Reeperbahn rewound

Die Reeperbahn – weit über die Grenzen Hamburgs hinaus bekannt. Jeden September mischen sich tausende Konzertbesucher unter das illustre Feiervolk und sorgen für verstopfte Gehsteige auf der sündigen Meile. Von Avantgarde-Pop, Moscow Mule aus der Dose und Gleichberechtigung. 

Foto: Robin Schmiedebach
Foto: Robin Schmiedebach

Als „progressiver Musik-Marktplatz” für internationale Talente sieht sich das Festival und bot in diesem Sinne zahlreiche Bühnen für Konzerte, Konferenzveranstaltungen und weitere Programmpunkte. Wer solch ein Festival effizient ausnutzen möchte, muss gute Vorarbeit leisten. Aus der Vielzahl an angekündigten Acts und Veranstaltungen gilt es, die Favoriten herauszufiltern und diese anschließend am Performancetag auf die smarteste Weise zu verbinden. Was am Mittwoch, dem Auftakttag, noch gut gelingen mag, gestaltet sich mit fortschreitendem Festival und proportional dazu wachsenden Besucherzahlen als wahre Schwierigkeit. Wie schön, dass eine derartige Plattform für die Förderung junger Talente und Vielfältigkeit solch starken Zulauf erfährt – resignierte Besucher, die jedoch nach langem Schlangenwarten vor der Clubtür wegen Überfüllung abgewiesen werden, werden indes dieses Konzept im nächsten Jahr vermutlich nicht weiter unterstützen. Dank sei dabei der wunderbaren Clubdichte St. Paulis geschuldet, die immerhin das zufällige in-den-nächsten-Club-Stolpern-und-unerwartete-Künstler-entdecken ermöglicht. 

Am Samstag drängten sich unzählige Sonnenanbeter auf dem Spielbudenplatz. Foto: Michael Rathmayr
Am Samstag drängten sich unzählige Sonnenanbeter auf dem Spielbudenplatz. Foto: Michael Rathmayr

Im Nachhinein vermengen sich die Eindrücke des Festivals zu einem Wirbel aus bunten Bühnenscheinwerfern, Musikfetzen an allen Ecken und Enden, Sonnenstrahlen auf dem Spielbudenplatz, Besuchen beim Stammkiosk und bestuhlten Hotelsuiten. Die Eindrücke sind unwiderruflich miteinander verknüpft. Ein Versuch, Ordnung in diesen Strudel zu bekommen:  
Konzerthighlights  
Mira Lu Kovacs Stimme schwebt über treibenden Drums, tanzenden Synths und wabernden Musikschwaden. Wer sich gänzlich in der Musik verlieren möchte, die Töne fühlen will, einen musikalischen Raum zu betreten gewillt ist, der fühlt sich wohl im Publikum der österreichischen Art-Pop-Band 5K HD. Im wohligen Umfeld des Indras lud die Gruppe zum Fallen lassen ein und beförderte die Zuhörer in eine Parallelwelt fernab dem hektischen Trubel der Großen Freiheit.

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Wer bei YĪN YĪN an den asiatischen Kulturraum denkt, liegt nicht ganz falsch, denn der Sound der Band erinnert, zwischen psychedelischen und funky Tunes, an asiatische Folklore. Wer bei YĪN YĪN an den asiatischen Kulturraum denkt, liegt aber auch nicht ganz richtig, denn das Duo, bestehend aus Kees Becker und Yves Lennertz, stammt aus den Niederlanden. Die beiden überzeugen mit ihren lässigen, meist instrumentalen Songs, bringen die Menge im überfüllten Molotow zum tanzen. 

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Wer auf jazzige Gitarrensounds und souligen Gesang steht, dem hätten die 50 Minuten mit Oscar Jerome im Mondoo das Herz höher schlagen lassen. Der Londoner groovte sich mit seiner Band in die Herzen und Beine der Zuhörer. Harte Kost für Nicht-Jazz-Afficionados, aber umso mehr Freude für alle anderen. Spätestens beim Einsetzen des Saxofons kann die Band nicht mehr egal sein.

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Allie Neumann scheint für die Bühne geboren zu sein. Wer so extrovertiert über die Bretter tanzt und derart in der Bewunderung der Besucher badet, hebt die eigene Performance auf das nächste Level. Mit gewaltiger Stimmkraft behandelt sie das ewige Thema der Liebe in all ihren Formen und Facetten. Deutscher Pop, der aber so gar nicht gleichförmig und langweilig klingen mag. 

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Sam Vance-Law ist kein unbekannter mehr in der hiesigen Pop-Landschaft, heimste er doch bereits 2018 Jubel für sein Debütalbum Homotopia ein, auf dem er „von den Wonnen und Widrigkeiten der gleichgeschlechtlichen Liebe” (Zeit) singt. Auf der Bühne des Knust glänzt der mittlerweile in Berlin residierende Kanadier mit trockenem, selbst-ironischem Humor und ungelenk doch ambitionierten Tanzeinlagen. Seine feinfühlig arrangierte Musik lullt ein, ganz leicht legt sie sich wie warmer Nebel um die Zuhörer und setzt die Glückshormone frei.

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Die Causa Bausa
Kurz vor Beginn des Festivals die schlechte Neuigkeit: Foals müssen ihren Auftritt im Rahmen der Warner Music Night wegen eines „unerfreulichen Haushaltsunfall mit einem Messer” (Warner) von Yannis Phillippakis, seines Zeichens Leadsänger und Gitarrist der Indie Rock Band, absagen. Der als „mehr als würdige” (Warner) angekündigte Ersatz stellte sich am Folgetag als der Deutschrapper Bausa heraus – und sorgte für Kontroversen. Denn der Künstler aus dem Neckartal, der 2017 mit seinem Hit Was du Liebe nennst berühmt wurde, wird wegen sexistischen und frauenverachtenden Texten kritisiert. Dass Menschen überrascht reagieren, wenn einem solchen Musiker auf einem Festival, das sich für Empowerment von Frauen in der Musikindustrie stark macht, eine derart große Bühne eingeräumt wird, ist verständlich. Das Reeperbahnfestival-Team reagierte darauf mit einem offiziellen Statement, in dem sie klarstellen, nicht an dieser Entscheidung beteiligt gewesen zu sein und ordnen den Auftritt Bausas unmissverständlich als Fehler ein. Warner indes verteidigt die Entscheidung mit dem Argument der künstlerischen Freiheit.

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Keychange  
Im Rahmen des Konferenzprogramms präsentierte die Keychange-Initiative, welche für Geschlechtergerechtigkeit in der Musikbranche kämpft, ihren aktuellen Stand und Ziele. Die von der PRS Foundation ins Leben gerufene Initiative möchte eine nachhaltige Veränderung der Musiklandschaft bewirken. Das Reeperbahnfestival macht es vor und bucht Künstlerinnen wie Celeste, alyona alyona, Ebow oder My Ugly Clementine. Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Noch sind es ‚nur’ ca. 43% Frauenanteil auf dem Festival, ab 2022 soll aber die 50%-Marke erreicht sein. Die Künstlerinnen Peaches und Kate Nash sind sich einig: die Strukturen in der Industrie müssen sich grundlegend ändern, um allen Geschlechtern gleiche Chancen zu ermöglichen. Denn „female” ist kein Genre.

Kate Nash und Peaches im Gespräch mit Puja Patel (Pitchfork Magazine). Foto: Michael Rathmayr
Kate Nash und Peaches im Gespräch mit Puja Patel (Pitchfork Magazine). Foto: Michael Rathmayr

Awards
Auch auf dem diesjährigen Reeperbahn Festival wurden wieder eine Reihe von Awards vergeben. Allen voran der Anchor Award, welcher als „internationales Prädikat für aufstrebende Musik-Talente” gelten soll. Die Ehre des Preises wurde der ukrainischen Rapperin und Produzentin alyona alyona zuteil. Sie gilt als erste auf ukrainisch rappende Künstlerin, welche ein breites ausländisches Publikum erreicht und wurde dafür auch von der New York Times auf die Liste der 15 wichtigsten europäischen Talente 2019 gesetzt. Alyona Sawranek, wie sie mit bürgerlichem Namen heißt, provoziert mit ihrer Musik und stellt Geschlechterklischees in Frage. Vor nicht einmal einem Jahr veröffentlichte sie ihr erstes Video, Ribki („Fischlein”), auf YouTube. Heute zählt es zwei Millionen Aufrufe. 

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Der HELGA! Festival Award zeichnet in sechs Kategorien die bestenFestivals Deutschlands aus. Erstmalig trug dieses Jahr neben dem Publikumsvoting auch eine Fachjury zur Entscheidungsfindung bei. Als Gewinner für das beste Festival ging das Open Flair Festival hervor.
(Feinstes Booking: Haldern Pop, Bestes Einbeziehen: Zurück zu den Wurzeln Festival, Größtes Glück für den kleinsten Geldbeutel: WATT EN SCHLICK FEST, Bestes-Sich-Neu-Erfinden: Artlake Festival, Inspirierendste Festival-Idee: alínæ lumr)  
Der International Music Journalism Award zeichnet musikjournalistische Arbeiten aus dem deutschen, englischen und französischen Sprachraum aus. Im Rahmen der Förderung einer nachhaltigen künstlerischen Entwicklung ist der Preis als Beitrag für den Erhalt kritischer Berichterstattung über eben jenes Schaffen gedacht.
(bester Musikbusinessjournalist: Jon Chapple. Beste MusikjournalistInnen: Juliane Liebert (deutsch), Vivienne Goldman (englisch), Adrien Duran (französisch). Beste musikjournalistische Arbeiten: Aida Baghernejad (Text, deutsch), Joshi Hardik (Text, englisch), Robin Coeur (Text, französisch), Jan Kawelke & Vassily Golod (Audio, deutsch), Jake Brennan (Audio, englisch), Isabel Röttger & Michael Kutscher (Multimedia, deutsch), Various Journalists für beehy.pe (Multimedia, englisch). Beste musikjournalistische Arbeit unter 30 Jahren (deutsch): Lina Burghausen, Malcolm Ohanwe, Johann Voigt.)

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Für die Würdigung gelungener Soundscape-Projekte wurde der International Sound Award an Projekte aus acht unterschiedlichen Ländern vergeben. Zwei herausragende Projekte wurden mit dem „Grand Prix” ausgezeichnet: Das Axel Springer Audio Branding „why do birds” (Deutschland) sowie das Soundscape Design für das Helsinki New Children’s Hospital der Aalto University (Finnland). 
(Social & Culture: CyMacig, Magic Helling (Israel), Product: dearVR SPATIA CNNECT, Der Reality GmbH (Deutschland), Audio Branding: ICT – The Sound of Costa Rica, Publimark Mullen Lowe (Costa Rica), Social & Culture: Infusion Rocks! Music for all, Handiclapped – Kultur Barrierefrei e.V. (Deutschland), Social & Culture: Loopfree, (UK), Soundscapes & Ambient Sound: Sound of Sielende, Idee und Klang GmbH (Schweiz), Universal Design: Swedbank Soundscaping, Leiter Ljuddesign AB (Schweden), Services and Sound-startups: Weav Music: Music Evolved, Weav Music Inc. (USA).  
Der Verband unabhängiger Musikunternehmen zeichnet mit den VIA Indie Awards, laut eigener Angabe, „herausragende Talente aufgrund von Qualität und Neuartigkeit aus und zwar unabhängig vom kommerziellen Erfolg”. Alice Merton, berühmt durch ihren Hit No Roots wurde als beste Newcomerin ausgezeichnet. Dem Geist der Zeit widmete sich Holly Herndon: mit der eigens entwickelten künstlichen Intelligenz Spawn produzierte sie den Track Godmother, für den sie, wie auch Nik Nowak für seine Klangskulptur The Mantis in der Kategorie „bestes Experiment” ausgezeichnet wurde.
(Bestes Label: Grönland Records. Bester Act: Apparat. Bestes Album: Mea Culpa (Bilderbuch). Sonderpreis für besondere Verdienste: Matthias Hornschuh.)

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Acta est fabula, plaudite!
Auf der Reeperbahn, dort wo sich Glanz und Elend erst im Morgengrauen Gute Nacht sagen, ist Vielseitigkeit Programm. Das Festival reiht sich ein, besticht indes 2019 nicht mit einem derart umfassenden Booking, wie es die Gewohnheit aus den Jahren zuvor verlangt. Dennoch bemüht sich das Festival, vor allem mit Veranstaltungen zu Nachhaltigkeit und Geschlechtergleichstellung, eine Diskussionsplattform für die Fragen der Gegenwart zu bieten.

Bist du eher der Technik-Freak oder doch der unbeirrte Mosher? Lerne hier alle elf typischen Konzertgänger kennen!

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