Was haben Künstler wie Jacob Collier, Bon Iver, Imogen Heap oder James Blake gemeinsam? Richtig – sie alle nutzen regelmäßig den Harmonizer-Effekt. Nicht nur aus der heutigen Musikwelt ist der Harmonizer-Effekt kaum mehr wegzudenken: Bereits in den 1970er Jahren setzten viele namhafte Künstler den damals bahnbrechenden Vocal-Effekt musikalisch ein. Doch was ist ein Harmonizer eigentlich und wie verwendet man den Effekt musikalisch?
Welche Software- und Hardware-Harmonizer gibt es und wie stellt man sie optimal ein? Auf all diese Fragen und noch viele weitere Aspekte gehen wir in diesem Workshop ausführlich ein und nehmen den beliebten Harmonizer-Effekt einmal ganz genau unter die Lupe.
Was ist ein Harmonizer-Effekt und was macht er?
Der Harmonizer-Effekt ist vor allem aus dem Bereich der Vocal-Effekte bekannt. Die häufigste Anwendung ist die Vervielfachung der Stimme durch Pitch-Shifting und die Erzeugung komplexer, mehrstimmiger Klänge. So kann ein Sänger beispielsweise einen Satzgesang mit beliebigen Intervallen simulieren. Dabei sind sowohl natürliche als auch völlig verfremdete Klänge möglich. Aber auch jedes andere Instrument kann mit einem Harmonizer bearbeitet werden – den Einsatzmöglichkeiten sind streng genommen kaum Grenzen gesetzt. In den letzten Jahren ist dieser Effekt durch den Einsatz einiger prominenter Musiker wieder sehr populär geworden.
Was bedeutet Pitch Shifting?
Der Harmonizer-Effekt verwendet das Eingangssignal und multipliziert es, um die künstlichen Stimmen zu erzeugen. Anschließend werden die einzelnen Signale um verschiedene Intervalle transponiert und zum Originalsignal addiert. Die Veränderung der Tonhöhe einzelner Signale wird daher auch als Pitch Shifting bezeichnet. Dem Nutzer stehen dann beispielsweise vorkonfigurierte Presets zur Verfügung, bei denen Stimmen sowohl oberhalb als auch unterhalb der gesungenen Tonhöhe hinzugefügt werden. Hochwertige Harmonizer können nicht nur falsch intonierte Töne korrigieren, sondern bieten auch entsprechende Veränderungen der Formantbereiche an. So klingt der künstliche Chor je nach Einstellung weiblicher oder männlicher. In der Mischung wirkt das sehr schön, wenn die Stimmen in ihrem Charakter unterschiedlich klingen.
Woher bezieht der Harmonizer seine Informationen über Tonarten und Skalen?
Harmonizer-Effekte gibt es in verschiedenen Ausführungen und Bauarten. Vokalharmonizer für Sänger kann man beispielsweise direkt an ein Mikrofonstativ montieren. Hier können die Einstellungen während des Auftritts über ein Display oder ein Bedienfeld vorgenommen werden. Für Gitarristen gibt es eine Vielzahl von Effektpedalen, die auf dem Boden montiert werden. Die entsprechenden Einstellungen wie Intervalle und Tonarten der Geräte müssen dann vor dem Einsatz am Gerät eingestellt werden. Einige Harmonizer-Effekte haben auch ein eingebautes Mikrofon und erkennen Musik und Tonarten aus dem akustischen Signal, beispielsweise einem Playback. Besonders hilfreich ist es, wenn der Harmonizer über einen MIDI-Eingang verfügt, denn in Kombination mit einem Keyboard kann man den Harmonizer-Effekt besonders gut einsetzen. In diesem Fall stehen die künstlichen Stimmen im Verhältnis zu den gespielten Tasten: Spielt man einen dreistimmigen Akkord, so wird das gesungene Signal dreistimmig in den gespielten Tonhöhen wiedergegeben.
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Die Geschichte des Harmonizer-Effekts
Wer war der erste Harmonizer?
1975 stellte der US-amerikanische Hersteller Eventide ein innovatives Effektgerät vor, das mit einem Eingang für ein externes Mikrofon ausgestattet war und die eingehenden Signale vervielfachte und transponierte. Diese Form eines rückgekoppelten Pitch Shifters war die Urform der heutigen Harmonizer-Effekte. Der legendäre Eventide Harmonizer H910 war zudem das erste digitale Effektgerät der Welt und kurz nach seinem Erscheinen auf unzähligen Alben von AC/DC bis Frank Zappa zu hören. Im Laufe seiner langen Studiokarriere wurde der Harmonizer-Effekt jedoch längst nicht mehr nur zur Simulation von Chorgesängen eingesetzt, sondern erwies sich als universelles Werkzeug zum „Andicken“ von Sounds aller Art, wie beispielsweise E-Gitarren oder Drums. Bis heute ist der Begriff Harmonizer übrigens eine geschützte Bezeichnung von Eventide. Er wird gerne mit Effekten wie dem Vocoder oder der Talkbox verwechselt, obwohl das Funktionsprinzip sich stark unterscheidet.
Welche Möglichkeiten bietet der Harmonizer?
Es gibt eine Vielzahl von Harmonizer-Effekten auf dem Markt, die von einfachen Intervallen bis hin zu komplexen Harmonien und anderen Modulationseffekten reichen. Sehr beliebt für Bass und Gitarre ist der einfache Octaver, der dem Signal eine Oktave nach oben oder unten hinzufügt. Sängerinnen und Sänger verwenden Harmonizer vor allem zur Simulation von Satzgesang. Dabei kann es wichtig sein, ob die simulierten zusätzlichen Stimmen weiblich oder eher männlich klingen sollen. Deshalb kann man bei den meisten Harmonizern die Formanten, also die spezifischen Klangeigenschaften der menschlichen Stimme, entsprechend dem gewünschten Klang einstellen. So kann man beispielsweise als männlicher Sänger live mit einem simulierten Backing-Chor aus weiblichen Stimmen auftreten. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Hard- und Softwareprodukten, die die Aufgaben des Harmonizer-Effekts zuverlässig erfüllen. Wir wollen einige davon vorstellen und zeigen, wie man sie am besten einsetzt.
Hardware Harmonizer-Effekte
Welche Hardware Harmonizer-Effekte gibt es?
Zoom V3
Der Zoom V3 Harmonizer-Effekt richtet sich speziell an Sänger:innen, die das Effektgerät direkt an einem Mikrofonstativ befestigen möchten. Neben der intuitiven Bedienung überzeugt der Zoom V3 durch seine gute Klangqualität.
Roland E-4 Voice Tweaker
Der Roland E-4 Voice Tweaker ist ein preisgünstiger Vocal-Effektprozessor, der neben Harmonizer-Effekten auch einen Vocoder-Effekt enthält.
TC-Helicon VoiceLive Play
Ein echter Klassiker unter den Harmonizer-Effekten ist der VoiceLive Play von TC-Helicon. Zahlreiche Harmony-Funktionen wie Doubler, Trio und weitere Chorvarianten mit männlichen und weiblichen Formanten sind hier zu finden. Dank des RoomSense-Mikrofons berechnet der Harmonizer-Effekt die passenden Stimmen, ohne dass vorher eine Tonart eingestellt werden muss.
Eventide H9000 Harmonizer
Der Eventide H9000 gehört zu den teuersten Harmonizern und ist eine Reminiszenz an den ersten kommerziellen Harmonizer H910.
Electro Harmonix POG2
Der POG von Electro Harmonix ist ein vielseitiger Harmonizer-Effekt. Er kann gut für Trompete, Gitarre und andere Instrumente verwendet werden.
Boss VE-500
Der Boss VE-500 ist ein vielfältig einsetzbarer Vocal-Effekt, der unter anderem auch einen Harmonizer enthält.
Roland VT-4
Neben Vocoder-Effekten bietet der Roland VT-4 auch zahlreiche Harmonizer-Effekte.
Die folgende Fotostrecke zeigt noch einmal alle Hardware-Harmonizer-Effekte, die in den vorangegangenen Abschnitten erwähnt wurden.
Weitere Hardware-Geräte mit Harmonizer-Effekten
Der Hersteller Eventide, mit dem alles begann, ist nach wie vor auf dem Markt aktiv und bietet verschiedene Harmonizer an. Der Eventide H9 Max wurde beispielsweise speziell für Gitarre und Bass entwickelt. Harmonizer-Effekte verstecken sich aber auch in vielen anderen Multieffektgeräten. Selbst in einigen Looper-Pedalen findet sich ein praktischer Harmonizer-Effekt, sowie zum Beispiel im Boss RC-505, der über zahlreiche Harmonizer-Funktionen verfügt.
Darüber hinaus bieten viele dieser Geräte weitere Vocal-Effekte wie Hall, Delay oder Autotune. Auch in vielen professionellen Digitalpianos und Entertainer-Keyboards wie dem Roland FP-E50 oder dem Korg Pa5X finden sich mittlerweile Harmonizer. Ein praktisches Feature für alle, die eine integrierte Lösung für schnelle Backing-Chöre suchen. Aber auch in größeren digitalen Mischpulten gehört ein vernünftiger Pitch Shifter mittlerweile zur Grundausstattung!
Software Harmonizer-Effekte
Welche Software-Harmonizer-Effekte gibt es?
Antares Harmony
Antares gehört seit jeher zu den Pionieren auf dem Gebiet der Harmonizer-Effekte. Mehrstimmige Chöre und synthetische Klänge sind mit dem Antares Harmony folglich mühelos zu realisieren.
Eventide H949
Das Eventide H949 Plugin bietet eine Emulation des legendären H949 Hardware Harmonizer-Effekts aus dem Jahr 1987.
Waves Harmony
Wer ein günstiges Plugin für Harmonizer-Effekte sucht, wird hier fündig. Waves Harmony bietet neben subtilen Tonhöhenkorrekturen auch vielseitige Einsatzmöglichkeiten für Backing-Chöre oder die Verfremdung verschiedener Signale.
Nectar 3 Harmony
Nectar 3 Harmony ist Teil des Nectar 3 Bundles von iZotope. Die Software wurde als „Vocal Harmonizer“ entwickelt und bietet bis zu acht Stimmen, die in Tonhöhe, Charakter und Panorama angepasst werden können.
Die folgende Fotostrecke zeigt noch einmal alle Software-Harmonizer-Effekte, die in den vorangegangenen Abschnitten erwähnt wurden.
Harmonizer-Effekte einsetzen
Wie setzt man Hardware Harmonizer-Effekte ein?
Bei den meisten Hardware-Harmonizern kann man eine Tonart/Tonleiter vorgegeben, nach der sich das Gerät beim Harmonisieren dann richtet. Wir verwenden hier den Boss Vocal Performer, denn dieser ist sehr intuitiv zu bedienen, was für den Live-Einsatz unabdingbar ist. In wenigen Sekunden gelangt man über das Display-Menü neben vielen anderen Funktionen in den „Double/Harmony“-Modus. Mit den Pfeiltasten am Gerät kann man dann im Handumdrehen Parameter wie Formanten und Obertöne verändern. Der Vocal Performer bietet zwei gleichzeitige Harmonietöne, deren Tonhöhe individuell eingestellt werden kann. Das wohl am häufigsten verwendete Intervall ist die Oktave, die sich neben dem Gesang aber auch hervorragend für andere Instrumente eignet. Auch das subtile Hinzufügen von künstlichen Stimmen ist eine gute Möglichkeit, um den Klang aufzuwerten.
Stimmungsvoll, aber auch etwas „cheesy“ wirken Terzen (+-3 Halbtöne). Ob kleine oder große Terzen erzeugt werden, hängt von der eingestellten Tonart ab und wird je nach Tonart automatisch angepasst.
Gerade bei rockigeren Gesangsparts erzeugen Terzen oft eine unerwünschte melancholische Stimmung. Verwenden wir deshalb im folgenden Beispiel die Quinte als neutrale Backing-Harmonie.
Der Vocal Performer kann diese drei Harmonien auch gleichzeitig erklingen lassen, wodurch ein dreistimmiger Satz entsteht. Natürlich klingt der errechnete Effekt anders, als wenn echte Sänger die Harmonien singen würden. Um den Unterschied zu verdeutlichen, hier ein Hörbeispiel.
Weitere Effekte in Kombination mit dem Harmonizer-Effekt
Wenn man auf künstlich erzeugte Harmonien angewiesen ist, kann ein Reverb oder Delay helfen, die Künstlichkeit zu kaschieren und das Ergebnis natürlicher klingen zu lassen. Aber auch andere Modulationseffekte wie Chorus und Flanger können den Klang verbessern. Sie erzeugen auch eine hörbare Trennung zwischen dem Direktsignal und den künstlichen Stimmen. Multieffektgeräte wie der Boss Vocal Performer verfügen ebenfalls über diese Effekte. Diese Tools wurden speziell für den Live-Einsatz entwickelt und müssen neben einem guten Klang auch möglichst einfach zu bedienen sein. Daher eignen sich diese kleinen Helfer vor allem für Auftritte mit kleineren Besetzungen. Deutlich mehr Features und üppigere Funktionen bieten dagegen aktuelle Software-Harmonizer. Werfen wir also einen Blick in die Software-Welt der Harmonizer-Effekte.
Wie setzt man einen Software-Harmonizer-Effekt ein?
Die Software „Nectar 3“ von iZotope bietet unter anderem einen eigenen Harmonizer, der bis zu acht Intervalle gleichzeitig erzeugt. Im Bereich „Harmony“ der Benutzeroberfläche kann man diese und weitere Harmonien definieren.
Schaltet man in den MIDI Control Mode, so werden die gewünschten Harmonietöne durch gespielte Noten auf dem MIDI-Keyboard gesteuert. Die Software analysiert die gespielten Akkorde, pitcht die Eingangsquelle auf die jeweilige Tonhöhe und gibt sie entsprechend wieder. Sehr praktisch!
Um dies in Echtzeit gewährleisten zu können, wird häufig zusätzlich Autotune eingesetzt.
Mit der MIDI-Control-Funktion jedenfalls wächst aus jedem Melodieton in Echtzeit ein eigener Akkord. So entstehen mit Leichtigkeit inspirierende Klänge, die von weich bis sehr dicht und clusterartig reichen.
Welche Künstler verwenden Harmonizer-Effekte?
Bon Iver
Bon Iver ist einer der bekanntesten Künstler, die den Harmonizer-Effekt nutzen. Sein Gesangssound ist deshalb stark durch die Produktion und den markanten Harmonizer-Effekt geprägt. Interessant ist die zudem Überschneidung von akustischem Sound und handgemachter Musik in Kombination mit künstlichen Klängen, die hier so wunderbar miteinander verschmelzen. Der sogenannte „Prismizer“, der angeblich von Francis Starlite (Francis & The Lights) selbst entwickelt wurde, gilt übrigens als modifizierte Version der „Antares Harmony Engine“. Jedenfalls soll Bon Ivers Harmonizer-Effekt besonders gut mit Signalen von akustischen Instrumenten und Synthesizern umgehen können. Hier kann man sich Bon Ivers speziellen Harmonizer-Sound einmal anhören.
Jacob Collier
Imogen Heap landete 2005 mit dem Song „Hide And Seek“ einen Hit. Das Besondere daran: Der Song besteht eigentlich nur aus ihrer Stimme und einem sehr raffinierten Harmonizer-Effekt. In ihrer Version nutzte sie dafür die Digitech Vocalist Workstation. Jacob Collier aber hat das Ganze mit seinem eigenen Harmonizer noch einmal auf ein neues musikalisches Level gehoben. Jacobs Harmonizer ist übrigens eine Spezialanfertigung des MIT-Absolventen Ben Bloomberg.
Sam Gendel
Der Saxophonist Sam Gendel ist bekannt für seinen Saxophonsound, den er gerne mit Harmonizer-Effekten ergänzt. Auf dem Album „Notes With Attachments“ von Pino Palladino und Blake Mills ist das besonders deutlich zu hören: vielschichtige, polyphone und sehr weiche Klänge, die man in dieser Form eigentlich nirgendwo sonst hört. Auch im folgenden Video mit dem Scary Pockets Kollektiv kann man dies eindrucksvoll erleben.
Leona Berlin
Die deutsche Künstlerin Leona Berlin setzt den Harmonizer-Effekt kunstvoll ein. Die Steuerung erfolgt dabei über ein Keyboard, um die anderen Stimmen an ihre gesunde Melodie anzupassen.
Zum Schluss
Vom authentischen Background-Gesang bis hin zu verfremdeten synthetischen Klängen bietet der Harmonizer-Effekt ein breites Spektrum für verschiedene musikalische Anwendungen. Insbesondere durch einige jüngere Popkünstler, die Harmonizer-Effekte gekonnt in ihre Performance einbauen, hat der Harmonizer eine Renaissance erlebt. Hinzu kommen weitere Effekte wie Vocoder, Talkbox und Autotune. Auch diese Vokaleffekte kann man zudem gut mit dem Harmonizer kombinieren. Denn gerade durch diese Mischung ist der Harmonizer-Effekt ein wirklich gelungenes Werkzeug, um neue und inspirierende Sounds zu kreieren. Dabei spielt es keine Rolle, ob man den Harmonizer-Effekt als natürliche Ergänzung oder synthetische Verfremdung betrachtet. In jedem Fall lädt er dazu ein, sich auf eine kreative Reise zu begeben und Neues auszuprobieren!
Markus Galla sagt:
#1 - 28.11.2017 um 08:10 Uhr
Ableton Live hat aber schon seit langer Zeit ein Pitch Shifter Plug-in und da wird nichts destruktiv gemacht. Auch Warp und Pitch Shift im Sample Editor sind nicht destruktiv. Gerade mit Ableton Live lassen sich solche Effekte hervorragend erzeugen.