Crate Digging Japanese Discofunk: Plattensuche in Tokyo

Tokyo ist ein Paradies für Crate Digger. Es gibt unglaublich viele, sehr gut sortierte Vinyl-Läden mit sorgsamst verpackten Schallplatten in gutem bis sehr gutem Zustand. Ob nun Rock, Jazz, Hip-Hop oder Techno, die Auswahl ist riesig. Auf meiner letzten Japantour bin ich zwischen den Gigs durch die Secondhand-Läden gestöbert, auf der Suche nach „City Pop“, einem japanischen Musikgenre aus den 80er-Jahren, das gerade weltweit Aufmerksamkeit erfährt.

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Und neulich war ich nicht schlecht verwundert, als ein kleiner kurzer City Pop DJ-Mix mit einigen meiner dort erworbenen Lieblingsstücke und -Künstler auf meiner Mixcloud im Handumdrehen zu meinem erfolgreichsten bisher hochgeladenen Mix wurde. Exemplarisch am Genre „City-Pop“ möchte ich euch ein paar Tipps und Tricks auf den Weg mitgeben, was beim Crate Diggen in Tokyo zu beachten ist.

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Lost In Translation

Vor dem „Crate Diggen“ kommt naturgemäß das „Plattenladen finden“. Einfach so im Vorbeilaufen stößt man eher selten auf interessante Läden. Das Internet gibt im Vorfeld gut Auskunft. Aber: Wo fängt man an, wo verschafft man sich den groben Überblick und wo geht man ins Detail? Ein guter Start ist erst mal Diskunion.
Shops dieser Schallplattenladenkette sind – teils strikt nach Genres – über ganz Tokyo verteilt. Generell kosten die Platten hier meist weniger als anderswo. Auf der Suche nach City Pop muss man sich jedoch durch die J-Pop-Abteilungen durchwühlen, wo Funky 80s zwischen Enka und Rockabilly stehen. Im Disk Union Jazz schaute man mich dagegen bei meiner Frage nach japanischer Musik eher fragend an, hier wurde gerade Jaco Pastorius lang und hart gefeiert und ein rares Album der deutschen Jazz-Sängerin Inge Brandenburg für umgerechnet 375,- Euro angeboten. Na, Inge Brandenburg? Schon mal gehört? Tja, so ist das mit den Propheten aus dem eigenen Land.

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Shibuya

Recofan befindet sich im 4. Stock des Shibuya Beam Buildings im Herzen von Shibuya. Der Laden für „Reco(-rd-)fans“ ist auf gebrauchte Platten aller Genres spezialisiert und dabei besonders günstig. Achtet auf die „nimm 3 – zahl 2“ Angebote. Hier findet man eher Schnäppchen als Preziosen, kann aber mit Glück auch auf Gold stoßen.
Shibuya Beam 4F, 31-2 Udagawacho, Shibuya-ku, Tokyo

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Face Records

ist spezialisiert auf Soul und Funk, bietet aber auch eine kleine feine Selektion von japanischen Platten an – und hat eine englischsprachige Website.
10-2 Udagawacho, Shibuya-ku , Tokyo

Technique

ist eine Institution für House und Techno mitten in Shibuya. Sollte DJ gesehen haben.
33-14 Udagawacho, Shibuya-ku, Toyko
Manhattan Records gibt es auch seit über 30 Jahren und ist auf Hip-Hop und R’n’B spezialisiert. Hat man den Laden auf einem kleinen Hügel neben Tokyu Hands inmitten von Shibuya erstmal gefunden, sollte man auch noch die DJ-Shops daneben erkunden.
50-0042 Tokyo, Shibuya, Udagawacho, 101

Shimokitazawa

Etwas westlich von Shibuya gelegen ist dieser quirlige Teil von Setagaya mit vielen coolen Cafés, Shops und Plattenläden. Bei City Country City gibt es Platten und Pasta. Ja, man kann hier essen, trinken und Platten kaufen. Die freundliche englischsprachige Website erklärt das sehr schön. Der Laden bietet eine breite Auswahl gut kuratierter musikalischer Genres und wer bei den japanischen Platten nicht fündig wird, hat wenigstens gut gegessen.
155-0031 hosozawa bld.4F , 2-12-13 Shimokitazawa, Setagaya-ku, Tokyo
Mehr dazu im nachstehenden Video:

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Mehr Informationen

Auch in Shimokitazawa lohnt ein Besuch im lokalen Diskunion-Shop.
Auf der Website findet sich auch eine Walk-Through-Photostrecke vom Bahnhof zum Laden.
1-40-6 Kitazawa Setagaya-ku, Tokyo 155-0031 Kashiwa Third Building 1F
Last but not least solltet ihr unbedingt bei Jet Set Records reinschauen. Eigentlich eher spezialisiert auf elektronische Musik, aber dennoch gut ausgestattet mit japanischen Klassikern.
2-33-12 Kitazawa, Setagaya-ku, 155-0031 Tokyo
Auf dem Weg nach Shinjuku bietet sich noch ein kurzer Stopp bei Ella Records ganz im Nordwesten von Shibuya an. Neben Rare Groove, Soul und Jazz findet man in diesem kleinen gemütlichen Laden auch japanische Platten und kann diese vor Ort vorhören. Schnäppchenjäger sollten sich auf die Discount-Kisten stürzen.
1-14-10 Nishihara, Shibuya-ku, Tokyo

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Shinjuku

Auch in diesem völlig mit Sinneseindrücken überladenen Shopping-District sind erst mal die einzelnen Diskunion-Läden rund um Shinjuku-Station die erste Wahl für City-Pop. Vorsicht: Shinjuku-Station ist ein riesiger Bahnhof mit etlichen Ausgängen. Hat man den falschen Ausgang erwischt, lohnt es sich mehr, noch mal zurückzugehen, als den Bahnhof zu umrunden. Die Eingänge zu den Läden selbst sind teilweise wirklich gut versteckt in Basements, auf halber Treppe in Treppenhäusern oder neben Automatenwänden.
Diese Karte hier listet ganz gut die einzelnen Shops und Genres. Für Japan City Pop bitte Laden 1 oder 4 jeweils im BF wie „Basement Floor“ betreten. Der erste Stock 1F steht in Japan übrigens für das Erdgeschoss, 2F für „unseren 1. Stock“ und so weiter. In den kleinen Gassen kann man übrigens sehr schön traditionell essen gehen.

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Ochanumizu

Dies ist eine schön unaufgeregte Gegend im Osten Tokyos und übrigens auch gespickt mit Gitarrengeschäften. Gleich gegenüber der JR Station Ochanumizu hat Disk Union Ochanomizu Rock, Klassik und J-Pop im Angebot.

Fotostrecke: 3 Bilder Gut zu finden: Gleich gegenüber von Ochanumizu Station geht’s hoch zur lokalen Diskunion-Filiale

Auf geht’s Leut, die Musik kommt nicht von allein

Also gut, ziehen wir los und zwar mit folgender Ausrüstung:

  • Smartphone
  • Powerbank
  • Kopfhörer
  • mobiler Router oder SIM-Card mit nicht zu knappem Datenvolumen
  • Zettel mit einer alphabetischen Liste der gesuchten Künstler

Discogs ist dein Freund

Wohl dem, der einen mobilen Router oder eine SIM-Card mit nicht zu knappem Datenvolumen dabeihat. Denn eher als auf die eine superrare Platte eines Artists stößt man auf das restliche Werk, wo aber dennoch lohnenswerte Songs enthalten sein können. Die meisten Platten findet man auf www.discogs.com mit entsprechenden YouTube-Links. Da gerade in den großen Geschäften nur selten ein Plattenspieler zum Probehören zur Verfügung steht, ist YouTube eine wunderbare Informationsquelle, um im Laden per eigenem Kopfhörer schnell mal in die Scheibe reinzuhören.

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Navigate me

Die Route für die einzelnen Läden der Begierde sollte man sich schon vor der Crate Digging Tour notiert haben und sich möglichst auf ein oder maximal zwei Gegenden pro Tag beschränken. Ist man am Bahnhof in der Nähe angekommen, gilt es als nächstes, den Laden zu finden. In Japan gibt es kein Straßen- und Hausnummernsystem wie bei uns. Vielmehr sind alle Adressen in Blocks organisiert, aber an welcher Seite des Blocks sich der Auf/Ab/Eingang zum Geschäft befindet, ist auch für Taxifahrer nicht immer ersichtlich.
Gut, wenn man genug Zeit hat, um sich durch die Straßen zu forschen und vielleicht hier noch eine wohlriechende Nudelsuppenküche oder daneben ein nerdiges kleines Geschäft zu entdecken. Der Weg ist das Ziel.

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Nachnamen zuerst

Auch wenn es sich in der westlichen Welt so eingebürgert hat, dass auch bei Japanern der Vorname zuerst genannt wird, in der japanischen Sprache ist das nicht so. Hier gilt: Nachname zuerst. Das ist wichtig, weil Japanisch nicht aus Buchstaben, sondern aus Silben besteht und die Künstler im Plattengeschäft nach der ersten Silbe ihres Nachnamens sortiert sind. Platten von Tatsuro Yamahsita findet man z.B. also neben Platten von Junko Yagami (beide mit „Ya“). Wer sich Hilfe beim freundlichen, aber vielbeschäftigten und des Englischen nicht zwangsläufig übermächtigen Plattenladenmitarbeiter holt, tut gut daran, die gesuchten Künstler alphabetisch sortiert mit Nachnamen zuerst in großen Buchstaben auf einem Zettel zu notieren. Spart Zeit und Nerven!

Google Translate wirkt Wunder

Jede Platte ist meist sehr akkurat in einer zugeklebten Plastikhülle verpackt und mit einem Extra-Label versehen, das Auskunft über den Preis, den Zustand und natürlich den Titel der Scheibe gibt. Dummerweise auf Japanisch. Hier hilft die Kamerafunktion von Google Translate. Man hoovert mit der Smartphone-Kamera über das Cover und wie durch Zauberei tauchen auf dem Screen plötzlich englische Worte auf, wo vorher nur japanische Katakana zu sehen waren. OK, es ist noch nicht wirklich akkurat, aber gibt uns Crate Diggern wertvolle Anhaltspunkte für die Suche in Discogs oder auf YouTube. Schöne neue technologische Welt!

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Was ist eigentlich „City Pop“?

Die frühen achtziger Jahre waren eine starke Zeit für Japan. Die Wirtschaft boomte, die Einkommen stiegen und die Zukunft sah prächtig aus. Consumer Elektronik wie z.B. moderne Hi-Fi-Anlagen aus einheimischer Produktion für die Wohnung und für das Auto waren omnipräsent und für jeden erschwinglich. Die Musik für den urbanen Lifestyle dieser goldenen Jahre war City Pop (シティーポップShitī Poppu), funky Pop-Musik mit hörbar amerikanischer Prägung.
Japanische Firmen wie Yamaha, Ibanez und Aira stellten mittlerweile hochwertige Gitarren und Bässe her und die Musiker waren durch AOR (Album-orientierter Rock) und Fusion-Jazzrock geschult. Das Yellow Magic Orchestra um Ryuichi Sakamoto hatte die Elektronik in der japanischen Popmusik etabliert und Roland, Korg und wieder Yamaha lieferten die erschwinglichen Synthesizer für den neuen Sound.
Im City Rock kamen nun AOR und Pop, Funk und Fusion, coole Elektronik und teilweise auch recht kitschig-süße Girl-Vocals zusammen. Gleichzeitig boomte die japanische Musikindustrie und wurde schließlich so mächtig, dass sogar eine Firma wie Sony die amerikanische CBS übernehmen konnte.
Anfang der Neunziger platzte dann die völlig aufgeblähte Vermögenspreisblase in Japan und stürzte das Land in eine schwere Finanzkrise, die den schwindelerregend rasanten wirtschaftlichen Aufschwung erst einmal bremste.

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Erst ab 1990 sprach man auch endgültig von „J-Pop“. Als ich Mitte der neunziger Jahre die ersten Male auf Tour in Japan war, wurden die Charts bereits völlig vom J-Pop dominiert, es gab praktisch keine ausländischen Hit-Singles in den Charts. Die Hitparadenplatzierungen ermittelten sich aus Plattenverkäufen, Radio-Airplay, aber auch aus dem Einsatz eines Liedes in den omnipräsenten Karaoke-Bars.

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Und so klingt japanischer City Pop im DJ-Mix von Mijk van Dijk.

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Dirk sagt:

#1 - 14.06.2018 um 09:17 Uhr

0

Tolles Feature! Lustige Anekdote, die mir dabei einfällt: Ein Freund hat mir Ende der 90er deinen von mir heiß geliebten "Niji"-Remix von Denki Groove aus Tokyo mitgebracht.

Profilbild von Fizz

Fizz sagt:

#2 - 15.06.2018 um 14:50 Uhr

0
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