheken-Kanzel weichen geklopften Sprüchen, wie: „Das kann ich auch!“ oder „Du spielst doch eh nur einen Stick ab“. Denn anscheinend gilt für alle: Wir sind DJ, zwar nicht im Club, aber dafür im Bedroom, in der Garage oder auf der privaten Party.
Der Club als Flirtzone Warum für Eintritt und den Ladies ausgegebene Getränke blechen und Interesse heucheln, wenn es doch bequemer, günstiger und anonymer per App oder online vom Sofa geht. Allerdings beginnt durch Social Networks gleichzeitig auch die Entsozialisierung von der realen Welt und wir verlernen es, miteinander zu kommunizieren. Darauf möchte ich nicht verzichten. Ebenso nicht, mit einer Unbekannten in den dunklen, nebligen Katakomben dirty zu tanzen.

Aber wie beeinflusst dies den gegenwertigen Stellenwert eines Club-DJs?

Das einst beliebte Clubbing gerät bei der jetzigen Generation ins Hintertreffen. Clubs kämpfen um Besucherzahlen und ums Überleben. Booker und auch DJs schieben lieber musikalisch eine sicherere Kugel. Denn mehr denn je zählen auch bei einem Club-DJ nicht nur die Skills oder gar der Anspruch, sondern verstärkt die Tugenden der sogenannten und leider zu wenig geschätzten Hochzeits-DJs.

Stilistische Flexibilität

Vom DJ wird erwartet, musikalisch auf den Moment und das Publikum zu reagieren, selbst bei wenigen Gästen eine „gute Miene zum bösen Spiel“ aufzusetzen. Musikalische Experimente? Lieber nicht, denn damit vergrault man womöglich seine letzten Gäste. Besser Charts in-the-mix, vom Gast gewünscht. Oder wie wäre es mit Schlager, die jeder kennt, die alle mitsingen und man sich gegenseitig in den Armen liegt. Ein Szenario mit Gänsehaut und Schüttelfrost für einen vom musikalischen Anspruch getriebenen Club-DJ. Aber genau an diesem Gemeinschaftsgefühl erfreut sich mittlerweile die jüngste Generation. Denn dies bietet keine private Garagenparty.

Dramaturgie

Das Publikum lesen, um genau zu wissen, was sie gerade möchten, aber dabei trotzdem stets die Dramaturgie des Sets im Auge behalten. Man setzt ein paar Höhepunkte am Abend, in denen alle frenetisch schreien, klatschen oder mitsingen. Diese Fähigkeit ist nur schwer zu erlernen und das übernimmt auch keine DJ-Software oder ein Controller. Spätestens diese Eigenschaft trennt die Spreu vom Weizen und begründet die Daseinsberechtigung eines professionellen, erfahrenen DJs.

Entertainment

Mit dem Publikum zu agieren, bezieht sich nicht nur auf das Musikalische. Galt es noch vor ein paar Jahren als uncool, das Mikrofon in die Hand zu nehmen, ist es jetzt mittlerweile wieder angesagt. Denn nicht jeder kann sein Publikum mit professioneller Attitüde unterhalten, animieren oder anheizen.

Eure Meinung

Sicher trifft das beschriebene Szenario nicht auf jeden DJ oder jeden Club zu. Es gibt noch die elitären Plattenaufleger, von denen man erwartet, ihren Stil durchzuziehen, begründet in eigens produzierten Veröffentlichungen und dem damit untermauerten Künstlerstatus. Auch beugt sich nicht jede Location ausschließlich der Massenbefriedung. Aber jenseits der Musikmetropole Berlin können es sich nur sehr kleine Clubs, oft als e.V. geführt, leisten, mit Anspruch dem Mainstream zu kontern.
Wie sind eure Erfahrungen und wie ist eure Meinung zur Thematik? Teilt es uns gern via Kommentarfunktion mit.

Hot or Not
?
(Bild: Shutterstock, Credits: hurricanehank)

Wie heiß findest Du diesen Artikel?

Kommentieren
Profilbild von Babek Ganjineh

Babek Ganjineh sagt:

#1 - 15.11.2017 um 13:15 Uhr

0
Profilbild von snotrag

snotrag sagt:

#2 - 18.11.2017 um 11:57 Uhr

0

deckt sich mit meinen beobachtungen aus den letzten 10 jahren als "dj" ;)

Profilbild von Oliver Kruse .

Oliver Kruse . sagt:

#3 - 18.11.2017 um 23:40 Uhr

0

Ich habe es zu 100 % mit Vinyl gelernt.

Profilbild von Manfred Mitterndorfer

Manfred Mitterndorfer sagt:

#4 - 19.11.2017 um 11:34 Uhr

0

Ich bin jetzt schon 50 Jahre lang im Musikbusiness tätig. Begonnen als Band, ab 1973 als Profi DJ, Showman und Entertainer national und international unterwegs. Habe daher die gesamte Entwicklung in der Musikbranche mitgemacht und freue mich immer noch erfolgreich als DJ und mit meiner Band für das Publikum da zu sein. Es hat sich sehr viel geändert, nur eines kann man immer noch nicht lernen, das Feeling und das Gefühl für die Menschen die richtige Musik zum richtigen Zeitpunkt zu spielen. Entweder man hat's und man hat's nicht.

Profilbild von Denis Staupenpfuhl

Denis Staupenpfuhl sagt:

#5 - 19.11.2017 um 14:21 Uhr

0

Also ich lege jetzt seit 20 JAhren auf und mir macht das Auflegen mit Vinyl einfach am meisten Spass.

Profilbild von Matthias Freyboth

Matthias Freyboth sagt:

#6 - 19.11.2017 um 18:44 Uhr

0

Musik (allein) reicht nicht mehr, das zeigt meine 19 jährige Erfahrung. Das Publikum möchte unterhalten werden. Ohne meine Shows, die ich zusätzlich anbiete, wäre ich nie in dem Umfang und Wirkungskreis tätig. Auch die beste Technik und die coolste Lightshow reichen nicht mehr aus,.denn was Du heute kaufst, ist morgen alt. Entertaintment ist gefragt und wenn es das Publikum haben möchte, dann soll es das auch bekommen. Mit der Zeit gehen, sonst geht man mit der Zeit, sagte schon meine Oma.

Profilbild von Mivida

Mivida sagt:

#7 - 20.11.2017 um 09:00 Uhr

0

Ich muss Manfred Mitterndorfer hier recht geben. Wenn ich heute einen Club besuche, indem eine 70er Party ausgeschrieben wurde für den Abend und das Publikum, dem selbstverliebten DJ um 1 Uhr Nachts mal höflich bittet, irgendetwas aus den 70ern aufzulegen, dann hat er diesen Job verfehlt. Auch sowas führt zu Unmut und ausbleiben der Gäste. Wenn früher die Tanzfläche leer war, hat der DJ spätestens da gemerkt, dass er besser was anderes spielt (sonst wäre es auch sein letzter Tag dort gewesen). Dieses Verständnis fehlt heute Vielen in der Branche, leider...

Profilbild von Seb Samui

Seb Samui sagt:

#8 - 20.11.2017 um 12:17 Uhr

0

Leider muss ich dem Autor hier vollkommen recht geben. Die Situation ist auf den Punkt beschrieben. Aber... es gibt nur wenige Länder wie Deutschland in denen wir solch einen dramatisch negativen trend haben. Ich bin als tour manager jedes Jahr in über 30 Ländern unterwegs, und die meisten davon haben noch immer eine gesunde club Kultur wie wir sie in Deutschland aus den 90ern kennen. Dem Publikum selbst der ärmsten Länder ist der club Besuch am Wochenende das Highlight auf das sie hinzu fiebern und sie lassen sich das etwas kosten - im Gegensatz zum deutschen Publikum das möglichst alles umsonst haben möchte. Es ist sehr traurig dies mit ansehen zu müssen!

Profilbild von Hendrik Naumann

Hendrik Naumann sagt:

#9 - 20.11.2017 um 15:37 Uhr

0

Natürlich gibt es da immernoch die, die ihr Ding durchziehen - ich schließe mich selbst da mit ein. Antiquiert, oder gar ewig gestrig? Nein! Eher vinylverliebt und tekknobesessen. Außerdem ist es ein Hobby, wovon ich nicht leben muss. Anpassen dürfen sich andere...

Profilbild von Torsten Wille

Torsten Wille sagt:

#10 - 21.11.2017 um 11:21 Uhr

0

Also ich der auch jetzt noch gerne sein Tanzbein schwingt zu coolen Beats, so wie früher Ende der 80/90ziger kennt selber drei richtig gute Dj's, die ihr Handwerk aus dem FF können und es verstehen ihr Publikum mitzureißen, das ist wie eine riesige Familie man kennt sich untereinander und wir haben zusammen richtig Spaß auch ohne Mikrofon, man sollte das ganze nicht zu überspitzen, den es gibt noch genügend gute Dj's die ihrem Publikum richtig einheizen können und wo die Tanzfläche immer voll ist, auch wenn sich vieles geändert hat! Einer der besten Dj's aus den 80/90zigern ist und bleibt der unvergessene Sidney Fresh der in Duisburg im Display aufgelegt hat, der konnte auch mit dem Mikrofon das Publikum begeistern und unterhalten, für mich damals der beste Dj ever????
LG Torsten

Profilbild von PaKo

PaKo sagt:

#11 - 17.05.2018 um 07:04 Uhr

0

Der Artikel hat's gut zusammengefasst,. Genauso ist es. Eine Verkettung mehrerer Faktoren, die jeder für sich wahrscheinlich nur eine Veränderung der "Clubkultur" bedeutet hätten. Alle zusammen haben sie quasi zur Nische gemacht und zugunsten der Entertainment-Kultur à la "Cluburlaub" (unbeabsichtiges Wortspiel) verdrängt. Bestes Beispiel sind die ganzen Festivals wie Tomorrowland. Das hat mehr mit einem Rolling Stone Konzert zu tun als mit "klassischer" elektronischer Clubmusik. Vielleicht werden wir und unsere Feierkultur auch einfach alt. Rock 'n' Roll, 70s Disco etc. sind heute auch Nischen. Wahrscheinlich geht die "Clubkultur" den gleichen Weg in den nächsten 10-20 Jahren.

Profilbild von Robert Pasec

Robert Pasec sagt:

#12 - 16.08.2018 um 19:26 Uhr

0

Stimmt alles ganz genau. Viele "Möchtegerns" laufen dann spätestens bei einer anspruchsvollen VA gegen die Wand. Ungeachtet der aufgeführten Punkte kann man versuchen sich von der breiten Masse abzuheben. VirtualDJ 2018 macht das ganz gut , da man, selbst wenn man kein VideoDj ist, mit den aktuellen Features wie den Shadern ect., doch noch den einen oder anderen Aha-Effekt setzen. Bringt aber natürlich alles nix wenn man sein Handwerk nicht versteht ;-)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
Bonedo YouTube
  • Polyend Synth Demo (no talking) with Factory Presets
  • Korg multi/poly Sound Demo (no talking) with custom and factory presets
  • Behringer Proton Sound Demo (no talking)