Electro-Voice RE20 Test

Entschuldigt die explizite Ausdrucksweise, aber in der nicht gerade für ihre Etikette bekannten Berufsgruppe der Tontechniker lautet der geläufige Spitzname für das Electro Voice RE20 nun mal seit Jahrzehnten “Elefantenpimmel“. Als feinsinniger Mensch mit Niveau und Stil halte ich “Elefantenrüssel” eigentlich für ausreichend, aber was will man gegen die große Mehrheit ausrichten. Aber wir wollen uns hier nicht über die Verdorbenheit der Branche auslassen oder über Sinn, Unsinn und anatomische Details streiten – das kann meinetwegen beim nächsten Tontechniker-Stammtisch geschehen. Über Sinn und Unsinn des EV RE20 sollte man dort aber besser nicht diskutieren, denn das Mikrofon ist einfach ein integraler Bestandteil der täglichen Arbeit, Kritik am ehrenwerten Mikrofon wird schnell mit Blasphemie gleichgesetzt.

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Unbestreitbar ist, dass das RE20 als Standard in den Mikrofonpools von Tonstudios und Live-Verleihern dieser Welt gilt. Auch werden viele Engineers unterschreiben, dass sie auf den etwas merkwürdig geformten Schallwandler kaum verzichten können. Ich gehöre mit zu diesen potenziellen Unterzeichnern, möchte hier aber nicht einfach meine Begeisterung kundtun, sondern informieren – als Rückendeckung dienen auch hier die beliebten bonedo-Audiobeispiele. 

Details

Großmembran ja – Kondensatormikrofon nein!

Aufgrund seiner Größe und der großen Gitterfläche wird das EV RE20 oft für ein Großmembran-Kondensatormikrofon gehalten. Teil eins dieser Vermutung ist korrekt, denn im Inneren bewegt der Schall tatsächlich eine Membran mit großer Fläche. Mit Teil zwei verhält es sich jedoch anders, denn auf diese Membran ist eine Spule aufgebracht, die in einen Magneten eintaucht. Aus der Bewegung einer Spule in einem Magnetfeld wird mittels Generatorprinzip eine Spannung erzeugt: Das kennzeichnet einen Schallwandler mit dynamischem Wandlerprinzip. Die aufgebrachte Spule besteht aus Aluminium, die Membran aus “Acoustalloy”. Gemeinsam zeichnet sich diese Einheit durch geringes Gewicht aus, was recht schnelle Beschleunigungen und flotte Hin- und Herbewegungen ermöglicht. Zwar sind diese beiden Umstände bei Kondensatormikrofonen meist noch besser, doch auch das Signal eines RE20 ist schon oft mit dem eines Kondensatormikros verwechselt worden. Ganz oben im Frequenzgang kann das E-Voice mit modernen Kondensern jedoch nicht mehr mithalten, der Frequenzgang fällt ab 10 kHz, allerdings deutlich flacher als bei vielen Dynamik-Kollegen! Typisch für ein dynamisches Mikrofon ist aber der etwas zerklüftete Frequenzgang, dessen wesentliche Einbrüche bei einem und vier Kilohertz aber vielen Signalen schmeicheln. Erst unterhalb von 70 Hz geht es auf der gegenüberliegenden Seite des Spektrums langsam runter – über Bassarmut kann man sich also nicht beklagen. Wird es dort unten doch etwas zu bunt, hilft die Bedienung des Hochpassfilters, das ab ungefähr 200 Hz anfängt, die Kurve sanft nach unten zu neigen.

Fotostrecke: 4 Bilder Das stabile Korbgeflecht schützt die Großmembrankapsel

Der bei dynamischen Mikrofonen übliche Nahbesprechungseffekt ist kaum vorhanden

Will man mehr Bass, geht man gemeinhin mit Druckgradientenempfängern näher an das Geschehen heran. Doch halt! Das RE20 ist zwar ebenfalls ein DGE, der mit einem Laufzeitsystem in eine Niere verwandelt wird, doch ist der Nahbesprechungseffekt hier kaum vorhanden. Zwar ist er oft gewünscht, manchmal allerdings stört er, wirkt signalfremd, resonierend und einfach unecht. Außerdem zerstört er oft die Frequenzausgewogenheit von Instrumenten, die (z.B. in Livesituationen) aus Gründen der Quellentrennung nah mikrofoniert werden müssen. Im Nahbereich bewirkt eine Veränderung des Abstands von Signalquelle zu Mikrofon außerdem zwangsweise eine Klangfarbenänderung. Die Technik, die diese Eigenschaft durch geschickte Schall-Leitung stark unterdrückt, wird dementsprechend von EV als “Continuously Variable-D” bezeichnet. Hier ist der Weg für den Schall, der rückseitig auf die Membran trifft (täte er das nicht, wäre das System ein Druckempfänger und somit automatisch eine Kugel!), recht unüblich und komplex angelegt. Es gibt mehrere mögliche Schalleintritte und somit unterschiedlich lange “Umwege”. Dadurch kann der Druckgradient abstandsunabhängig über einen weiten Frequenzbereich konstant gehalten werden. Grundsätzlich besteht in der Konstruktion Ähnlichkeit mit einem Richtrohr auf der Rückseite (!) der Membran. Dadurch erklärt sich übrigens, wieso das RE20 nicht unbedingt ein “kompaktes” Mikrofon ist: Es ist fast 22 Zentimeter lang und misst 5,5 cm im Durchmesser!

Groß und mächtig, das suggeriert schon einen fetten Sound
Groß und mächtig, das suggeriert schon einen fetten Sound

Nahezu brummfrei dank Humbucker-Spule

Nicht nur die Tatsache, dass das RE mit einer zusätzlichen Humbucker-Spule ausgestattet ist, begründet die geringe Anfälligkeit für Brummen: Das beige Gehäuse besteht aus dickwandigem Stahl, wodurch Einstreuungen deutlich verringert werden können. Das Ergebnis von -130 dBV in einem Magnetfeld von einem Milli-Oersted bei amerikanischer Netzfrequenz von 60 Hz kann sich wirklich sehen lassen. Wird wie üblich der Übertragungsfaktor für ein Audiosignal von 1 kHz gemessen, erhält man einen Wert von 1,5 mV/Pa. Es gibt zwar einige dynamische Mikrofone, die diesen Wert locker in die Tasche stecken, doch alles zwischen 1 und 2 Millivolt bewegt sich im üblichen Rahmen. Eher gering ist die Impedanz des Mikrofons mit Ausgangsübertrager: Sie beträgt 150 Ohm. 

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