Im zweiten Teil unserer Interviewreihe über die deutsche Bassszene trifft Lars Lehmann auf den Wormser Fretless-Bassisten Ralf Gauck. Gauck kam über Umwege zum Bass, spielte zunächst in verschiedenen Bands, machte Studiojobs und leitete eine Musikschule, bis sein Leben einen bemerkenswerten Richtungswechsel vollzog: Er entschied sich für eine Karriere als Solobassist! Heutzutage bilden er und seine Frau Manu, die das Booking für seine Konzerte erledigt, eine fast aberwitzig gut abgestimmte, vollkommen unabhängig agierende Kreativzelle in Worms. In diesem gut geölten Rädelwerk werden Konzerte im In- und Ausland organisiert und durchgeführt, CDs und professionelle Videos produziert, Lehrbücher herausgegeben, und vieles mehr. Lars Lehmann unterhielt sich für euch ausgiebig mit Ralf Gauck, um ihn zu seinem Alltag und seinem ganz persönlichen Weg als Bass-Individualist in Deutschland zu befragen.
Hallo Ralf! Toll, dich für die unsere bonedo-Reihe über deutsche Bassisten zu treffen! Bitte erzähle uns doch in wenigen Worten, wie dein musikalischer Werdegang aussah. Meines Wissens hast du mit Gitarre angefangen, richtig?
Ralf Gauck: Nicht ganz! Mit sechs Jahren habe ich kurz nach der Einschulung verschiedene Sopran-, Alt- und Tenorflöten gespielt. Da habe ich von Anfang an gelernt, Noten zu lesen und den Grundstein für ein melodisches Gehör gelegt. Wenn andere Kinder auf der Straße Fußball gespielt haben, saß ich zuhause und habe Flöte geübt! Als mich meine Oma im Alter von vierzehn Jahren vor Weihnachten fragte, was ich mir vom Christkind wünschen würde, sagte ich: eine Gitarre! Ich habe am Heiligen Abend eigentlich schon gar nicht mehr daran gedacht, aber es lag tatsächlich eine Gitarre unter dem Weihnachtsbaum. Und eine Postkarte von einem Joseph Feimer mit den Worten, dass im Januar mein Gitarrenunterricht beginnen würde. Ich saß dort mit ca. 15 anderen Kindern in einem kleinen Raum. Da damals noch nicht mit dem Stimmgerät gestimmt wurde, wurden wir immer ermahnt, still zu sein, bis alle mit dem Stimmen fertig waren. Vielleicht ist dies der Grund, warum ich bis heute meinen Bass mit Stimmgabel stimme und auch denselben Respekt von Kollegen und auch vom Publikum einfordere – Ruhe zu bewahren und die Finger von den Instrumenten zu lassen. Ich habe nur bei einem mit den Ohren gestimmten Instrument das Gefühl, dass es in Stimmung ist, egal ob auf der Bühne oder im Studio. Der Unterricht wurde aber schnell langweilig für mich, da wir fast nur Volkslieder begleiteten.
Ein Klassenkamerad aus der Realschule besaß damals eine Schallplatte von Neil Young mit Crazy Horse, und ich verliebte mich sofort in diese wahnsinnige Musik! Die Schallplatte “Harvest” war für mich ein Meilenstein. Noch heute bekomme ich Gänsehaut, wenn ich mir diese Aufnahmen anhöre. Sie haben mich sehr geprägt! In unserem Nachbarort wohnte ein Gitarrist, der fast alle Lieder der “Harvest”-Platte spielen konnte, und so bat ich meine Eltern, mich bei Herrn Feimer abzumelden, packte meine Gitarre in meinen Koffer und ging zu Fuß bei Sonne oder Regen in den Nachbarort, um Unterricht zu nehmen. In Worms gab es damals nur einen Plattenladen: die “Rheinelektra”. Dorthin ging ich Ende der 70er-Jahre regelmäßig und wühlte mich durch die Schallplatten. Von Neil Young hatte ich alles Wesentliche gehört, Crosby, Stills Nash & Young war auch schon als reiner Neil Young-Ersatz durchgehört, und so war der Drang nach Neuem besonders groß. In meiner Klasse war ich der Sonderling, da meine Freunde natürlich auf alles andere als Neil Young standen… eher auf die Filmmusik von “Grease” oder “Dirty Dancing”. Und Bee Gees! Eines Tages fiel mir eine Platte auf von einem Typen mit langen Haaren, großen Zähnen und einer unheimlich großen akustischen Guild-Gitarre auf seinen Beinen. Ich kaufte sie mir nur wegen der akustischen Gitarre auf dem Cover, den Namen des Künstlers hatte ich noch nie vorher gehört. Warum ich diese Platte vor dem Kauf nicht angehört habe, weiß ich nicht. Jedoch bin ich heute froh, dass ich es nicht getan habe: Ich kam nach Hause, legte sie in meinem Zimmer auf meinen Schallplattenspieler – und es war DER magische Moment schlechthin in meinem Leben! Ein Moment, in dem einem klar wird, warum man nicht mit anderen Kindern auf der Strasse gespielt hat, warum man einen anderen Musikgeschmack hat als alle um mich herum. Und wo man sich klar darüber wird, was die eigentliche Bestimmung im Leben ist. Ich wollte Musiker werden! Es war diese eine Schallplatte, die mir die Tür öffnete: Pat Metheny mit dem Soloalbum “New Chautauqua”. Das ganze Wochenende hörte ich die Scheibe und habe jeden Ton aufgesaugt. Dort hörte ich auch zum ersten Mal einen Fretless-Bass: die Bassstimme von Jaco Pastorius! Danach kaufte ich mir Schallplatten wie “American Garage” mit Mark Egan und “Watercolours” mit Eberhard Weber. “Bright Size Life” hörte ich auch, fand aber nicht so den Zugang zu dieser Musik, und mich störte irgendwie auch der elektrische Bass im Hintergrund…
Das ist für einen Bassisten aber sehr ungewöhnlich!
Für dich ausgesucht
Ralf Gauck: Ja, ich fand nicht wirklich den Zugang zu Jaco. Es gab vielmehr einen nächsten magischen Moment in meinem Leben mit dem Album “80/81” von Pat Metheny – und dem Bass von Charlie Haden! Was für ein Ton, was für eine Melodie mit jedem Ton – und dann dazu noch ein Basssolo, NUR BASS! Kein anderes Instrument war zu hören, nichts fehlte, dieser Bassist war für mich perfekt! Eigentlich wollte ich in diesem Moment von der Gitarre zum Kontrabass wechseln! Aber die Hürden waren für mich zu hoch: In meiner Heimatstadt Worms gab es weder einen Kontrabassisten, noch ein Musikgeschäft, das ein solches Instrument verkauft hätte! Da ich seit meiner Geburt auf einem Auge fast blind bin und auch bis heute aus diesem Grund keinen Führerschein habe, war es kaum möglich, aus Worms herauszukommen. Ich blieb also bei der Gitarre und sog weiterhin die Musik Charlie Hadens auf. Mit jedem Ton dieses Mannes öffnete sich für mich ein musikalisches Universum. Auch wenn ich heute die Musik von Pat Metheny kaum noch höre und die Magie seines Albums “New Chautauqua” sehr verblasst ist, so ist die Musik von Charlie Haden für mich noch heute so frisch und neu wie damals, als ich sie zum ersten Mal hörte. Alles was ich heute spiele, ist wegen der Musik von Charlie Haden!
Ende der 80er-Jahre warst du dann ja für Studienaufenthalte in den Niederlanden und in den USA. Wie kam es dazu – und hast du aus diesen anderen Ländern nachhaltige Impulse für das Musikerdasein als in Deutschland mitnehmen können?
Ralf Gauck: Wieder einmal war es die Musik von Pat Metheny! Ich war gezwungen, Gitarre zu spielen. E-Bass wollte ich nicht, ich wollte ein akustisches Instrument spielen und Kontrabass ging einfach nicht. Ein Kontrabassist ohne Führerschein ist wie eine Biene ohne Honig. Für mich gab es noch lange keine akustische Bassgitarre, solche Instrumente kannte man damals nicht. Naja, vielleicht gab es sie schon, aber zumindest nicht in Worms und nicht in der Gauckschen Welt. Ich wollte Musik studieren, das war meine Welt. Auch wenn die Gitarre nicht mein wirkliches Instrument war, Musik studieren war mein wirkliches Leben und Ziel. Also übte ich wie ein Verrückter Gitarre. Mein älterer Bruder ging an den Wochenenden in die Disco, meine Eltern gingen aus – und ich saß zu Hause und übte! Ich machte nach der Realschule zuerst eine Lehre zum Elektrogerätemechaniker, kam von der Arbeit, ging nach einem kurzen Essen auf mein Zimmer und übte, bis ich gegen 23 Uhr aufhörte und ins Bett ging. Das ging so zwei Jahre lang: Morgens um 6 Uhr zur Lehre, gegen 17 Uhr nach Hause, schnell Essen und dann von 18 bis 23 Uhr üben – jeden Tag! Ich war glücklich, denn ich war in meiner Welt! Wenn ich nicht spielte, hörte ich die Musik von Charlie Haden, Pat Metheny, John McLaughlin, Michael Brecker, Wes Montgomery und auch Jim Hall. Als ich die Lehre beendete, machte ich die Fachhochschulreife, da ich dies als meine Chance ansah, die Voraussetzungen für eine Aufnahmeprüfung zu erreichen. Jedoch wollten meine Eltern nicht, dass ich Musik studiere, und so ging ich nach der Schule zum Studium an die FH in Darmstadt. Doch der Drang nach Musik war einfach zu groß: Ich stellte meine Eltern vor vollendete Tatsachen, schrieb mich in Darmstadt aus und meldete mich zur Aufnahmeprüfung in Hilversum/Holland an. Zu dieser Zeit gab es ja in Deutschland noch kaum Hochschulen für Musik, die Jazz- und Popularmusik anboten. Zwei Jahre später ging ich dann nach Miami/USA, denn dort hatte Pat Metheny studiert und in Florida hatte ich Verwandtschaft. Das war also ein Anlaufpunkt für den Bub aus Worms, der bisher noch kaum etwas von der Welt gesehen hatte. In Holland und vor allem auch in den USA lebte man die Musik und den Jazz ganz anders als bei uns. Dort gab es keine Schulgebäude nur für Klassik oder nur für Jazz. Stattdessen gab es Schulen für MUSIK mit Bach in Raum 1 und Coltrane in Raum 2, Mozart in Raum 3 und Miles Davis in Raum 4. Dieser Weitblick hat mich geprägt! Ich liebe die Musik von Johann Sebastian Bach ebenso wie die Musik von Charlie Haden. Beides spricht denselben Punkt meiner Seele an.
Wie bist du denn genau zum Bass – und hier insbesondere zum Fretless – gekommen? Du hast sicher erst “normalen” Bundbass gespielt, oder?
Ralf Gauck: Ja, mein erster Bass war ein bundierter Warwick Corvette. Als ich den Plektrum-Bassisten Steve Swallow am Bass hörte, wurde mir klar, dass ich meinen Traum vom Bassspielen doch noch würde verwirklichen können. Ich spielte Gitarre ja meist mit einem Plektrum – der Schritt zum Bass war damit für meine rechte Hand sehr klein. So habe ich zunächst Steve Swallow kopiert und versucht, so zu klingen wie er. Warwick hatte damals den Vertrieb für Guild inne, und da bemerkte ich erstmals die akustischen Bassgitarren. Ich bekam über Warwick einen bundierten Guild-Akustikbass und ich begann darauf zu üben, um wie Charlie Haden zu klingen. Das war die Zeit, in der ich aufhörte, öffentlich Gitarre zu spielen. Mit dem akustischen Guild war ich nun endlich zum Bassisten geworden. Nun war ich endlich angekommen!
Anfang der 90er sah dein Leben im Grunde genommen schon recht abgesichert aus: Du hast von Studiojobs und Auftritten mit dem Instrumentalensemble Chantal gelebt. Deine Haupt-Einnahmequelle dürften jedoch aus dem Posten des Leiters einer Wormser Musikschule gekommen sein.
Ralf Gauck: Das stimmt: Ich hatte Frau und Kinder – und damit Verantwortung! Nur von der Musik des Ensembles Chantal konnte ich nicht leben. Zumal ich schon immer gerne unterrichtet habe und das auch gar nicht aufgeben wollte. Die Jahre mit Chantal waren für mich aber sehr, sehr wichtige und lehrreiche Jahre. Nicht wirklich in musikalischer Hinsicht, aber dort habe ich alles in Bezug auf Management, Studio, Konzertalltag, Fernsehjobs usw. gelernt. Es sind schöne Dinge mit der Band passiert damals: Wir waren in London in den “Abbey Road Studios” – im Studio No. 2, wo die Beatles zuhause waren, und damals wurde nebenan in Studio No.1 gerade die Filmmusik für Harry Potter aufgenommen. Wir wurden vom SWR sogar einmal zur Gruppe des Jahres gewählt. Ich spielte zum ersten Mal im Ausland, im Fernsehen vor riesigem Publikum und sog diese Erfahrungen auf, wie einst die Musik von Pat Metheny.
Das klingt für mich so, als hätte alles eigentlich noch jahrelang so weitergehen können – ging es aber nicht! Ab 2005 hast du alles “auf links” gedreht und dich komplett auf deine Solokarriere gestürzt. Mit “Zauberwasser” kam damals deine erste eigene Solobass-CD heraus. Gab es zu dieser Zeit so etwas wie eine innere Stimme, der du gefolgt bist?
Ralf Gauck: Chantal war ein “365-Tage-im-Jahr”-Job. Wenn wir nicht probten oder Konzerte spielten, rief mich der Manager des Ensembles, Michael Hofmann von der Weiden, an und organisierte mit mir Konzerte. 2004 kam ich mit meiner heutigen zweiten Frau Manu zusammen. Zuerst war es der international berühmte Gitarrist Claus Boesser-Ferrari, der mir eines Tages beim Spielen zuhörte und mich ermutigte, doch mal alleine als Bassist ein Konzert zu spielen. Er würde so viel Polyphonie in meinem Spiel hören, da wäre es doch zu schade, das alles immer nur im stillen Kämmerlein zu spielen. Im Dezember 2004 heiratete ich zum zweiten Mal, und mit Manu an meiner Seite hatte ich die Person, die mich noch mehr darin bestärkte, diesen Weg zu gehen. Ich war bisher “nur” Bassist, immer im Hintergrund, hatte viel Erfahrung in Tontechnik, als Studiomusiker, Musiklehrer und im Management. Ich selbst traute mir das aber nicht zu! Manu ermutigte mich und ihr habe ich es zu verdanken, dass ich irgendwann wirklich den Mut fasste, diesen Weg zu gehen. Mittlerweile besaß ich auch bundlose Akustikbässe und hatte darauf meinen Sound gefunden. Dieser Ton hatte viel mit dem Ton Charlie Hadens zu tun und meiner eigenen inneren Stimme. Heute denke ich aber auch, dass es sehr viel mit meinen ersten musikalischen Jahren auf der Flöte zu tun hatte, diesen melodischen Fretless-Ton in mir zu hören und umzusetzen. Musik ist dreidimensional: die Dimension Harmonik (oben/unten), die Dimension Rhythmik (vor/zurück) und die Dimension Melodik (links/rechts). Diese Dimensionen sind bei uns Musikern unterschiedlich ausgeprägt, jeder einzelne hat besondere Begabungen in einer oder mehrerer dieser Dimensionen. Das können wir nicht beeinflussen, es ist einfach in uns da. Wir können es aber fördern und eben genau diesem “Ruf” folgen. Bei mir sind es vor allem die Dimensionen Melodik und Rhythmik. Ich habe ein sehr großes Wissen, was Harmonielehre angeht. Jedoch finden sich in meiner Musik vielleicht nur fünf Prozent davon, weil ich das so will, so höre und es die Dimension ist, die in meiner Welt der Musik am wenigsten komplex ist. Als Solokünstler habe ich dann schnell eine neue Art von Freiheit zu schätzen gelernt. Sicher gehören viel Mut und Selbstvertrauen dazu, sich alleine mit nur einem Instrument und nur vier Saiten, ohne Looper oder andere Hilfsmittel auf eine Bühne zu setzen. Doch hat es auch große Vorteile: Du musst nur noch üben, es gibt nie mehr Probetermine. Du musst deine Konzerttermine nur mit deiner Frau abstimmen und nicht mehr mit anderen Bandkollegen. Du teilst dein Hotelzimmer nicht mehr mit schnarchenden Kollegen und du kannst auf der Bühne in aller Ruhe dein Instrument stimmen, ohne vom Gitarristen gestört zu werden. (lacht)
Aber du konntest doch sicher nicht von heute auf morgen von deinen Solo-Gigs leben, oder?
Ralf Gauck: Ich habe immer weiter Unterricht gegeben, auch heute noch! Es macht mir Spaß, mein Wissen und meine eigene Blickweise weiterzugeben. Nicht, dass meine Blickweise die einzig richtige wäre. Aber es ist eine unter vielen und vielleicht gibt es den einen oder anderen, der sie in sein Spiel integrieren und davon profitieren kann.
Deine Art, Bass zu spielen, ist ja sehr gitarristisch, was sicherlich ein spätes Erbe deiner Anfänge als Gitarrist ist. Zudem sprachst du aber auch von Flötenmusik als Einfluss…
Ralf Gauck: Ja, ich höre meinen Bass wie mehrere Flötisten, die gleichzeitig spielen. Stell dir ein Trio mit drei Altflöten vor und dann hörst du mich auf meinem Fretless-Bass. Ich denke, dass meine Musik sich für solch ein Trio viel besser eignet als für die Gitarre. Die Cello-Suiten von Johann Sebastian Bach sind viel, viel näher an meinem Spiel dran, als die Lautenmusik von Bach.
Wie würdest du deine Art, Bass zu spielen, in wenigen Worten beschreiben? Und was möchtest du mit deiner Musik transportieren?
Ralf Gauck: Das ist eine sehr schwierige Frage! Mein Bassspiel, das bin ICH, als Mensch mit Körper und Seele. Die Ruhe zwischen den Tönen ist wichtiger als jeder gespielte Ton. Ich folge meiner eigenen inneren Stimme und muss nicht alles auf dem Bass können. Ich werde mich auch niemals auf die Bühne setzen und anfangen, Slapbass zu spielen. Das bin nicht ich, dazu ist mir die Musik zu heilig, und außerdem gibt es da Bassisten wie dich zum Beispiel, die es schon perfekt umsetzen. Warum also ich? Ich bin auch kein Bassist, den du in eine Top-40-Band stellen kannst und der dann die Basslinien von vielen Kollegen Ton für Ton nachspielt, das ist mir zu langweilig. Versteh’ mich bitte nicht falsch, es gibt unzählige Kollegen, die genau das machen und mit Sicherheit auch mehr Geld mit der Musik verdienen als ich. Aber ich kann das nicht, ich würde daran zugrunde gehen. Ich musste mir das Musikmachen erkämpfen, ich musste über viele Jahre meine Eltern überzeugen, dass die Musik mein Beruf ist. Ich musste mich mit meinen eigenen Handicaps – zum Beispiel ein Musiker ohne Führerschein zu sein – behaupten. Für mich hat Musik einen ganz anderen Stellenwert, als “nur” Töne nachzuspielen. Mit Chantal habe ich das auch gemacht, jedoch habe ich immer versucht, mein eigenes Ding in diese Musik mit einzubringen. Ich habe bei den Produktionen wie zum Beispiel für die Aufnahmen mit Herman’s Hermits, immer meinen Gauckschen Bass mit eingebracht. Wer das nicht wollte, musste sich einen anderen Bassisten suchen.
Wie erarbeitest du dir denn deine Solobass-Arrangements? Ich habe mitbekommen, dass du zum Teil auch sehr untypische Hilfsmittel benutzt. Einen Kapodaster auf einem Bass habe ich z.B. bisher nur sehr selten gesehen…
Ralf Gauck: Wenn ich die Musik von anderen interpretiere, dann lerne ich zuerst die Melodie und die Harmonie. Wenn ich das auswendig im Kopf habe, fange ich an, damit zu improvisieren. Dabei springen mich oft Ideen an. Es kann dann sein, dass ich die Tonart wechsele oder letztendlich beim Kapo lande. Einen Kapodaster verwende ich aus Soundgründen. Das Gewicht, das zusätzlich am Hals des Basses angebracht wird, verändert den Ton und das Schwingungsverhalten des Instrumentes. Ich habe unterschiedliche Kapodaster der Firma G7th, die sich wesentlich im Gewicht unterscheiden. Den leichten Kapo verwende ich für Lieder, wo ich ihn am fünften Bund oder höher anbringe. Den schweren Kapo verwende ich immer unterhalb des fünften Bundes. Ich habe über Jahre hinweg die Prelude der Cello-Suite von Bach gespielt und auch schon als Bonus-Track auf einer meiner CDs aufgenommen. Doch erst als ich anfing, diese mit Kapodaster im siebten Bund zu spielen, ging für mich eine große Tür auf.
Du hast unseren Lesern ja einige Auszüge deines Schaffens und Wirkens mitgebracht. Bitte erzähl mal…
Ralf Gauck: Ich habe extra für die Leser von bonedo zwei Videos produziert. Im ersten seht ihr mein Solobass-Arrangement des Präludiums der besagten ersten Cello-Suite von Bach. Die genauen Fingersätze könnt ihr dem beigefügten Noten- und Tabmaterial entnehmen. Im zweiten Video seht und hört ihr meine Komposition “Sirius”, die ich zunächst im Originaltempo ganz durchspiele. Anschließend stelle ich die Parts in Nahaufnahme langsam vor. Auch von “Sirius” gibt es natürlich wieder Noten und Tabs zum Download, die ich erstellt habe.
Vielen Dank für die Mühe, die du dir mit diesen Sachen gemacht hast, Ralf! Du bist für mich schon ganz eindeutig ein Bass-Individualist – wie wichtig ist es dir eigentlich, als eigenständiger Künstler wahrgenommen zu werden? Viele Bassisten sehen sich ja eher als “Handwerker”…
Ralf Gauck: Das ist für mich sehr wesentlich! Wenn man mich bucht, bucht man die Stimme des Gauckschen Basses. Ich liebe es, meinen Bass in sehr unterschiedlichen musikalischen Konzepten zu integrieren. Ich liebe Irish Folk, habe mit Chantal über Jahre die Musik der Beatles gespielt, mein erster richtiger Studiojob war für den Gitarristen Peter Ratzenbeck, ich liebe Bach, ich mag viele Popsongs. Aber ich werde immer mein Ding dazu spielen, meine Stimme, meine Musik… alles andere wäre mir zu langweilig.
Sobald man in der Öffentlichkeit steht, dauert es für gewöhnlich nicht lange, bis die erste Kritik kommt…
Ralf Gauck: Ja, Kritik kam ganz schnell, denn den Bassisten war ich zu sehr Gitarrist und den Gitarristen war ich zu sehr Bassist. Jedoch wird meine Seele nicht von diesen Kritiken gestreichelt, sondern immer nur von meinen Konzertbesuchern! Nach einem Konzert kam einmal eine Frau zu mir und bezeichnete mich als “Meister der stillen Töne”. Das hat mir gefallen, weitaus mehr als die Aussage “Mensch, kann der Gauck aber schnell spielen” oder “Wahnsinn, wie komplex sein Spiel ist”. Sicher habe ich auch das schon oft gesagt bekommen, jedoch sind mir Aussagen über das, was ich mit meiner Musik bei den Menschen ausrichte, viel wichtiger. Darum wäre es falsch, komplett über der Sache zu stehen. Du musst nur lernen, was du wirklich an dich ranlässt und auf wen du hörst. Kritik ist wichtig, aber es kommt auch darauf an, von wem sie kommt und wie er es sagt. Einer meiner Freunde ist zum Beispiel unser gemeinsamer Kollege Ove Bosch. Er ist ein Mensch, dessen Kritik mir immer wieder sehr wichtig ist. Er meint es ehrlich und sagt dir auch schon mal negative Dinge, um dich weiter zu bringen. Er macht dies also für dich und nicht, um dir zu schaden oder sein eigenes Ego zu befriedigen.
Jedes Mal, wenn ich dich spielen gesehen habe, war ich sehr fasziniert von der Art, wie du vollkommen in der Musik zu versinken scheinst. Das hat für mich fast etwas von Meditation… Sehe ich das richtig?
Ralf Gauck: Wenn es gut läuft, öffne ich eine Tür zu meiner Seele und tauche in der Musik ab. Natürlich nehme ich meine Umwelt noch wahr. Ein Zuhörer, der während eines Konzertes von mir niesen muss, dem sage ich während des Spielen schon mal “Gesundheit”. Aber Musik machen ist für mich wie der Genuss eines hervorragenden von Manu mit den Händen gekochten Essens – ohne jegliche Fertigprodukte. Ich spiele und genieße die Musik. Musik einfach nur zu kopieren ist für mich Fast Food. Das heißt nicht, dass Fast Food keine Berechtigung hat, aber es hat für mich nichts mit Genuss zu tun.
Du verfolgst ja viele verschiedene Projekte, unter anderem schreibst du auch Lehrbücher, hast dich mit verschiedenen Videoproduktionen selbständig gemacht, bist in den sozialen Medien (Facebook etc.) recht umtriebig usw. Inwieweit gehören diese Tätigkeiten heute zu deinem notwenigen Alltag? Oder anders gefragt: Muss man als Freiberufler solch einen Wirbel veranstalten und mehrgleisig fahren, wenn man überleben möchte?
Ralf Gauck: Die Antwort ist simpel: Ohne diese Mehrgleisigkeit geht es heute nicht mehr! Das mag vielleicht negativ klingen, ist für mich aber positiv. Wenn ich den ganzen Tag ausschließlich nur Bass spielen würde und dann nur noch Konzerte geben würde, wäre mein Leben extrem langweilig. Je mehr unterschiedliche Dinge ich mache, umso interessanter werden mein Alltag und mein Leben. Wenn ich heute im Fernsehen spiele, ist das für mich Routine, weil ich aufgrund meines Wissens einiges einbringen und konkrete Vorschläge machen kann, die die Produktion bereichern. Wenn ich im Studio arbeite und dem Tonmeister ein Signal abliefere, das er nicht mehr durch Filter und Kompressoren jagen muss, dann hat er weniger Arbeit – und ein Signal, das er leichter in Szene setzen kann. Die Produktion geht schneller über die Bühne, der Produzent muss weniger bezahlen und wird mich deswegen auch wieder buchen. Time is money! Wenn ich all das Wissen besitze, kann ich auch auf dem Markt verkaufen. Also produziere ich heute auch Videos für andere und verkaufe das.
Abgefahren fand ich ja, was du damals bei deiner Veröffentlichung “Fields Of Gold”, die Musik von Sting featured, erlebt hast. Bitte erzähl unseren Lesern kurz, was damals passiert ist.
Ralf Gauck: Als ich die CD “Zauberwasser” aufgenommen habe, hatte ich auch “Yesterday” von den Beatles und “Little Wing” von Hendrix dabei. Wenn man Kompositionen anderer Urheber in Anspruch nimmt, muss man dafür aber natürlich die Freigabe bekommen. Die Urheber werden in der Regel von den Verlagen vertreten. Bei den Beatles und Hendrix war das Sony Music. Das war sehr einfach, ich habe einfach nur die Aufnahmen hingeschickt und nach wenigen Tagen eine Erlaubnis per Mail erhalten. Du musst dann die Komponisten angeben und bei der CD-Pressung werden die Lizenzen an den Verlag abgeführt. Eigentlich eine Win-Win-Situation. Im Falle von Sting lagen die Rechte bei EMI, aber die wollten mir die Freigabe nicht erteilen und mir sogar die Aufführungsrechte verweigern. Ein Grund wurde mir nicht genannt. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich aber schon die Zusage von dem berühmten Label “Acoustic Music Records”, dass sie diese Produktion gerne herausbringen wollten – und es lag bereits ein Jahr Arbeit des Arrangierens und Übens hinter mir. Was also tun? Da kam wieder einmal mehr die Unterstützung von Manu ins Spiel. Sie machte mit mir einen Deal: Ich sollte mich um den Haushalt und die Kinder kümmern, und sie wollte sich um den Kontakt zu Sting bemühen. Also waren in den nächsten Tagen für mich Wäschewaschen, Essenkochen, Geschirrspülen, Einkaufen, Bügeln, mit Hund Gassi gehen sowie die Betreuung der Kinder und deren Hausaufgaben angesagt. Der absolute Horror für jemanden, der die Welt mit seinem Bassspiel verbessern will! (lacht) Nach drei Tagen stand Manu mit einem Zettel vor mir, auf den sie zwei Adressen geschrieben hatte – eine in England und eine in Italien. Sie hatte es tatsächlich fertiggebracht, mithilfe von akribischer Detektivarbeit die Privatadressen von Sting aus dem Internet herauszufinden!
Das ist ja nicht zu fassen!
Ralf Gauck: Nicht wahr? Ich habe auch nicht schlecht gestaunt! Wir haben dann die Aufnahmen, die ich in meinem Studio aufgenommen hatte, eingetütet und mit einem persönlichen Brief an Sting an jede Adresse geschickt. Ich habe Sting meine Situation erklärt und ihn gebeten, sich persönlich für die Freigabe einzusetzen. Einen anderen Ausweg sah ich nicht. Nur er hatte es also in der Hand, sich über die Entscheidung der EMI Deutschland hinwegzusetzen. Zwei Wochen später hatte ich ein Konzert in Wustrow an der Ostsee, und dort wollte ich zum ersten Mal die Bearbeitungen spielen. Da ich anfangs ja noch nicht wusste, dass die EMI mir die Aufführungsrechte verweigern würde, hatten wir meine Konzerte schon Monate vorher geplant. Jetzt sollte ich also ein Konzert spielen, das in der Presse mit den Sting-Bearbeitungen angekündigt wurde, und gleichzeitig hatte mich die EMI Hamburg auf dem Schirm, die mir diese Aufführungsrechte soeben verweigert hatte. In meinem Träumen sah ich Männer mit dunklen Anzügen, Sonnenbrillen und Aktenkoffern im Publikum sitzen, die mir dann vor dem Publikum eine einstweilige Verfügung zustellten. Horror pur! Am Konzerttag gingen Manu und ich noch in die Ortsverwaltung Wustrow, weil man dort E-Mails abrufen konnte. Und was soll ich sagen: Dort fand ich dann die E-Mail von Sting höchstpersönlich in meinem Postfach, mit der Aussage, dass er sich um mein Problem kümmern würde. Ihm hätten meine Aufnahmen sehr gut gefallen und ich würde in ein paar Tagen von seinem Verlag die Verträge zugestellt bekommen.
Das muss ja ein unglaublicher Moment für dich gewesen sein!
Ralf Gauck: Ja, ich kann heute kaum meine Gefühle beschreiben, die in diesem Moment durch mich strömten. Gänsehaut pur: Sting gefiel meine Musik, und er wollte sich sogar für mich einsetzen! Die E-Mail hängt heute bei mir Zuhause an der Wand. Darauf bin ich stolz, denn das kann mir keiner nehmen. Und Wustrow ist für mich heute ein heiliger Ort.
Gab es darüber hinaus noch weiteren Kontakt zu Sting?
Ralf Gauck: Das nicht, aber ich verwirklichte mir aber mit dieser Produktion noch einen weiteren Lebenstraum. Wie ich schon vorher sagte, hat Pat Methenys “New Chautauqua” mein Leben verändert. Für die Aufnahme zeichnete der Tonmeister Jan Erik Kongshaug verantwortlich, der auch wesentlich den Aufnahmestil des ECM-Labels und unzähliger Produktionen geprägt hat. Es gab schon immer den Wunsch in mir, einmal im Studio von Jan Erik Kongshaug arbeiten zu dürfen. Dort, wo Charlie Haden und Pat Metheny aufgenommen hatten! Wenn schon mit der Unterstützung durch Sting persönlich die Messlatte für meine CD sehr hoch lag, so wollte ich sie noch höher legen und bin dann mit Manu nach Oslo geflogen und habe das Album in den dortigen “Rainbow Studios” mit Kongshaug aufgenommen. Dieses Studio ist das beste, was ich jemals in meinem Leben gesehen habe! Jan Erik erzählte mir von Pat Metheny, ECM und Manfred Eicher, und ich hatte die “heiligen” Gästebücher des Studios in meinen Händen. Dort hat sich alles von Rang und Namen verewigt. Und: Alle haben dasselbe geschrieben: was für ein außergewöhnlicher Tonmeister Jan Erik Kongshaug ist. Übrigens stehen in diesem Buch jetzt auch ein paar Zeilen von einem Bub aus Worms / Germany. Als die CD dann fertig aus dem Presswerk kam, habe ich sie an Sting geschickt, mich dafür bedankt und ihm aber auch geschrieben, dass für mich dieses Kapitel nun beendet sei. Er hat mich unterstützt, ich habe meine CD produzieren dürfen und darf heute mit der Zustimmung der EMI diese Songs auf die Bühne bringen. Ich wollte Sting aber natürlich auch seine Privatsphäre lassen und ihn nicht weiter behelligen. Ich bin ihm bis heute unheimlich dankbar für seine Unterstützung. Wenn es sein soll, dass sich unsere Wege noch einmal kreuzen, dann wird dies auch passieren.
Du arbeitest ja viel mit verschiedenen Musikern im Duo oder Trio zusammen, und warst beispielsweise mit dem legendären US-Solobassisten Michael Manring oder dem ungarischen Gitarristen Sandór Szabó auf Tour. Wie kommst du zu derartigen Kontakten und wie organisierst du das Booking für solche Unternehmungen?
Ralf Gauck: Sandór ist einer meiner engsten Freunde und zudem noch ein begnadeter Musiker und Tonmeister. Wir kennen uns seit 2005, und über ihn kam der Kontakt zu Michael Manring. Sandór hatte Michael und mich für eine Tour durch Ungarn gebucht und dort führten wir das Konzertprogramm “The Dark Side of the Music” auf – zwei Bässe und eine Baritongitarre. Nicht gerade viele hohe Frequenzen, aber diese Tour war sehr erfolgreich. Vielleicht, weil wir in Ungarn spielten und nicht in Deutschland. Dort kann man solche Abenteuerreisen scheinbar noch unternehmen. Hier in Deutschland findet sich dafür kein Promoter. Die Tage mit Michael Manring waren sehr einflussreich für mich. Ich habe mir von ihm viel abgeschaut und wir hatten viele interessante Gespräche. Dabei ist mir aufgefallen, dass wir beide an vielen Punkten dieselben Ansätze haben, sie nur anders ausleben.
Wenn du mit Musikern aus anderen Ländern zusammenarbeitest: Fallen dir da Unterschiede beim Arbeiten oder im Umgang mit dem Beruf auf?
Ralf Gauck: Ja, natürlich gibt es Unterschiede. Bei Musikern aus Indien muss man sehr tolerant sein mit allem, was Zeitabsprachen angeht. Musiker aus Chile haben auch ihre Besonderheiten, zum Beispiel die Frage, wann die Nacht vorbei ist und der Arbeitstag startet. Allerdings ist der Umgang mit der Musik für mich immer das, was uns gemeinsam verbindet. Diese Sprache sprechen wir alle gleich, allerdings muss man sich darauf einlassen, dass man mitunter einen besonderen Dialekt vorgesetzt bekommt. Lässt du dich aber darauf ein, wird es zu einem Abenteuer, das du so schnell nicht mehr vergisst!
Konkret gefragt: Können wir von Musikern anderer Nationen etwas lernen? Oder die von uns?
Ralf Gauck: Absolut! Du musst eben nur offen dafür sein. Wenn du die westlich orientierten Einflüsse einmal außer Acht lässt und deren Kulturkreis an dich heranlässt, dann beginnt das Abenteuer. Dass unsere Musik nur zwölf Töne hat, ist doch nur ein winziger Teil des musikalischen Universums. Es gibt so viele Töne zwischen einem C und C#, die es zu erkunden gibt. Das ist eine riesige Spielwiese, gerade natürlich für einen Fretless-Bassisten, die man mit einem bundierten Instrument nie wahrnehmen wird. Daher glaube ich, dass wir mehr von Musikern bestimmter anderer Nationalitäten lernen können, als sie von uns.
Wie du ja weißt, möchte ich in dieser Serie die deutsche Bassistenszene beleuchten. Gibt es Kollegen aus der hiesigen tieftönenden Zunft, die du sehr schätzt und die sich unsere Leser einmal anhören sollten?
Ralf Gauck: Ein absolutes Ja! Zuerst einmal dich. (lacht) Dein Lehrbuch “Slap Attack” ist für mich eine Spielwiese für den Fretless-Bass, denn ich übertrage die ganzen Ansätze auf einen Fretless, bei dem man den Daumen nicht slappen und den Zeigefinger nicht reißen lässt. Stattdessen nimmt man die Bausteine des Buches und überträgst die Rhythmik und die Rudiments auf das Fretless-Spiel. Auf diese Weise eröffnet sich ein neues musikalisches Fretless-Universum. Dann natürlich Ove Bosch und sein Spiel: diesen Groove liebe ich, genauso wie ich diesen Menschen und seine persönliche Art liebe. Stefan Rademacher ist ein perfekter Bassist und auch ein ganz feiner Kerl. Rene Flaechsenhaar – ihn persönlich habe ich leider noch nie persönlich kennenlernen dürfen. Aber mir gefallen sein Groove und die vielen kleinen Ideen in seinem Spiel. Er ist immer wieder auf den Videos von www.basstheworld.com zu hören. Von den jungen und derzeit noch unbekannten Bassisten gefällt mir Niklas Lukassen sehr gut. Für sein Alter hat er einen sehr großen musikalischen Weitblick und schon eine sehr gute Vorstellung von dem, wie Musik für ihn klingen muss.
Man hat dich im Laufe der Jahre mit vielen verschiedenen Instrumenten gesehen: Warwick, Stoll, Höfner… nun bist du bei einem wunderbaren Fretless von Franz Bassguitars aus den Händen von Xaver Tremel gelandet.
Ralf Gauck: Ich habe immer noch meinen alten Warwick Corvette Bass und werde ihn auch nicht hergeben. Dieses Instrument hat so viel ertragen müssen und ich habe so viel mit ihm erlebt, dass es zu mir passt wie ein alter Schuh, in den du hineingleitest und bei dem du vorher schon weißt, wie er sich gleich am Fuß anfühlen wird. Xaver Tremel von Franz Bassguitars hat mir nun vor einiger Zeit diesen wunderbaren Bass nach meinen Bedürfnissen gebaut. Auf dieses Instrument bin ich besonders stolz – nicht nur deswegen, weil es meinen Namen trägt. Mein Signature-Modell vereint das, was ich mir immer von einem bundlosen E-Bass gewünscht habe. Es besitzt die schnelle und direkte Ansprache eines elektrischen Basses, aber die Offenheit einer akustischen Bassgitarre. Für mich muss ein Instrument schlicht und einfach sein. Ich mache meinen Ton mit den Fingern und nicht mit dem Instrument oder gar Effektgeräten. Viele elektrische Bässe besitzen einen solch starken Eigenklang, dass ich meinen eigenen Ton erst in zweiter Reihe höre. Ich wollte ein Instrument, bei dem die Leute mich auch schon an meinem akustischen Ton erkennen, obwohl es kein akustisches Instrument ist. Dieses Instrument ist extrem feinfühlig. Oft stimme ich den Bass auf 439 Hz, und dieser Bass “spürt” den Unterschied. Xaver Tremel ist ein Magier im Bassbau! Außerdem hat er mit seiner Frau Moni eine besondere Partnerin an seiner Seite, so wie ich meine Manu habe. Das ist mit keinem Geld der Welt zu bezahlen! Heute ist Xaver für mich nicht nur “mein” Instrumentenbauer, sondern auch in erster Linie mein Freund.
Und was benutzt du sonst noch für Equipment?
Ralf Gauck: Kabel von Rheingold Music übertragen alle meine Signale, ob in meinem Bass, in Verbindungen vom Bass zum Amp, vom Preamp zum Digitalwandler im Studio – alles nur mit Kabeln von Rheingold. Sie werden von Rheingold-Chef Jürgen Weidner selbst entwickelt, und zu meinem Freund Jürgen Weidner habe ich großes Vertrauen. Kabel werden übrigens häufig unterschätzt, finde ich! Saitenmäßig spiele ich Pyramid Black Nylon Strings. Mit denen bekomme ich meinen warmen Fretless-Sound hin. Und ewig halten tun sie auch, was wunderbar passt, denn mir gefällt der Klang von frischen Saiten überhaupt nicht. Dann gibt es die RMI Basswitch, die zusammen mit dem Bass, den Kabel und den Saiten das Herzstück meines Setups bildet. Die Basswitch ist ein wunderbares Tool, um einen sauberen und neutralen Sound zu bekommen, der es einem erlaubt, den Ton mit den Fingern zu gestalten. Seit letztem Jahr endorse ich auch die Verstärker aus dem Hause Phil Jones – eine Offenbarung für mich! Viele Konzertreisen muss ich mit dem Zug absolvieren. Da ist selbst ein Amp, der nur zehn Kilo wiegt, schon eine Belastung. Sicher gibt es einige Übeamps auf dem Markt, die noch leichter sind. Die kann man allerdings nicht besonders ernst nehmen, das sind eben Billig-Amps zum Üben für Anfänger. Mit Ausnahme meines Phil Jones BG 75, der übrigens gerade mal vier Kilo auf die Wage bringt und einen Sound hat, der dich umwirft. Die letzten Jahre verwende ich übrigens nur noch die Tonabnehmer von Delano, denn sie produzieren einen wunderbaren Klang. Als Effektgerät kommt bei mir live noch ein T-Rex Hallgerät zum Einsatz. Das verwende ich aber nur live, nie im Studio. Im Studio benutze ich meinen Franz Bass und gehe mit Rheingold-Kabeln in die RMI Basswitch. Kein Limiter oder Kompressor; das mache ich alles mit den Fingern der Anschlagshand. Ich habe die so trainiert, dass ich immer die volle Kontrolle über meinen Attack habe. Wenn ich einen Chorus brauche, muss ich eben nur mit zwei Fingern gleichzeitig die Saite anspielen. Als richtigen Effekt verwende ich eben nur noch einen Kapodaster und gelegentlich einen Schlagzeugschlegel, der eigentlich für Beckenwirbel verwendet wird. Wenn du mit dem die Saite direkt hinter dem Steg anschlägst, wirst du dich wundern, was für ein Ton auf deinem Instrument entsteht. Du merkst also, wie puristisch ich in Sachen Equipment veranlagt bin. Je weniger ich verwende, um so weniger muss ich im Zug schleppen. Ich denke, dass mein komplettes Equipment mit Bass, Amp, Kabel, Hallgerät und Basswitch bei ca. zehn Kilo liegt. Was will man mehr?
Mich würde noch interessieren, wie dein Übe-Alltag aussieht, Ralf! Übst du regelmäßig? Und wenn ja: was übst du?
Ralf Gauck: Das ist sehr unterschiedlich, je nachdem, was so gerade anliegt. Auf jeden Fall versuche ich regelmäßig zu üben. Ich übe das, was mein nächstes Ziel ist und diese Ziele möchte ich umsetzen. Ich übe nicht Notenlesen, wenn ich gar nicht in die Situation komme, Noten zu lesen. Ich übe nicht Slapbass, wenn ich es nicht anwende. Oft sind die Dinge, die ich übe, verbunden mit anstehenden Konzerten. Wenn ich ein Konzert mit jemandem zusammen spiele, dann möchte ich mich vorbereiten. In der Regel gibt es kaum Möglichkeiten zu proben. Wir tauschen Songs aus, die beim Konzert gespielt werden sollen. Ich will meist nur die Aufnahmen, selten die Noten. Dann höre ich mir den Song raus und überlege ich mir, wie ich mich in den Song einbringen kann. Dazu brauche ich bestimmte Spieltechniken, die ich regelmäßig übe. Wenn ich an einem neuen Gauck-Song arbeite, dann muss ich diesen so lange üben, bis ich nicht mehr denke, sondern die Finger einfach nur zur Musik des Liedes über das Griffbrett laufen. Genau auf diesen Zustand übe ich dann hin!
Mal angenommen, ich wäre gerade 20 Jahre alt geworden und würde dir eröffnen, dass ich gerne als Bassist vom Musikmachen in Deutschland leben würde – was würdest du zu mir sagen bzw. mir raten?
Ralf Gauck: Anfang Mai feierte ich meinen 50. Geburtstag und eine gute Freundin hat mir dabei ein Schild geschenkt, das nun bei mir zuhause hängt. Darauf steht geschrieben: “Follow your heart, it knows the way!” Das würde ich dir zuerst mit auf den Weg geben! Es gibt heute keine Sicherheiten mehr, und die wird es zukünftig auch nicht geben. Als ich die Realschule beendete, sagte man allgemein: “Suchst du einen sicheren Job, dann geh zur Bank!” Heute schließen Banken und entlassen ihre Mitarbeiter. Mit Sicherheit ist der Beruf eines Musikers oder gar Bassisten kein sicherer Job. Aber in der Regel haben wir Musiker eine Vision, und wenn du bereit bist, dieser Vision zu folgen und die Entbehrungen des Musikerlebens in Kauf zu nehmen, dann folge deinem Herzen und geh diesen Weg. ABER: Sei immer du selbst! Hab Vertrauen in deine Fähigkeiten und stehe ebenso zu dem, was du nicht kannst. Wenn du klingst wie jeder andere Bassist, dann kann man auch jeden anderen Bassisten für den Job nehmen. Wenn du aber einzigartig klingst und immer so wie du selbst, dann wird man dich buchen und sonst niemanden, weil es sonst keiner auf der Welt hinbekommt. Das ist für mich die Basis: Tu das, was du machst, bewusst und habe deine Technik und deinen Stil immer auf Abruf bereit. Habe außerdem offene Augen und Ohren für alles, was noch mit dem Beruf zusammenhängt: Tontechnik, Videotechnik, Computer, Management, Vermarktung, Buchhaltung etc.
Wie vermarktest du deine Musik? In Zeiten von Streaming-Diensten wird dieses Thema ja zu einem Problem – zumindest, wenn man Geld verdienen möchte oder muss.
Ralf Gauck: Ich habe ja schon immer Musik abseits des Mainstreams gemacht. Das macht es mir in manchen Dingen etwas einfacher. Ich habe in den letzten Jahren angefangen, meine Musik selbst zu vermarkten. Die Labels und die Streaming-Dienste haben in meinem Bereich keinen großen Sinn mehr gemacht. Ich produziere meine Musik selbst. Ich bin ein One-Man-Unternehmen – die “GAUCKwerkstatt”. Ich habe daheim mein eigenes Studio, mache alle Audioaufnahmen selbst, Videos produziere ich ebenfalls selbst, und ich kenne mich mit Graphiksachen aus. Dabei entwerfe ich alle meine Drucksachen, ob Flyer, Plakate oder Lehrbücher, auch komplett in Eigenregie. Warum soll ich die Dienste von Streaming-Diensten in Anspruch nehmen, wenn man seine Produkte eh bei Konzerten am besten verkaufen kann? Ansonsten hilft einem natürlich das Internet auch durchaus: du bekommst heute alle Sachen aus der GAUCKwerkstatt im Online Shop vom “Custom Music Shop” in Duisburg. Mithilfe einer eigenen Homepage, sozialen Netzwerken und einem Online Shop braucht man weder Spotify noch iTunes! Ich habe mich dafür entschieden, diese Dinge über den “Custom Music Shop” zu machen, da ich keine Zeit habe, einen solchen Shop ständig zu pflegen. Außerdem überfordern mich die sich ständig verändernden Gesetze…
Was werden wir 2015 noch von dir zu hören und zu sehen bekommen, Ralf?
Ralf Gauck: In der GAUCKwerkstatt gibt es viele Lehrbücher, die ich in diesem Jahr auf den Markt gebracht habe. Zum einen ein Lehrbuch für Fretless-Bass, das in verschiedenen Levels herauskommt. Du musst dir das vorstellen wie ein herkömmliches Buch, dessen Kapitel als Einzelprodukte auf den Markt kommen. Alle Lehrbücher sind eBooks. Darin enthalten ist das eigentliche Buch als PDF-Datei, und es gibt alle Übungen als Videodateien, MP3-Dateien, zusätzlich noch als GuitarPro-Dateien und im PDF-Format für den Ausdruck auf dem eigenen Drucker. Du kannst das eBook als reinen Download kaufen oder dir auf einem Datenträger zusenden lassen. Bisher ist der erste Grundkurs auf dem Markt. Dabei geht es hauptsächlich um Intonation, Fingersätze und ohne Vibrato zu spielen. Grundkurs 2 wird bald fertig sein. Außerdem gibt es noch die ersten zwei Ausgaben mit dem Titel “Play With the Groove”. Das sind Gehörbildungs-Übungen. Es sind keine Noten dabei, sondern du singst zuerst den Bassgroove und spielst ihn dann auf dem Bass. Diese Übungen wiederholst du immer wieder, selbst wenn du nicht alle Töne richtig singst oder spielst. Doch mit wachsender Erfahrung wird sich das Gehör immer mehr verfeinern und irgendwann trifft man jeden Ton. Bisher gibt es davon zwei Ausgaben. Außerdem habe ich noch die Bourée von Johann Sebastian Bach für Bass auf den Markt gebracht. In kleinen Abschnitten lernt man hier mithilfe von Videos, MP3-Dateien und einem Notenteil mit Tabulatur in PDF-Form, diesen Klassiker zu spielen. Für die Gauck’sche Musik ist jetzt mein neues Online-Album “kopfKINO” auf den Markt gekommen: sieben Titel als MP3-Downloads, aber es gibt auch ein richtiges gedrucktes Songbook mit dreien meiner Kompositionen und der Bearbeitung des Präludiums der Cello-Suite I von Bach. In dem Buch findet man auch noch jede Menge Fotos von mir, die ich alle in Ungarn in der Stadt Vác aufgenommen habe. So kann man neben der Musik auch meine Bilder genießen. Außerdem werde ich in diesem Jahr ein festes Duo mit der deutsch/irischen Sängerin Kira Ludlow an den Start bringen. Sie ist eine tolle junge Sängerin und ich hatte den Drang, mit meinem Fretless-Bass ein ganzes Konzertprogramm mit Bass und Gesang zu gestalten. Auch wird es noch ein Programm mit dem Nordlicht Mad Jazz Morales geben – das Johannes Elevsen Trio. Wie viele wissen, hat er auch einen starken Drang zur Schauspielerei. Mit ihm und mir am Bass werden wir die fiktive Geschichte des Johannes Elevsen auf die Bühne bringen.
Wow, da hast du dir aber wirklich eine Menge vorgenommen! Eine letzte Frage – falls du zu diesem Thema überhaupt etwas sagen möchtest: Vor einigen Jahren gab es ja einen schweren gesundheitlichen Einschnitt in deinem Leben. Inwieweit hat das deine Sicht auf das Leben und dein Schaffen verändert? Machst du seither anders Musik? Immerhin hast du ja einige Bereiche deines Lebens komplett umgekrempelt, z.B. den Bereich Ernährung.
Ralf Gauck: Ja, ich hatte vor drei Jahren einen Hinterwand-Herzinfarkt. Dabei stellte man bei mir Diabetes fest. Zusammen mit Manu habe ich meine Ernährung komplett umgestellt. Wir ernähren uns vegan und ich noch dazu auf der Basis von Trennkost. Zusammen mit regelmäßigen Sport habe ich die Diabetes so weit im Griff, dass ich heute kein Insulin spritzen muss und fast alle Medikamente absetzen konnte. Noch dazu habe ich ca. 40 Kilo Körpergewicht verloren. Allerdings fällt mir seit dem Infarkt das Reisen wesentlich schwerer als früher, es belastet mich heute mehr als noch vor ein paar Jahren. Was es musikalisch für Änderungen hatte, fällt mir schwer zu beschreiben, allerdings hat sich etwas verändert. Ich bin vielleicht nicht mehr so verbissen wie früher als junger Kerl. Das könne aber auch eine Art altersbedingter Reife sein – ich weiß es nicht. Aber ich habe ja das Schild mit dem Spruch “Follow your heart, it knows the way!” Und es wird mir bewusst, nicht alles können zu müssen. Aber alles was ich mache, mache ich aus dem Herzen heraus.
Ralf, herzlichen Dank für deine Zeit! Ich darf dir sagen: Ich bin ein echter Fan deines Spiels – alles Gute für dich und beste Grüße an deine Manu!
Ralf Gauck: Ich danke dir, lieber Lars! Alles Gute auch für dich und an dieser Stelle vielen Dank für alles, was du für den Bass in Deutschland getan hast. Denn ohne deinen Einsatz wäre das Instrument in unserem Lande mit Sicherheit nicht dort, wo es jetzt steht – du bist ein toller Kollege!
Booking Ralf Gauck: manu@manu-gauck.de