AMS Neve hat nach dem 1073LB mit dem 88RLB nun schon seinen zweiten Preamp für das Lunchbox-Format im Programm. APIs 500-Standard drehte sich von Anfang an um Mischpulttechnik. Mit Neve betrat vor nicht allzu langer Zeit ein weiteres Schwergewicht der Konsolenhersteller diese Arena.
Nicht einmal zehn Jahre genügten der britischen Designer-Legende Rupert Neve, um den Grundstein für einen Technologieentwurf zu legen, der noch heute – 40 Jahre später! – weltweit zum Feinsten zählt, was das Feld der Studiotechnik zu bieten hat. Nach ersten Gehversuchen mit Röhrenschaltungen und Kanalzügen auf Basis von Germaniumtransistoren erreichten Neves Designs mit dem Preamp, der nun auch für den 500-Standard erhältlich ist, einen ersten Höhepunkt.
Um 1970 kam mit dem 1073 ein Mischpultkanalzug-Modul auf den Markt, das nachhaltig einen Nerv in der Studiowelt traf. In einer bereits längeren Ahnenreihe mit Germanium-Modulen wie dem 1051 und dem direkten Vorläufer 1066, welcher lediglich etwas andere EQ-Punkte bot, wurde der 1073 schnell zum Inbegriff des „britischen“ Sounds. Seit jeher steht Neve für satte, sämige Sounds, die den Klang ganzer Genres geprägt haben. Schon 1975 verkaufte Rupert Neve jedoch sein Unternehmen, das nach einem eher kurzen Intermezzo unter dem Dach von Siemens nun seit einer ganzen Weile als AMS Neve firmiert.
Zwischenzeitlich wurden die klassischen Kanalzüge der frühen 70er-Jahre gar nicht mehr hergestellt. Es entstand jedoch ein äußerst lebendiger Markt von Drittanbietern – wohl kaum ein Audio-Feld wirft so reichhaltige Früchte ab wie der Acker, auf dem die Neve-Klone wuchern. Experten debattieren mit Leidenschaft, welches dieser Geräte nun am besten und originalgetreuesten sei, aber diese Frage wird wohl nie endgültig beantwortet werden. Mit diesen beiden 500-Modulen hat AMS Neve jedoch einige Argumente auf seiner Seite, zumindest, was guten Klang an sich betrifft. Mittlerweile hat AMS Neve selbst wieder eine ganze Reihe von Geräten im Programm, die die Fahne der klassischen Class-A-Technik hoch halten, und zwar quer durch alle Formate: Es gibt Neuauflagen der klassischen Module in ihrer originalen Kassettenform, als 19“-Adaptionen, und nun auch für den 500-Standard, der sich mittlerweile als ganz, ganz feste Größe etabliert hat – auch, weil nun praktisch alle der klassischen Mischpulthersteller in diesem Format vertreten sind.
Details
1073: Eisen mehr als nur ein Spuerenelement
Doch der Reihe nach: Der 1073 ist in technischer Hinsicht ein Kind der späten 60er-Jahre. Und das bedeutet: Seiner Schaltung liegen einige aus heutiger Sicht beinahe archaisch anmutende Kriterien zugrunde, die damals aber praktisch alternativlos waren. Es handelt sich bei dem Vorverstärker um eine mehrstufige Transistorschaltung, die komplett in diskreter Class-A-Technik aufgebaut ist. Dies ist nicht verwunderlich, denn ICs für Audioanwendungen waren damals noch nicht verfügbar. Eine sehr wichtige Rolle für den Neve-Sound spielen die Audio-Übertrager. Wenn man weiß, dass Rupert Neve zu Beginn seiner Karriere selbst Übertrager designt hat, dann verwundert es nicht, dass der Ingenieur stets größten Wert auf diese wichtigen Bauteile legte. In den Originalmodulen wurden Audio-Übertrager von Marinair und später St. Ives (heute: Carnhill) verbaut, und dieses sprichwörtliche „Eisen“ im Sound ist maßgeblich für das klangliche Gewicht der Neve-Schaltungen verantwortlich.
Kleiner – hoffentlich nicht in jeglicher Hinsicht
Im Hinblick auf den Aufbau eines originalen 1073-Modules erscheint es eine Ingenieurtechnische Meisterleistung, diesen Preamp auf 500-Format zu schrumpfen – selbst dann, wenn man den EQ weglässt, was AMS Neve ja getan hat, um diesen in einer separaten 500-Kassette anzubieten.
Auch wenn der 1073LB-Preamp in physischer Sicht geschrumpft wurde, und dabei die Originalschaltung an einigen Stellen auch etwas modifiziert wurde, sollte dabei nach Möglichkeit natürlich nicht der Klang „kleiner“ werden. Inwieweit dies gelungen ist, darauf werden wir etwas später eingehen. Tatsache ist, dass die harten Fakten weiterhin gelten: Auch der 1073LB holt aus seinen Transistorstufen ausgesprochen satte 80 dB Gain. Frei nach einem mittelwestdeutschen Comedian mit Jazz-Background: „Mehr brauchen Sie nicht!“
Some like it hot
Der Drehschalter mit dem charakteristischen roten Knopf schaltet in 5-dB-Schritten in beide Richtungen: +80 dB für Mic-, und immerhin +20 dB für Line-Signale. Dazu hat AMS Neve dem Modul ein Output-Poti spendiert, das zwischen -20 und +5 dB justiert werden kann und das praktisch die Funktion eines Faders im Mischpultkanalzug übernimmt. Das bedeutet, dass man – auch Dank der satten Reserven der Eingangsstufe – den Input heiß fahren kann und am Ausgang trotzdem nicht das nachfolgende Gerät übersteuern muss. Schon immer liebten Recording-Engineers den Klang der Class-A-Neves, wenn sie in die Knie gingen. Ein toller Sound beispielsweise für Rock-Vocals, der aufgrund des Output Potis eben auch problemlos mit dem1073LB zu realisieren ist. Dazu bietet der Preamp eine Phaseninvertierung sowie eine Eingangsimpedanzumschaltung (300 oder 1200 Ohm), die Phantomspeisung wird per Druck auf das Trim-Poti aktiviert. Dreht man den Gain-Schalter in den Bereich der Line-Verstärkung, wird die Phantomspeisung übrigens automatisch abgeschaltet. Die ist ein sinnvolles Feature, über das der Original-1073 nicht verfügte. Außerdem kann per Schalter auch die frontseitige Kombibuchse für Eingangsquellen ausgewählt werden. Sämtliche Schaltzustände werden mit LEDs unterstrichen, auch der Pegel des Eingangssignals wird mit einer mehrfarbigen LED visualisiert.
Wo ist der dritte Übertrager?
Unter der Haube der Kassette regiert eine modernisierte Version der Schaltungstechnik der frühen 70er. Neben den beiden Carnhill-Übertragern (Mic- und Line-Input teilen sich vermutlich aus Platzgründen einen Eingangsübertrager, während im Originalmodul zwei Stück verbaut waren) findet sich hier ein bunter Mix aus klassischen und SMD-Bauteilen. Dass der 1073LB nur über zwei Übertrager verfügt, ist eine Tatsache, die in der allgemeinen Betrachtung bislang etwas untergegangen ist. Das überrascht allerdings etwas, da die Übertrager als die zentralen klanggestaltenden Bauteile bei Neve(artigen)-Preamps gelten. Dieser Punkt wird um so interessanter, als Neve im Datenblatt sowohl von übertragersymmetrierten Mic- als auch Line-Inputs spricht. Wir haben nachgefragt und eine überraschende Antwort bekommen. Zunächst einmal war Neve selbst überrascht, weil wir die allerersten überhaupt waren, die an diesem Punkt investigatives Gespür gezeigt haben, die Antwort fiel dann aber trotzdem eher karg aus: Die Aussage aus dem Datenblatt stimme, es handele sich hier aber um ein Schaltungsgeheimnis, das man nicht lüften wolle. Uns bleiben an dieser Stelle also bloß Vermutungen: Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Line-Input über ein Widerstandsnetzwerk auch auf den Mic-Input-Übertrager geführt wird.
Notwendige Anpassungen, um die Baugröße einhalten zu können
Die Audioschaltung ist weiterhin rein diskret aufgebaut, die ICs haben mit der reinen Signalverstärkung nichts zu tun. Ein weiterer Unterschied ist der Gain-Drehschalter. Im Original kommt ein massives, dreistöckiges Bauteil zum Einsatz, das im 500-Modul ebenfalls keinen Platz hat. Stattdessen steuert der geschrumpfte Schalter des 1073LB die Einzelwiderstände via Relais auf der kleinen Tochterplatine an.
Preamp der 88RS-Konsole im API-500-Format
Seit neuestem hat AMS Neve noch einen weiteren Preamp im Gepäck, und zwar den Vorverstärker des aktuellen Mischpult-Flaggschiffes 88R(S). Dabei handelt es sich um eine zeitgemäße, ausgesprochen hochwertige Konsole, die in den Topstudios der Welt zum Einsatz kommt, und die dank entsprechender Routingmöglichkeiten (und auch aufgrund der Klangeigenschaften…) gerne in den großen Scoring-Stages genutzt wird, etwa in L.A. bei Fox und Sony, aber auch in London im Abbey Road und AIR Lyndhurst. Auch das Ocean Way (in Jack Joseph Puigs neuer Mix-Suite Studio D) und Mark Knopflers British Grove Studios vertrauen auf dieses moderne Meisterwerk der Mischpulttechnik, das mit einer Bandbreite von 100 kHz sogar modernes 192-kHz-Digitalrecording übertrifft.
Modernere Lösung beim 88RLB
Kaum verwunderlich, dass der 88RLB-Preamp deutlich anders aufgebaut ist als der 1073LB… Das zeigt sich bereits beim zentralen Bedienelement, dem Input-Poti. Dieses justiert stufenlos den gesamten Bereich von bis zu +70 dB für Mic-Signale. Drückt man auf das Poti, schaltet man der Reihe nach durch den Mic-, Line- und DI-Modus. Als besonderes Feature bietet das Modul die Reg(eneration)-Schaltung, welche auch Line- und DI-Signale über den Mic-Input-Übertrager führt, um diese von seinem Klangverhalten profitieren zu lassen. Darüber hinaus verfügt der 88RLB über ein Trittschallfilter (31,5 – 315 Hz), Phaseninvertierung, Phantomspeisung und ein 20dB-Pad. Auch dieses Modul verfügt zusätzlich zum Lunchbox-Input über eine frontseitige Kombibuchse. Der Lift-Schalter trennt beim DI-Einsatz die Masseverbindung auf, um potenziellen Brummschleifen durch Mehrfacherdung zu begegnen.
Die Schaltung des 88RLB sieht bereits auf den ersten Blick deutlich moderner aus als die seines Vintage-Counterparts. Nur der Input wird mit einem Übertrager symmetriert (ganz ohne wird’s bei Neve wohl nie gehen…), aber auch hier kommt eine diskrete Transistorschaltung zum Einsatz.
Maike sagt:
#1 - 09.12.2022 um 14:51 Uhr
Hallo und danke für den Test! Wisst ihr noch, welches Mikro für die Beispiele genutzt wurde?