In den Jahren des Zweiten Weltkriegs noch als militärisches Messwerkzeug im Funk- und Radarwesen eingesetzt, findet der Audio-/Prüf-Oszillator nach und nach seinen Weg in die Gefilde der elektronischen Musik.
Die Handlungslinie der Entstehung elektronischer Musik zeichnet sich als Folge kleiner Entwicklungsstufen bis hin zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Ab diesem Punkt zeigt sich eine schrittweise Änderung – nicht nur wegen des Aufkommens des Magnettonbandgeräts. Die Pioniere der elektronischen Musik nehmen sich eines prosaischen elektronischen Geräts an: dem Audio-/Prüf-Oszillator. Wurde in der elektronischen Musik das Tonbandgerät neben seiner ursprünglichen Aufgabe der Tonaufnahme auch für Tonmanipulationen eingesetzt, zeigt sich eine gewisse Analogie auch in der Nutzung des Prüf-Oszillators. Seinem ursprünglichen Zweck entfremdet, findet er nun neue Einsatzgebiete.
Töne stufenlos spielen
Ein solcher Oszillator erzeugt typischerweise eine Sinuswelle, dessen Frequenz oder Tonhöhe man mittels Drehknopf steuert. Technisch ist er dafür bestimmt, das Verhalten elektrischer Schaltkreise zu messen. Oft gekoppelt mit Oszilloskopen, um zu sehen, was dabei herauskommt, wenn man eine Oszillatoren-Wellenform zu Messzwecken durch eine Apparatur schickt. In dem Moment, als sich Künstler mit dem musikalischen Potenzial eines stufenlos erzeugbaren Tons befassten, wurde der in der Messtechnik eingesetzte Prüf-Oszillator zu einer bevorzugten Klangquelle. Gespielt durch Bewegen des Drehknopfs konnten deren Töne durch Filter und Manipulation der Bandaufnahme weiterverarbeitet werden. In den Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden solche Oszillatoren durch Militärüberschuss billig.
Künstler entdecken ein neues Musikinstrument
Wie so oft an der Schnittstelle von Musik und Technologie hatten viele Menschen gleichzeitig ähnliche Ideen. Die Gründungsfiguren der britischen elektronischen Musik, Tristram Cary und Daphne Oram, wurden beide im Jahr 1925 geboren. Sie besuchten Privatschulen und zeigten früh besondere musikalische Fähigkeiten, was sie Ende des Zweiten Weltkriegs dazu bewegte, über die Möglichkeiten des elektronischen Klangs in der Musik nachzudenken.
Daphne Oram | Tristram Cary
In 1943 begann Daphne Oram bei der BBC als Junior Studio Engineer und Music Balancer zu arbeiten. Im selben Jahr trat Tristram Cary als Radar-Offizier in die Marine ein. Bei beiden Jobs wurden Prüf-Oszillatoren verwendet. Cary verließ die Marine 1946 und begann mit dem Bau von „The Machine“. Eine bunte Mischung von Tools, die auf einem Tisch montiert war und elektronische Musik machen sollte. Mit der Zeit sollten es mehr werden, nebst einem Kontingent an Oszillatoren aus militärischem Überschuss. Das kaufte er mit dem Geld als er aus dem Militärdienst ausschied.
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Cary begann seine eigenen technischen Konzepte zu verwirklichen. Das führte später dazu, zusammen mit Peter Zinovieff und David Cockerell die Electronic Music Studios (London) Ltd. zu gründen. Diese entwickelten den EMS VCS3, den ersten kommerziell erhältlichen portablen Synthesizer. Anschließend war Cary an der Herstellung von so charakteristischen EMS-Produkten wie dem EMS Synthi 100 beteiligt.
Experimente mit Klängen
Ab den späten 1940er Jahren drangen Nachrichten über die Experimente der Musique Concrète in Paris und später die mit elektronischer Musik in Köln nach London vor. Pierre Schaeffer in Paris hielt an dem Prinzip fest, „echte“ Klänge mit Tonträgern und Klebeband zu manipulieren.
Karlheinz Stockhausen studierte 1952 bei Schaeffer und lernte Tonband-Bearbeitungstechniken. In 1953 zog er nach Köln, um im neu eingerichteten Studio für elektronische Musik des Westdeutschen Rundfunks in Köln zu arbeiten. Hier wurde das bevorzugte Audio-Rohmaterial von zwei frühen Instrumenten, dem Monochord und dem Melochord, elektronisch erzeugt. Stockhausen hielt diese Geräte jedoch für einschränkend. Er befürwortete die Verwendung von Oszillator-Sinuswellen als kompositorische Elemente, was er mit Studie I und Studie II in den Jahren 1953 und 1954 demonstrierte.
Die weitere Entwicklung
In England dauerte es noch eine Weile, bis sich die BBC in einem ähnlichen Status befand wie die Studios in Paris und Köln. Die waren in staatlichen Radiosendern untergebracht und wurden finanziert. Nach und nach hörte man auch deren erste Ergebnisse elektronischer Musik über den Äther. 1955 vertonte Cary das BBC-Hörspiel ‚The Japanese Fisherman‘ mit manipulierten perkussiven Klängen und Oszillator-Drohnen. Die erste elektronische Partitur im britischen Radio war geboren.
1957 verwendete Daphne Oram Tonbandgeräte, Oszillatoren und Filter, um Musik für eine BBC-TV-Adaption von ‚Amphitryon 38‘ des französischen Dramatikers Jean Giraudoux zu erstellen. Im März des folgenden Jahres ausgestrahlt, war dies die erste elektronische Partitur im britischen Fernsehen. Obwohl Orams Partitur im Vergleich zu Musik, die auf herkömmlichen Instrumenten gespielt wurde, spürbar fremd war, war sie doch musikalisch. Wo Carys Fisherman-Stück näher an dem war, was wir heute Sounddesign nennen würden, extrahierte Oram eine fast holzbläserartige Melodie aus den Oszillatoren.
Der BBC-Radio Workshop
Als ‚Amphitryon 38‘ ausgestrahlt wurde, setzte sich Oram zusammen mit Desmond Briscoe für die BBC ein, um den Radiophonic Workshop einzurichten. Der wurde im April 1958 in Maida Vale im Westen Londons unter der Leitung von Oram und Briscoe eröffnet. Geschichtlich gesehen hat man keine detaillierte Liste der für den Workshop verwendeten Geräte erstellt. Es ist jedoch bekannt, dass Oram und Briscoe verschiedene Tonbandgeräte, Plattenspieler und Oszillatoren von anderen BBC-Abteilungen zusammen mit einem Mischpult der Vorkriegszeit aus der Royal Albert Hall erworben haben. In Louis Nieburs Buch ‚Special Sound‘ sind einige neue Geräte aufgeführt, die mit einem Budget von 1.900 GBP gekauft wurden. Darunter ein Muirhead One Decade D-650B-Oszillator, der mit 313 GBP zu Buche schlug.
Obwohl der Workshop in seinen frühen Tagen einige große elektronische Tasteninstrumente erwarb, blieben Oszillatoren bis in die späten 1960er Jahre und das Hinzukommen von EMS-Synthesizern die bevorzugte Quelle für elektronische Klänge. Fotos des Workshops einige Jahre nach dessen Eröffnung zeigen eine Reihe von Oszillatoren, die über eine Tastatur mit einer Oktave Umfang gesteuert wurden. Delia Derbyshire verwendete einen Oszillator für die Hauptmelodie ihres berühmten ‚Doctor Who‘-Themas (1962).
Wie nutzt der Rest der Welt Prüf-Oszillatoren?
Bernard Herrmann | Pauline Oliveros
In der gleichen Zeit schlossen sich in den USA populäre und seriöse elektronische Komponisten an. Bernard Herrmann verwendete Oszillator-Swoops neben zwei Theremins im Soundtrack zu ‚The Day the Earth Stood Still‘ (1951). Die Komponistin Pauline Oliveros, später eine treibende Kraft im San Francisco Tape Music Center, setzte in ihren frühen Arbeiten Prüf-Oszillatoren ein. Oliveros sprach gegen Ende ihres Lebens mit Steve Silverstein und erklärte, dass sie in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren einen eigenen Weg gefunden hätte, elektronische Musik mit unterschiedlichem Equipment zu machen. Darunter, befanden sich Oszillatoren, Patchbays und Tonbandgeräte auf denen sie lernte mithilfe von Elektronik zu improvisieren. Dabei justierte sie die Oszillatoren frequenzseitig über den Hörbereich und arbeitete mit den Differenztönen von einem mit Bandverzögerungssystem ausgestatteten Tonbandgerät aus. Klanglich zeigte sich das Ergebnis in Form unterschiedlichster Schwebungsfrequenzen.
Louis und Bebe Barron
Beide hatten Ende der 1940er Jahre begonnen, Tonband-Manipulationstechniken mit Oszillator-Tönen zu kombinieren, obwohl es ungewöhnlich scheint, dass Louis die Oszillatoren selbst hergestellt hatte. Das Paar startete mehrere Projekte mit Avantgarde-Filmemachern, bevor es zu einem einzigen kommerziellen Erfolg kam, der Partitur für ‚Forbidden Planet‘ (1956). Bis dahin war Rock ’n’ Roll auf dem Weg, das dominierende Genre der Popmusik zu werden. Es dauerte allerdings noch einige Jahre, bis Oszillatoren ihren Platz inmitten von E-Gitarren, Bässen und Drum-Kits fanden.
Paul Tanner | Brian Wilson – Beach Boys
Der für Frank Sinatra spielendeSession-Posaunist Paul Tanner erlebte in einer Soundtrack-Session (1958) einen Thereministen, der sich abmühte, sein Instrument mit dem Orchester in Stimmung zu bringen. Das veranlasste Tanner dazu ein eigenes Instrument herzustellen, das Elektro-Theremin, auch Tannerin genannt. Es war ein Audio-Oszillator in einer Box mit einem manuellen Schieberegler. Ein paar Notizen für Tonhöhen auf der Box galten als Leitfaden. Tanner verwendete sein Gerät für TV-Themen sowie verschiedene Sessions und erhielt einen Anruf von Brian Wilson. Das führte dazu, dass Tanner in mehreren Songs der Beach Boys mitwirkte, darunter “Good Vibrations” (1966).
Brian Jones – Rolling Stones
Ungefähr zu der Zeit, als „Good Vibrations“ veröffentlicht wurde, nahmen The Rolling Stones ‚Between The Buttons‘ auf. Bei „Please Go Home“ drehte Brian Jones (Mitglied der Stones von 1963 bis 1969) den Regler eines Audio-Oszillators gut hörbar in diesem Titel. Ein Jahr später verwendete Brian den gleichen Trick auf dem Album ‚Satanic Majesties‘.
Die Beach Boys und die Rolling Stones sind nur zwei Beispiele für einen Trend in der Zeit, als Rockmusiker nach neuen Sounds suchten. Einschließlich, aber nicht unbedingt beschränkt auf elektronischen Sound.
The United States of America, Fifty Foot Hose und Silver Apples
Insbesondere in den USA führte dieser experimentelle Antrieb zu mehreren Underground-Bands, die einem völlig elektronischen Ansatz viel näherkamen als alle zeitgenössischen Mainstream-Acts. Dazu zählten The United States of America, Fifty Foot Hose und Silver Apples. Allen diesen Bands war gemeinsam, dass sie sich auf Einzelanfertigungen, handgefertigter Oszillator-basierter Instrumente verlassen mussten. Silver Apples, ein aus Danny Taylor und Simeon Coxe bestehendes Duo, hat das weiter vorangetrieben als jeder andere. Taylor war der Schlagzeuger. Coxe bediente „neun übereinander gestapelte Audio-Oszillatoren und 86 manuelle Bedienelemente zur Steuerung von Lead-, Rhythmus- und Bassimpulsen mit Händen, Füßen und Ellbogen“. So wurde es jedenfalls in den Sleevenotes des Debütalbums beschrieben. Diese exzentrische Kreation hatte keine Tastatur im Klavierstil. Stattdessen löste Coxe die Oszillatoren durch eine Auswahl von Telegrafen-Tasten und Pedalen aus. Das Equipment wuchs noch im Laufe der Zeit, als Coxe mehr Oszillatoren und Effektgeräte hinzufügte, die er in maßgeschneiderten Cases untergebrachte.
Technologische Wende – nicht für alle
Silver Apples bestand ein paar Jahre, tourte durch Amerika und veröffentlichte zwei Alben, ohne kommerzielle Erfolge zu erzielen. Ihr bekanntester Auftritt war ein Konzert zur Feier der Apollo 11-Mondlandungen im New Yorker Central Park. Aber bis dahin war Coxe‘s Oszillator-Monster ein Anachronismus. Moog und EMS handelten, wodurch man innerhalb weniger Jahre aus einem anständigen Angebot an Synthesizern wählen konnte, was einigermaßen bezahlbar war. Das zahlte sich im Nachhinein für das erste Zeitalter der elektronischen Musik aus. Tonband-Manipulationstechniken und Oszillatoren waren sowohl in der seriösen als auch in der populären Musik nicht mehr üblich. Silver Apples trennten sich 1970. Als Coxe Jahrzehnte später die Band reformierte, verfügte er über ein vernünftigeres Rig mit moderner Technologie und ein oder zwei Audio-Oszillatoren, um der alten Zeiten willen.
Zum Schluss
Heute werden Audio-Oszillatoren eher selten musikalisch verwendet. Und sollte man eine retro-manipulierte Sinuswelle hören, die so klingt, als stamme sie von einem geschichtsträchtigen Oszillator, handelt es sich wahrscheinlich eher um einen Hardware– oder Software-Synthesizer. Aber Nicolas Bernier lässt die Flamme mit dem Ensemble d’Oscillateurs weiter brennen. Inspiriert von Oliveros und Stockhausen tritt die zehnköpfige Gruppe ausschließlich mit Vintage-Nachkriegsoszillatoren auf. Mit Frequenzen und Volumen als musikalische Parameter sucht das Ensemble nach Möglichkeiten, um mit Sinus- und ein paar Rechteckwellen zu komponieren und zu improvisieren – nichts weiter.