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MIDI 2.0 kommt! Was ändert sich?

MIDI 2.0? Ich habe vor vielen Jahren am SAE Institute das MIDI-Protokoll unterrichtet und mich bei einer großen Zahl Studenten mit LSB/MSB-Aufbau von Pitch Bend, dem Wechselspiel von Program Change und Bank Select, SysEx Dump, Non-Registered-Parameter-Numbers, dem Running Status, den verschiedenen Aufgaben von MIDI Clock/SPP und MTC und dergleichen streckenweise reichlich unbeliebt gemacht (Sorry, Leute!). Und mindestens einmal habe ich zunächst erklärt, dass der MIDI-Standard in Version 1.0 aus den frühen 1980er Jahren stammt und daraufhin die Frage gestellt, bei welcher Versionsnummer wir wohl mittlerweile seien. Die richtige Antwort lautete immer „1.0“. Bislang. 

MIDI_2_0_neue_MIDI_Version

Inhalte
  1. Von MIDI 1.0 zu MIDI 2.0
  2. Erweiterte MIDI-Messages in MIDI 2.0
  3. Neue MIDI-Messages in MIDI 2.0
  4. Direkt zum Überblick über die wichtigsten Fakten zu MIDI 2.0

MIDI 1.0: technisch anachronistisch, aber weltweiter, preiswerter Standard

Wer sich ein wenig mit MIDI auseinandergesetzt hat, weiß, dass das Protokoll, dass damals festgelegt wurde, über Jahrzehnte annähernd unverändert blieb. Gut, einige Details sind durch Nichtgebrauch fast ausgestorben, andere haben sich aus der Not entwickelt (Bank Select ist ein populäres Beispiel) oder sind dann doch dazugekommen (Standard MIDI File), aber dennoch arbeitet man seit 1983 mit einer Hardware und einer Sprache, die damals schon alles andere als die Speerspitze des technologisch Möglichen war. Im Gegenteil: Es wurde etwas genommen, was für die Hersteller und User damals schon so preiswert war, dass man sich gar nicht erst fragen musste, ob man ein prinzipiell MIDI-fähiges Gerät damit ausstattet oder nicht, oder sogar an unterschiedliche Versionen („mit MIDI: 799 Dollar, ohne MIDI: 599 Dollar“) denkt. So schafft man weltweite Standards.

Gut, die ursprüngliche Datenübertragungsrate von 31250 Bit/s bedeutet, dass man im Empfangsgerät jedem ankommenden Bit eine persönliche Wilkommensfeier mit Sektempfang, Blumenkranz und kurzer Dankesrede bereiten könnte. Jeder, der einmal versucht hat, ein viertaktiges Drumloop per Sample Dump an einen Hardware-Sampler zu übertragen, kann nachvollziehen, dass bei manch einer Zigarettenpause eine halbe Packung draufgegangen ist. Oder man anschließend vergessen hat, was man mit dem Material überhaupt wollte. Es zeigt sich aber: Es geht bei MIDI 2.0 nicht um Geschwindigkeit, es geht um Auflösung und um Bedienbarkeit.

MIDI 1.0 ist ein weit verbreiteter Standard. Kommen mit MIDI 2.0 jetzt Kompliziertheit, Kompatibilitätsprobleme und andere Katastrophen? Voraussichtlich nicht. (Im Bild: MIDI In und MIDI Out sowie MIDI-over-USB-Buchse eines analogen Synthesizers.)
MIDI 1.0 ist ein weit verbreiteter Standard. Kommen mit MIDI 2.0 jetzt Kompliziertheit, Kompatibilitätsprobleme und andere Katastrophen? Voraussichtlich nicht. (Im Bild: MIDI In und MIDI Out sowie MIDI-over-USB-Buchse eines analogen Synthesizers.)

MIDI 2.0 schon länger angekündigt – aber jetzt wird’s ernst

Dass MIDI 2.0 kommen wird, ist nun schon seit einiger Zeit bekannt. Im Januar (2019) wurde von der MMA (MIDI Manufacturer’s Association, USA) und der AMEI (Association of Music Electronics Industry, Japan) auf der NAMM 2019 in Anaheim/Kalifornien bekanntgegeben, dass die sogenannte „MIDI Capability Inquiry“ (MIDI-CI) final verabschiedet wurde. Nun sind nicht nur Einblicke möglich, sondern konkret die Fähigkeiten des zukünftigen Standards abgesteckt.

Die wichtigste Information: MIDI 2.0 ist voll abwärtskompatibel zu MIDI 1.0

MIDI ist nicht zuletzt deswegen so zaghaft weiterentwickelt worden, weil im Laufe der Jahre und Jahrzehnte hunderttausende, wahrscheinlich sogar Millionen von Geräten mit dieser beliebten, einfachen und preiswerten Schnittstelle produziert wurden. Diese nun in die Zweitklassigkeit zu verbannen, wäre für die User, die nicht selten über einen ganzen Fuhrpark an MIDI-Equipment verfügen, ein Schlag ins Gesicht. MIDI 2.0 setzt daher auf volle Abwärtskompatibilität. Schon in der vor einigen Monaten zuerst veröffentlichten MIDI-CI wurde der „Fall-Back-Mechanismus“ genannt, mit dem im Zweifel einfach „auf alt“ geschaltet wird.

Gitarreneffektgerät mit MIDI-Ports: MIDI ist allgegenwärtig.
Gitarreneffektgerät mit MIDI-Ports: MIDI ist allgegenwärtig.

Redet miteinander! MIDI 2.0 ist bidirektional.

Der alte „Dump Request“ war ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Ich korrigiere: in beide Richtungen. Denn schließlich war MIDI im Grundprinzip unidirektional, was so viel bedeutet wie, dass dem Sender schlichtweg egal ist, ob seine Nachrichten überhaupt ankommen und verstanden werden. Oder ob der Empfänger überhaupt angeschaltet ist. Oder überhaupt existiert. MIDI 2.0 ist bidirektional. Dadurch ist es möglich, sogenannte MIDI Negotiations durchzuführen. Praktisch, wenn die miteinander verbundenen Geräte bei einem Handshake und kleinem Plausch etwas über ihre Fähigkeiten, Möglichkeiten, Aufgaben und Einstellungen austauschen kann. Im einfachsten Fall wird eine Konversation so geführt: „Hey, ich bin MIDI-Gerät XYZ und kann MIDI 2.0. Sprichst Du auch 2.0?“ – Stille – „Hallo?“ – Stille – „Ok, dann sende ich einfach mal nach MIDI 1.0, das verstehst Du sicherlich.“. In Wirklichkeit ist es natürlich etwas komplizierter …
MIDI 2.0 arbeitet dann nach einer Prioritätsliste und unterteilt Devices nach „Authority Level“. Die aktuell höchste Stufe kann ein „MIDI Node Server“ besitzen, das ist ein Computer mit einer DAW. Verständlich, dass 2019 die Workstation der „Boss“ ist. Recht weit unten finden sich beispielsweise Arpeggiatoren und MIDI-Transporthardware.
Wer sich übrigens dafür interessiert: Die Negotiations starten über das SysEx-Protokoll und unterliegen demnach dessen Eigenschaften ($F0 als Statusbyte, Universal SysEx, unbegrenzte Datenbytes, $F7 als EOX).

Haufenweise praktische Neuerungen für den User mit MIDI 2.0

Einigen sich zwei Geräte auf bidirektionale Kommunikation und MIDI 2.0 und sind Profile ausgetauscht, stehen eine Reihe Neuerungen zur Verfügung, die sich wie die Erfüllung jahrelanger Wünsche lesen.
Ein neues Gerät kann sich in einem Verbund also selbst vorstellen. Super, wenn man ein neues Gerät kauft und es sofort allen anderen mitteilt, was es ist, wie es editiert wird, wo welche Sounds zu finden sind, wie welcher Regler belegt werden können und noch viel mehr. Dem Controller kann ohne Umstände mitgeteilt werden, was er auf seinen Reglerdisplays anzeigen soll? Praktisch!

MIDI-Messages enhanced

Folgende Erweiterungen der bestehenden Messages sind festgeschrieben:

MIDI 1.0MIDI 2.0
Channels16256 (je 16 in 16 Gruppen)
gruppenintern entweder MIDI 1.0 oder 2.0
Message TypesChannel MessagesExtended Channel Messages
Note-On-Velocity7 Bit (1 DB)16 Bit
Pitch Bend14 Bit (2 DBs)16 Bit
Monophonic Aftertouch7 Bit (1 DB)32 Bit
Polyphonic Aftertouch7 Bit (1 DB)32 Bit
Control-Changes7 Bit (1 DB)32 Bit
SysEx-RPNs14 Bit32 Bit
SysEx-NRPNs14 Bit32 Bit

Wer sich also bei langsamen Parameter-Bewegungen mit hoher Range immer schon über die hörbaren Abstufungen ärgerte, oder per Note-On-Velocity den richtigen Wert um die Maskierungsschwelle einer Cowbell nicht hinbekommen hat, der dürfte jetzt erleichtert aufatmen können.

Neue MIDI-Messages in MIDI 2.0

Es gibt auch Neuerungen, die vor allem dem Umstand geschuldet sind, dass Musikproduktion heute anders läuft als vor ein paar Jahrzehnten. Das Zauberwort lautet „per note“, denn aufgrund der mittlerweile sehr komplexen Libraries gerade im Bereich der akustischen Instrumente, ist deutlich, dass man mit den bislang beim Note-On zur Verfügung stehenden Datenübertragungen (das sind ja nur die Note Number und Note-On-Velocity in den beiden Datenbytes!) nicht weit genug kommt. Man denke nur an die mannigfaltigen Artikulationsmöglichkeiten einer Violine – und die müssen zu Beginn des Klanges schon feststehen.  

MIDI 1.0MIDI 2.0
Artikulationstypen8 Bit
Artikulationsdaten8 Bit
Per-Note Pitch Bend32 Bit
Registered Per-Note-Controller32 Bit
Non-Registered-(Assignable-)Per-Note-Controller32 Bit

MIDI-2.0-Hardware ist weiterhin 5pin DIN oder USB

Glasfaserkabel? Ethernet? Bluetooth? Wi-Fi? Nix da: Es wird weiterhin die Stecker-Buchsennorm verwendet, die in den 1980ern an vielen Hi-Fi-Geräten zu finden war: 5-Pol DIN! Auch die 5V/5mA-Übertragung mit galvanischer Trennung durch Optokoppler am Eingang bleibt bestehen. Aber MIDI ist über die Jahre auch vermehrt über andere Kanäle versendet worden. Größte Bekanntheit und Verbreitung hat sicherlich MIDI-over-USB, was sich viele Klangerzeuger, aber auch Inputsysteme wie Keyboards und Controller zu Eigen machen. Und MIDI-to-Ethernet-Driver und Wireless-Systeme verbieten sich ja nicht durch einen erweiterten Datensatz.

Bewährtes bleibt: Auch MIDI 2.0 benutzt die bewährte (aber auch manchmal verfluchte) Hardware.
Bewährtes bleibt: Auch MIDI 2.0 benutzt die bewährte (aber auch manchmal verfluchte) Hardware.

Eine Sache bleibt mit MIDI-2.0 wohl doch auf der Strecke

Eine lieb gewonnene Möglichkeit von MIDI schafft den Sprung zu MIDI 2.0 wahrscheinlich doch nicht ganz ohne Blessuren: MIDI Thru, als Buchse bei neueren Geräten sowieso immer seltener zu finden, kann im Rahmen von Bidirektionalität nicht mehr genutzt werden. Das hat Hardware-Gründe, denn beim klassischen MIDI-Trio wurde das Thru-Signal direkt hinter dem Optokoppler des MIDI In abgegriffen und mit 5 Volt auf die Reise geschickt. Kein Refresh, kein Verändern – und keine zusätzliche Latenz. Allerdings kann ja immer noch das Studiorack mit den vielen Multieffektgeräten, die dann und wann einen Program-Change erhalten und einen Controller umsetzen sollen, in einer MIDI-1.0-Gruppe organisiert werden.  

Ruhig Blut – bis MIDI 2.0 richtig ankommt, dauert es noch ein wenig

Bis MIDI 2.0 eine große Rolle spielt, wird es wohl doch noch etwas dauern. Noch sind keine entsprechenden Geräte auf dem Markt, das soll sich aber im Laufe des Jahres 2019 ändern. Aber selbst dann: Frühestens, wenn man ein zweites MIDI-2.0-fähiges Gerät sein Eigen nennt, kann man wirklich profitieren. Vielleicht zeigen einige Hersteller ja echte Kundenfreundlichkeit und versuchen sich an “Retro-Fitting”, also der nachträglichen Implementierung von MIDI 2.0. Wenn die Hardware gleich bleibt, sollte das ja gehen…
Dann werden die Softwarehersteller eine wichtige Rolle spielen, denn der Dreh- und Angelpunkt wird fast immer die DAW sein. Und die MIDI-2.0-Implementierung klingt doch sehr nach etwas, das in einem Major Update stattfindet…  

Die wichtigsten Fakten zu MIDI 2.0 im Überblick:

Was sind die wichtigsten Neuerungen für MIDI 2.0? Was ändert sich mit MIDI 2.0?

  • Die Auflösung von Spielhilfen wie Controller wird mit MIDI 2.0 auf meist 32 Bit vergrößert.
  • Es gibt notenspezifische Artikulationen in hoher Auflösung.
  • Anzahl Kanäle erweitert: MIDI 2.0 bietet 256 MIDI Channels.
  • MIDI 2.0 ist bidirektional.
  • Geräte können Profile, Eigenschaften und dergleichen automatisch austauschen.

Ist MIDI 2.0 abwärtskompatibel? Worauf muss ich achten, wenn ich “alte” MIDI-1.0-Geräte habe?

  • Ja, MIDI 2.0 soll voll kompatibel zum alten Standard MIDI 1.0 sein.
  • Altes Equipment kann weiterverwendet und wie bislang eingebunden werden.

Gibt es schon Geräte mit MIDI 2.0 im Handel zu kaufen?

  • Nein, noch sind keine Geräte erhältlich, aber voraussichtlich im Laufe des Jahres 2019.
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BadTicket sagt:

#1 - 06.02.2019 um 07:52 Uhr

0

Danke für den tollen Bericht!

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