Der Bassist Philipp Rehm ist nicht nur ein viel beschäftigter Sideman, sondern verfolgt auch konsequent eigene basslastige Projekte. Dabei pendelt der 44jährige im fliegenden Wechsel zwischen Deutschland und den Niederlanden. Philipp Rehm ist zudem regelmäßiger Gast des erfolgreichen YouTube-Kanals BassTheWorld. Vor wenigen Wochen erschien mit „Bass Matrix“ sein erstes Lehrbuch: In dem fast 300 (!) Seiten starkem Werk widmet er sich fast ausschließlich dem Thema „Groove“ und verfolgt dabei einige spannende Ansätze, die er uns im Interview genauer erklärt.
- Philipp Rehm – die Anfänge
- Karriere-Meilensteine
- Pendeln zwischen Deutschland und Holland
- Vater werden: Auf einmal ist alles anders!
- Philipp Rehm und die „Bass Matrix“
- Das Thema “Groove” im Lehrbuch “Bass Matrix”
- Philipp Rehm auf Solopfaden
- Weitere Aktivitäten
- Philipp Rehm – Instrumente
- Philipp Rehm – Preamps, Amps & Boxen
- Zukunftspläne
Philipp Rehm – die Anfänge
Philipp, bevor wir zu deinem neuen Buch und deinen aktuellen Projekten kommen, lass uns mal ein paar Schritte zurückgehen. Wie verlief dein musikalischer Werdegang, ehe du Profibassist wurdest?
Philipp Rehm: In meiner Welt gab es schon früh viel Musik, dank meiner Musik liebenden Eltern und ihrer beeindruckenden Vinyl-Sammlung. Als kleiner Steppke bin in ich somit schon in verschiedene Genres abgetaucht. Mit sieben hat mich das Gitarrenfieber gepackt, und ich nahm vier Jahre an der Musikschule Unterricht.
Im damaligen Ostdeutschland war das ziemlich stramm durchorganisiert, mit Lehrplan, ausschließlich Klassik, Orchester, Auftritten, Theorie – und sogar Zeugnissen! Irgendwann war mir das zu viel, aber im Rückblick bin ich meinem Lehrer von damals wirklich dankbar für das gute Training. Denn viele Jahre später, konnte ich die gut trainierten Finger einfach auf die Saiten des für mich neuen E-Basses legen, und es kamen wie von allein fette Bassgrooves raus. In der Band wollte keiner Bass spielen, Gitarristen gab es eh genug, bei mir klickte es sofort, und von da an gab es für mich nur noch „Bass, Bass, Bass“!
Mittlerweile wohnten wir im Südwesten und ich habe viel lokal in Bands und auf Jam-Sessions gespielt und habe mit einem Keyboard und einem uralten Atari die ersten Beats gebaut. Das war alles noch lange vor YouTube und Instagram, in einer Zeit, als Musik hauptsächlich gehört und nicht geschaut wurde. Der Antrieb kam nicht vom visuellen Konsum vorgeführter Perfektion, man hat sich mehr auf das eigene Erleben verlassen und mehr aus sich selbst heraus entwickelt. Geld sparen, um CDs zu kaufen, und dann raushören, ganz ohne technische Hilfsmittel, charmante Fehler inklusive. Damals konnte man eben noch nicht einfach mal schnell online nachschlagen. Die Inspirations-Quellen waren Bands, Freunde, Bücher und Live-Konzerte.
Für dich ausgesucht
Dann kamen die ersten bezahlten Sideman-Jobs, eine Fusion-Band mit zahlreichen Gigs, und erste Schüler. Da fühlte ich, dass Bass und Musik meine Bestimmung sind und dass ein Musikstudium für mich der nächste Schritt sein müsste. Ich würde mich als Autodidakt bezeichnen, der auch mal hier und da Unterricht genommen hat. Das würde ich auch für mein Studium in Mannheim so sehen, wo ich Bass und Komposition studiert habe – übrigens noch bevor es die „Popakademie“ gab. Ich habe immer viel Input aufgenommen, von allen Seiten, und daraus mein Ding gemacht und auf meine Weise geübt. Im Studium gab es jede Menge großartige Impulse, es war sehr vielseitig und vor allem hat es mein harmonisches Verständnis geprägt. Davon profitiere ich noch heute beim Lernen von Songs, der Flexibilität, Intuition und der Offenheit, beim Komponieren auch mal neue Wege zu probieren.
Karriere-Meilensteine
Was waren denn bisher deine persönlich wichtigsten musikalischen Stationen?
Philipp Rehm: Ein Aha-Erlebnis war während eines Urlaubs in Malaysia. Dort hatte ich mit 16 meine erste Jazz-Jam-Session vor Publikum im Jazzclub Kuala Lumpur. Ich hatte noch kein Jahr Bass gespielt, landete irgendwie auf der Bühne und bin einfach eingestiegen. Es war eine großartige Session-Band mit Musikern aus aller Welt. Da fühlte ich, dass ich meinen Platz in der Musik gefunden hatte.
Auch an die Musikhochschul-Jahre denke ich gerne zurück: Das Studium selbst, und die viele Zeit zum Üben und Ausprobieren in Bands und Gigs. Man ist da so tief und intensiv in die Musikwelt vorgedrungen, das waren bleibende Erfahrungen bis heute. Mannheim hat eine sehr lebendige Szene, ich habe dort viel gemacht: Verschiedenste Formationen, Club-Bands, Studio, Sessions … Mit der Zeit hat man die ganze Szene kennengelernt und es haben sich tolle und bleibende Kontakte ergeben.
Während meines Kompositions-Studiums hat mich mein damaliger Professor Jürgen Friedrich auch für ein tolles Album-Recording und einige Konzerte und Festivals ins Boot geholt. Spannend war auch der zweiwöchige internationale Musikhochschul-Austausch IASJ in Helsinki: Das waren zwei magische Wochen, skandinavische weiße Nächte und junge Musiker und Profis aus der ganzen Welt!
Und gleich am Morgen nach der Rückreise stehe ich plötzlich in Heidelberg vor Marcus Miller! Er kam gerade allein aus einem kroatischen Restaurant, war eigentlich auf der Suche nach einem Musikgeschäft, denn er brauchte dringend Notenpapier – für einen Saxophon-Sub beim Konzert abends. Wir haben gequatscht, abends war ich dann auf dem Konzert und habe noch mit den Jungs am Tourbus abgehangen. Das alles waren für mich Zeichen, dass Musik mein Weg ist!
Ein toller Moment war auch der Auftritt beim „European Bass Day 2005“. Der ergab sich aus einem Bass-Contest, den ich davor gewonnen hatte, den das Magazin „Bass Professor“, damals ja noch mit dem Kollegen Lars Lehmann, veranstaltet hatte. Da durfte ich dann auf so ‘nem riesigen Bass-Event vor Szene-Publikum meine eigene Bassmusik abmetern, was mich total elektrisiert hat. Ich hatte damals ein abgefahrenes Trio am Sart, mit DJ und Drums.
Die Solo-Sache habe ich dann erstmal nicht so weiter verfolgt. Ich fand es reizvoller, mich mit Bands und Sideman-Aktivitäten zu beschäftigen, Konzerte, Touren, Studiosessions, TV-Auftritte etc. Mit vielen Bands, Künstlern und Projekten, unter anderem The Flames, Cassandra Steen und im Jazzbereich z.B. mit Jürgen Friedrich und Jazz Against The Machine.
Mit der Zeit war ich aber so prall gefüllt mit eigenen Ideen, dass der Punkt kam, an dem ich dachte: „Ok, jetzt wird es Zeit, mehr auf die eigene Musik zu setzen.“ Lancirama war so ein erster Schritt, ein Band-Album mit Leuten aus Deutschland, Brasilien und Indien. Und dann endlich – Solo-Album-Action! Ich habe diese Musik schlichtweg empfangen, als sie zu mir kam, und fühlte, dass sie da draußen sein muss. Ohne sie zu beurteilen oder in eine Schublade zu packen. Deshalb bewegt sie sich so zwischen den Genres und enthält besondere Beats, Programmings und sogar klassische Elemente.
Das Ding war eine ziemlich aufwendige Produktion, und führte mich in einige tolle Studios. Ich hatte die Ehre, tolle Musiker dabeizuhaben, darunter drei Percussionisten und nicht zuletzt Ralf Gustke am Schlagzeug. Die Chemie stimmte und hier begann unsere Zusammenarbeit! Wir haben dann unser Live-Duo entwickelt und es gab auch schon die ersten Groove-Matrix-Ansätze. Ich finde, Ralf spielt super organisch, hat einen tollen Sound und super Ideen. Ob beim Entwickeln neuer Sachen oder beim Arrangieren eines bestehenden Stückes – es macht mir einfach einen Riesenspaß, mit ihm zu arbeiten.
Eine besondere Erfahrung ist auch die Zusammenarbeit in den Niederlanden mit der karibischen Opern-Sängerin Tania Kross. Sie singt Mezzo-Sopran und mit ihr war ich auf einer 56-Konzerte-Tour mit einem Crossover aus Klassik, World und Rock. Ich hatte da sogar einen langen Solo-Slot (diese Nummer ist übrigens auch im Buch enthalten). Wir haben auch einen Duo-Track aufgenommen: „Warawara“. Beats, volle Bass-Power und dazu dann Tanias Gesang. Dazu gibt es neben einem Studio-Video auch ein tolles Animationsvideo, übrigens auch mit ein paar Matrix-Reminiszenzen!
Pendeln zwischen Deutschland und Holland
Du bist ja nicht nur musikalisch ein Grenzgänger, sondern auch im wörtlichen Sinne. Du lebst sowohl in Leipzig, als auch in den Niederlanden. Wie ist es denn dazu gekommen? Und warum macht es als Bassist für dich Sinn, diese beiden Standorte zu haben?
Philipp Rehm: Ich spiele schon seit mehr als 20 Jahren immer wieder in den Niederlanden und habe das Land wirklich lieben gelernt. Es hat eine besondere Art und Weise, im ersten Moment ähnlich und dann doch ganz anders als Deutschland. Die Kultur, die Natur und vor allem die entspannte Art, wie die Leute miteinander umgehen. Man ist sehr open-minded, direkt und tolerant, und es gibt einen guten Unternehmergeist. Das gibt mir aber auch immer wieder frische Energie, wenn ich dann wieder in Deutschland bin. Es ist so eine Art Seelenfutter, aus dem sich die Musik und der Groove speisen!
Ich liebe es, in beiden Ländern unterwegs zu sein, die Verkehrsanbindung ist ja super und die Distanzen sind ja nicht groß. Vom Südwesten Deutschlands ist man genauso schnell in Holland wie in Berlin.
Naja, und vor 14 Jahren habe ich dort meine wunderbare Frau kennengelernt! Es ist also nicht nur die Musik, sondern vor allem die Liebe und auch das Leben an sich, die mich mit diesem Land tief verbinden. In Leipzig bin ich hingegen noch recht neu. Das hat familiäre Gründe, vor allem die Nähe zu den Großeltern unseres Sohnes. Leipzig ist eine großartige Stadt voller Kultur. Ich reise gerne, und mit meiner Musik bin ich ja sowieso ständig unterwegs, da passt das alles gut zusammen!
Vater werden: Auf einmal ist alles anders!
Du bist seit über zwei Jahren Vater und hast im Vorgespräch auch deutlich gemacht, wie wichtig dir diese Aufgabe ist. Jeder Vater weiß natürlich, dass Kinder das eigene Leben auf den Kopf stellen. Hat dies auch Einfluss auf deinen beruflichen Alltag? Bist du etwas selektiver bei der Auswahl deiner Projekte geworden?
Philipp Rehm: Wir haben unseren Sohn während der Corona-Zeit bekommen, und als diese Phase zum Glück wndlich vorbei war, habe ich mich als Vater in einer völlig neuen Welt wiedergefunden. Jetzt haben wir einen aufgeweckten kleinen Kerl, der die Welt erkunden will, viel Spaß am Leben hat und für den es das Größte ist, wenn man mit ihm etwas Cooles macht. Das hat natürlich alles verschoben!
Auf der praktischen Seite wird Zeit plötzlich ein enorm wichtiger Faktor. Musik und Kreativität sind ja irgendwie zeitlose Dinge, bei denen man nicht so sehr auf die Uhr schaut. Es zählt das Ergebnis, die Musik, und man arbeitet so lange daran, bis etwas fertig ist. Früher habe ich bei ein paar Stunden mehr oder weniger nicht so darauf geachtet, zusätzliche Arbeiten für eine Produktion oder einen Gig wurden einfach durchgezogen. Jetzt spielt der Zeitaufwand schon eine wichtigere Rolle. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Auswahl von Jobs – zu viele Baustellen gleichzeitig geht nicht mehr! Das hat bei mir unter anderem dazu geführt, den Fokus auf meine eigenen Aktivitäten zu stärken. Wie man so schön sagt: „first things first“. Die eigenen Bands und Projekte, und nicht zuletzt das Buch.
Das Ganze hat aber auch etwas Positives: Da die Zeit jetzt knapper ist, ist man zielstrebiger. Einfach das Ding einnageln, und fertig! Und dann gibt es natürlich auch die emotionale Seite. Musikmachen sowie auf der Bühne stehen und produzieren sind für den Künstler in mir das Größte. Aber jetzt gibt es eben auch eine Familie, und für den Familienmenschen sind jetzt auch andere Dinge wichtig: Zusammen eine gute Zeit haben, füreinander da sein und zusammen spannende Dinge erleben. Da ist einfach etwas Neues gewachsen, und das beflügelt auch die Musik!
Philipp Rehm und die „Bass Matrix“
Familienfreundlicher als Gigs oder Tourneen ist sicherlich das Schreiben eines Buches. Mit „Bass Matrix“ hast du vor kurzem dein erstes Lehrbuch auf den Markt gebracht. Du hast mir freundlicherweise ein Exemplar für die Vorbereitung auf dieses Interview zur Verfügung gestellt. Zuerst einmal meinen größten Respekt für dieses sehr umfangreiche Werk, ich kann gut nachvollziehen, welche Arbeit da drin steckt. Was war denn deine Motivation, die „Bass Matrix“ zu erfinden?
Philipp Rehm: Mit dem Buchtitel oute ich mich natürlich als Fan der Matrix-Trilogie. Und ähnlich wie dort geht es auch hier um das Entdecken einer Realität hinter der Realität. Bass besitzt ja diese magische Kraft: Ein fettes Riff, eine royale Bassline oder ein knackiger Bass-Drum-Groove sind – egal, ob prall gefüllt oder minimalistisch – einfach das Größte! Ich habe mich immer gefragt: Was ist das Geheimnis dieser Bassline? Warum geht dieses Riff so ins Ohr? Warum spielt der Bass diese Bassline zu jenem Drumbeat? Und was kann ich davon für mich mitnehmen, um eigene Bassparts zu entwickeln? Und darüber wollte ich ein Buch schreiben, um diese Seele von Basslines zu erkunden.
Als jemand, der drei verschiedene Sprachen fließend nutzt, betrachte ich auch Musik und Bassspielen als eine Art Sprache. Auch hier geht es um Worte und deren Bedeutungen und wie man daraus spannende Sätze formt – eben eine „Bass-Sprache“ unten in den tiefen Frequenzen und im Groove. Ich wollte nicht einfach noch ein Lehrbuch schreiben – es gibt ja schon eine Menge großartiger Bassliteratur. „Bass Matrix“ soll es dir ermöglichen, die Sprache des Basses selbstständig zu sprechen und intuitiv zu verstehen. Also nicht nur ein festes Arsenal an Riffs zu haben, sondern ein Repertoire an Bass-Konzepten, die man in alle rhythmischen Situationen „ab-groove-bereit“ hat. Damit man spontan stylishe Basslines entwickeln kann und fühlt, was gut zum Drumbeat und zum Song passt – ganz so, wie man es für seinem Bass-Alltag braucht. Wie bei einem Sänger, der nicht nur Texte auswendig lernt, sondern sie auch versteht und ein Gefühl dafür hat, wie man selber schreibt.
Das Buch hat eine sehr frische Perspektive auf die Auswahl und Entwicklung von Patterns, das Zusammenspiel mit Drumbeats, den Einsatz von Fill-Ins und die Soundvielfalt in verschiedenen Griffbildern. Es fördert ein intuitives Rhythmusgefühl, damit der Groove satt auf der Straße liegt und man nice & easy, steady und präzise spielt – egal, ob gerade oder ungerade Takte. Und das Ganze wollte ich praxisnah, mit einem großen Fundus an Bass-Tools, mehr als 400 Songbeispielen und leckeren Beats von Ralf Gustke.
Besonders spannend finde ich den 80-seitigen Bass-Drum-Groove-Atlas und die Fill-In-Library. Das Internet ist ja überflutet mit Videos, Live-Hacks und schreienden Youtube-Überschriften. Und da kann die „Bass Matrix“ auch so eine Art Kompass sein und dir helfen, Dinge besser herauszuhören.
Egal, ob man Anfänger ist und gerade erst in die Bass-Welt eintaucht oder ein erfahrener Musiker, der nach neuen Impulsen sucht – die „Bass Matrix“ ist eine Reise durch verschiedene Levels und Stile. Es geht darum, Bass und Groove als Ausdrucksmittel zu feiern und Menschen dazu zu inspirieren, ihre eigene musikalische Sprache zu finden. Und ich hoffe, dass das Buch viele Leute ermutigt, sich mehr aus sich selbst heraus zu entwickeln, anstatt sich mit anderen zu vergleichen. Ich glaube, in jedem stecken das Potenzial und der Schlüssel, das Beste aus sich herauszuholen.
Das Thema “Groove” im Lehrbuch “Bass Matrix”
Du beschäftigst dich in „Bass Matrix“ ja ausschließlich mit dem so wichtigen Thema „Groove“. Der Grundgedanke ist, simple bis hochkomplexe Grooves in viele kleinere und einfachere Gruppierungen zu unterteilen, um sie so leichter verständlich zu machen. Kannst du dieses Konzept näher erläutern?
Philipp Rehm: Jeder möchte ja einen stabilen und klaren Groove hinlegen. Oft fühlt es sich schon irgendwie gut an, aber es fehlt noch dieser eine entscheidende Schritt, damit es wirklich klickt. Damit man sich und sein Spiel erdet, lohnt es sich, mal einen genaueren Blick auf die rhythmische Basis zu werfen. Jeder Groove basiert nämlich auf Gruppen. Das Raster, also 8, 16 oder 12, ist in Gruppen unterteilt, zum Beispiel 4444 oder 43324, 333322 usw.
Dieses “Grouping” ist die rhythmische Basis und wird je nach Bass-Stil unterschiedlich mit Tönen befüllt – mit vielen Zwischentönen bzw. wenigen, Grundtönen, Pentatonik, Pausen etc. Egal, ob Basslines, Beats, oder was auch immer: Das Grouping legt jeweils die Basis-Akzente. Wenn man diesen Kern des Grooves spürt, ist das Rhythmusgefühl stabiler und man spielt geerdeter. Mit diesem Ansatz kann man stylisch, songdienlich und abwechslungsreich spielen. Denn man lernt nicht einfach nur Riffs auswendig, sondern kann sein eigenes Bass-Repertoire aufbauen, das man in jedem Rhythmus und in jeder Taktart parat hat.
Und wenn man bekannte Grooves unter diesem Blickwinkel analysiert, ergeben sich einige spannende kreative Überraschungen. Übrigens gibt es dann auch keinen Unterschied mehr zwischen geraden und ungeraden Metren, denn alles basiert ja auf Gruppen. „Bass Matrix“ enthält Groove-Methoden, mit denen man sich auf ein Grouping eingroovt, auch erstmal mit zählen und klatschen, und daraus schrittweise Basslines entwickelt.
Dieses Bassvokabular kann man auf jede beliebige Rhythmik anwenden. Erstmal gehen wir das mit allen wichtigen gängigen Unterteilungen durch, also 8, 16, 12. Später kommen auch ungerade Metren wie 5, 7, 9, 11, 13 dazu. Im Drum Bass Groove Atlas geht es dann um die Groupings der Drumbeats. Der Drummer legt einen Beat vor, doch welche verschiedenen Bass-Optionen hat man, um darauf Basslines zu entwickeln? Auch hier wird eine standardisierte Methode verwendet, die auf alle wichtigen Drum-Groupings angewendet wird. Das sind nämlich gar nicht so viele, daher lohnt es sich, sie zu kennen. Ich verwende lustige Namen wie „Slick & Straight“, „Bouncer“, „Cliffhanger“, „Dynamo“ oder „Bootyshaker“.
Begleitet wird dies alles von Songbeispielen, die zeigen, auf welchem Grouping es basiert und wie es tonal ausgefüllt wird – es hat wirklich Spaß gemacht, das zu recherchieren und alles mit Ralf aufzunehmen. Es geht also darum: Welche Groupings gibt es? Wie kann man sein Groove-Repertoire damit aufpeppen? Wie baut man eigene Groupings, und was kann man alles aus ihnen herausholen? Zum Beispiel kann man eine Bassline entlang des Groupings erweitern oder variieren, indem man sie „busy“ macht oder ausdünnt. Oder man überträgt den Klang der Bassline in eine andere Groove-Situation, indem man das Grouping verändert.
Der Grouping-Ansatz ist nicht neu, aber die Verwendung als Grundlage für Basslines und als Vorlage zum Ausfüllen mit Bass-Tonmaterial schon. Drummer kennen diese Grouping-Geschichte. In meinen Bass-Workshops und im Unterricht habe ich damit auch sehr gute Erfahrungen gemacht. Schüler konnten plötzlich Dinge spielen, die sie vorher nicht auf dem Radar hatten. Beim Spielen denkt man nicht mehr darüber nach, sondern verwendet es automatisch, eben wie bei einer Sprache. Wenn man rhythmisch einmal nicht weiterkommt: Einfach mal ausprobieren und das Grouping genauer unter die Lupe nehmen. Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Herangehensweise einen echten Boost gibt, weil es wie der Schlüssel zu einer neuen Dimension des Spiels ist!
Du hast für „Bass Matrix“ sogar eine eigene Bildsprache, welche die Gruppierungen und auch die Relation zu den Drums grafisch verständlich darstellt. Und dies unabhängig davon, ob jemand Noten lesen kann oder nicht. Wie kam es dazu?
Philipp Rehm: Man muss sicher nicht Notenlesen können, um geil und exakt zu grooven. Und doch will man ja auch mal etwas festhalten, oder etwas irgendwie Notiertes nachspielen. Im Unterricht habe ich festgestellt, dass viele Schüler:innen eigentlich ein gutes Rhythmusgefühl haben, aber aus Noten oder Tabs manchmal keinen stabilen Groove rausholen können. Das liegt daran, dass in Noten und Tabs die Rhythmik oft nicht intuitiv erkennbar ist.
Daher habe ich oft auf Bilder zurückgegriffen. Z. B. ist ein Raster mit 16 Kästchen dann ein Takt; man sieht intuitiv, wo jeder Ton sitzt, wie lange er klingen soll und wie lang genau die Abstände sind. So bekommt man einen klaren rhythmischen Überblick. Das hat vielen geholfen, das Gesehene direkt in ihr Spiel zu übertragen.
Da ich selbst gerne an Beats schraube und produziere, bin ich den Anblick des Sequencer-Rasters gewohnt. „Bass Matrix“ soll jeden und jede ermutigen und sicherstellen, dass direkt etwas gelernt wird, selbst ohne oder mit nur geringen Notenkenntnissen. Viele tüfteln ja auch an Drum-Software oder Apps. Darum habe ich beschlossen, Basslines und Drumbeats wie in einem Sequenzer darzustellen. Die Töne haben dann Buchstaben, die man sich aus dem Tone-Navigator holt.
Am Anfang basiert alles auf wenigen überschaubaren Griffbildern und wird dann schrittweise erweitert. Im Drum-Bass-Kapitel sieht man dann Kick-und-Snare-Icons und kann so genau das Zusammenspiel mit dem Bass erkennen. Ich habe eine ganze Weile am Layout gefeilt – vor allem während meiner endlosen Zugfahrten. Irgendwann ist dann der endgültige Look entstanden, und dann wurde auch der Umfang klarer.
Ursprünglich hatte ich noch weitere Kapitel, aber es wurde ja bereits ein dicker Brocken. In der Matrix-Notation geht es mir nicht darum, etwas Besseres zu erfinden. Am Anfang des Buches und bei den längeren Jams gibt es auch Noten und Tabulaturen als Unterstützung. Aber es ist eben so, dass das, was eigentlich musikalisch passiert, in Noten und Tabulaturen eher verborgen bleibt. Wegen der üblichen Notenbalken-Aufteilung erkennt man das Grouping nicht und die genauen Abstände werden oft nicht deutlich.
Auch die Funktionen der Töne – die ja für den Vibe einer Bassline entscheidend sind – sind nicht erkennbar. Ab Kapitel 4 verwende ich dann den Grundton (1), die Oktave (8) oder die Pentatonik (1 b3 5 7 8). Dadurch erkennt man direkt, welche Basstöne den Sound einer Bassline ausmachen. Man holt sich Töne einfach aus dem Griffbild und kann die Bassline dann in die gewünschte Tonart verschieben.
Philipp Rehm auf Solopfaden
Neben der Vermarktung deines Buches verfolgst du auch noch eigene Projekte. Was erwartet denn da den bassophilen Hörer?
Philipp Rehm: Ich stehe total auf die tiefe, sonore Stimme einer Bassmelodie, auf abgefahrene Basssolos, perlende Bass-Akkorde. Ich habe da keine Berührungsängste mit meinen Sideman-Aktivitäten – Solo-Bass ist für mich wie ein eigenes Instrument. Für alle Bass-Enthusiasten habe ich zwei coole Sachen im Angebot. Zum einen spiele ich Solo-Bass, kombiniert mit Live-Electronics – energiegeladenes Bass-Spiel verbunden mit elektronischer Musik. Ich spiele da die ganze Klangpalette des Basses ab, satte knackige Grooves, abgefahrende Patterns, perkussive Solos und Akkorde.
Die Stücke sind einerseits durchkomponiert, aber es gibt auch Platz für spontane Beat-Schraubereien und sphärische Momente. Vom Stil her würde ich sagen, das Ding bewegt sich zwischen Electronic, Funk, Dancehall und sogar klassischen Elementen. Soundmäßig erinnert es vielleicht an eine Verbindung aus Breakbeats mit Marcus Miller und Frank Zappa, immer mit einer soliden und punchy produzierten Basis.
Die zweite Sache ist ganz solo: Neulich habe ich „Bass Klassik“ rausgebracht und habe vor, das auch live auf die Bühne zu bringen. Das ist so eine Art klassische Entdeckungsreise auf dem E-Bass, wo ich Orgel-, Piano- oder Viola-Stücke von deutschen Komponisten wie Bach, Beethoven oder Hindemith auf dem 6-Saiter zum Besten gebe. Dabei ist auch in Zusammenarbeit mit Marius Mischke ein schönes Video entstanden. Es fühlt sich echt göttlich an, diese Klassik-Stücke mit dem tiefen, modernen Basssound zu spielen. Und damit Orgel auf dem Bass klingt, hab ich mir in Sachen Akkord- und Tappingspiel einiges einfallen lassen.
Mit Ralf Gustke an den Drums unterhalte ich ja schon seit vielen Jahren ein Drum-Bass-Duo. Neben drum- und bassophilen Elementen gibt es da auch Elektronik und Loops. Wir haben schon auf ein paar schönen Festivals gespielt, z. B. auf dem „Drum und Bass Festival“ in Dresden.
Aus diesem Duo sind jetzt zwei Trios entstanden: Einmal Pluq mit Gesang und E-Gitarre. Wir spielen Songs mit abgefahrenen Grooves, originellen Texten, einem Haufen Instrumental-Spaß und ziemlich abgefahrenen Videos – so ein Mix aus Rock und BigBeat. Checkt mal unsere Onlinepräsenz aus! Unser Instrumental-Ding haben wir jetzt um ein Keyboard erweitert und waren damit gerade im Studio. Ich mag Musik, die Tiefe hat, spannend ist und überrascht – und dabei aber angenehm fließt, eingängig bleibt und nicht komplex klingt.
Weitere Aktivitäten
Du verfolgst aber nicht nur eigene Projekte, sondern bist auch als Sideman sehr aktiv. Könntest du uns mehr darüber erzählen, welche Aktivitäten dich generell beschäftigen und was dich an dieser vielseitigen Rolle fasziniert?
Philipp Rehm: Ich mache mittlerweile eine Menge Bass-Aufnahmen für andere Künstler – von Rock und Pop bis zu instrumentalen Stücken. Gerade hab ich ein paar tolle Nummern für das neue Fusion-Album des Gitarristen Ali Neander aufgenommen, mit Anika Nilles an den Drums. Ich steh total auf dieses intensive Studio-Arbeiten: Erstmal die Pre-Produktion auschecken, vielleicht mit einem Pilot-Bass, und dann den perfekten Bass-Part schmieden, der den Song so richtig zum Pumpen bringt. Manchmal produziere ich auch selber, wenn es so Richtung dem Stil meines Albums geht, also Beat-Programmings, Percussion-Loops, gerne auch abgefahren und Oddmeter und Synths. Nächstes Jahr stehen ein paar Gigs mit Bands an, für die ich in der letzten Zeit im Studio aktiv war. Mehr dazu gibt es dann bald auf meiner Website.
Ich mache aber auch immer mehr Video-Produktionen. Ich sehe das so als audiovisuelle Erweiterung meiner Kunst, bei der ich nicht nur meine Musik, sondern auch den Bass und die spielenden Hände in Szene setzen kann – mit kreativem Editing, Animationen und allem Drum und Dran. Man arrangiert die Musik für solche Projekte natürlich anders als bei der Arbeit an einem Album. Gerade habe ich ein Produktvideo für Darkglass Electronics fertiggestellt und auch bereits welche für Höfner und Dingwall gemacht. Auch für das niederländische Social Network Yoors habe ich einige Videos produziert. Und für das Rock-Trio Pluq mit Ralf Gustke sind ein paar wirklich abgefahrene Videos entstanden.
Ich freu mich auch mega auf die Veröffentlichung eines spannenden Crossover-Projekts mit der klassischen Sängerin Tania Kross. Sie stammt von der Karibikinsel Curacao und hat die erste Oper in der dortigen kreolischen Sprache Papiamento geschrieben. In der Musik stecken Klassik, Latin und Jazz-Elemente – mit einem kompletten Orchester und meinem 6-Saiter-Bass. Manche Passagen sind ziemlich virtuos und nicht immer einfach zu spielen, besonders ohne das “Ooomph” eines Drumkits.
Mit Jazz Against The Machine haben wir kürzlich unser drittes Album veröffentlicht, und unsere Plattenfirma hat es auch gleich wieder als Vinyl herausgebracht. Wir sind so eine Art Konzept-Band und spielen Metal, Rock und Grunge aus den 90ern – mit Drums, Bass, Vibraphon und Trompete. Ist eine echt interessante Mischung, die Rock- und Jazz-Fans gleichermaßen anspricht. Untenrum druckvoll und riffbetont, und obenrum hat es – vor allem mit dem Vibraphon – was angenehm Schwebendes. Schaut gerne mal auf unserer Homepage vorbei!
Philipp Rehm – Instrumente
Kommen wir zum Thema Equipment. Was sind denn deine favorisierten „Go-To-Bässe“ und warum funktionieren diese für einen bestimmten Zweck für dich am besten?
Philipp Rehm: Mein Bass-Arsenal ist recht abwechslungsreich: Für die Solo-Sachen ist mein Dingwall Super-J mein Go-To. Die String-Tension beim Fanned-Fret-Konzept kommt mir da sehr entgegen, denn die tiefen Saiten sind straff und knackig, während die hohen etwas entspannter sind. Dadurch perlen die Melodien schön und die perkussiven Sachen sind präzise und bleiben bei aller Geschwindigkeit dennoch geschmeidig.
Bei den klassischen Stücken greife ich zu meinem Human Base 6-Saiter. Bei jeglicher Finger-Akrobatik singt er schön und klingt edel in allen Lagen. In Band-Situationen und im Studio verlasse ich mich auf verschiedene Bässe: Einen tollen Precision-Bass von G&L, der in der „Bass Matrix“ oft zum Einsatz kommt, und meinen Music Man Stingray 5 aus dem Jahr 2004. Ich habe ihn so oft gespielt, dass er jetzt richtig gut klingt. Auch seine tiefe B-Saite ist einfach unschlagbar.
Mein Höfner Violin-Bass ist auch ein wichtiger Teil meiner Standard-Soundpalette, weil er in so vielen Situationen passt – auch da, wo man es zunächst nicht erwartet. Außer meinem alten Kontrabass besitze ich also eher neue Instrumente. Aber ich habe sie selbst eingespielt, sie sind sozusagen mit meinem eigenen Spiel gereift, und mittlerweile klingen sie einfach großartig. Und ich weiß natürlich die Unterstützung der Firmen bei meinen Endorsements sehr zu schätzen!
Philipp Rehm – Preamps, Amps & Boxen
Philipp Rehm: Ich bin ja dankbarer Endorser von Markbass-Equipment. Der Little Mark Tube Amp ist seit Jahren mein treuer Begleiter. Er ist absolut unverwüstlich, vielseitig, kraftvoll, liefert einen vollen Sound und ist auch handlich im Zuggepäck. Dazu zwei 4x10er-Boxen, je nach Bedarf. Für kleinere Gigs besitze ich auch noch einen 1×12-Combo. Außerdem habe ich eine Markaudio-PA für meine Elektronik-Sachen – ein Hammer-System!
Im Studio schwöre ich auf mein Interface von Metric Halo und nehme immer mit zwei Preamps parallel auf. Den A-Designs RedDI – ein roter Röhren-Bolide – und den BAE DMP-1073, ein edler Neve-Circuit-Nachbau. Beide Teile sind sehr rudimentär, haben im Prinzip nur eine Gain-Option, veredeln aber einfach den Ton, ohne die Dynamik oder den Grundsound zu verändern. Beide zusammen blenden einfach perfekt. EQ, Kompression usw. werden dann später im Mix gemacht – abhängig davon, was der Song braucht. Dabei greife ich gerne auf meinen Distressor zurück. Mit ihm lassen sich wirklich schöne verschiedene Kompressionen erzeugen.
Natürlich wäre es ideal, auch live immer über dieses Studio-Setup zu spielen, aber ich bin da eher pragmatisch. Wichtig ist live die Strecke zur DI (PA). Deswegen habe ich zumindest immer ein Gerät dabei, selbst wenn ich mit dem Zug zum Konzert fahre: den Lehle RMI Basswitch. Der macht schon mal eine schöne analoge Ton-Veredelung, hat zwei Inputs und zwei getrennte Effekt-Loops sowie einen satten DI-Out. Dazu gute Kabel von Vovox sowie natürlich das Instrument und die Saiten, die ich versuche, gut in Schuss zu halten. Damit hat man schon mal einen hochwertigen Sound, den man dann dem Live-Mischer anvertraut.
Zukunftspläne
Zum Schluss die obligatorische Frage: Wo und mit wem können dich die Leserinnen und Leser von Bonedo demnächst live erleben?
Den Rest des Jahres hab ich mir noch freigehalten, um noch ein bisschen in der „Bass Matrix“ zu bleiben. Wer weiß, vielleicht treffe ich ja Neo und das Groove-Orakel, hahaha! Sehr bald kommt ja auch die englische Ausgabe raus, und ich arbeite parallel an einem begleitenden Videokurs. Außerdem wird es online frischen Content zum Buch und Groove im Allgemeinen geben. Mit Videos, Übungen, Podcasts und gelegentlichen Gästen. Ich habe noch ein paar spannende Ideen auf Lager, die ich den Käufern und Interessenten bieten möchte.
Nächstes Jahr geht es dann wieder los. Im Januar stehe ich mit einem Solo-Konzert in Leipzig auf der Bühne. Mit Jazz Against The Machine haben wir soeben unser drittes Album veröffentlicht, und da stehen weitere Konzerte an. Außerdem plane ich „Bass Matrix“-Workshops, sowohl alleine als auch im Duo mit Ralf Gustke. Im Februar sind wir zusammen auf dem „Drum Weekend Regensburg” und haben noch einiges mehr geplant. Schaut doch einfach immer mal auf meiner Website oder in meinen Social-Media-Kanälen vorbei, da gibt es immer frische Infos. Ich würde mich freuen, euch dort und dann auch live zu sehen!
Philipp, danke dir für deine Zeit und viel Erfolg mit der „Bass Matrix“!
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