Das „Elvis-Mikrofon“ ist ein absoluter Klassiker: Country-, Blues- und Rock’n’Roll-Musiker, Entertainer wie Frank Sinatra, Politiker wie Harry S. Truman und John F. Kennedy, aber auch viele Radiosprecher und Reporter nutzten dynamische Mikrofone der Unidyne-55-Serie.
Handelt es sich um eine Antiquität? Sind Retro-Mikross nur etwas für Rückwärtsgewandte? Bestimmt nicht: Das dynamische Mikrofon und seine Erben sind heute noch sehr beliebt. So sieht man beispielsweise James Hetfield von Metallica oft in ein schwarzes Super 55 SE singen.
Späte Liebe zu Design und Sound
Ich muss gestehen, dass ich die 55er-Mikrofone lange Zeit verschmäht habe. Ich fand sie weder schön, noch konnte ich ihnen klanglich etwas abgewinnen. Das hat sich geändert. Der optische, aber auch der technische Reiz dieser Mikrofone ist enorm – und man muss sich ja nicht als Sänger damit auf die Bühne stellen: Auch als Alternative am Gitarrenverstärker, als Blechbläser-Mikrofon oder für sonstige Anwendungen kommt ein „Elvis“ in Frage.
Sieben Retro-Mikrofone im Praxistest
Die drei aktuell verfügbaren Shure-Mikrofonmodelle habe ich zum Test kommen lassen, zudem einige Mikros, die das klassische Design mehr oder weniger originalgetreu umsetzen. Zum Vergleichstest sind aufgelaufen: 55SH II, Super 55 und Unidyne 5575 LE von Shure, das t.bone GM 55 und die etwas freier interpretierenden Mikrofone Superlux WH5, das doch recht spezielle Out Of The Blue Shower Head und The Fin von Talkbox-Erfinder Heil Sound. Doch zunächst möchte ich kurz ein paar allgemeine Infos mit dem Fallschirm über euch abwerfen:
Kleine Geschichtsstunde der Unidyne-Mikrofone
Ein historischer Abriss, der im Jahr 1939 beginnt, verheißt eigentlich keine lockere Unterhaltung. Wenn es um Mikros geht, sieht das anders aus. Anders als Deutschland sind die USA nicht das Land der Kondensatormikrofone, sondern des dynamischen Prinzips. In Amerika verbreitete Bändchenmikrofone sind dynamisch, sind aber als nicht besonders robust bekannt. Außerdem haben sie fast immer die Richtcharakteristik Acht, sind also für Schall von der Rückseite genauso empfindlich wie für frontal einfallenden. Richtwirkung wurde meist durch die Kombination eines Bändchens mit einem Druckempfänger erzeugt, der immer eine Kugelcharakteristik aufweist. Das Western Electric Model 639 ist das sicherlich bekannteste unter ihnen, auch die Abbey Road Studios nutzten sie lange. Das 639 hat übrigens eine Form, an die Shures Design von 1939 deutlich erinnert – nur der charakteristische Grill des Shure 55 wurde inspiriert vom Kühlergrill eines PKW(!). Pate stand der Oldsmobile 1937.
Gehäuse: schön, aber mit „Eigenarten“
Heute würde man das Gehäuse sicher anders bauen, denn die Beugungseffekte des abgerundeten Rückens, besonders aber die Interferenzen durch das grobe Gitter mit seinen konstanten Öffnungsgrößen sorgen für akustische Artefakte. Deswegen sieht man heute bei Mikrofonen eigentlich kaum noch Gitter (eine Ausnahme ist beispielsweise Horch RM3) und es sogar Modifikationen gibt, wie etwa von Syrinx. Ebenfalls auf das Konto des Housings geht die generell recht schwache Rückkopplungssicherheit (obwohl bei Erscheinen der Mikrofone genau damit geworben wurde!), auch die Anfälligkeit für Poppgeräusche ist deutlich höher als bei moderneren Designs.
Shure Unidyne 55S – das Baby
Das ursprüngliche Unidyne-55-Gehäuse, auch „Fatboy“ gehänselt, bekam etwas später einen kleineren Gesellen zur Seite gestellt, das „Baby Unidyne“ 55S, welches heute das sicher bekannteste ist. Allerdings weiß man bei Shure sicher um das Erbe, so gibt es momentan den zum zum 75. Jubiläum wieder aufgelegten Riesenklotz in einer Limited Edition zu kaufen. Folgerichtig heißt es Unidyne 5575 und ist auf 5575 Stück limitiert. Unter den vielen kleineren Änderungen, vor allem der S-(„Small-“)Versionen, fand man auffällige wie das Hinzukommen eines On-/Off-Switches, den Wegfall von Impedanzumschaltungen und verschiedenfarbige Schaumstoffe. Den wichtigsten Punkt markiert sicherlich das 2009 erschienene Super 55, welches mit der Superniere eine stärkere Richtwirkung besitzt.
Turner & Co.: Raketenmikrofone
Natürlich bleibt ein derart langfristiger Erfolg von anderen Herstellern nicht unbeachtet. So gibt es mittlerweile einige, die Mikrofone mit ähnlichem Aussehen und Einsatzgebiet auf den Markt gebracht haben, teils mit deutlichen Variationen des Themas. Und Art-Deco-Design bei Mikrofonen ist natürlich keine Erfindung von Shure – wer ein wenig stöbert, wird die abgefahrensten Formen von Mikrofonen finden. „The Fin“ von Heil Sound ist da noch gemäßigt, es gab vor allem in den Fünfzigerjahren „modernere“ Designs, zum Teil mit „Raketen-Optik“. Naja, wer’s mag…
Aktuelle Mikros bei bonedo im Test
Aus dem heutigen Angebot sind hier nun Shure 55SH II, Shure Super 55, Shure Unidyne 5575 LE, t.bone GM 55, Superlux WH5, Out Of The Blue Shower Head und Heil Sound The Fin zum Test angetreten. Elvis Presley weilt schon lange nicht mehr unter den Lebenden (und hat im Laufe seiner Karriere auch auf andere Mikros zurückgegriffen, etwa das Shure SM53). Somit kommt der King nicht mehr in den Genuss dieses Testmarathons, bei dem ihr auch alle Mikros im direkten Vergleich anhören könnt! Viel Spaß beim Lesen, Hören – und ganz explizit auch beim Ansehen!
Der Koenig sagt:
#1 - 30.06.2015 um 15:48 Uhr
Geile Sache! Habe viel und gerne gelesen, gehoert – und einmal auch laut gleacht. ;-) Gut gemacht!