Harmonielehre-Workshop #4 – Kirchentonleitern / Modes

Herzlich willkommen zur vierten Folge meiner Harmonielehre-Workshopreihe. Heute wollen wir uns einem Thema widmen, auf das mein geschätzter Kollege Aggi Berger in seinem Artikel über die modalen Kadenzen bereits Auge und Ohr geworfen hat.

©Trum Ronnarong, Shutterstock
©Trum Ronnarong, Shutterstock


Und seinen Workshop möchte ich allen Lesern sehr ans Herz legen, da wir uns hier dem Thema von einer anderen Seite nähern werden. Die Rede ist von Kirchentonleitern bzw. Modalität.

WORKSHOP

Kirchentonleitern/Modalität
Der Ursprung der Kirchentonarten liegt schon im alten Griechenland, wobei sie dort noch eine andere Bedeutung hatten, als es ab dem Mittelalter bis heute der Fall ist, die Nomenklatur wurde jedoch übernommen. Das Mittelalter, vermutlich schon vor dem 8. Jahrhundert, liefert durch die Gregorianischen Gesänge die ersten schriftlichen Belege, aber wir wollen an dieser Stelle nicht zu tief in die Musikwissenschaft und Musikgeschichte einsteigen, denn unser Workshop soll ja schnellstmöglich den Bogen in die Praxis schlagen.
Darum eines vorweg: Jeder von euch kennt die Kirchentonarten – zumindest zwei von den insgesamt sieben, nämlich Dur und Moll. Überrascht? Ich will euch verdeutlichen, wie es dazu kommt.
Zu diesem Zweck bedienen wir uns wieder der C-Dur Tonleiter und ihrer Stufenakkorde:

HarmonyPt4_1_cut

Wie wir aus den letzten Workshop-Folgen wissen, gibt es zu unserer Tonika C-Dur einen parallelen Mollakkord, nämlich Am auf der VI. Stufe. Diese beiden Akkorde teilen sich dieselbe Tonleiter und Vorzeichen, oder andersherum ausgedrückt, die Am-Tonleiter ist eine C-Dur Tonleiter, nur von A – A gespielt.
Es gibt innerhalb unserer Durtonleiter aber noch mehr Stufenakkorde. Nun gut, wenn alle diese Akkorde aus der C-Dur Tonleiter stammen, dann müsste doch eigentlich auch die C-Durtonleiter über jedem dieser Akkorde klingen – zwar bestimmt unterschiedlich, aber dennoch harmonisch?! Und so ist es auch, wir können über den Dm-Akkord die C-Durtonleiter von D – D spielen und erhalten eine weitere Kirchentonleiter bzw. einen anderen “Modus”. Diese Modi besitzen griechische Namen. Welche das sind, könnt ihr der folgenden Übersicht entnehmen:

AkkordTonleiterName
CCDEFGABCC-Ionisch bzw. Dur
DmDEFGABCDD-Dorisch
EmEFGABCDEE-Phrygisch
FFGABCDEFF-Lydisch
GGABCDEFGG-Mixolydisch
AmABCDEFGAA-Aeolisch bzw. natürlich Moll
B dimBCDEFGABB-Lokrisch

Man kann deutlich erkennen, dass jede Tonleiter aus dem gleichen Tonvorrat besteht, lediglich die Start- und Endtöne ändern sich.
Irgendwann ist man dann dazu übergegangen, aus diesen sieben Modi zwei extrem gegensätzliche Tonarten herauszupicken, nämlich ionisch und aeolisch. Daraus wurde für uns dann Dur und Moll. Bei genauerer Betrachtung erkennen wir aber, dass es mit ionisch, lydisch und mixolydisch insgesamt drei Dur-Modi gibt, mit dorisch, phrygisch und aeolisch drei Moll-Modi und einen Modus für den verminderten Dreiklang, nämlich lokrisch.
Wie wir wissen, hat unsere (ionische) Durtonleiter ihre Halbtonschritte zwischen der dritten und vierten und der siebten und achten Stufe. Das verhält sich bei den anderen Modi natürlich anders, denn sobald wir den Startton verschieben, verschieben sich zwangsläufig auch unsere Halbtonschritte, sodass die Anordnung jetzt so aussieht:

ModusHalbtonschritt zwischen Stufe……und
Ionisch3 und 47 und 8
Dorisch2und 36 und 7
Phrygisch1 und 25 und 6
Lydisch4 und 57 und 8
Mixolydisch3 und 46 und 7
Aeolisch2 und 35 und 6
Lokrisch1 und 24 und 5

Die folgende Grafik im PDF-Format soll den Sachverhalt im Notentext aufzeigen:

Selbstverständlich äußert sich das auch in sehr unterschiedlichen Sounds. Dazu die folgenden Beispiele:

Audio Samples
0:00
C-Ionisch D-Dorisch E-Phrygisch F-Lydisch G-Mixolydisch A-Aeolisch B-Lokrisch

Haben wir bis jetzt die verschiedenen Modi einer Tonart in Bezug zu verschieden Akkorden gesetzt, so möchte ich euch jetzt verdeutlichen, wie die Kirchentonleitern in Bezug auf einen Grundton aussehen. Denn so wird der Unterschied zwischen den einzelnen Skalen optisch wesentlich deutlicher:

Und hier die verschiedenen Modi alle über dem Basston C gespielt, direkt hintereinander, standesgemäß sakral:

Audio Samples
0:00
Modi

C ionisch – C dorisch – C phrygisch – C lydisch – C mixolydisch – C aeolisch – C lokrisch
Und wie kommt man jetzt in der Praxis schnellstmöglich auf die Kirchentonarten? Mein persönlicher Tipp: Jeder Name eines Modus bezieht sich ja auf die jeweilige Stufe, auf der er steht, nämlich:
ionisch ist Stufe I
dorisch ist Stufe II
phrygisch ist Stufe III l
ydisch ist Stufe IV
mixolydisch ist Stufe V
aeolisch ist Stufe VI
lokrisch ist Stufe VII
Wenn ich zum Beispiel wissen will, was G-dorisch ist, suche ich mir die Tonleiter, bei der G die zweite Stufe ist. Zähle ich zurück, lande ich logischerweise auf dem F. Ergo: G-Dorisch ist die F-Durtonleiter von G bis G gespielt (d.h. G A Bb C D E F G)
Ein anderes Beispiel: Die Frage “was ist A-Mixolydisch?” beantwortet sich, indem man die Durtonleiter findet, in der A als fünfte Stufe vorkommt. Zählt man also von A aus rückwärts (A G F# E D), landet man auf dem D. Falls ihr euch fragt, warum ich beim Zurückzählen F# statt F sage, liegt das daran, dass ich ja eine Durtonleiter zurückzähle, und darum beachten muss, dass ich meine Halbtöne zwischen 3 und 4, sowie 7 und 8 mitrechnen muss. Ergo: A mixolydisch entspricht der D-Durtonleiter von A bis A gespielt.
Um das Ganze ins Gehör zu bekommen, möchte ich euch eine kleine Übung ans Herz legen. Nehmt euch einen lang ausgehaltenen Basston auf – vergleichbar dem letzten Beispieltrack – und spielt verschiedene Kirchentonleitern in Bezug zu diesem Pedalton. Vielleicht fällt euch auf, dass jeder Modus charakteristische Töne besitzt, die für das Gehör ein wenig fremdartig klingen. Der Grund liegt in unseren Hörgewohnheiten. Erklingt zum Beispiel ein Durakkord, erwarten wir den Sound der ionischen Durtonleiter, beim Mollakkord ist unser Gehör auf die natürliche aeolische Molltonleiter geeicht. Töne, die von diesen Hörerfahrungen abweichen, wirken auf uns ein wenig fremd. Man spricht dabei von den “modal charakteristischen Intervallen”.
Um hier einen besseren Überblick zu bekommen, betrachten wir nochmal unsere Stufenakkorde und ergänzen diese zu siebenstimmigen Voicings, das heißt, die komplette Tonleiter ist in einem Akkord vertreten. Das ist nötig, um die Optionstöne der einzelnen Modi darstellen zu können, und ihre Unterschiede zueinander. Denn diese sind für den späteren Gebrauch in der Praxis von großer Wichtigkeit, wie wir gleich noch erfahren werden.

Betrachten wir die Durmodi, so sehen wir folgende Unterschiede in Relation zu ionisch:
– mixolydisch hat eine kleine Septime, ionisch eine große Septime, der Rest bleibt gleich.
– lydisch hat eine übermäßige Quarte (#11), ionisch eine reine Quarte (11), der Rest bleibt.
Bei den Mollmodi erkennen wir:
– dorisch besitzt eine große Sexte (13), aeolisch eine kleine Sexte (b13), der Rest ist identisch.
– phrygisch besitzt eine kleine Sekunde (b9), aeolisch eine große Sekunde (9), alle anderen Töne sind gleich.
Der lokrische Modus baut ohnehin auf einem verminderten Dreiklang auf, zu dem wir keine Referenz haben.
So weit, so gut! Da wir jetzt rein theoretisch wissen, wie die sieben Modi der Durtonleiter aufgebaut sind, müssen wir unser Wissen nur noch in die Praxis umsetzen. Wie und wann kann ich meine Modi anwenden? Woher weiß ich, wann ich welche Kirchentonleiter spielen muss?
Letztendlich können die Modi für uns als Komponisten, aber auch als improvisierende Musiker relevant sein. Wie die Kirchentonleitern in Kompositionen ihre Anwendung finden, wurde ja bereits sehr detailliert in dem Workshop “Modale Kadenzen” erläutert, auf den ich hier auch noch mal explizit hinweisen möchte.
Wir wollen die Modi jetzt einmal aus der Sicht des Solospielers betrachten: Prinzipiell kann man sagen: Je mehr harmonische Information das Playback hat, über das ich solieren muss, um so stärker engen sich die Möglichkeiten des verfügbaren Tonmaterials ein.
Hierzu ein paar Beispiele, verbunden mit der Einladung, euer Instrument zu schnappen und einige Soli zum Besten zu geben: Das folgende Playback besteht lediglich aus einem Grundton G, d.h., ich könnte jede Kirchentonleiter ab G zum Improvisieren verwenden.

Audio Samples
0:00
Playback 1

In diesem Fall:
-G Ionisch
-G dorisch (F-Dur Tonleiter von G bis G)
-G phrygisch (Eb-Dur Tonleiter von G bis G)
-G lydisch (D-Dur Tonleiter von G bis G)
-G mixolydisch (C-Dur Tonleiter von G bis G)
-G aeolisch (Bb-Dur Tonleiter von G bis G)
-G lokrisch (Ab-Dur Tonleiter von G bis G)
Wenn wir jetzt das Playback auf einen Moll7-Akkord erweitern, stehen uns schon nur noch die Mollmodi zur Verfügung – also G-Dorisch, G-Phrygisch und G-Aeolisch:

Audio Samples
0:00
Playback 2

In Funk- und Soulmusik finden wir häufig Mollgrooves mit großer Sexte, z.B. Moll7/13 Akkorde oder Moll7-Moll6 Wendungen. Betrachten wir unsere obigen Stufenakkorde, stellen wir fest, dass es nur einen Modus gibt, der uns bei einem Mollakkord die große 13 liefert, den dorischen Modus, denn phrygisch und aeolisch besitzen ja eine b13. Und los gehts in G-dorisch.

Audio Samples
0:00
Playback 3

All das gilt natürlich auch für alle anderen Kirchentonarten z.B., wenn ein Groove über G7 läuft, dann bleibt mir nur der Mixolydische-Modus, da ionisch und lydisch ja eine maj7 beeinhalten. Alle bisherigen Beispiele waren modal gehalten, d.h., es wurde längere Zeit über einem feststehenden Akkord improvisiert – eine Situation, wie sie häufig bei Jamsessions vorkommt. Aber wie sieht es mit kompletten Akkordfolgen aus?
Auch Kadenzen, die ja aus mehreren Akkorden bestehen, können mir einen Modus “aufzwingen”, da es eben auch modale Kadenzen gibt (habe ich eigentlich schon den Workshop von Aggi Berger erwähnt?).
Betrachten wir die folgende Akkordfolge:

Audio Samples
0:00
Playback 4

Na, erkennen Sie die Melodie?
II: D I C I G I G/B C :II
Auf den ersten Blick könnte man meinen, es handele sich um ein Stück in D-Dur. Das tut es auch, nur eben nicht in ionischem Dur, denn wenn wir uns die Stufenakkorde von D anschauen, erhalten wir:
D Em F#m G A Bm C#o
Das C lässt sich also nicht mit unseren diatonischen Akkorden in Einklang bringen, also müssen wir uns fragen, in welcher Tonart uns D, C und G begegnen. Wie wir wissen, finden sich Durakkorde auf den Stufen I, IV und V – demnach muss es sich hier um Akkorde aus der G-Dur Tonleiter handeln, die folgende Stufenakkorde besitzt:
G Am Bm C D Em F#o
Die Progression beginnt also mit der V. Stufe der G-Dur Tonleiter oder, wie man so schön sagt, ist auf der V. Stufe “zentriert”. Die Tonleiter ab der Stufe V hört auf den Namen “mixolydisch” – demnach handelt es also um eine Akkordfolge in D-mixolydisch und unser Tonmaterial rekrutiert sich aus den Tönen der G Durtonleiter.
Ein anderes Beispiel – Carlos Santana lässt grüßen:

Audio Samples
0:00
Playback 5

Die Akkordfolge lautet:
II: Am7 I D7 :II
Auch hier muss unsere Frage wieder lauten: In welcher Tonart begegnen uns ein Am7 und ein D7-Akkord?
Probieren wir die Möglichkeiten mal durch. Wir hätten zur Auswahl:
1. Am7 ist die sechste Stufe und demnach aeolisches Moll – dann wären wir in C-Dur und hätten auf der zweiten Stufe ein Dm7, also fällt diese Möglichkeit aus
2. .Am7 ist eine dritte Stufe und phrygisch – hier wären wir in F-Dur und hätten ebenfalls ein Dm7 auf der sechsten Stufe – das kann auch nicht sein.
3. Am7 ist eine dorische zweite Stufe und entstammt der G Durtonleiter, dort hätten wir auf Stufe V ein D7 – das passt!
Ergo haben wir es hier mit einer lupenreinen A dorischen Kadenz zu tun.
Noch ein letztes Beispiel mit folgender Akkordfolge:
II: C I D/C I G/B I Em Em/D :II

Audio Samples
0:00
Playback 6

In dieser Akkordfolge erkennen wir essentiell vier Akkorde: G, C, D und Em, allerdings zentriert auf dem C-Dur Akkord, den wir als unseren Tonika-Akkord wahrnehmen.Die obigen Akkorde können wir nur in einer Tonart finden, nämlich in G-Dur.Da wir aber die Zentrierung auf der vierten Stufe von G, also C-Dur, vorfinden, muss es sich um eine Kadenz in C-lydisch handeln, also um das Tonmaterial aus G-Dur von C gespielt.

ÜBUNGEN
Zum Abschluss dieser Folge möchte ich euch noch ein paar Übungsaufgaben präsentieren, um die Modi zu festigen:
1. Benenne die Kirchentonleitern von A-Dur

2. Aus welchen Tönen besteht: a) D-phrygisch b) E-dorisch c) G-lokrisch

3. Wie heißen die Ursprungstonleitern der folgenden Modi: a) G-mixolydisch b) B-aeolisch c) E-lydisch

4. Welchem Modus entstammt folgende Akkordfolge: II: Am I Bb/A I Gm I Am :II

Die Antworten warten auf der “nächsten” Seite!

Kommentieren
Profilbild von Martin

Martin sagt:

#1 - 22.03.2022 um 14:45 Uhr

0

Vielen Dank für die Übersicht und Eure Arbeit

Profilbild von Tom

Tom sagt:

#2 - 05.04.2023 um 13:59 Uhr

1

Hallo, wie so viele Beschreibungen der Modi finde ich auch dieser hier nicht eindeutig und damit schwer verständlich. Beispiel: Und so ist es auch, wir können über den Dm-Akkord die C-Durtonleiter von D – D spielen und erhalten eine weitere Kirchentonleiter bzw. einen anderen “Modus”. Und das ist die Unsauberkeit: Man nicht die C-Dur Tonleiter, sondern die Struktur(Modu) der C-Durtonleiter ab dem D der C-Durtonleiter. In G(anz) und H(albtönen) ausgedrückt also folgende Abstände: GHGGGGHG. Sie wie ihr das beschreibt kann man es erneut verwechseln und die C-Dur Tonleiter ab dem D in der C-Dur Struktur (Modus) also erneut GGHGGGGH spielen. Schade es man nirgends ein sauberes Beispiel findet. Ebenso wird nicht erklärt, warum man das überhaupt machen sollte oder will. Wenn ich zum Beispiel wissen will, was G-dorisch ist, suche ich mir die Tonleiter, bei der G die zweite Stufe ist. Tja, genau, aber warum will ich das denn überhaupt wissen. Fragen über Fragen für die Leute die sich mit dem Thema auseinandersetzen aber noch nicht firm sind. Viele Grüße

Profilbild von Tom

Tom sagt:

#3 - 05.04.2023 um 14:14 Uhr

0

Leider in G jeweils zu viel drin: aus GGHGGGH wird GHGGGHG Das auf G angewandt gibt G-dorisch.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.