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Eine gute Artikulation beim Singen

Wer bereits Gesangunterricht genommen hat, weiß womöglich noch, wie uns beigebracht wurde, alle Konsonanten möglichst deutlich und stark artikuliert auszusprechen und den Vokalen einen eindeutigen Raum im Mundraum zu geben. Doch gibt es wirklich eine einheitliche Art der richtigen Artikulation für alle Sängerinnen und Sänger – ganz unabhängig von Genre und Sprache? Oder ist dieser Gedanke noch stark vom Soundideal der klassischen Gesangstechnik geprägt? Nun, man kann sich zunächst Gedanken machen, ob man in seinem Gesang eine deutliche Artikulation für angemessen und schön empfindet, oder ob man bewusst einen anderen Weg geht. Ist es also notwendig, über gute Artikulation zu diskutieren, wenn am Ende doch womöglich nur Ausdruck und Inhalt zählen? Hier findest du Antworten auf die Fragen, was Artikulation ist und wie sie am besten eingesetzt wird. 

(Fotocredit: Shutterstock, Foto von lassedesignen)
(Fotocredit: Shutterstock, Foto von lassedesignen)
Inhalte
  1. Was bedeutet Artikulation?
  2. Wo genau findet Artikulation statt?
  3. Artikulation im klassischen Gesang
  4. Welche Bedeutung hat die Artikulation im Popgesang?
  5. Welche Unterschiede gibt es bei den verschiedenen Sprachen?
  6. Manuelle Artikulation – nicht nur für Gehörlose wichtig
  7. Was hat Artikulation mit Phrasierung zu tun?
  8. Welchen Einfluss hat die Artikulation auf die Stimmtechnik?
  9. Wie kann ich Artikulation ohne klassische Artikulationsübungen üben?

1. Was bedeutet Artikulation?

Artikulation bezieht sich in der Musik sowohl auf die sprachliche Lautbildung als auch auf die instrumentale Tonbildung. Bei Blasinstrumenten ist es der Ansatz, bei Schlaginstrumenten der Anschlag, bei Streichinstrumenten der Bogenstrich etc.
In der Anatomie versteht man unter einer Artikulation ein Gelenk (“articulatio”), eine Gelenkverbindung oder Gliederung. Übertragen auf die Musik bedeutet es, dass die Töne auf verschiedene Weise miteinanderverbunden werden können. Das kann z. B. legato (nahtlos enge Verbindung), non legato (mit Klangpausen zwischen den Tönen), tenuto (gehalten), portato (getragen) oder staccato (abgesetzt) sein.

2. Wo genau findet Artikulation statt?

Beim Gesang und beim Sprechen versteht man unter Artikulation die Modifikation der im Kehlkopf erzeugten Töne durch Artikulationsorgane. Damit sind Zunge, Gaumen, Lippen und Zähne Stimmbänder gemeint, die durch ihre Stellung die Resonanzräume verändern und somit klangliche Unterschiede erzeugen. Je nachdem, welche Stellungen diese Sprechwerkzeuge beim Singen bzw. Sprechen einnehmen, klingen unsere Laute, Silben und Töne weich, hart, laut, leise etc. Das, was also ein Cellist mit seinem Bogen auf den Saiten kreiert, schaffen Sängerinnen und Sänger mit bewusst gesteuerten Bewegungen und Stellungen im Artikulationsapparat.
Im Allgemeinen unterscheidet man zwischen der Artikulationsart und dem Artikulationsort. Hier nur kurz aufgelistet.
Artikulationsart
Die Artikulationsart beschreibt, auf welche Art der Luftstrom zur Lautbildung modifiziert, also behindert, wird. Hinter den Bezeichnungen stehen die internationalen Lautschriftzeichen, die man z. B. auch in Wörterbüchern wiederfindet.

  • Plosivlaute (auch Verschlusslaute genannt): / p t k b d g /
  • Affrikaten: / tʃ dʒ /
  • Frikative: / f v θ ð s z ʃ ʒ(h) /
  • Nasale: / m n ŋ /
  • Liquide: / l, r /
  • Gleitlaute (Halbvokale): / j w /
  • Vokale: / i e ɛ æ ɑ ɔ o u /

Artikulationsort
Der Artikulationsort bezeichnet die Stelle im Mundraum, an der die Laute produziert werden.

  • bilabial (mit beiden Lippen)
  • labiodental (mit Lippen und Zähnen)
  • alveolar (an den oberen Vorderzähnen)
  • postalveolar (hinter den oberen Vorderzähnen)
  • palatal (am harten Gaumen)
  • velar (am Gaumensegel/weichen Gaumen)
  • uvular (unter Beteiligung des Zäpfchens gebildet)
  • glottal (von der Stimmritze gebildet)

3. Artikulation im klassischen Gesang

Artikulationsübungen für Gesang gab es bisher nur in der klassischen Stimmtechnik. Der Grund dafür ist, dass es für den klassischen Gesang einfach wichtig ist, dass Sänger*innen aus der ganzen Welt auf die gleiche Art und Weise, unabhängig von der Sprache artikulieren. Schließlich gibt es einen klar definierten Stimmklang in der Welt der Oper. Die Artikulation der Vokale und Konsonanten wurden diesem Klangideal angepasst. Übungen für vorgestülpte Lippen, komprimierte Zunge, locker nach unten hängendem Kiefer sowie tiefem Kehlkopfstand gelten also als ideal für Sänger*innen, die klassisches Repertoire authentisch singen lernen wollen.

4. Welche Bedeutung hat die Artikulation im Popgesang?

Bis vor kurzem haben auch Popsänger*innen Gesangübungen sowie Artikulationsübungen aus der Klassik übernommen, da es keine ausreichenden Studien und somit keine Anleitung darüber gab, wie Popgesang am Besten funktioniert. Heutzutage weiß man es glücklicherweise besser. Und dieses Wissen verschafft den Popsänger*innen die Freiheit, so zu klingen, wie sie möchten, ohne die Befürchtung haben zu müssen, dass sie dadurch Stimmprobleme bekommen könnten. In der nichtklassischen Musik lohnt es sich gerade bei den Nuschlern oder Stotterern, einmal genauer hinzuhören. Denn eventuell verleiht ihre undeutliche Artikulation ihrer Interpretation einen besonderen Ausdruck. Schöne Beispiele sind Herbert Grönemeyer und Legende Bob Dylan.

Gerade in der Popmusik gibt es viele Gründe, warum man manchmal ganz bewusst undeutlich artikulieren sollte. Die Artikulation unserer Sprache ist ein starkes Ausdrucksmittel, das für einen Wiedererkennungswert sorgt, und kann ein bedeutendes Element für ein “Alleinstellungsmerkmal” sein.
Ein schönes Beispiel findet sich vor allem im Rap-Gesang. Hip-Hop hat meiner Meinung nach viel dazu beigetragen, dass sich junge Leute mit ihrer Sprache auseinandersetzen. Je nachdem aus welchem Teil des Landes (in Deutschland sowie in anderen Ländern) der Rapper stammt, zitiert er seine Reime in dem entsprechenden Dialekt. Mundart und Slang spielen hier also eine große Rolle.

Kendrick Lamar – Swimming Pool

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Peter Fox – Alles neu

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Solange eine individuelle Artikulation bewusst vorgenommen wird und den Zuhörer auf positive Weise erreicht, ganz egal ob sie unsauber oder undeutlich ist, bekommt sie in der Popmusik grünes Licht. 

Joy Denalane – Was auch immer

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Jan Delay – Sie kann nicht tanzen

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Stefan Gwildis – Wo bist du grad

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Sela Sue – Raggamuffin

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5. Welche Unterschiede gibt es bei den verschiedenen Sprachen?

Obwohl wir wissen, dass in anderen Sprachen anders artikuliert wird, erlebe ich es immer wieder bei meinen Gesangsschüler*innen, wie wenig bewusst ihnen diese Artikulationsunterschiede beim Singen sind. Deshalb möchte ich kurz darauf eingehen, wie in anderen Sprachen optimal artikuliert wird. Denn da gibt es Unterschiede.
Wenn man versucht, die Art der Artikulation auf eine andere Sprache zu übertragen, klingt sie gleich nicht mehr authentisch.
Die Vokale in der deutschen Sprache z. B. klingen definitiv anders als in anderen Sprachen. Auch wenn wir dieselben Buchstaben verwenden. Das gleiche gilt für die Konsonanten. Wir lesen dieselben Buchstaben, müssen sie in unserem Mund aber anders formen, so dass sie der Sprache entsprechen.
Insofern ist es sehr wichtig, sich mit der Aussprache der jeweiligen Sprache, in der wir singen wollen, sehr gut auszukennen. Nur dann können wir überhaupt erst anfangen uns über eine passende Artikulation Gedanken zu machen.
Ich erlebe es bei meinen Schülerinnen und Schülern auch immer wieder, dass sie zum Beispiel das “L” am Ende eines englischen Wortes heller artikulieren, wenn man um eine bessere, deutlichere Artikulation bittet. Viele nuscheln ihr Englisch, weil sie glauben, dass es so authentischer klingt. Das klingt dann vielleicht cool, ist aber sinnlos, wenn man den Inhalt des Textes nicht versteht.
Wobei ich sagen muss, dass es zwischen dem British und American English auch noch mal deutliche Unterschiede gibt.
Beispiel 1:
matter (british) madder (american)
Hier wird das Doppel-t im Britischen wie das deutsche “t” ausgesprochen, während man es in Amerika wie ein “d” ausspricht.
Beispiel 2:
love/bell (british = leichtes, helles l; american = dunkles, dickes l)
Man sollte also für eine gute Artikulation nicht auf einmal von einer amerikanischen zu einer britischen Aussprache wechseln oder umgekehrt.
Es lohnt sich auch, einen Blick auf weitere Faktoren zu werfen, die die Artikulation unterstützen bzw. beeinflussen.

6. Manuelle Artikulation – nicht nur für Gehörlose wichtig
Menschen, die für ihre Kommunikation auf Gebärdensprache angewiesen sind, artikulieren mithilfe von Mimik und Gestik. Diese Art der Artikulation wird auch manuelle Artikulation genannt. Doch nicht nur für Gehörlose kann die manuelle Artikulation gut sein.
Die Körpersprache ist für eine gute, natürliche Kommunikation sehr wichtig, da sie unseren Ausdruck unterstützt und unserem Gegenüber signalisiert, in welcher emotionalen Verfassung wir uns befinden. Wir können uns also auch ohne sprachliche Äußerung mitteilen – manchmal sagen unsere Körperhaltung, Mimik und Gestik sogar viel mehr als unsere verbale Kommunikation.

Übertragen auf den Gesang bedeutet das, dass sich uns mehr Möglichkeiten eröffnen, uns mitzuteilen. Und genau das tun wir Sängerinnen und Sänger, vornehmlich live auf der Bühne. Denn dort kann unser Publikum uns sowohl hören als auch sehen, und bekommt somit ein mehrdimensionales Bild von uns. Auch dann, wenn man nicht jedes Wort genau versteht, erfährt man, worum es in dem gesungenen Lied geht. Das ist das Schöne an Liveauftritten.
Anders verhält es sich, wenn man im Studio Musik aufnimmt. Hier gibt es keine Zuschauer*innen. Also muss allein die sprachliche Artikulation ausreichen, um die Zuhörer*innen später von seiner Performance zu überzeugen.

7. Was hat Artikulation mit Phrasierung zu tun? Man sollte Artikulation nicht mit Phrasierung verwechseln. Dennoch gibt es eine Verbindung beider Elemente. Um in unserem Gesang gestalterisch zu werden, benutzen wir sowohl die Art der Aussprache als auch die Art der Phrasierung, um einen individuellen Ausdruck zu erzielen. Oftmals bedingen sich Artikulation und Phrasierung, zum Beispiel wenn wir einen Ton umspielen (auch “riffen” genannt), dann passt sich die Artikulation unserer improvisierten Melodielinie an. Ein sonst eher hart artikuliertes Wort kann somit weicher klingen, weil hier die Vokale im Vordergrund stehen und eben für die Phrasierung benutzt werden. Die Konsonanten des Wortes stellen dann lediglich den Rahmen dar. Natürlich sollte darauf geachtet werden, dass dieser Rahmen stabil bleibt, sonst könnte die Verständlichkeit leiden. In anderen Fällen benutzt man die Konsonanten, um rhythmische Phrasen noch perkussiver darzustellen. Hierbei werden die Vokale kürzer und die Konsonanten präzise und kraftvoll artikuliert.
Ich habe selbst die Erfahrung gemacht, wie schmal der Grad zwischen Aussprache und Phrasierung sein kann. Auf meinem einzigen deutschsprachigen Album hatte ich mit meinem damaligen Produzenten Frank Ramond (z. B. Annett Lousian, Ina Müller, Roger Cicero) entschieden, so zu artikulieren, dass die Rhythmik und Phrasierung im Vordergrund stehen. Meine Musik basierte auf weltmusikalischen Rhythmen und dabei wird häufig off-beatig (synkopisch) betont. Dadurch klang mein Gesang meiner Meinung nach authentischer. Dennoch bekam ich von manchen Deutschen das Feedback, dass man den Text nur schwer verstehen könne, weil ich so “undeutsch” artikuliert habe. Dennoch hätte ich es heute nicht anders gemacht, weil für mich die Phrasierung wichtiger war.

8. Welchen Einfluss hat die Artikulation auf die Stimmtechnik?

Bei aktuellen Stimmtechnikmethoden wie zum Beispiel der CVT (Complete Vocal Technique) spielt die Art der Aussprache der Vokale eine ganz große Rolle. Je nachdem, in welchem Modus (mode) man singen möchte, werden bei dieser Technik die Vokale eines Wortes klanglich verändert. Die Einstellung der Artikulationsorgane sorgt also hier dafür, dass auch im Kehlkopf und Rachenraum Veränderungen stattfinden, die einen besonderen Stimmklang hervorrufen und die Sängerin/den Sänger außerdem befähigen, hohe Töne problemlos zu erreichen.

9. Wie kann ich Artikulation ohne klassische Artikulationsübungen üben?

  • Lerne deine Artikulatoren kennen!
  • Sprich alle Konsonanten langsam aus und verdeutliche dir, welche Bereiche in deinem Mund aktiv werden.
  • Besonders der Zunge darfst du viel Aufmerksamkeit schenken, denn sie ist ein sehr flexibler Muskel. Fühle deine Zungenspitze, die Zungenkanten, den Zungenrücken. Mache dir ein Bild davon, wo genau die Zunge den Gaumen berührt, wenn du Konsonanten wie “k” oder “g” oder “ch” oder “r” sprichst, oder was deine Zunge tut, wenn du ein “s” oder “l” sprichst.
  • Etwas komplexer ist die Einstellung der Vokale. Denn hier kannst du mithilfe der Zunge, der Lippen, des Kiefers, und des Kehlkopfes den Klang heller oder dunkler färben, und den Resonanzraum von nasal bis oral verändern, indem du den weichen Gaumen hochziehst oder herunterlässt.
  • Höre dir Sängerinnen und Sänger an, deren Aussprache dir gefallen. Analysiere, wie sie artikulieren und ahme es nach. Achte aber immer darauf, dass die Sprache, in der du singst, authentisch klingt. So, wie du sprechen würdest, solltest du auch erst einmal singen. Anschließend kannst du an vielen kleinen Stellschrauben drehen, um deinen Gesang individuell zu gestalten. Und das geht über Artikulation, Phrasierung, Dynamik und stimmtechnischen Gebrauch (Klangfarbe, Klangeffekte etc.)
  • Nimm dich auf und probiere verschiedenen Sachen aus. Du wirst sehr schnell für dich herausfinden, was gut klingt oder was zu dir passt.

Fazit

Bevor wir uns mit dem Thema Artikulation auseinandersetzen, sollten wir uns über die Aussprache der Sprache, in der wir singen wollen, Gedanken machen. Gegebenenfalls ist es nötig, zunächst an der Aussprache im Allgemeinen zu feilen. Entweder man sucht einen Sprachlehrer/eine Sprachlehrerin auf oder man hört noch mal genauer hin, wenn Native-Speaker sprechen oder singen. Filme im Original anschauen z. B. hilft, um den Klang der Sprache noch besser ins Ohr zu bekommen.

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(Fotocredit: Shutterstock, Foto von lassedesignen)

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