Über Jaco Pastorius‘ Version des Pee-Wee-Ellis-Soulhits “The Chicken” braucht man wohl keine großen Worte mehr zu verlieren, befindet sie sich doch ganz oben auf dem Olymp der Bass-Klassiker. Ich möchte diesen Klassiker heute aus einer anderen Perspektive betrachten, genauer gesagt: sogar aus mehreren Perspektiven! In der Regel beschäftigen wir Bassisten uns ja naturgemäß mit der Bassline eines Songs, was im Falle von “The Chicken” schon Herausforderung genug ist. Am Ende dieses Workshops soll aber ein Solobass-Arrangement von “The Chicken” entstehen, welches ALLE Aspekte des Songs beinhaltet. Der Grund dafür ist nicht, dass wir als Solokünstler im Zirkus auftreten können, sondern dass wir einmal über unseren bassistischen Tellerrand hinausschauen, viel für unseren täglichen Bassisten-Job lernen und uns als Musiker/in weiterentwickeln.
Warum ein Solobass-Arrangement?
“Warum einen Song für Solobass arrangieren, wenn ich dieses sowieso nie in meiner Band spielen kann? Solokünstler will ich auch nicht werden. Brauche ich das?” Das sind eventuell die ersten Gedanken, die einen durch den Kopf schießen!
Allerdings geht es gar nicht darum, plötzlich als Solist zu glänzen, sondern darum, intensiv jegliche Aspekte eines Songs zu lernen, d.h. nicht nur die Bassline, sondern auch die Melodie und die Akkorde. Auf diese Weise taucht man richtig tief in den Song ein und lernt ihn von allen Seiten kennen, was uns wiederum enorm hilft, die harmonische und rhythmische Wechselwirkung unserer Bassline mit dem Song zu verstehen.
Wir erweitern also unseren musikalischen Horizont in jeder Hinsicht und unser Brot-und-Butter-Bassspiel wird von einem vermeintlich virtuosen Solobass-Arrangement deutlich profitieren. Größen wie Pino Palladino, Lee Sklar, Tony Levin und Nathan East werden nicht zufällig so häufig gebucht: Sie spielen nicht einfach nur ihren “Stiefel herunter”, sondern wissen genau, wie sie mit ihren Basslines den wichtigsten Teil des Songs (die Melodie) unterstützen und wie sie harmonisch und rhythmisch mit anderen Instrumenten interagieren.
Für dich ausgesucht
Bevor wir “The Chicken” sezieren, gibt es hier das Original für den unwahrscheinlichen Fall, dass es jemand noch nicht kennt:
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Mehr InformationenMelodie von “The Chicken”
Die Melodie von “The Chicken” ist sehr luftig und von vielen Pausen geprägt. Diese Eigenschaft eröffnet viele tolle Möglichkeiten zu einem Frage-Antwort-Spiel mit der Rhythmusgruppe. Die synkopierte Sechzehntel-Rhythmik ist zudem eine perfekte Vorlage für einen knackigen Bläsersatz‑ oder eben ein E-Bass-Soloarrangement!
Tonal basiert die Melodie hauptsächlich auf der Bb-Dur-Bluestonleiter (Bb, C, C#, D, F, G), welche sowohl die kleine (C# bzw. Db) wie auch die große Terz (D) beinhaltet, was für den authentischen tonalen “Schmutz” sorgt. Im zwölften Takt findet sich ein Unisono-Riff aller Instrumente, welches auf der Bb-Moll-Pentatonik basiert.
“The Chicken”: Harmonische Analyse
Akkorde geben einer Melodie erst ihre entsprechende Stimmung, und im Falle von “The Chicken” besteht das harmonische Geschehen aus einer Reihe von Dominantseptakkorden. Diese bestehen aus dem Grundton, der Terz, der Quinte und der kleinen Septime (siehe PDF). Ihr charakteristischer Sound entsteht durch die Reibung zwischen der Terz und der Septime. Diese beiden Intervalle stehen im Abstand von einem Tritonus (sechs Halbtöne voneinander entfernt) zueinander. Die Besonderheit: Dieses Intervall empfindet unser Ohr als Reibung und somit als “spannend”.
Die Schreibweise ist bei Dominantseptakkorden: Der jeweilige Grundton plus die Ziffer “7”. Der Dominantseptakkord von C wird also “C7” notiert. Dominantseptakkorde sind sehr beliebt im Blues (die Urform des Blues besteht aus drei Dominantseptakkorden auf der ersten, vierten und fünften Stufe der Tonart) oder auch im Funk, Soul oder R&B. Hier kann ein einzelner Dominantseptakkord schon mal die harmonische Grundlage eines ganzen Songs darstellen (z.B. James Browns “Sex Machine”).
“The Chicken” besteht ausschließlich aus derartigen Dominantseptakkorden: Bb7, Eb7, D7, G7 und C7. Um nicht weiter für Verwirrung mit Begriffen wie Sekundär-Dominanten etc. zu sorgen, lassen wir es ab hier mit der Theorie und der harmonischen Analyse gut sein und wenden uns der Praxis zu – also wie man Dominantseptakkorde am Bass spielt. Diese bestehen aus vier Tönen, was sich nicht so leicht umsetzen lässt.
Die bessere Lösung ist daher, pro Akkord einen Ton zu opfern. Aber welchen? Den Grundton brauchen wir auf jeden Fall, außerdem haben wir besprochen, dass der charakteristische Sound durch die Reibung zwischen Terz und Septime entsteht. Der zwangsläufige Verlierer ist also die Quinte, denn sie trägt generell wenig zum Charakter eines Akkordes bei und ist eher ein Füllton ‑ also weg damit! Daraus ergeben sich für jeden Akkord jeweils zwei mögliche Griffbilder:
Die Basslinie von “The Chicken”
Jacos Bassline ist wohl jedem interessierten Bassisten im Ohr. Ihr melodisches Motiv basiert auf der mixolydischen Tonleiter (entspricht einer Dur-Tonleiter mit kleiner Septime, siehe PDF). Dieses Motiv wird weitgehend auf sämtliche Akkorde übertragen.
Natürlich variiert Jaco regelmäßig, weicht sogar großzügig davon ab, und leitet ab und an chromatisch von einem Akkord zum anderen. Das Hauptmotiv taucht jedoch immer wieder auf und sorgt somit für den “Stabilität”.
Die rhythmischen Ankerpunkte des Grooves sind die Zählzeit 1 und die um ein Sechzehntel auf die “2e und te” vorgezogene 3. Dies bedeutet, dass die Energie des Downbeats 3 nun um eine Sechzehntel antizipiert wird, was kurzzeitig für eine Art Beschleunigungseffekt sorgt.
Ich habe zur Demonstration einmal das isolierte Hauptmotiv und einmal einen exemplarischen Durchlauf von “The Chicken” notiert, der sich an Jacos Line orientiert. Dies sollte genügend Munition für eigene Ideen und Interpretationen liefern:
“The Chicken” – Solobass-Arrangement
Zu guter Letzt fügen wir alles zusammen: Wir spielen Melodie und Groove gleichzeitig und wo es uns möglich ist, deuten wir zudem noch die Akkorde an!
Zugegeben ist das nicht einfach, klingt aber cool und ist eine wirklich schöne Herausforderung. Um alles unter einen Hut zu bringen, muss man unter Umständen an der einen oder anderen Stelle die Melodie und die Bassline etwas anpassen, natürlich kann man aber auch nach Lust und Laune kleine Highlights einstreuen. Ich habe z.B. in Takt 7 ein nettes Jaco-Lick mit einer Sechzehnteltriole geklaut. Aber dies ist natürlich nur eine von vielen möglichen Varianten. Am besten ihr probiert selbst so viele wie möglich.
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Mehr InformationenViel Spaß mit “The Chicken” und bis zum nächsten Mal, euer Thomas Meinlschmidt
Steff Madman Meyer The Indian sagt:
#1 - 26.02.2024 um 19:17 Uhr
So ganz richtig sind die Melodie tabs aber nicht! Also zum Ende, der Anfang und Schluß sind Ok!
Steff Madman Meyer The Indian sagt:
#2 - 26.02.2024 um 19:21 Uhr
Sorry hab mich geirrt, kann mann so machen, ich spiele das nicht so weit oben, nur beim Solo rutsch ich so weit hoch!